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Wenn die Tulnic erschallt

Muntii Apuseni - erste Einsichten

Ein Reisebericht von Günter Joos gringojoos@web.de


Das Westgebirge (rum.: Muntii Apuseni) ist kein sonderlich geeignetes Terrain für Gipfelstürmer. Als höchster Berg residiert dort die rundliche Wiesenkuppe der Cucurbata Mare (dt.:"großer Kürbis") mit 1849 m, die meisten Erhebungen halten ihr Maß sogar weit unter dieser Höhe. Für Natur- Berg- und Kulturliebhaber sind die Apuseni dennoch eine reichhaltige Fundgrube, deren Schätze allerdings nur bedingt droben auf den Gipfeln zu finden sind. Die wahren Trümpfe der Apuseni sind die vielen, oft tief und dramatisch einschneidenden Schluchten, die traditionellen Dörfer, welche sich aus einer längst vergangenen Zeit in die Gegenwart hinübergerettet zu haben scheinen, die geheimnisvoll erscheinenden Klöster, oder aber, vom Licht des Tages völlig abgeschirmt, tief unter der Erde, die für Karstgebiete so typischen Erscheinungen wie Eis- und Tropfsteinhöhlen, Höhlenseen oder unterirdisch fließende Wasserläufe. In den ausgedehnten und nahrungsreichen Waldgebieten der Apuseni haben viele Wildtiere ihre Heimat, so natürlich auch Bär, Wolf und Luchs.

Mittelgebirgsregionen wie die Apuseni bieten dem Menschen selbstverständlich viel geeignetere Vorraussetzungen für Siedlungsraum, als etwa das rauhe Hochgebirge. In den Apuseni finden wir somit auch die höchstgelegenen Dörfer Rumäniens. Landwirtschaft, Viehzucht, Holzindustrie und Bergbau werden seit jeher schon in den Apuseni betrieben. Bei deren Erschließung und Kultivierung spielte und spielt das Volk der Motzen eine bedeutende Rolle. Das Eigenverständnis dieser in Rumänien mit den Klischees von Starrköpfigkeit und Arbeitsamkeit behafteten Volksgruppe und deren Festhalten an alten Traditionen bis in unsere Tage hinein macht die Apuseni zu einer ergiebigen Fundgrube für Interessenten alter Bräuche und kultureller Besonderheiten, wie sie in unserer globalisierten Zeit immer seltener werden. Es wird auch nicht etwa museales Freilufttheater für Touristen gespielt, sondern hier wird Tradition tatsächlich noch gelebt und man ist stolz darauf. Sicher findet man gerade in einem Land wie Rumänien auch an anderen Orten ähnlich traditionsverbundene Lebensweisen und interessante ethnische Gruppierungen, das Volk der Motzen gehört aber sicher mit zu den Schillerndsten und Eigentümlichsten im Land.

Daß das von mir Erlebte in den kurzen zwei Wochen nur ein kleiner Anschnitt war von dem, was es in dieser Region sonst noch zu entdecken gibt, möchte ich hiermit ausdrücklich betonen. Die Apuseni stellen übrigens den nördlichen Teil der rumänischen Westkarpaten, wobei beim Begriff Westkarpaten Vorsicht geboten ist, da diese Bezeichnung eigentlich schon an die Berggebiete im Westen der Slowakei, einschließlich denen im angrenzenden Polen (Beskiden), bzw. dem Grenzgebiet zu Tschechien (Weiße Karpaten, Kleine Karpaten), aber auch für den nach Serbien hineinreichenden Südwestzipfel des Karpatenbogens vergeben ist. Dennoch wird der Begriff Westkarpaten (Carpatii Occidentalii) innerhalb Rumäniens häufig verwendet und bezieht sich auf den flächenmäßig recht umfangreichen Komplex der im Westen - außerhalb des eigentlichen Karpatenbogens gelegenen, aber dennoch diesem Gebirge zugehörigen - Mittelgebirgsmassive. Deren Grobunterteilung lautet wie folgt: Im Norden die Apuseni, im Süden das Banater Bergland, dazwischen die Poiana Rusca.

Meine diesjährige Bergreise, die ich zu einem guten Teil zusammen mit Wilhelm Scherz ("Karpatenwilli") unternahm, widmete sich ausschließlich der Apuseni - Region, wobei ich jediglich Einsichten in drei von insgesamt zehn dort versammelte Bergmassive nehmen konnte, und unsere Erlebnisse ausdrücklich der Vollständigkeit der sich dort anbietenden Möglichkeiten entbehren. In der ersten Woche waren wir mit Willi´s geländegängigem Renault Kangoo unterwegs. Diesbezüglich will ich noch erwähnen, daß es in Rumänien Bergregionen gibt, die sich für eine Gesamtdurchquerung zu Fuß, wie ich das ja oft und gerne praktiziere, weniger geeignet sind. Hierzu zählen beispielsweise auch die Metaliferi (deutscher Name: Siebenbürger Erzgebirge). In ihnen verstecken sich wunderbare Wanderziele und interessante Sehenswürdigkeiten, die sich allerdings kreuz und quer im Gebirge verteilen, weshalb eine Kombination Auto/Wanderschuhe tatsächlich die beste Lösung ist. Um aber in die wirklich abgelegenen Dörfer und Regionen zu gelangen, empfiehlt sich allerdings dringend ein geländetaugliches Fahrzeug, das kann durchaus auch ein rumänischer Dacia sein, da diese Fahrzeuge sich im dortigen Terrain ebenfalls gut zu eignen scheinen. Autofahrten in den Apuseni sind an sich schon ein Abenteuer und setzen, neben einem stabilen Magen, eine gewisse Bereitschaft zum Zupacken voraus, wenn der Wagen mal im Schlamm stecken bleibt, oder Hindernisse aus dem Weg zu räumen sind. Das Mitführen einer Kettensäge und einer Seilwinde sind unter Umständen keine übertriebenen Maßnahmen!

Verhältnismäßig pünktlich rollt der Bus in Deva am Bahnhof vor, wo, wie vereinbart, Willi bereits auf mich wartet. Ruckzuck verfrachten wir den Rucksack, lassen Jolante´s (Renault Kangoo mit Vierradantrieb) Tank vollaufen, und ab geht die Post, zunächst nach Simeria. Dort wird mein knurrender Magen zufriedengestellt, in einem Lokal, das der Willi noch ganz anders in Erinnerung hat, als er vor Jahren dort zum ersten mal Einkehr hielt. Damals war der Laden zwar heruntergekommener, als jetzt, dafür hat er nun etwas an Originalität eingebüßt. Das Essen ist jedenfalls immer noch schmackhaft, und nachdem der Teller leergeputzt ist, wollen wir keine Zeit mehr verlieren. Wir gondeln mit Jolante gleich hinein in eine Berggegend, welche bislang weit hinten auf der Prioritätenliste meiner Rumänienreisewünsche gestanden hatte, da ich es bis dato völlig unterschätzt hatte: zu unbedeutend, wohl kaum landschaftlich attraktiv, vermutlich stark bergbaugeschädigt. Soweit also meine Vorurteile über die Muntii Metaliferi. Ich soll noch vor Ende dieses Tages einsichtig werden.

Die Metaliferi hatten mir ja schon oft entgegengeschimmert, wenn ich auf der E 68 bei Deva zu den dort im Norden ansteigenden Hügeln hinübergeschaut hatte, welche eine Höhe von kaum mal 600 Metern erreichen dürften. Die Höhe nimmt dann aber gen Norden stetig zu, und bildet schließlich auch ein echtes, wenn auch nicht sonderlich hohes Gebirge aus. Der höchste Gipfel misst 1369 m. Wie der Name schon verrät, handelt es sich, resultierend aus vorzeitlichen vulkanischen Aktivitäten, um ein erzreiches Gebirge. Vorwiegend Gold, aber auch Silber, Kupfer, oder Molybdän liegen hier unter der Erde verborgen. Dies wußten bereits die Daker und die Römer zu schätzen, die hier die ersten Minenschächte graben ließen.

Hinter Simeria auf einer Nebenstraße noch nicht allzu weit gekommen, steigt Willi kurz nach der Ortschaft Rapoltu Mare in die Eisen. Ein fast mannshoher Hinkelstein am Straßenrand ist es, der seine Aufmerksamkeit erregt. Der für ein Karstgebirge typische Sinterfelsen entstammt einem nahen Steinbruch, was eine Nachfrage bei einer Gruppe von Arbeitern, die mit ihrem mit Steingut gefüllten LKW ebenfalls am Straßenrand stehen, bestätigt. Ob ein rumänischer Obelix beim Transport zugegen war, bleibt uns unbekannt. Man kann praktisch die gesamte Apuseni-Gruppe den Karstgebirgen zurechnen. Demnach ist also das am häufigsten vorkommende Gestein wasserlöslicher Kalk, was wiederum die typischen Karsterscheinungen wie Höhlen, Dolineneinbrüche, plötzlich im Erdboden verschwindende Bachläufe, Sintergestein bzw. versinterte Pflanzenteile, sowie aus der Erde ausbrechende Quellen oder Wasserfälle (rum.:Izbuc) in Erscheinung treten läßt. Hier in den Metaliferi spielt zudem, wie bereits angedeutet, eine weitere Gesteinsart eine bedeutende Rolle, nämlich der durch den Vulkanismus entstandene Basalt.

Bald ziehen steile Serpentinen hinauf nach Geoagiu Bai, ein schöner Wasserfall gießt sich unmittelbar unter der Ortschaft wie verschüttetes Quecksilber über steile Felsen hinab. Wir kommen in der Dorfmitte an, ganz offensichtlich befinden wir uns hier in einem populären Wochenendausflugsziel der Rumänen, und wie der Name schon andeutet, müssten sich weiter oben auch noch warme Badequellen befinden. Wir aber stellen fest, daß wir hier falsch sind. Unser Ziel ist nämlich das Dörflein Mada, dessen Zufahrt erst am Beginn der Ortschaft Bozes von der "Hauptroute" abzweigt. Hier verschwindet der ohnehin stark lädierte Asphalt gänzlich, und über eine glücklicherweise halbwegs trockene Erdpiste erreichen wir das Dorf. Wir werden dort zunächst von einem steinalten Ehepaar begrüßt. Wir gehen nun zu Fuß weiter.

Unser Interesse gilt der nahen Cheile Madei (Cheile = Schlucht, Klamm). Deren Einschnitt ist denn auch vom Dorf aus schon gut erkennbar. Wir steigen auf die von uns aus gesehen rechte Schluchtwand hinauf, um uns einen möglichst guten Überblick zu verschaffen. Im Aufstieg erspähen wir eine Höhle, vor deren Eingang eine festungsartige Mauer aufgezogen wurde. Wir behalten uns vor, die Höhle im Abstieg noch genauer in Augenschein zu nehmen. Die Ausblicke von hoch oben in die imposante Schlucht hinab, rüber zur gegenüberliegenden Schluchtwand, sowie zurück zum idyllischen Dörflein sind wahrlich eindrucksvoll. Hier könnte man ohne weiteres einen ganzen Tag wandernd, kletternd und forschend zubringen, doch ein umfangreiches Tagesprogramm zwingt uns dazu, es bei diesem Ausguck zu belassen. Allerdings nehmen wir, wie versprochen, auf dem Rückweg die Höhle noch mit. Da ich nicht unbedingt mit einer Höhlenbegehung gerechnet habe, blieb meine Lampe im Auto liegen, weshalb wir nun zu Zweit mit Willi´s Lampe dort einsteigen. Wir werden auch prompt mit zwei recht ansehnlichen Sälen, sowie einer Sinterkaskade belohnt, und als "Taufe" anläßlich meiner ersten "wilden" Höhlenbegehung lege ich mich auch noch unfreiwillig in den Fledermausguano. Ein kleines Exemplar finden wir auch hängend an der Höhlendecke. Ich halte die Fledermaus (rum.:liliac) aufgrund ihrer Größe zuerst für ein Jungtier, doch Willi klärt mich auf: es existieren verschiedene Gattungen, und diese ist eine einer kleinwüchsigen Art Zugehörige. Was es mit der alten Mauer auf sich hat, die auch schießschartenartige Löcher aufweist, darüber spekulieren wir noch. Ziemlich sicher diente die Höhle einst als Rückzugsmöglichkeit oder Versteck. Doch vor wem? Aus welcher Epoche? Etwa vor den einfallenden Tartaren im 12. Jahrhundert? Ich soll später noch in der Cheile Turzii bei zwei weiteren Höhlen auf ähnliche alte Ruinenmauern stoßen.

(die passenden Fotos zu dieser Exkursion finden sich unter www.karpatenwilli.com/apuseni/cheile07.htm)

Beeindruckt von diesem interessanten und schönen Ausflug kehren wir zu Jolante zurück, verabschieden uns von den beiden Alten und fahren zunächst wieder hinab nach Bozes. Jetzt wird es abermals spannend: der Abend dämmert bereits, doch die "Straße" hinauf ins Dorf Cheile Cibului will kein Ende nehmen. Was wird uns da oben noch erwarten? Hinter dem Weiler Bacaia müssen wir mit Jolante mehrere Furten durchqueren, ohne unser geländetüchtiges Vehikel wären wir hier ohnehin schon längst aufgeschmissen.

Neben dem Fahrweg schneidet steil und spektakulär die eigentliche Schlucht Cheile Cibului ein, nach der unser Zielort benannt ist. Plötzlich, jedoch noch weit über uns, ragt ein Kirchturm in den Himmel! Sollte der Weg uns etwa noch bis dort hoch führen? Er soll, und bis Jolante es mit brüllendem Motor hinauf in den Weiler Cheile Cibului geschafft hat, ist auch schon die Dunkelheit hereingebrochen. Ein Holzschild mit der Aufschrift "Cheile Cibului" weist aber noch weiter aufwärts, und nach Befragen der Bewohner stellt es sich heraus, daß dort oben ein neues Kloster gebaut wird, welches den Namen Bunavestire trägt. Das alte Dorfkirchlein wurde übrigens im Jahre 1927 erbaut.

Die Einheimischen haben uns gerade über die Existenz des Nonnenklosters aufgeklärt und uns mit frischer Milch und Käse versorgt, da kommt vom Kloster her schon der Prior (orthodoxer Abt) herabgefahren. Als er uns sieht, stoppt er sofort sein Fahrzeug und steigt aus. Er könne uns leider nicht im Kloster unterbringen, da dort nur Nonnen hausen, doch er weist uns einen zünftigen Heuschober ganz in der Nähe zu, wo wir es uns für die Nacht gemütlich machen können. Selbstverständlich werden wir im Kloster noch zum Abendessen gebeten. Die Räumlichkeiten der Abtei befinden sich derzeit noch in einem Bauernhaus, wo wir von den freundlichen Nonnen bestens bewirtet werden. Mit am Tisch sitzen vier Arbeiter, die tagsüber mit dem Bau des neuen Klosters beschäftigt sind und sogleich entspinnt sich eine ergiebige Unterhaltung über die Apuseni-Region. Geschichte, Klöster, Traditionen, die Landschaft - interessante Themen zu einem herzhaften Mahl, auch eine der Nonnen kann uns mit vielen detaillierten Informationen dienen. Willi´s Reisezweck ist übrigens eine möglichst umfangreiche Dokumentation der Apuseni, wir sind im gewissen Sinne als Reporter unterwegs, was für mich eher ungewohnt, aber außerordentlich spannend und lehrreich ist. Spät ist es geworden, bis wir unser Schlafplätzchen im Heu beziehen, und dort setzen wir die Unterhaltung bis weit in die Nacht hinein fort. Bunvenit în România!

Sieben Uhr morgens, und der Berg ruft! Flux habe wir über einen aussichtreichen Grat den höchsten Punkt über den senkrecht abfallenden Felsen erreicht, welche sich im Rücken des Dorfes Cheile Cibului erheben. Prächtig ist dort die Aussicht im klaren Morgenlicht, die Schlucht, das Dorf, Äcker, Felder, Wald, und das Ganze vielfach durch steil aufragende Felstürme und -wände unterbrochen und zerteilt. Dort, direkt vor uns, ein riesiger Felsen, der genau in der Mitte wie durchgeschnitten scheint. Wir steigen herab zur anderen Seite und kommen an einem urigen Gehöft vorbei, wo uns die anwesende Bäuerin Tür und Tor zu einem Schwätzchen öffnet. Willi kommt gleich auf den Punkt: er erklärt seine Absicht, die Apuseni-Region möglichst umfangreich im Internet zu dokumentieren, und weist darauf hin, daß es ihm auch am Herzen liegt, wenn man hier einen sanften Tourismus speziell für individuell Reisende, Natur- und Kulturbegeisterte entwickeln könnte, der den hier lebenden Menschen sicher zugute käme, ohne aber dabei ihre bisherigen Lebensabläufe allzu sehr durcheinander zu bringen. So wird auch die Adresse der Bäuerin als Nächtigungs- und Verpflegungsmöglichkeit für zukünftige Reisende auf den Seiten von Willi zu finden sein. Wir werden erst wieder entlassen, nachdem wir einen Kaffee getrunken und vom hauseigenen Speck und Käse gekostet haben. Bei dieser Gelegenheit werden noch die Speckkammer, sowie die Stallungen inspiziert.

Punkt 10 Uhr treffen wir in der Klosterküche ein, wo wir - wie verabredet - zusammen mit den vier Bauarbeitern das Frühstück einnehmen. Zum Abschied geben uns die Nonnen jeweils eine von ihnen selbst besungene CD und eine kleine Ikone zum Geschenk. Zuhause werde ich feststellen, daß es sich um einen kompletten Mitschnitt einer orthodoxen Auferstehungsmesse handelt, zelebriert in der Kirche zu Alba Iulia. Wir selbst hinterlassen eine kleine Spende, die zunächst abgelehnt wird. Wir aber insistieren, verweisen darauf, daß man für den Neubau sicher jedes Geld brauche. Nach einem herzlichen Abschied starten wir Jolante und setzen unsere Fahrt fort, und zwar nordwärts, komplett durch die Schlucht hindurch und weiterhin auf mehr schlechten als rechten Schlaglochpisten bis nach Almasu Mare, wo wir direkt vor dem ethnologischen Museum des Herrn Achim Emilian anhalten.

Dort treffen wir leider niemanden an, also zurück in die Dorfmitte. Vor dem Magazin Mixt haben sich zwei alte Männer zum Schwatz auf einem Bänklein niedergelassen, und nach etwas längerem Hin und Her radelt schließlich der inzwischen benachrichtigte Museumsbesitzer höchstselbst auf seinem alten Drahtesel einher. Allerlei Interessantes hat Achim Emilian in seinem Museum zusammengetragen, und das in Eigeninitiative und aus purem Enthusiasmus. Unter anderem finden sich Bergwerksutensilien, Trachten, traditionelle Werkzeuge, die heute noch Verwendung finden, verschiedene Tulnice (das sind sozusagen die Alphörner der Apuseni, später mehr dazu!), ein altes Löschfahrzeug, diverse hier vorkommende Mineralien, Haushaltsgeräte, Ikonen, Spazierstöcke, deren Griffe Tierfiguren darstellen. Eine Ecke ist der kommunistischen Ära gewidmet, des weiteren finden sich noch eine alte Telefonvermittlungsanlage, Waffen aus unterschiedlichen Zeitaltern, Münzen und Geldscheine, archeologische Fundstücke aus der römisch &ndash dakischen Epoche, kurzum alles, was mit dem Leben der Menschen hier in den Apuseni in Verbindung steht oder stand.

Nach der Museumsführung geht´s zusammen mit Achim Emilian schnurstracks zum Bürgermeister. Willi ist voll in Fahrt, beseelt von seiner Idee der Entwicklung eines ökologisch und kulturell verträglichen Tourismus hier in den Apuseni. Sicher gibt es hier bereits schon Touristen, allerdings fast ausschließlich Einheimische, und da die Deutschen das reislustigste Volk der Welt sind, geht es eben darum, unseren Landsleuten Rumänien und die Möglichkeiten dieses Landes näherzubringen und ihnen vor Ort Kommoditäten, wie Unterkunft, Führer für Ausflüge, oder Möglichkeiten von naturnahen Sportarten wie Wandern, Klettern oder Mountainbiken zu schaffen. Das alles kann und soll natürlich dann die Bevölkerung vor Ort in die Hand nehmen, und die Leute hier sollen somit auch die Möglichkeit haben, zusätzlich zu ihren Einkommen aus Landwirtschaft und/oder Bergbau als Fremdenführer oder Pensionswirte ihren Lebensstandard zu verbessern. Die Wiederbelebung, bzw. Erhaltung von alten kunsthandwerklichen Fertigkeiten wären eine weitere Idee. Jedenfalls ist man im Bürgermeisteramt ganz Ohr, und als wir uns von dort verabschieden, scheinen wir doch ein paar Denkanstöße hinterlassen zu haben. (Fotos unter www.karpatenwilli.com/apuseni/almasu.htm)

Über den traditionellen Bergbauort Zlatna gelangen wir per Abzweigung in die Gemeinde Valea Mica. Ganz auffällig ragt hier direkt neben der Dorfkirche ein riesiger Felsen gen Himmel. Dieser trägt den Namen "degetul dumnezeilor", also "Finger Gottes", so soll man uns später im auf dem gegenüberliegenden Hügel gelegenen Kloster "Buna Vestire" erklären. Vorerst aber gilt unser Besuch dem schönen, kleinen Kirchlein, das in Einheit mit dem "Finger Gottes" ein wahrlich pittoreskes Bild abgibt. Just als wir auf dem kleinen Friedhof stehen, um die beste Position für gelungene Schnappschüsse herauszufinden, zieht unten eine Trauerprozession durch die Dorfstraße. Da ist Willi als rasender Reporter sofort zur Stelle, und wenn es vielleicht auch pietätlos scheinen mag, der Umgang mit dem Tod gehört selbstverständlich mit zur Kultur der Menschen in den Apuseni, und darf in einer umfassenden Dokumentation von Land und Leuten keinesfalls fehlen. Es stört sich auch niemand dabei, daß Willi fotografiert, und selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, so hätte Willi in einem klärenden Gespräch garantiert dafür gesorgt, daß wir als stets willkommene Freunde das Dorf verlassen hätten.

Das neu erbaute Kloster ist fast fertiggestellt und besticht durch einen prachtvollen Innenausbau mit schönen Wandmalereien. Das alte Kloster habe sich einst bei der Dorfkirche befunden, so erklären uns der Prior und die Nonne. Im Kloster ist im übrigen auch noch ein bescheidenes Kleinmuseum mit religiösen und ethnischen Exponaten untergebracht. Als wir Valea Mica wieder verlassen, sind unsere Blicke direkt auf die auffälligen, schneeweißen Felsen gegenüber dem Tal des Ampoi-Baches gerichtet, in welchem sich Zlatna befindet. Diese bizarren Felsformationen gehören bereits zum Trascau-Gebirge, über welches ich später noch zu berichten habe.

Es ist zwar bereits fortgeschrittener Nachmittag, aber der Tag, und auch unser Reiseprogramm sind noch nicht erschöpft. Die Fahrt geht weiter über eine kurvenreiche Strecke hinauf zum 915 m hohen Bucium-Paß, wo wir im Magazin Mixt am Straßenrand auf einen Kaffee einkehren. Hinter der Paßhöhe schraubt sich die Straße wiederum kurvenreich hinunter, nach einer Abzweigung setzen wir die Fahrt über eine nach und nach immer schlechter werdende Neben"straße" fort, bis wir endlich in der Ortschaft Bucium eintreffen. Hier besuchen wir ein weiteres Magazin Mixt, und gestärkt machen wir uns auf einen frühabendlichen Fußanstieg zu einem Naturmonument mit dem ominösen Namen "Detunata". Über steile Bergwiesen emporgestiegen, gelangen wir zunächst unter eine steile Basaltfelswand, die in ein riesiges Blockfeld abbricht. Eigenartig sind hier die regelmäßigen Formen der Basaltfelsen, alle schön quadratisch und in eine Richtung gelagert. Das zeigt die einstige Abkühlrichtung an, so erklärt mir Willi, denn schließlich handelt es sich hier um ein Phänomen vulkanischen Ursprungs. Die Basaltfelsen sind auch nichts anderes, als die einst erkaltete Lava. Bald stehen wir auf dem aussichtsreichen Gipfelgrat, von dem aus wir den schneebedeckten Rundrücken der Muntele Mare sehen können. Und dann ist da drüben noch etwas, was ins Auge fällt: eine der Abbauhalden von Rosia Montana, einem der traditionellen rumänischen Bergbaugebiete, welches in jüngster Zeit arg umstrittenen war. Dort oben wollen wir uns später ein Plätzchen für die Nacht suchen. Die Frage ist nur, ob uns die Nacht erreicht, bevor wir drüben ankommen.

Wir steigen auf der anderen Seite der Detunata weglos ab, bis wir weiter unten wieder auf den Hinweg stoßen. Es existiert übrigens noch eine zweite Detunata ganz in der Nähe, die von unserer Position aus gesehen eher als Waldberg in Erscheinung tritt, aber auf einer für uns nicht einsehbaren Seite ebenfalls mit einer steilen Basaltwand zu Tale stürzt. Uns jedoch reicht die Zeit nicht mehr, um drüben noch vorbeizuschauen, angeblich ist die von uns besuchte Basaltsäule die attraktivere von beiden. Wieder zurück im Dorf, scheppern wir mit Jolante talaus, zurück auf die Paßstraße, der wir nun ein kleines Stück weit Richtung Abrud folgen, ehe wir abermals abbiegen, wo ein ungewöhnlich guter Fahrbelag uns kurvenreich hinauf zu den Abbauhalden von Rosie Poiana geleitet. Das Schlafplätzchen ist denn auch rasch neben einer alten, halbverfallenen Hütte ausgemacht, mit wunderschöner Aussicht hinüber zur Detunata. Nachts beginnt es zu regnen. Mein bestelltes Zelt war bis zum Zeitpunkt meiner Abreise noch nicht eingetroffen, aber unter Willi´s Plane, die wir vom Autodach wie ein Zelt wegspannen, verbringe ich eine trockene und friedliche Nacht.

7 Uhr morgens: während wir gemütlich im Gras frühstücken, ziehen die Arbeiterbusse an uns vorbei, in Richtung Mine. Auch wir werden zunächst dorthin fahren. Wir wollen mal sehen, ob man uns dort zwecks einer Kurzvisite Einlaß gewährt. Zunächst scheint´s, als müssten wir am sich unerbittlich gebenden Pförtner scheitern. Doch Willi läßt sich nicht so ohne Weiteres abschmettern. Der Pförtner wird dazu gebracht, seinen Chef anzurufen, und bald ist der Willi mit dem Generaldirektor im Tal verbunden. Zehn Minuten später werden wir vom Direktor der Poiana-Mine persönlich an der Pforte abgeholt. Außer der Poiana existieren noch zwei weitere Minen in der Region Rosia Montana, die insgesamt über 3000 Menschen in Brot und Arbeit hält. Das Bergbaugebiet von Rosia Montana ist in der jüngsten Vergangenheit zu einem Politikum geworden, wobei sich Konzern und Umweltschützer in harten Fronten gegenüber stehen. Jetzt haben die Kanadier den Betrieb aufgekauft und das Städtlein Rosia Montana soll vom Erdboden verschwinden, da sich dort weitere Bodenschätze befinden sollen. Fakt ist jedenfalls, daß Rosia Montana ein uraltes Erzabbaugebiet ist, wo schon zur Daker- und Römerzeit Gold abgebaut wurde.

In Rosie Poiana wird über Tage Kupfer abgebaut, des Weiteren finden sich in den Böden der Region Molybdän, Silber und Gold. Vor allem die Goldgewinnung ist es, was den Umweltschützern Kummer macht, da das begehrte Metall mit Hilfe von hochgiftigem Zyanid vom Gestein getrennt wird. Wir hatten bereits gestern bei Zlatna entsprechende Rückhaltebecken an der Straße gesehen. Bedauernswerterweise kam es unlängst in einer anderen Bergbauregion Rumäniens tatsächlich zu zwei besonders folgenschweren Unfällen, die über Wochen hinweg auch die ausländischen Medien beschäftigten. Ein durch anhaltenden Regen übergelaufenes Zyanidbecken hatte im Jahr 2003 unter anderem in den Flüssen Theiß und Donau eine hochgradige Wasserverseuchung und ein beispielloses Fischsterben verursacht. Nur etwa sechs Wochen später brach der Damm eines Blei- und Zinkbergwerkes, wobei es abermals das gleiche Gewässersystem traf. Die Themen Wachstum und Erneuerung der rumänischen Wirtschaft, Umgang mit den verrottenden Altlasten und Umweltschutz sind so komplex wie dringend, würde aber bei weitem den Rahmen meiner Ausführungen sprengen, und dann auch meine Absicht, eine Reisegeschichte zu schreiben, verfehlen.

Vom Direktor erfahren wir jede Menge über Abbauverfahren, die Zukunft von Rosia Montana und Willi kommt zu seinen erwünschten Fotos von der stattliche 300 Meter tiefen Abbauhalde. Wir verabschieden uns schließlich dankend und fahren weiter über Abrud bis nach Jacobesti, von wo aus eine Abzweigung nach Rosia Montana führt. Wir besichtigen einen Ort, der dem baldigen Untergang geweiht ist. Es bleibt anzufügen, daß es in Rosia Montana allerdings nichts ernsthaft Erhaltenswertes gibt. Dem alten Minenmuseum wollen wir noch einen Besuch abstatten. Es wartet unter anderem mit einem Stollen aus der Römerzeit auf. Selbst der Tatsache, daß auch das Museum verschwinden wird, könnte man noch gelassen entgegensehen, denn alte römische oder auch dakische Stollen soll es in der Region noch zuhauf geben, man müsste sie dann eben wieder entsprechend absichern und zugänglich machen und könnte somit das Museum an einem anderen Ort wiederaufbauen.

Den Museumswärter treffen wir in seinem Haus gegenüber dem Museum an. Er ist augenscheinlich erfreut, daß mal wieder ein paar Interessenten hereinschauen. Willi kennt ihn noch von einem früheren Besuch her, anlässlich dessen der gute Mann sich laut Willi derart ins Zeug legte, daß die Führung geradezu theatralische Züge bekam. Heute ist er nicht ganz so dramatisch drauf, aber sehr akkurat in seinen Erklärungen, und - was mir wiederum zugute kommt - aus Rücksicht darauf, daß er es bei uns mit ausländischen Gästen zu tun hat, spricht er sehr sauber und langsam. Vor dem alten römischen Stollen "Cupru" sind noch weitere interessante Exponate ausgestellt: römische Grabsteine, eine Lore auf Schienen, sowie riesenhafte Maschinen aus Zeiten der industriellen Revolution.

Wir setzen die Reise fort, zunächst wieder zurück nach Abrud, dann abermals auf einen Paß hinauf. Der Buces-Paß misst gerade mal 725 m, zieht aber über durchaus wilde Serpentinen in die Höhe. Sensationell dann die riesenhafte Kalkbastion des Kleinmassives Vulcan (1257 m), die sich mit ihren lotrechten, aschgrauen Felswänden über der Paßhöhe gen Himmel stemmt. Vor einem Birt (rum.: kleine Gaststätte) parken wir Jolante und kehren zuerst auf einen stärkenden Kaffee ein, ehe wir im nachlassenden Regen den Weg zum Gipfelplateau einschlagen.

Zuerst steigen wir über sattgrüne Weiden empor, danach begeben wir uns ins steile Block- und Schotterfeld, bis wir zum Schluß, steil bleibend auf rutschigem Gras, in einem Sattel eintreffen. Die plateauartige Gipfelzone ist durchgehend bewaldet und von Dolinenkratern übersät. Entlang der Abbruchkante sind an verschiedenen Stellen exzellente Aussichtspunkte erreichbar, unter denen die gut 100 bis 150 Meter hohen Steilwände schwindelerregend abbrechen. Trotz der grauen Wolken, die am Himmel hängen, haben wir ein sagenhaftes Panorama über kaum besiedeltes Hügel- und Bergland, Wälder und Wiesenteppiche wechseln sich in diversen Grüntönen ab wie Flickenmuster. Die Abfahrtsrampe der Paßstraße zur anderen Seite hinüber zieht durch einen von Häusern gesäumten Taleinschnitt und läßt sich von hier oben aus weit mit den Augen verfolgen. Bei dem auffälligen Bergrücken südöstlich von uns dürfte es sich um den Vf. Runcului (915 m) handeln. Während Willi im Abstieg etwas direkter als ich zur Paßhöhe zurückkehrt, treffe ich weiter oben eine junge Ziegenhirtin. Von ihr erfahre ich, daß durch die eindrucksvolle Felsbastion auch einige gesicherte Kletterrouten bis etwa zum 6. Schwierigkeitsgrad verlaufen sollen.

Wir treffen an der Straße einen Mann, der gerade an seinem Roman-Geländewagen herumschraubt. Mit seinem Werkzeug hilft er uns beim Reparieren von Willi´s ramponierter Zeltstange. Schließlich fahren wir die Paßstraße auf der Seite hinunter, welche wir vom Vulcan aus einsehen konnten. Auch diese Seite des Passes verwöhnt mit herrlichen Landschaftsbildern und adretten Dörfern, unsere Fahrt endet im Städtchen Brad. Nicht weit vom Parkplatz entfernt stoßen wir schon auf den Ort unseres Begehrens, das städtische Goldmuseum. Ein mit einem Revolver bewaffneter Wachmann geht dort im Hof auf und ab und will uns zunächst mit der Aussage abspeisen, daß die Museumswärterin nicht mehr hier sei, und wir folglich das Museum heute nicht mehr besuchen könnten. Da ist er bei Willi aber gerade am Richtigen. Kurzum, es dauert nicht allzu lange, bis die telefonisch verständigte Museumswärterin auftaucht und uns die Pforten aufschließt. Prompt taucht kurze Zeit später der Museumschef in Begleitung dreier ganz offensichtlich illustrer Herren auf, Politiker oder so. Wir erhalten jedenfalls eine umfassende Führung, wobei wir so allerhand sowohl über Gold und dessen Abbau, sowie weiterer bedeutender Mineralien lernen. Außer regionalen Exponaten und Ausstellungstücken aus anderen rumänischen Bergbauregionen, ist noch Diverses aus aller Welt zu bewundern. Zum Schluß, der Museumsdirektor und seine hohen Herren sind bereits gegangen, verwickelt sich Willi mit der Wärterin in einen Tratsch zum Thema Speleologie. Na, wer hätte das gedacht, daß die gute Frau nebenbei noch eine begeisterte Höhlenforscherin ist! Bevor wir Brad wieder verlassen, kehren wir zu einem schmackhaften Abendessen in einem Restaurant ein.

Spät ist es zwar, doch nicht zu spät, um unsere Fahrt abermals fortzusetzen. Somit gelangen wir über Baia de Cris nach Risca. Dort wird noch schnell frisches Brot gekauft, denn wir wollen uns heute wiederum ein Plätzchen in Gottes freier Natur zum Übernachten suchen. In Risca fällt uns übrigens eine alte Wehrkirche auf, für eine Inspektion bleibt allerdings keine Zeit. Über eine verhältnismäßig gute Straße durchfahren wir noch zwei weitere Dörfer, ehe die Fahrbahn wieder einmal kurvig nach oben zieht. Wir wollen dem Podul Natural de la Grohot eine Visite abstatten, einer riesigen Naturbrücke aus Fels, die sich dort oben irgendwo zwischen bewaldeten Schluchten verstecken soll.

Wir fahren das gesamte Paßsträßchen hinten wieder hinunter, ohne auf einen Hinweis bezüglich des Podul gestoßen zu sein. Direkt hinter einer Brücke beginnen die wenigen, aber wunderschönen alten Häuser des Weilers Bulzestii de Jos. Wir steigen aus und fragen im erstbesten Haus. Wir seien schon zu weit und müssten die Straße wiederum ein gutes Stück aufwärts fahren, wird uns beschieden. Es dämmert bereits, als wir in den steilen Bergwald hinuntersteigen, um unten am Bach festzustellen, daß auch dort kein Podul ist. Willi ist bereits ein gutes Stück weiter vor mir im steilen Hang gequert und wiederum bei einem Felsen abgestiegen. In der Entfernung verstehe ich ihn falsch. Es ist richtig, daß er gesagt hat, da unten sei auch nichts, doch er meinte wohl, ich solle zu ihm runter kommen, und ich habe verstanden, ich solle oben bleiben.

Na, jedenfalls ist der Willi dann irgendwann plötzlich verschwunden und ich suche allein die Gegend ab, sowohl nach dem Podul, als auch nach Willi. Als ich von Beiden keine Spur finde, kehre ich zum Auto zurück, um dort auf Willi zu warten. Dann kommt er auch prompt völlig durchgeschwitzt daher. Er hat den Podul tatsächlich gefunden, allerdings ein gutes Stück weiter oben. Wir fahren jetzt mit dem Auto zu dem Punkt hinauf, wo Willi wieder aus dem Wald gekommen war, und nun steige auch ich zügigst in der schon sehr fortgeschrittenen Dämmerung dort hinunter. Ich muß sagen, ich bin verblüfft! Ein riesengroßes Felsentor, durch das der wasserreiche Bach wie durch eine Klamm seine schäumende Gischt hindurchpresst, ein wirklich sehenswertes Naturspektakel. Schließlich erreiche auch ich wieder naßgeschwitzt und völlig aus der Puste unser Fahrzeug und den darin auf mich wartenden Willi.

Abermals kurven wir die Serpentinen hinunter. Die beiden Ortschaften Bulzestii de Jos und Bulzestii de Sus sind zwar über eine für rumänische Verhältnisse gute Straße erreichbar, dennoch sagen sich in diesem weltabgelegenen Tal Fuchs und Hase Gute Nacht! Inzwischen ist es dunkel geworden, und hinter Bulzestii de Sus endet die Asphaltdecke. Eine holprige, ungeteerte Forststraße windet sich nun durch düsteren Wald immer weiter aufwärts. Willi hat zwar auf der Karte eine eventuell geeignete Stelle unterhalb einer Felswand ausgemacht, wo genügend Platz zum Parken und Campieren sein könnte, doch unterhalb besagter Felswand finden wir nur unebenes und bewaldetes Gelände. Irgendwann erreichen wir ein einsames Forsthaus, unterhalb dessen sich eine für´s Biwak geeignete Wiese befindet. Na, wer sagt´s denn! Nachdem wir uns davon überzeugt haben, daß das Dach des Forsthauses keine Lebkuchenziegel trägt, und nicht etwa eine alte Hexe mit unguten Absichten schon den Ofen angefeuert hat, richten wir unseren Nächtigungsplatz mit Hilfe von Jolante´s strahlenden Glüsern ein. Für die Plane eignet sich der Holzzaun zum Abspannen. Hoffentlich bekommen wir heute Nacht keinen Bärenbesuch, denke ich noch, während unsere Unterhaltung von Zelt zu Zelt langsam abebbt und uns nach Mitternacht der tiefseelige Schlaf übermannt. Statt eines Bären kommt Regen, doch die Plane hält!

Frühmorgens quälen wir Jolante erneut über Stock und Stein, die Spitzengeschwindigkeiten dürften so um die 30 km/h betragen, mehr läßt die immer wüster werdende Waldstraße nicht zu. Herrliche Blicke hinüber zum schneeweißen Gaina-Gipfel sind uns vergönnt. Dort oben findet übrigens sommers der berühmte Mädchenmarkt (Târgul de Fete) statt, der allerdings laut Willi in den letzten Jahren zu einem recht kommerziellen Spektakel verkommen sein soll, auf dem unter anderem auch Rockbands aufspielen. Dann das vorläufige Aus - die Straße wird von riesigen Baumstämmen versperrt. Ein paar Waldarbeiter sind mit ihrem bulligen Gefährt zugegen und sicher auch bereit, uns den Weg freizuschleifen. Sie winken jedoch ab, dies sei sinnlos. Noch ein Stück weiter, und wir hätten den Scheitelpunkt erreicht, von wo aus wir dann hinab nach Avram Iancu gelangt wären. Keine Chance, viel zuviel Schnee auf der anderen Seite, so die Waldarbeiter. Nun, wenn wir einen Blick in unsere Landkarte werfen, dann verhält es sich tatsächlich so, daß die Abfahrt nach Avram Iancu nordseitig verläuft, so daß wir den Arbeitern schon Glauben schenken können, zumal mit zunehmender Höhe die Schneeflecken im Wald und auf dem Sträßchen immer ausgedehnter wurden, obwohl wir uns immer noch auf der Südseite befinden.

Es bleibt uns keine andere Möglichkeit, als quasi kurz vor dem Ziel umzukehren. Da wir aber an Avram Iancu unbedingt festhalten wollen, bedeutet dies, daß wir jetzt eine halbe Ewigkeit unterwegs sein werden. Zunächst geht´s die mühsam erklommenen Höhenmeter auf dem Waldsträßlein wieder hinab bis ins Tal mit den beiden Bulzestii, abermals zum Paß hinauf, wo uns ein halbes Dutzend Hirschkühe, die urplötzlich vor uns auf der Fahrbahn auftauchen, einen mächtigen Schrecken einjagen. Dann hinunter und weiter bis Baia de Cris. Von dort über Brad hinauf zum Buces-Paß, nochmals grüßt die mächtige Wand des Vulcan. Schließlich kommen wir über Abrud nach Câmpeni. Was die Schönheit dieser Strecke anbelangt, wir haben jedenfalls keinerlei Probleme damit, diese erneut zu genießen und Revue von Teilen des gestrigen Tages passieren zu lassen. In Câmpeni löffeln wir eine köstliche Ciorba de Burta in unsere hungrigen Mägen, am Ortsausgang bekommt schließlich auch Jolante wieder eine Tankfüllung. "Acceptabil", so lautet die Antwort des Tankwarts auf unsere Frage nach dem Zustand der Straße hinaus nach Avram Iancu.

Jetzt wissen wir endlich, was man in Rumänien unter "akzeptablen" Straßen zu verstehen hat, die Aussage des Tankwarts soll für den Rest unserer gemeinsamen Reise Motto bleiben, da unsere Fahrten eigentlich die meiste Zeit über solche und ähnliche Routen (mal etwas besser, mal auch schlechter!) führte und führen sollen, ja ich war zeitweise sogar dazu geneigt, unseren Erlebnisbericht mit dem Titel "Pe drumurile acceptabile" zu versehen, was dann mit einem Augenzwinkern "Über annehmbare Wege" bedeutet hätte. Doch neben den tausenden von Schlaglöchern (ein besonders heikles Exemplar ist durch eine hineingesteckte Latte vor einem folgenschweren Reinfahren gesichert) hat die Strecke nach Avram Iancu doch so Einiges zu bieten und lohnt die Schüttlerei.

Mit einem Mönch und einem Anzug und Krawatte tragenden Herrn auf der Rückbank biegen wir von der Hauptstrecke ab, indem wir den Damm, welcher die Wasser der beiden Flüsse Aries und Ariesul Mic zu einem See aufstaut, zum anderen Ufer hin überqueren. Der Stausee trägt übrigens den Namen Lacul Mihoesti. Es ist in Rumänien üblich, fast sogar ein ungeschriebenes Gesetz, Anhalter mitzunehmen, und allzu oft ergeben sich hierdurch unterhaltsame Schwätzchen. Jedenfalls haben wir, zumindest auf den Hauptstrecken, trotz chronischem Platzmangels wegen unseres Gepäcks, fast immer einen oder zwei Mitinsassen hinten drin. Meist sind es ältere Damen, aber auch mal die Sekretärin des Bürgermeisters von Almasu Mare, oder etwa eine Zigeunerin, oder gar den Gemeindepfarrer.

Hinter dem Stauwehr zieht die Straße aufwärts, hinein in ein wald- und weidenreiches Mittelgebirgstal, mit hochromantischen Dörfchen gesäumt. Diese Talschaft wird vom Ariesul Mic (dt.: kleiner Aries) durchflossen, welchen Geographen als Grenzlinie zwischen den Metaliferi und dem Bihor-Gebirge ansehen. Unser erster Besuch gilt der alten Holzkirche Biserica Pahorei in Vidra de Jos. Dieses kleine Juwel ist eigentlich eine Zufallsentdeckung und wir finden prompt einen Herren, der uns das Kirchlein aufschließt und auch gewillt ist, eine Fülle von Erklärungen abzugeben. Eine opulente Innenausstattung entzückt uns, so etwa die prächtigen Kronleuchter, sowie beeindruckende Malereien, der Kreuzweg Christi samt Auferstehung zieht sich über drei Wände hinweg. Ein Blick hinter den für orthodoxe Kirchen typischen Vorhang auf den sich dort befindlichen Altar wird uns gleichfalls erlaubt. Das Kirchlein wurde übrigens 1712 erbaut, und auch der am Gotteshaus angrenzende kleine Friedhof wartet mit einer Kuriosität auf: dort prangen zwei verwitterte Kreuze aus Sintergestein.

Der "Dealul cu Melci" (dt.: Schneckenhügel) ist uns einen weiteren Zwischenstop wert. Auf und um einen ansonsten uninteressanten Hügel finden sich dort unzählige Intrusionen von Muscheln und weiterem Meeresgetier, Zeugen aus urgrauer Vorzeit. Die anwesenden Bauarbeiter machen uns darauf aufmerksam, daß auch das Bachbett diesbezüglich eine reiche Fundgrube ist. Kurz danach halten wir erneut, wir begeben uns auf einen kleinen Spaziergang. Der Sinterwasserfall "Cascada Miresei" ist ein lohnendes Ziel, besonders jetzt im Frühjahr, zur wasserreichen Zeit. Bereits im Abstand von etwa hundert Metern bläst jeder noch so kleine Luftzug sprühende Gischtwolken in unsere Gesichter. Die Hauptkaskade dürfte gut 10 Meter Fallhöhe messen, darunter hüpft der Bach über viele Minikaskaden bis hinab ins Dorf. Jetzt klärt sich auch die Herkunft der Sinterkreuze auf dem Friedhof auf. Links des Wasserfalls wurden offensichtlich schon große Mengen an Sintergestein herausgebrochen und wir finden dort eine kleine Höhle, in der sich prompt auch Exemplare von kleineren Kalkkaskaden verstecken. Zwischen den beiden Bachläufen, etwas unterhalb des Auffangbeckens der Hauptkaskade, steht ein gut anderthalb Meter hoher Felsblock, der sich komplett aus versteinerten Pflanzenteilen zusammensetzt. Die versinterten Blätter, Äste und Stämme sind gut zu erkennen. Im Dorf werden wir von zwei alten Damen über die Existenz einer größeren Höhle oberhalb des Wasserfalls informiert, doch leider fehlt uns die Zeit!

Avram Iancu ist der Geburtsort des gleichnamigen Revolutionsführers. Als es im Jahr 1848 in ganz Rumänien zu Erhebungen (mit allerdings unglücklichem Ausgang!) kam, war er der Kopf und Anführer der Aufständischen hier in den Apuseni. Sein Geburtshaus wurde zu einem sehenswerten Museum umgewandelt, welches dem Besucher einen Einblick in die Zeiten der Revolution, aber auch in das Leben einst und jetzt der hier ansäßigen Menschen bietet. Das Auftreiben des Museumswärters, oder wenigstens einer Person, die den Schlüssel verwaltet, wird wieder einmal zum Geduldsspiel. Im Hof des Hauses der Wärterin ist deren Sohn zusammen mit einem Kollegen beim Holzsägen tätig. Der weigert sich zwar zunächst mit allen möglichen Ausreden, doch wer kann schon Willi´s Argumenten und Überredungskünsten wiederstehen? Bald ist der zuerst angeblich verschwundene Schlüssel gefunden, und wir schlendern mit dem Sohn des Hauses zurück zum Museum, wo uns Tür und Angel in eine sehenswerte Exposition geöffnet werden. Besonders beeindrucken mich die alten Portraits von Avram Iancu und dessen engsten Mitstreitern. Diese verwegen aussehenden Burschen hätte ich wirklich nicht gerne zum Feind gehabt! Das schöne, alte Haus im Bojarenstil, in dessen Gebälk wir auch ein Schwalbennest entdecken, vermittelt ein rustikales Ambiente, und in Einheit mit dem im Hintergrund sich erhebenden Waldgebirge ergibt sich ein herrlich wildromantisches Bild! Den Namen seines berühmtesten Sohnes erhielt das schöne Dorf erst nach der letzten Revolution in Rumänien (1989) zurück, zuvor hieß es Vidra de Sus.

Eigentlich hätten wir schon gegen 16 Uhr in unserer Pension in Patrahaitesti, unserem letzten Anlaufpunkt des heutigen Tages, eintreffen sollen, doch wir sind bereits jetzt schon im Verzug. Wir holpern abermals zurück bis zur Staumauer, wo wir endgültig den Weg hinein ins Aries-Tal einschlagen. Die Landschaft, die sich uns bietet, könnte schöner nicht sein. Wild tosen die braunen Fluten des Aries neben der Fahrbahn, links und rechts des engen Tales erheben sich steile Wiesenhänge, düstere Bergwälder, schroffe Felsen. Für die Siedlungen dieses Tales bleibt in der Breite wenig Platz, dennoch verteilen sich zahlreiche versprenkelte Gehöfte über die steilen Talflanken. Die Orte hingegen ziehen sich, den Gegebenheiten des schlauchartigen Tales angepaßt, in die Länge.

Wenige Kilometer vor dem Ortskern von Arieseni zieht ein Fahrweg steil aufwärts. Die alte Dame, die wir bis zum Weiler von Dealul Baiului mitnehmen, hat uns noch gewarnt, daß wir derzeit mit dem Auto nicht bis Patrahaitesti gelangen könnten. Alte Weiber haben doch keine Ahnung vom Autofahren, so taten wir die Warnung der guten Frau ab. Jedenfalls, die Altschneereste werden von Serpentine zu Serpentine immer mehr, und irgendwann schaffen wir es, uns ganz unglücklich festzufahren. Nahezu zwei Stunden sind wir damit beschäftigt, Jolante mit Hilfe des Klappspatens, welchen sich Willi-Doamne, îti multumim! - im Zustand höherer Erleuchtung erst kurz vor der Reise neu zugelegt hatte, wieder freizubuddeln. Vollgas geben, Anschieben, Äste unterlegen, erneut unter´s Auto kriechen und buddeln, das Ganze noch im nassen Schnee, während uns von oben herab ein eiskalter Regen klamm und bang werden läßt. Die Aktion ist nicht ungefährlich, denn wir riskieren, daß Jolante noch mehr zur Seite abdriften und somit den steilen Hang hinunterpurzeln könnte.

Nach dieser dramatischen Selbstbefreiungsaktion kehren wir zurück zum letzten Gehöft, wo uns erlaubt wird, das Auto über Nacht zu parken. Von dort gehen wir noch etwa eine halbe Stunde über steile Wiesen bergan, bis wir mit Einbruch der Dunkelheit endgültig in Patrahaitesti eintreffen. In der Pension war man schon besorgt und verwundert über unseren langen Verbleib, und Willi muß wieder mal zur Begrüßung gleich zwei Schnäpse wegstecken, da ich ihm den Meinen stets vermache. Es gibt wirklich nichts Schöneres, als nach einem Kampf mit den Unbilden der Natur in einer urgemütlichen und warmen Bauernstube mit Speis und Trank verwöhnt zu werden, während draußen das Schnodderwetter seinen Fortgang nimmt. Eine ergiebige Plauderei mit der Familie ergibt für uns interessante Informationen über das Leben der hier ansässigen Motzen. Auf dem Gehöft leben vier Generationen unter einem Dach, die jüngere Frau und Mutter der beiden Kinder schreibt derzeit an einem Buch über das Volk der Motzen. Wir erfahren unter anderem, daß sich die Motzen wiederum in drei Großgruppen unterteilen: diejenigen, die am tiefsten im Tal wohnen, nennt man Mot, in mittelhohen Lagen siedeln die Topi und ganz oben findet man die Mocan. Hinzu kommen noch komplizierende Zwischenunterteilungen.

Da wir auch morgen ein volles Programm haben werden, wollen wir, trotz der späten Stunde, heute noch zum Hauptanliegen unserer Fahrt hinauf in dieses abgelegene Bergnest kommen. Hier in Patrahaitesti ist noch ein traditionelles Handwerk lebendig, welches leider nicht mehr überall in den Apuseni praktiziert wird: die Tulnicschnitzerei. Die Tulnic ist ein langes Holzinstrument, vergleichbar mit dem schweizer Alphorn. Ursprünglich diente die Tulnic als reines Verständigungsmittel zwischen den Hirten. So konnte man mit unterschiedlichen Tönen oder Melodien vor dem Nahen eines Wolfsrudels warnen, sein baldiges Eintreffen ankündigen, oder auch Grüße an die Liebste übermitteln. Mit der Zeit wurde die Tulnic aber auch zum Musikinstrument, und bedauerlicherweise gibt es nur noch sehr wenige Motzen, meist die Alten, welche die traditionellen Weisen heute noch beherrschen.

Wir bekommen auch ein paar Fakten zum Dorf geliefert. So liegt Patrahaitesti auf etwa 1250 Metern, besteht aus 25 Häusern und hat 70 Einwohner. Der Ort verfügt über eine Grundschule und ist erst seit 1999 elektrifiziert. Zu den Naturschönheiten in unmittelbarer Umgebung gehört übrigens ein sehenswerter Wasserfall, der in den Wanderkarten nicht verzeichnet ist. Zwei Familien gehen noch der Tulnicschnitzerei nach, die einen heißen Mocan, das sind die Leute von unserer Pension, die anderen Mocanu. Zur fortgeschrittenen Stunde werden wir schließlich noch in die Werkstatt der Mocanu gebeten, wo uns der genaue Fertigungshergang einer Tulnic gezeigt wird. Die Instrumente werden in verschiedenen Längen von etwa 40 Zentimetern bis über zwei Meter geschnitzt. Je länger die Instrumente sind, desto leichter lassen sich daraus Töne entlocken. Außer den Tulnicen werden aber noch weitere Handarbeiten fabriziert: Butterfässer, Bierkrüge, Melkeimer, Blumentöpfe. Die Utensilien werden unten im Tal auf Märkten verkauft.

Es ist noch anzufügen, daß das Aries-Tal zu den touristisch erschlosseneren Gebieten Siebenbürgens gehört, weshalb dieses Handwerk durchaus ein lohnender Nebenerwerb sein kann. Zum Direktkauf hinauf nach Patrahaitesti verirren sich bislang jedoch nur wenige Touristen. Zum Schluß führt uns noch Großvater Mocan durch die Stallungen, bis wir dann endlich aus den nassen Klamotten und unter eine heiße Dusche kommen. Der Einfachheit halber haben wir unser Gepäck unten im Auto zurückgelassen und waren nur mit dem aufgestiegen, was wir auf dem Leib trugen, und das war eben alles naß. Spät ist es geworden, bis wir in den Matratzen eines altbäuerlichen Himmelbettes in den wohltuenden Schlaf versinken.

Morgens um 7 zeigt der Blick durch die Fensterscheiben eine Winterlandschaft. Der Regen war über Nacht in Schnee übergegangen, und es weihnachtet sehr. Nach dem Frühstück besichtigen wir die Tulnicwerkstatt des Großvaters. Trotz seiner fortgeschrittenen Parkinsonerkrankung geht er immer noch dem Schnitzerhandwerk nach und scheint auch bei der bäuerlichen Arbeit immer noch tatkräftig Hand anzulegen. Direkt neben seiner Tulnicschnitzbank steht der Webstuhl seiner Gattin. Wenn man es auf diese Weise jahrzehntelang die langen Wintermonate über miteinander ausgehalten hat, dann das muß das wohl eine gute Ehe sein, denken wir. Zu guter Letzt spielt beim Nachbarn die steinalte Rafila Mocanu mit ihrer Tulnic für uns auf. Das Instrument dürfte die Körpergröße der alten Frau um ein gutes Stück überragen. Der Willi hat´s übrigens zum Abhören für diese Webseiten mitgeschnitten. Leider beherrschen heute, wie gesagt, nur noch Wenige die traditionellen Melodien. Der Willi allerdings, der kann schon ganz gut um mit seiner neuerworbenen Tulnic. Na ja, er ist schließlich auch der Karpatenwilli! An der Wand entdecke ich noch ein Paar selbstgebastelte Schneeschuhe aus Holz und Draht.

Schließlich heißt es Abschied nehmen, und wir kehren, von erbosten Dorfhunden verfolgt, über rutschige, verschneite Grashänge zu Jolante zurück. Unsere Fahrt geht diesmal nicht weit. Am Ortseingang von Arieseni queren wir eine Holzbrücke, und schon stehen wir im Hof der Pension von Erwin und seiner Familie. Erwin ist Siebenbürger Sachse und stammt eigentlich aus Sibiu, Carmen ist Rumänin. Zusammen mit den Kindern hatten sie lange Zeit in Deutschland gelebt, bis sie den Entschluß fassten, dort die Zelte abzubrechen, um in Rumänien ihre eigene Pension zu eröffnen. Der Empfang könnte herzlicher nicht sein, wir werden begrüßt wie die ältesten Freunde. So kommt es denn auch in den frühen Morgenstunden bereits zu einem ausgedehnten Umtrunk, wobei ich mich fast ein wenig mit Bedauern aufgrund meiner mir selbst verordneten Abstinenz an den allerdings interessant schmeckenden Tannensirup und an den kräftigen Kaffee halte. Im Hausgang bläst Willi noch ein kleines Ständchen auf seiner Tulnic, was Cäsar, dem Familienhund gar nicht gefällt. Sein anfängliches, protestierendes Bellen geht schließlich in ein herzzerreißendes Jaulen über, und es ist jammerschade, daß niemand dieses geniale Duett der erschallenden Tulnic und dem klagenden Geheul von Cäsar mitgeschnitten hat!

Mit Erwin´s Landrover begeben wir uns hinaus ins Cobles-Tal. Hier gelange ich endlich in eine Region, die mir bereits seit Jahren von Karte und Buch (Henning Schwarz: Rumänische Karpaten, Wanderführer - Edition Aragon) her bekannt ist. Eine Exkursion ins nördliche Bihor um das Padis-Plateau ist eigentlich ein schon lange geschmiedeter und geträumter Plan. In bislang fünf Rumänienreisen hatte ich aber doch immer wieder aus verschiedenen Gründen anderen Regionen den Vorzug gegeben, nun endlich habe ich hier hergefunden! Zunächst also eine Schnupperausfahrt bis hinauf zum Weiler Fata Cristesei. Anlaß dieses kleinen Ausfluges ist in erster Linie der Besuch bei einem Schreiner, den Erwin gut kennt, und der für uns bereitwillig sein Heim, seine Werkstatt, seine Stallungen und natürlich die obligatorische Speckkammer öffnet. Es folgt ein kleiner Ausflug in die Natur. Wegen der Schneelage müssen wir das Auto vorzeitig zurücklassen, und zu Fuß weitergehen, um tiefer ins Tal vordringen zu können. Erwin kennt dort eine Höhle, die nicht in den Karten verzeichnet ist. Allerdings bewahrheitet sich seine Befürchtung, daß die Höhle wegen des derzeitigen Wasserstandes leider nicht begehbar ist. Der Willi ging dabei als lebendes Lot voraus, um bei Wasserstand Hüfthöhe schließlich umzukehren, da das Wasser weiter hinten, anstatt wieder flacher, wie wir erhofften, noch tiefer wurde. Schade, denn die Höhle soll einen Durchmarsch ermöglichen, d. h. wir wären an einer anderen Stelle wieder ans Tageslicht getreten.

Wir fahren zurück nach Arieseni, wo in einer der drei örtlichen Kneipen zum Kaffe eingekehrt wird. Die Briefträgerin ist gerade anwesend, und so kann Erwin gleich noch gegen Unterschrift das Kindergeld, in Rumänien eine sehr bescheidene Summe, in Empfang nehmen. Weiter geht´s, in den Nachbarort Gârda de Sus. Dort nehmen wir die Abzweigung, welche zu den Eingängen der beiden Täler Ordâncoasa und Gârda Seaca führt. Wir folgen der Trasse des Gârda-Seaca-Tals, in dem sich kurz hinter dem Dörflein Dobresti der Izbucul Cotetul Dobrestilor befindet. Auch hier bleibt uns durch das Wasser der Schneeschmelze der Zugang ins Höhleninnere verwehrt. Doch neben der Haupthöhle klafft noch ein kleineres Loch. Rasch schlüpft Willi hinein, ich hinterher. Nach Durchkriechen eines schmalen Ganges gelangen wir zunächst in einen kleineren Saal, in dem wir problemlos aufrecht stehen können. Es folgt eine enge, rutschige Kletterstelle, an der ich beinahe versage, doch der Willi hilft mir mit provozierenden Sprüchen auf die Sprünge, obwohl mir beim Überklettern noch nicht ganz klar ist, wie ich hier hinterher wieder herunterkommen soll! Als ich schließlich im zweiten Saal stehe, bin ich froh darüber, nicht gekniffen zu haben. Mehrere Sinterkaskaden und ein großer, weißer Kalkblock sind dort zu bewundern und waren die Mühe wert, auch wenn wir nach Wiederaustritt aus der Höhle wie Gipsergesellen nach Feierabend aussehen. Darüber trösten ein Bierchen und eine schmackhafte Ciorba bei Mama Uta hinweg.

Mama Uta ist eine Institution im Aries-Tal, der Prototyp einer herzensguten rumänischen Mutter. Ihre Pension befindet sich am Ortsende von Gârda de Sus, in Richtung Arieseni, und wer dort vorbeikommt, sollte ihr unbedingt einen Besuch abstatten. Wir Buben werden sogleich von ihr in ihre kräftigen Arme geschlossen und abgeküsst. Hunderte von Postkarten und alte Dankesbriefe sind Zeugen ihrer Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft. So hatte sie unter anderem einst einen Pilger, der im Zustand völliger Erschöpfung und Unterernährung hier im Aries-Tal aufgekreuzt war, wieder aufgepäppelt und diesem die Fortsetzung seiner Wallfahrt nach Jerusalem ermöglicht. Hinterher gab es zwar Unannehmlichkeiten mit der Staatssicherheit, doch der resoluten Dame war es mit ihrer herzlichen, aber auch bestimmenden Art gelungen, selbst diese Herren zur Raison zu bringen.

Vor der Rückkehr nach Arieseni besuchen wir eine weitere Familie aus Erwin´s Bekanntenkreis. Die Männer sind weit oben im Hang mit dem Reparieren des Viehzaunes beschäftigt. Wir schauen noch kurz bei der Frau herein. Die Familie hatte wiederholt Probleme mit Wasser im Haus. Man hat nun einfach eine Drainage quer durch die Wohnung gelegt, durch die das Wasser künftig abfließen kann. Als wir wieder an der Pension ankommen, ist dort ein alter Bekannter von Willi und gleichfalls Rumänien-Veteran eingetroffen: Mario (www.rumaene.de) hat vorab bereits an der Tuika geschnuppert, es folgt ein geselliges Gelage bis spät in die Nacht hinein. Unsere Schlafzimmer gehen mit Blick zum Aries hinaus. Sein gleichmäßiges Rauschen begleitet unseren Schlaf.

Heute ist Ausflugtag. Mit Erwin´s Landrover kurven wir hinauf zum malerischen Vârtop-Paß (1160 m). Die Umgebung des Passes ist noch weiß, weshalb wir auf unser ursprüngliches Vorhaben, zu Fuß zur noch höher gelegenen Groapa Ruginoasa vorzudringen, verzichten. Die Paßhöhe und besonders deren Ostrampe von Arieseni her scheinen touristisch recht gut erschlossen, das jedenfalls suggerieren uns die zahlreichen Hotels und Pensionen neueren Baudatums, von denen auch die nichttraditionellen Bauten im gelegentlich sogar futuristischem Stil dennoch Geschmack zeigen und sich angenehm in die wildherbe Landschaft fügen. Mit ein paar wenigen Schleppliften hält sich die technische Erschließung bislang in angenehmen Grenzen. Erwin erzählt uns, daß man ernsthaft in Erwägung gezogen hat, das Aries-Tal als Austragungsort für die olympischen Winterspiele zu nominieren. Ein solcher Schritt hätte dann aber sicher einschneidende Folgen.

Die Westabfahrt führt durch einen recht langen, einsamen Waldabschnitt, wobei uns viele schöne Aussichten über´s Bihor, das weite Tal unter uns und hinüber zum gegenüberliegenden Codru-Moma-Gebirge vergönnt sind. Eines der bekanntesten Motzenhandwerke ist das Fertigen von Holzbottichen in verschiedenen Größen. Diese werden von groß nach klein zum Transport ineinander gesteckt. Erwin erzählt uns, daß zu bestimmten Zeiten ganze Züge von aneinandergekoppelten Pferdefuhrwerken mittels Zugmaschinen die Paßhöhe hinauf- bzw. hinabgezogen werden. Als Bremsklotz wird bei der Abfahrt dann ein riesiger Felsbrocken an die hinterste Kutsche gehängt. Man kann sich wohl vorstellen, wie das dann rumpelt. Der Fels wird jedenfalls im Laufe der Abfahrt in Stücke zerschlagen und die ohnehin lädierte Straße ist hinterher um ein paar Schlaglöcher reicher.

Im Tal angekommen, fahren wir nach einer kurzen Magazin-Mixt-Einkehr ein Stück weiter gen Süden. Wir verlassen die Hauptstraße und holpern durch das langgezogene Dorf Saliste de Vascau. Wir befinden uns nun im Tal des Crisul Negru (Schwarze Kreisch). Das nächste Dorf heißt Poiana, ein gutes Stück dahinter erreichen wir die Ruinen einer alten Mine, anschließend zieht der Weg in Serpentinen aufwärts und es wird absehbar, daß die zunehmend beschwerlichen Geländeverhältnisse einer Weiterfahrt ein baldiges Ende setzen werden. Zu guter Letzt gehen wir zu Fuß weiter. Erwin war in alten "Muntii Nostri"-Karten, sowie einem längst vergriffenen Buch über Schluchten in den Apuseni auf die Existenz zahlreicher Wasserfälle im Südbihor gestoßen. So sollen sich hier, am Nordwestfuß der Cucurbata Mare gleich vier Exemplare befinden. Den ersten Wasserfall erspähen wir auf der gegenüberliegenden Talseite, zwei weitere erstöbern wir etwas weiter talaufwärts. Wir entdecken zudem Bergbaurelikte, wie einen alten Schacht und verrostete Geleise.

Erwin und Mario marschieren über den "Fahrweg" zurück, während ich und Willi noch kurz weglos in die Schlucht abklettern, wo sich auch der erste Wasserfall etwas besser einsehen läßt. Der Abstieg ist allerdings recht rutschig und etwas heikel, wir tun jedenfalls gut daran aufzupassen, um nicht etwa in die reißenden Bachfluten hineinzustürzen. Auf dem Rückweg halten wir kurz bei der alten Mine. Dort würde eine Abzweigung zu einem oder mehreren weiteren Wasserfällen führen. Wir belassen es jedoch beim bereits Gesehenen, da wir noch eine andere Exkursion geplant haben und uns somit die Zeit zu knapp werden würde.

In Carpinet verlassen wir abermals die Hauptstraße (Verbindung Oradea - Deva). Auf gewohnt holprigem Wege durchfahren wir zuerst das Dorf Izbuc, danach kündigt der Name Calugari ("Mönche") von der Nähe eines Klosters. Dieses befindet sich allerdings in einer Einöde weit hinter dem Dorf, umgeben von den Wäldern des Codru-Moma-Gebirges, in dessen östlicher Randzone wir uns nun befinden. Auch das Codru Moma ist ein verkarstetes Kalkmassiv, und so ist es denn nicht verwunderlich, daß im Klostergarten eine Karstquelle fließt, die malerisch mit Ikonen und anderen Devotionalien ausgeschmückt ist. Ein vom Blitz zerstörter, aschgrauer Baumstamm prangt neben dem Quellbecken als weiteres Denkmal der Kräfte von Mutter Natur, oder, wenn man gar will, als Zeichen des Allmächtigen.

Das aus dem Izbuc entspringende Bächlein plätschert dann lieblich nach Passieren einer nett angelegten Fassung durch die Klosterwiese. Karstquellen, in Rumänien Izbuc genannt, haben ja oft die Eigenschaft, in genauen Zeitabständen auszufließen, bzw. nach einer bestimmten Zeit wieder abzufließen. Höhlenartige Kammern füllen sich, von außen her nicht sichtbar, mit Wasser, überlaufen, und ergießen sich dann als Quelle nach draußen. Der Izbuc des Klosters hat aber zwei solcher Kammern, und als Resultat kommt es somit zu zwei Ausbrüchen mit verschiedenen Zeitperioden. Wir machen uns den Spaß und messen mit der Uhr: die erste Phase beginnt nach einer fünfminütigen Pause drei Minuten lang zu fließen, nach einer dreiminütigen Pause folgt Phase Zwei mit einer ebenfalls drei Minuten anhaltenden Schwellphase. Willi hatte bei seinem letzten Aufenthalt hier andere Zeitabstände gemessen, was darauf schließen lässt, daß die Perioden von der aktuellen Wassermenge (z.B. Schneeschmelze, Trockenperiode, oder Gewittergüsse) abhängig sind. Es ist nicht nur die idyllische Karstquelle, welche die Klosteranlage sehenswert macht. Ohnehin schon in eine pittoreske Landschaft zwischen Berghügel und reichen Mischwald gebettet, wartet die Abtei mit einer schön ausgestatteten Steinkirche, einer Pilgerunterkunft und einer schwarz gebeizten Holzkirche auf. Wir haben bei unserer Anwesenheit niemanden angetroffen, und erst, als wir wieder zum Wagen zurückkehren, winkt uns aus einem alten Holzschuppen ein alter, graubärtiger Mönch zu. (Fotos und zusätzliche Details über das Kloster Izbuc und die Ortschaft Câmp gibt es bereits von Willi auf dieser Web - Seite unter www.karpatenwilli.com/images/dia18.htm

Wieder zurück in Arieseni suchen wir dort den Dorfpfarrer auf. Dieser äußerst interessante Mensch steht in dem Ruf, meist nur bis zu den frühen Nachmittagsstunden für Besuche zur Verfügung zu stehen, da er danach regelmäßig dem Rotwein erlegen sei. Wir versuchen dennoch unser Glück, und treffen den Pfarrer im Hof seines Hauses an. Er hat heute allen Grund, auch um diese Zeit noch bei Sinnen zu sein, da es im Dorf am Vortag zu einem schlimmen Vorfall kam. Zwei Familien gerieten über die Nutzung einer Quelle in Streit, wobei eine Familie der anderen buchstäblich das Wasser abgrub, was natürlich eine einschneidende Sache ist. Es kam darüber zu Handgreiflichkeiten, wobei ein älterer Mann ums Leben kam. Gerüchte sagen, er sei an den Folgen von Schlageinwirkung gestorben, der Pfarrer erklärt uns jedoch später, der Mann sei an einem Herzinfarkt verschieden, der allerdings wohl Folge des Handgemenges war.

Wir lernen den Pfarrer als einen Bären von einem Mann kennen, und auch Erwin hat uns schon vorab einige Erläuterungen zu diesem Menschen gegeben. Außer starken Armen soll er auch über eine autoritäre Persönlichkeit verfügen. Sein Machtwort soll jedenfalls im Dorf mehr zählen, als das des Polizisten oder des Bürgermeisters, und wenn es überhaupt jemanden geben sollte, dem es gelänge, die beiden verfeindeten Parteien zum Einhalt zu bringen, dann käme wohl nur er in Betracht. In der gegebenen Situation ist dies allerdings selbst für einen Mann wie ihn eine äußerst schwierige und nervenaufreibende Aufgabe. Als wir durch das Hoftor treten, ist der Pfarrer gerade in ein todernstes Gespräch mit dem Sohn des Verstorbenen vertieft, doch er gebietet uns, ein wenig Geduld zu haben , und zu warten.

So wird uns trotz allem noch die Ehre zuteil, die Dorfkirche von Arieseni zu besichtigen. Der Innenraum ist komplett aus Holz und mit alten, leider schon recht ausgebleichten Malereien durchzogen. Die Gründer von Arieseni seien Auswanderer aus der Maramures-Region, so der Pfarrer, eine Tatsache, die die hiesige Motzenbevölkerung angeblich gerne ignoriert, welche sich aber im Baustil der Kirche manifestiert. Ein weiterer Nachweis ließe sich angeblich über den in Arieseni gesprochenen Dialekt erbringen. Die Kosten des Baus teilten sich einst zwei oder drei Familien, im Jahre 1791 war die Kirche nach einem Jahr Bauzeit fertiggestellt. Die kostbaren Malerarbeiten wurden im Jahre 1826 vollendet. Tragischerweise beging ein Vorgänger des Pfarrers einen unverzeihlichen Frevel an diesem kostbaren Kleinod, indem er die durch Kondenswasserbildung ausgebleichten Malereien bis zum Ansatz der Deckenwölbung, also etwa 2 ½ Meter Höhe, mit blauer Farbe übermalen ließ, rücksichtslos Nägel in die Wand einschlug, und im Jahr 1959 das Original verzerrende Umbauarbeiten vornehmen ließ.

Seit Neuestem steht das Kirchlein unter dem Schutzmantel der UNESCO und ist zum Weltkulturerbe erhoben worden. Somit soll die Kirche in Zukunft wieder restauriert und in ihren ursprünglichen Zustand zurückgebracht werden. Der Pfarrer belohnt unser für ihn sicher nicht alltägliches Interesse mit einer für ihn wohl eher ungewöhnlichen Jovialität, zum Schluß hin doziert er gar über die Verfehlungen der evangelischen und der katholischen Kirche, und weshalb infolgedessen nur die orthodoxe als die wahre Kirche in Frage käme. Nachdem wir uns vom Pfarrer verabschiedet haben, statten wir den beiden Kneipen, in denen wir bislang noch nicht waren, einen kleinen Besuch ab. Das Lokal, in welchem wir gestern bereits mit Erwin unsere Aufwartung machten, hat indes geschlossen. Der letzte gemeinsame Abend wird erwartungsgemäß lang. Morgen wird Willi nach Deutschland zurückkehren, Mario wird noch einen weiteren Tag bei Erwin und seiner Familie bleiben, bevor auch er die Heimreise antreten wird, und ich werde meine geplante mehrtägige Tour durchs Bihor beginnen. Willi hat übrigens mit dem Aufbau seiner Apuseni-Rubrik begonnen, die in Zukunft noch weiter ausgebaut werden soll und wo sich künftig sicher noch weitere Fotos unserer Tour finden werden: www.karpatenwilli.com/apuseni/index.htm

Auch Erwin´s Webseite bietet viele Infos, sowie schöne Fotos vom Bihor: www.westkarpaten.multiservers.com

Nachdem wir Willi nach dem Frühstück verabschiedet haben, fahren Mario, Erwin und ich hinauf zur Höhle Pestera Poarta lui Ionel, welche sich im Bereich des Taleingangs der Valea Ordâncusa befindet. Während der Hauptsaison kann die Höhle als späleologisches Museum besichtigt werden, jetzt aber ist sie verlassen, und nur ein paar Kabel und Fassungen für Birnen an den Wänden deuten auf ihre Erschließung als Schauhöhle hin. Erwin und Mario entscheiden sich bereits im Eingangsportal, auf nasse Füsse zu verzichten, während ich auf spannendem Weg in die derzeit erwartungsgemäß sehr wasserreiche Höhle vordringe. An einer Stelle werde ich von oben herab von einer eiskalten Dusche in Form eines durch die Decke prasselnden Izbuc komplett durchnässt. Im hinteren Bereich der Höhle liegt ein abgerissener, größerer Metallgegenstand im Wasser, dem ich momentan aber keine Beachtung schenke. Hinterher erfahre ich von Erwin, daß der für Touristen zugängliche Teil der Höhle nach etwa 300 Metern an einem Eisentor endet. Somit vermute ich, daß es sich bei dem Metallgegenstand um eben dieses Tor gehandelt hat, das offenbar während der Zeit, in der die Höhle nicht als Museum dient, von sich daran störenden Personen, die offensichtlich weiter in die Höhle vordringen wollten, zerstört wurde. Um weiterzugehen, hätte ich ein recht tiefes Seelein durchschreiten müssen, zudem habe ich vergessen, mir meine Ersatzlampe einzustecken. Würde ich meine Freunde nicht draußen auf mich wartend wissen, so hätte ich mich, derart nachlässig ausgerüstet, sicherlich nicht so weit vorgewagt. Da ich ohnehin schon pitschenass bin, brauche ich mich beim Abklettern seitlich des kleinen Wasserfalls, der sich in Eingangsnähe befindet, nicht mehr zu schonen, und erreiche triefend, aber beeindruckt, wieder das Tageslicht. Jetzt heißt es, Abschied nehmen von Erwin und Mario. Erwin ist durch unser Gehen sichtlich mitgenommen, glücklicherweise kann er diesen Tag noch mit Mario verbringen, so daß der schmerzhafte Abschied wenigstens dosiert vonstatten geht.

Nachdem Erwins Landrover abgedreht hat, schultere ich meinen schweren Tourenrucksack und mache mich auf den Weg weiter hinein ins Ordâncusa-Tal. Der schlaglochdurchsiebte Asphalt des Weges weicht bald einer Schotterpiste. Ich begegne unterwegs dem einen oder anderen Pferdefuhrwerk, sowie ein paar wenigen Autos. Das Tal betört mich mit seiner herbwilden Schönheit und bestätigt meinen bislang flüchtigen Eindruck, daß Wandern im Bihor ein echter Genuss sein muß. Das satte Rauschen des Ordâncusii-Baches dringt in mein Ohr, seine Fluten gischten an schroffen Felsfluchten entlang, über deren Absturzkanten sich dunkle Tannenwipfel recken. Aus Nebenklammen schießen Bäche als silbern glänzende Streifen oder kristallglitzernde Kaskaden dem Hauptbach entgegen, Izbuce spucken ihre schäumenden Wassermengen aus gähnenden Schlunden, in den schattigen Ausläufen steiler Waldschluchten schlummern schmutziggraue Lawinenkegel.

Ich muß an die Worte von Czaba denken, einem meiner beiden Ungaro -rumänischen Freunde während der Retezat-Tour im Spätherbst 2002, als er uns von den Apuseni, seinem Heimatgebirge, in den höchsten Tönen vorschwärmte. Ja, der vollbärtige Apuseni-Bär hatte damals wahrlich den Mund nicht zu voll genommen! Ich habe nach gut zwei Stunden das Tal noch nicht einmal ganz bis zur Hälfte ausgelaufen, da muß ich diese eindrucksvolle Idylle wieder verlassen. Hinter dem letzten Haus einer winzigen Siedlung führt ein schmaler , mit Blaubandmarkierung versehener Pfad, in steilen Serpentinen den Hang hinauf. Das ominöse Häuschen und seine steinalte Bewohnerin wurde ja bereits von Willi an anderer Stelle dieser Web-Seiten eingehend beschrieben und auch fotografiert, nicht zuletzt auch wegen der dort lagernden, köstlichen Speckvorräte! (www.karpatenwilli.com/images/dia15.htm)

Der Hauptgrund, warum ich mich vorzeitig vom schönen Ordâncusa-Tal verabschiede ist die Pestera Getarul de la Scarisoara. Diese Eishöhle gehört zu den ganz großen Attraktionen des Bihor-Gebirges. Im Gegensatz zu den unzählbaren Tropfsteinhöhlen sind Eishöhlen im Bihor-Karst, und nicht nur dort, eine Rarität. Hier haben sich neben den Tropfsteinstalagniten- und -titen derer riesenhafte aus purem Eis gebildet.

Der Weg hinauf zur Eishöhle bleibt weiterhin schön. Nachdem ich durch den Wald aufgestiegen bin, frequentiere ich die ersten Bauernhöfe und Weideflächen der Siedlung Scarisoara. Hier oben liegt teilweise noch dicke Schnee, und da dieser aufgrund der angenehmen Temperaturen schon recht "faul" ist, gestaltet sich das Vorwärtskommen stellenweise recht mühevoll. Vor ein paar Jahren hieß es noch, die alte Cabana Scarisoara sei abgebrannt, ich kann hiermit vermelden: sie existiert wieder und es besteht dort sogar schon jetzt, noch vor Ostern, eine Übernachtungsmöglichkeit. Ein altes Motzenhaus ist zu einem kleinen ethnologischen Museum ausgebaut worden, in dem ich zwei alte Männer als Wärter und Souvenirverkäufer antreffe. Hier können unter anderem auch Tulnice käuflich erworben werden. Ich belasse es bei ein paar Ansichtskarten von der Eishöhle, und ziehe weiter, Letztere zu finden.

Die Höhle ist Besuchern nicht ohne Weiteres zugänglich. Das imposante Dolinenloch, durch welches man zum gigantischen Portal über eine Eisenstiege hinuntersteigt, ist durch ein eisernes Tor verschlossen. Eine junge Bauersfrau öffnet mir gegen den Eintrittsobolus und ich steige hinab in den noch mit reichlich Schnee gefüllten Dolinenschlund. Allein der Anblick des exorbitanten Höhlenportals während des Abstiegs beeindruckt schon. Als ich die Höhle betrete, ist etwas Behutsamkeit gefragt, denn der Boden und auch stellenweise der Pfad, der durch dieses gigantische Kunstwerk der Natur führt, sind vereist. Im Inneren der Höhle herrschen Temperaturen, die auch im Hochsommer ständig unter Null Grad bleiben. Gleich im Eingangsbereich, in welchen noch das Tageslicht teilweise einfallen kann, ragen einige formschöne Eissäulen auf. Ich gehe tiefer hinein in die mit künstlichem Licht spärlich ausgeleuchtete Höhle. Im hinteren Teil des pompösen Saales findet sich ein monströser, dickbäuchiger Eisstalagmit, der zwischen 3500 und 4000 Jahre alt sein und ein Volumen von 75.000 Kubikmetern haben soll.

Vorhin war mir eine Gruppe mit einer deutschsprechenden, aber nicht sonderlich sympatisch auftretenden Führerin entgegengekommen. Ich habe den riesigen Eissaal jetzt für mich allein, was mir so viel lieber ist. Allerdings muß ich im Nachhinein erfahren, daß in der Höhle - abgesehen vom Hauptsaal - etwa 12 Meter tiefer eine Biserica (Kirche) genannte Etage der Höhle existieren soll, in der sich angeblich weitere sehenswerte Eisstalagmiten befinden. Ich habe allerdings keinen Zugang entdecken können, und in meiner Unwissenheit auch wohl keine genauere Ausschau nach einem solchen gehalten. Zudem soll es noch einen für Touristen komplett gesperrten Teil der Höhle geben, in dem sich Tropfsteinskulpturen gebildet haben. Damit die zahlreichen kleineren Stalagmiten, die auf dem Höhlenboden emporwachsen, keine Schäden nehmen, muß man unbedingt auf dem Pfad bleiben. Selbstverständlich ist auch in jeder anderen Höhle darauf zu achten, daß diese nach und nach in Jahrtausenden gewachsenen Wunder der Natur nicht etwa abgebrochen werden.

Oben wieder angekommen, schultere ich erneut den Rucksack und mache mich an den Abstieg ins benachbarte Gârda-Seaca-Tal. Der schmale Wanderpfad führt überwiegend durch dichten, schattigen Tannenwald, der jediglich durch ein paar sich auf Lichtungen befindlichen Gehöften unterbrochen wird. An einer Stelle, von der aus sich mir ein traumhafter Blick hinab ins Tal bietet, setze ich mich zur Rast. Ganz hinten, schneeweiß und unverkennbar mit ihrer riesigen Antenne auf dem Haupt, residiert die Cucurbata Mare. Unter mir, in der Talenge, sonnen sich idyllische Bauernhäuser mit qualmenden Kaminen, die im goldenen Licht einer wonnigen Frühjahrssonne erstrahlen. Sie bilden die Siedlung Gârda Seaca. Ich gehe hinunter, quere über eine Brücke den gleichnamigen Bach, und wandere auf einem Fahrweg talaufwärts.

Kurz hinter den letzten Häusern fällt mir linkerseits ein Höhlenportal auf. Nicht etwa ungewöhnlich, es gibt deren viele in den Felswänden der Bihortäler, doch diesmal beschließe ich, einen Blick hinein zu riskieren. Um den Eingang zu erreichen, muß ich ein Stück aufwärts klettern. Im Innern der Höhle krabble ich durch verschiedene Löcher in immer neue Säle, stets mehr oder weniger gerade aus, und ohne Orientierungsschwierigkeiten, so kommt es mir jedenfalls vor. Ich bin dennoch vorsichtig, denn dies ist schließlich meine erste von mir völlig solo begangene "wilde" Höhle. Ich habe zwar diesmal an die Ersatzlampe gedacht, aber nach vielleicht hundert Metern beschließe ich, es dabei zu belassen und meine Forschungen einzustellen. Ich tue gut daran, denn auf dem Rückweg kommen mir an einer Stelle plötzlich Zweifel, da sich vor mir wieder Erwarten statt einem gleich drei oder vier Durchschlüpfe anbieten. Glücklicherweise finde ich auf Anhieb den richtigen, aber dennoch war dies eine Warnung, daß bei Alleingängen in Höhlen höchste Vorsicht geboten ist. Dennoch ist es äußerst eindrucksvoll, wenn man auf eigene Faust in einer solchen Tropfsteinhöhle herumstöbern kann. Es sind nicht nur die Sinterkaskaden, Stalagniten und -titen, oder vielleicht sogar Seen, Bäche und Wasserfälle, welche man in so einer Höhle entdecken kann. Auch der fast schon musikalische Klang ständig fallender Tropfen, oder das aufgeregte Quietschen erschreckter Fledermäuse erregt die Sinne. Die Höhle ist übrigens mit einer gelben 6 markiert, am gegenüberliegenden Flußufer befindet sich außerdem ein auffälliger Izbuc.

Ich setze meine Wanderung fort. Wie zuvor schon das Ordâncusa-Tal, so zeigt auch die Valea Gârda Seaca eine reiche und wilde Natur. Das Gârda-Seaca-Tal ist zumindest im unteren Bereich etwas mehr besiedelt, als das Ordâncusa. Malerische Weiler, einzelstehende Gehöfte oder das eine oder andere Sägewerk liegen am Weg. In weiteren Verlauf wird es auch Gârda-Seaca still und einsam. Ich treffe schließlich kaum noch Personen und nur noch sporadisch tauchen einzelstehende Häuser am Wegesrand auf. Meine Suche nach dem Izbuc Tauzului (ein Holzschild weist die Richtung) verläuft erfolglos. Es ist durchaus möglich, daß dies an der Jahrezeit liegt und der Izbuc derzeit noch unterhalb des Wasserstandes des Gârda-Seaca-Baches ejakuliert.

Casa de Piatra ist die letzte ganzjährig bewohnte Siedlung unterhalb des Padis-Plateaus. Der Ort liegt eingebettet zwischen von dunklen Tannenwäldern überwachsenen Bergkuppen, markante Tal- und Schluchteneinschnitte sind bei der Gestaltung dieser Landschaft mit maßgebend. In Verbindung mit dem hier noch reichlich vorhandenen Frühjahrsschnee erhält die Ortschaft ein fast schon nordisches Flair. Das letzte Wegstück bis hierher mußte ich somit auch mühevoll durch nassen Altschnee hindurchstapfen. Ein paar wenige Motorfahrzeuge sind aufgrund dieser Situation bereits weit unterhalb des Dorfes geparkt, Spuren von Pferdefuhrwerken führen hingegen bis ins Dorf hinauf. Das Wetter hat sich zunehmend verschlechtert, meine Füße sind platschnass und durch die widrigen Wegbedingungen fühle ich mich jetzt reichlich ausgepumpt. Ich werde von der verrückten Idee getragen, unter dem Portal der Coiba-Mare-Höhle zu biwakieren, welche sich am hinteren Ende des Dorfes befindet.

Der Abstieg zum Portal liegt allerdings noch völlig unter Schnee und ich gehe weiter in Richtung Vârtop-Höhle, welche sich ebenfalls hinter dem Dorf, aber auf der anderen Seite, befinden soll. Während ich unter unheilvoll grauen Wolken den Hügel emporsteige, beschließe ich, dort oben, im letzten Gehöft um ein Nachtquartier im Heu zu bitten. Vor dem Haus steht ein Alter mit einer Pelzmütze. Bei ihm bin ich gerade am Richtigen, denn er stellt sich mir als der langjährige Wärter der Getarul de la Vârtop vor. Selbstverständlich erhalte ich mein Bett im Heu, allerdings muß zuerst noch die Oma beruhigt werden, daß der Fremde dort oben im Heutstock nicht etwa rauche, oder sonstwie beabsichtigt, Feuer zu machen. Ich werde ins Haus geladen, wo gerade leckere Clatite (Pfannkuchen) gebacken werden, von denen ich mir mit Wonne welche einverleibe. Die in Rumänien fast schon obligatorische Tuica für neu eingetroffene Gäste muß ich wegen meiner Prinzipien ablehnen, leider habe ich jetzt den Willi nicht mehr dabei, auf den ich mein Gläslein sonst immer abschieben konnte.

Der Alte erklärt mir, daß er die Vârtop-Höhle bereits seit über 40 Jahren verwaltet. Die Pestera Getarul de la Vârtop ist ein weiteres Exemplar von insgesamt fünf bislang im Bihor entdeckten Eishöhlen. Im Gegensatz zur Scarisoara ist die Vârtop keine Schauhöhle. Eigentlich ist sie ein Naturreservat und daher nur für Späleologen zugänglich. Willi hatte mich schon vorab darüber informiert, daß, sollte sich der Wärter dennoch zu einer Führung gewillt zeigen, dies mit einem angemessenen Trinkgeld zu entlohnen wäre. Ich brauche den Alten glücklicherweise gar nicht erst lange zu überreden, und wir vereinbaren, daß mich sein Enkel morgen früh durch die Höhle führen wird. Selbstverständlich kommen wir auch auf meine weiteren Absichten zu sprechen. Die Familie rät mir davon ab, bis zum Padis-Plateau weiterzugehen. Dort oben sei um die Zeit noch keine Menschenseele (was für mich nicht unbedingt schlimm wäre), zudem meterhoch Schnee, der Weg daher nicht sichtbar und mühevoll zu begehen (schon schlechter!), zudem befänden sich die von mir ersehnten Attraktionen, wie etwa die Cetatile Ponorului, vollkommen unter Schnee (ganz schlecht!). Der Willi hatte es mir eigentlich schon prophezeit, daß es um Ostern für´s Bihor gewöhnlich noch einen Tick zu früh ist. Jedenfalls liege ich bald, recht gemütlich in den Schlafsack gemummt, oben im Heustock, und der Lichtkegel meiner Stirnlampe beleuchtet die Landkarte des Trascau-Gebirges. Unter mir muht es, gelegentlich bockt das Pferd in seiner Koppel, die Schweine grunzen, Hühner gackern. Die Präsenz dieser Nutztiere hat für mich, neben dem Erlebnis einer vielleicht schon von mir romantisch verklärten Nostalgie, auch einen praktischen Vorteil: die Wärme aus den Stallungen dringt bis zu mir herauf.

In den frühen Morgenstunden erwache ich, draußen regnet es, und ich schätze mich glücklich über mein trockenes Quartier. Die Frauen werden bereits vor 4 Uhr morgens im Stall unten tätig, während ich mich gerade in meinem Schlafsack räkle und mir noch ein paar Stündlein Schlaf gönne.

Wie versprochen, besuchen wir am Morgen die Vârtop-Höhle, welche sich über einen schmalen Pfad bergauf in vielleicht 15 bis 20 Gehminuten vom Gehöft aus erreichen läßt. Auch die Vârtop gilt als Getar (Eishöhle), allerdings beschränkt sich das dort vorhandene Eis nur auf ein paar nicht einmal allzu große Stalagmiten und läßt sich diesbezüglich in keiner Weise mit der Scarisoara messen. Dafür sind ihre Tropfsteinformationen um so beeindruckender. Der Enkel des alten Höhlenwarts geht mit einem altmodischen, aber einwandfrei funktionierenden Karbidlämpchen voran, ich folge mit der großen Baulampe, die mir Willi vermacht hat. Eine gute Stunde sind wir in der Höhle unterwegs und ich bin beeindruckt. Erfreulich ist auch das Gespräch mit meinem jungen Höhlenführer. Er studiert in der Stadt, dennoch hat ihn das Landleben geprägt und er steht dazu. Er ist sich der Qualitäten hier draußen, wie sauber Luft, schöne Landschaft, oder gesunde Ernährung aus eigener Produktion sehr bewusst und den langen Weg hinab ins Aries-Tal, wo man schließlich erst wieder eine echte Verkehrsanbindung bzw. Einkaufsmöglichkeiten hat, kommentiert er mit "daran gewöhnt man sich".

Zu meiner Frage nach der Bären- und Wolfspopulation im Bihor erklärt er mir, es gebe deren viele hier. Allerdings würden diese Tiere den Bewohnern von Casa de Piatra kaum Probleme machen. So sei der letzte Viehriß bereits etwa drei Jahre her. Zum Abschied trinke ich im Haus noch ein Glas frischer Milch, bevor ich mich auf den dreistündigen Rückmarsch hinunter in den Talort Gârda de Sus begebe. Ich schaue noch schnell an der Coiba Mare vorbei, indem ich durch den Schnee zum Bachlauf hinabstapfe. Aus einem riesengroßen Felsenportal strömt dort eine enorme Wassermenge. Irgendwo weiter oben im Wald versteckt sich übrigens die Coiba Mica, eine weitere interessante Höhle. Der Fortgang des Weges Richtung Padis-Plateau liegt hier bereits vollkommen unter Schnee, obwohl er südseitig verläuft. Die Padis-Baude befindet sich übrigens auf 1280 Metern, ich hätte also von Casa de Piatra aus abermals gut 200 Höhenmeter weiter aufsteigen müssen.

Durch eine düstere, nebelverhangene Szenerie marschiere ich talabwärts, das Wetter hält sich allerdings niederschlagsfrei. Nach gut 3 Stunden treffe ich in Gârda de Sus ein. Dort ist gerade Markt, wie übrigens jeden zweiten Sonntag im Monat. In Rumänien beeindruckt mich der krasse Unterschied zwischen den Menschen vom Land und denen aus der Stadt jedes mal auf´s Neue. Männer, alte wie junge, sieht man hier oft mit altmodisch scheinenden Hüten und grünen Jägeranzügen, mit Pelzmützen oder gar mit einer besonders kuriosen, aber für Rumänien typischen Hutart, die aussieht, als sei sie für den Kopf des Trägers im Umfang zu klein geraten, dafür ist der Hut auffallend hoch und oben abgerundet. Die Frauen tragen verschiedene Arten von Kopftüchern und oft Röcke, die bei uns im Westen als völlig aus der Zeit betrachtet würden. Trotz des gut besuchten Marktes verkehrt kein zusätzlicher außerfahrplanmäßiger Bus, entsprechend katastrophal gestaltet sich die Fahrt nach Câmpeni, gemäß dem Motto "wie viele Personen passen in einen Bus?". Glücklicherweise leert sich der Bus unterwegs nach und nach, und schließlich und endlich kann ich die schöne Fahrt entlang des Aries sitzend auf einem Fensterplatz genießen.

Von Câmpeni aus heute noch die Weiterfahrt ins Trascau-Gebirge fortzusetzen, macht keinen Sinn. 300.000 alte Lei (ca. 8 - 9 Euro) soll im Hotel "Tulnic" die Nächtigung für eine Person kosten, da man aber angeblich nur Doppelzimmer frei habe, müsse ich 480.000 berappen. Der Idiotenzuschlag bei Einzelreisenden ist leider eine weitverbreitete Untugend in vielen Hotels des ehemaligen Ostblocks. Man kann anfangen, darüber zu streiten, oder aber, wie ich, mit resignierender Mine zahlen, und sich damit vertrösten, daß es ja immer noch recht günstig für uns Deutsche ist. Zum Essen kehre ich wieder im selben Lokal ein, wo Willi und ich einige Tage zuvor schon zur Ciorba gesessen hatten. Die rauchgeschwängerte Lokalität scheint zu jeder Tageszeit gut besetzt zu sein, das Preis - Leistungsverhältnis ist dort auch echt lobenswert. Nebenan befindet sich übrigens ein ethnologisches Museum, das laut Willi aber nicht sonderlich ergiebig sein soll.

Auch zum Frühstück sieht man mich abermals in besagtem Lokal, und ich eröffne meinen Tag, neben kräftigem Kaffee, mit einer guten Portion Eiern und mit Käse überbackenen Pommes Frites. Ich habe einen Platz direkt am Fenster eigenommen, und blicke hinaus in einen grau verhangenen Himmel, was meiner frohen Laune, in der sich das Gefühl von Freiheit mit dem Drang nach neuen Taten mischt, allerdings nichts anhaben kann. Eine Zigeunerfamilie schlendert draußen vorbei. Die Zigeuner - eine in Rumänien besonders große, aber - wie überall auf der Welt - oft gehaßte und gemiedene Volksgruppe. Ein erleuchtender Gedanke schießt wie ein Blitz durch mein Gehirn: Teint, Gesichtszüge, die langen Röcke der Frauen . . . Ich denke an die Menschen, die mir auf meiner letztjährigen Indienreise in den Straßen von Delhi oder Manali begegnet waren. Auch unsere Vorfahren, die Indogermanen, waren einst aus Indien bis nach Europa eingewandert, doch im Gegensatz zu uns scheint die ethnische Spur bei den Zigeunern so frisch, als sei sie gestern erst ausgetreten worden.

Per Maxi-Taxi geht die Fahrt durch den östlichen Teil des Aries-Tals. Ich lasse mich bei der Cabana Buru absetzen. Diese Hütte ähnelt eher einem Hotel, sie befindet sich kurz hinter der gleichnamigen Ortschaft. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zur Ostöffnung des Ariestals, wo sich der Fluß ins Flachland hinaus ergießt. Nahe der Cabana beginnt ein mit rotem Dreieck markierter Wanderpfad, welcher sich entlang der Waldschlucht des Borsesti-Baches emporschlängelt. Gleich zu Beginn erspähe ich durch die Baumkronen des üppigen Mischwaldes einige prächtige Felsgestalten, wiederum aus Kalk, denn auch das Trascau ist ein klassisches Karst-Massiv.

Beim Steinbruch Gura Jigaului stoße ich auf eine Schotterstraße, die ich aber kurze Zeit später wieder verlasse, um zunächst über einen Waldpfad, zum Schluß aber durch einen von Waldarbeiterfahrzeugen zerfahrenen und hoffnungslos matschigen Forstweg weiterhin anzusteigen. Schließlich erkenne ich durch das Walddach hindurch eine baumlose Erhebung. Ich erklimme diesen ersten freistehenden Aussichtshügel. Begrünt und mit Kalksteinen übersät ist er ein typischer Vertreter dieser Gegend. Der Heuberg grüßt, denn diese Erscheinungsform erinnert mich in gewisser Hinsicht an die kargen Hochflächen der Schwäbischen Alb. Die Aussicht von hier oben offeriert mir jedoch nicht etwa schwäbische Dörfle, sondern typisch rumänische, die ihre enge Verwandtschaft mit der umliegenden Balkan-Region nicht verleugnen. Wie eingepasst schmiegen sich diese in sanft gerundete, üppig grüne Täler.

Die Gegend ist nur spärlich besiedelt, und mit Hilfe der Karte gelingt mir auch die Bestimmung dieser Ortschaften. Von West nach Ost gesehen sind dies Magura Ierii, Borzesti und Petresti de Sus. Ich folge nun mit großzügigen Aussichten dem Kamm des Dealul Borzesti, der nach Süden hin als senkrechte Kalkmauer zum Wald hinunter abbricht. Als ich das Ostende des langgestreckten Deal erreiche, eröffnet sich mir plötzlich und überraschend die pittoreske Ansicht auf die Anlage des Muncelu-Klosters, welches direkt unter mir im Sattel zwischen dem Borzesti - Hügel und dem jenseits erneut sich fortsetzenden Plateau seinen einsamen Standort hat. Wie ich dies beim Besuch orthodoxer Klöster zuvor öfter schon erlebt habe, so scheint auch dieses wie ausgestorben, keine Menschenseele ist zu sehen. Ich öffne behutsam das Portal des Kirchleins und sehe mich um. Sogleich fällt mir der Altar auf, da er mir für eine orthodoxe Kirche ungewöhnlich erscheint, und wohl eher in eine katholische Kirche hineinpassen würde. Normalerweise ist der Raum mit dem Altar in orthodoxen Gotteshäusern vom Hauptraum abgetrennt, dieser hier ist es nicht. Dafür gibt es zahlreiche andere Indizien, die mich darin versichern, daß es sich hier dennoch um eine orthodoxe Abtei handelt. Draußen bewundere ich die kunstvolle Schnitzerei im Eingangsportal. Der linke Türflügel zeigt die Muttergottes mit Kind, auf dem rechten Türflügel ist der Wiederauferstandene dargestellt, der in der linken Hand die heilige Schrift hält, während die Rechte die Gestik des Lehrenden zeigt, die, nebenbei bemerkt, gleich ist, wie die des lehrenden Buddha. Ein wenig Abseits der Anlage steht das große, hölzerne Gerüst des Glockenturms, das Unterkunftshaus der Mönche gleicht eher einem säkularen Wohnhaus, als einem Refugium für fromme Betbrüder. Ich verlasse Muncelu wieder, ohne dort jemanden angetroffen zu haben. Interessant wäre gewesen, zumindest in Erfahrung zu bringen, wie alt dieses Kloster denn ist.

Nachdem ich den Gegenhang erklommen habe, beginnt ein wonniges Schwelgen über das aussichtsreiche Karstplateau. Weit vor mir im Osten findet das Trascau-Gebirge sein Ende, dort öffnet sich eine großflächige Ebene, die von nur zaghaft sich aufwogenden Hügelwellen durchsetzt ist. In dieser Ebene befinden sich unter anderem die Städte Cluj Napoca und Turda. Auch der Aries fließt in Mäandern in dieses weite Land hinaus. Weit jenseits dieser Senke erhebt sich übrigens der Kranz der Ostkarpaten. Ein Unwetter beginnt sich in dieser Richtung zusammenzubrauen und bald zieht aus grauen Wolken ein deutlich sichtbarer Regenschleier herunter, der mich jedoch nicht behelligt. Ich ziehe an einer Schafherde vorbei, die Hunde haben´s verschlafen, mir den Garaus zu machen und setzen mir erst nach, als ich die Herde bereits ein gutes Stück hinter mir gelassen habe. Überraschenderweise soll ich während meines Aufenthaltes im Trascau nur sehr wenigen Schafherden begegnen, obwohl mir das Gebiet aufgrund seiner großzügigen, saftigen Wiesenplateaus eigentlich für die Schafzucht prädestiniert erscheint.

Im Süden fällt mir ein enormer Schluchteneinschnitt auf. Zuerst glaube ich, es sei der der berühmten Cheile Turzii (dt.: Thorenburger Schlucht), doch laut Karte kann das nicht sein. Ich soll mit dieser Schlucht dennoch bald schon nähere Bekanntschaft machen. Nun jedoch strebe ich tatsächlich zuallererst der vielleicht bekanntesten aller Schluchten Rumäniens entgegen. Nach Passieren einer Ansammlung von Wasseraugen erreiche ich tatsächlich bald den Rand eines gut 200 bis 250 Meter tiefen, gähnenden Abgrundes: es ist der Südrand der Cheile Turzii. Auf der mir gegenübergestellten Schluchtseite protzen senkrechte Felsfluchten und eindrucksvolle Kalktürme. Den ganzen Tag über war das Wetter von einer launischen Wechselhaftigkeit bestimmt, die Wolken gebärdeten sich oft bedrohlich grau, doch der Sonne gelang es immer wieder, sich zeitweise durchzusetzen. In Folge kam es dennoch häufig zu kleineren Schauern, daher glänzen nun die nassen Wände wie Spiegel im Licht der Sonne. Unter meinen Sohlen öffnet sich der für nicht schwindelfreie Personen sicher furchterregende Schluchtengrund, durch den sich der Hasdate-Bach wie eine Schlange hindurchwindet. Stimmen dringen wiederhallend zu mir herauf, ich erkenne ein paar Brücken, sowie den schmalen Wanderpfad, der zwischen der mächtigen Wand und dem Wasserlauf wie eingekeilt scheint.

Meine Aussichtswarte dürfte wohl in etwa der Scheitelpunkt der südlichen Schluchtenwand sein, somit ist es gleichgültig, auf welcher Seite ich zuerst absteige. Ich entschließe mich, zunächst in Richtung Petresti de Jos hinabzugehen. Dies bedeutet, daß ich die Schlucht zunächst mit Gepäck durchquere, um anschließend die Cabana Cheile Turzii am anderen Schluchtende zu erreichen. Der von dort aus nächstgelegene Ort heißt übrigens Cheia. Dem steilen Pfad nach unten folgend, stehe ich bald am Ufer des Hasdate. Theoretisch bestünde nun die Möglichkeit, die Schlucht praktisch pfadlos am diesseitigen (südlichen) Ufer zu begehen. Da diese Variante als schwierig und heikel gilt, werde ich sie mit Rucksack nicht machen. Zudem wird sich noch meine Vermutung bestätigen, daß sie aufgrund des hohen Wasserstandes derzeit nicht durchführbar ist. Das Wasser geht stellenweise bis an die glatte Felswand und diese obenherum zu überklettern, wäre mühevoll und gefährlich.

Etwas weiter bachaufwärts, auf Petresti zu, kann ich mittels einer Brücke (acceptabila!) das Ufer wechseln. Hier findet sich ein kleines Holzschild "Bar", welches in Richtung des nächstgelegenen Gehöftes deutet. Dort können wohl durstig gewordene Schluchtenbegeher während der Hochsaison zum Umtrunk einkehren. Ein Stück weit klammeinwärts entdecke ich diesseits und jenseits je eine Höhle. Ich beschließe, zu der Höhle, die auf meiner Uferseite über mir klafft, hinaufzusteigen, um mir diese näher anzusehen. Wie bereits die Pestera (rumän. f. Höhle) in der Cheile Madei, so scheint auch diese Höhle den Menschen einst als Fluchtburg gedient zu haben, worauf das Ruinengemäuer am Eingang hinweist. Ich dringe ein gutes Stück weit mit der Lampe ins Innere vor, aber Tropfsteingebilde oder Sinterkaskaden finde ich darin keine. Als ich gerade durch den steilen Schotter unterhalb des Höhleneingangs auf den Wanderweg zurückkehre, treffe ich auf eine ungarische Wandergruppe, die sich ebenfalls für die Höhle interessiert.

Der Gang durch die Schlucht ist beeindruckend. Durch das üppige Grün einer reichen Vegetation führt der schöne Pfad, stets eingekeilt zwischen der Steilwand und den gelbbraunen Fluten des hochwassergeschwängerten Hasdate-Baches. Mittels mehrerer Brücken wird zwischen den beiden Uferseiten hin- und hergependelt. Leider hat das Hochwasser allerlei Unrat in die Schlucht hineingetrieben, der sich dort zum Teil in den Uferböschungen verfangen hat. Durch die Steilwände der Schlucht führen übrigens auch verschiedene, ausschließlich schwere bis sehr schwere Kletterrouten, welche Wandhöhen bis 200 Meter überwinden.

Die Cabana Cheile Turzii (450 m) steht nur wenige hundert Meter vom Schluchtausgang entfernt am Rande eines Ferienhüttendorfes (casute) aus der sozialistischen Ära. Die gesamte Anlage befindet sich in einem jammervollen Zustand. Besonders um die altehrwürdige Cabana ist es äußerst schade. Die sehr ansprechende Architektur im Stil eines mit zwei Türmen verzierten Jagdschlösschens und das einst sicherlich prachtvolle Holzschindeldach machen diese Wanderunterkunft erhaltenswert. Bleibt nur zu hoffen, daß sich bald Investoren für eine Generalrenovierung finden, bevor die Bausubstanz irreparabel wird. Hoffentlich wird aber dann das alte Holzschindeldach nicht etwa durch eine billigere und praktische Blechvariante ersetzt! Mehrere der winzigen Casute stehen offen, und ich suche mir eine halbwegs saubere für die Nächtigung auf einer schlichten Holzpritsche. Eine kleine Gruppe rumänischer Wanderer tut es mir gleich und wählt ihr Domizil unter dem Vordach einer der beiden größeren Ferienhütten. Später dann, ich bin gerade beim Kochen unter der regensicheren Pergola, taucht ein Typ mittleren Alters auf, der lustlos ein paar leere Plastikflaschen zur Seite kickt, welche sich rings um die überquellenden Müllbehälter verteilen. Schließlich macht er sich daran, eines der Cazute auszuräumen, indem er ein paar vergammelte Matratzen hinauswirft, und diese zusammen mit einem Teil des herumfahrenden Unrats verbrennt. Es handelt sich offensichtlich um den Wirt der um diese Zeit noch geschlossenen Anlage. Bis zur Saisoneröffnung dürfte er jedenfalls noch jede Menge Arbeit haben, um die Einrichtung für Touristen wieder in einen halbwegs annehmbaren Zustand zu versetzen.

Nach dem Essen begebe ich mich, diesmal ohne Gepäck, abermals auf Wanderschaft. Ich steige den nördlichen Schluchtenrand empor, um mir ein Bild von dort aus zu machen. Auf einem dem eigentlichen Schluchtenrand vorangestellten Felsturm prangt ein riesiges Eisenkreuz, die Ansicht der gegenüberliegenden Wände ist zwar fantastisch, allerdings nicht gar so eindrucksvoll, wie das umgekehrt der Fall war. Dafür ist die Stimmung jetzt um so wonniger. Eine wärmende, goldgelbe Abendsonne durchflutet die Landschaft. Mein Blick schweift über den canyonartigen Einschnitt des Hasdate-Baches. An diesem entlang werde ich morgen zunächst ins Aries-Tal zurückkehren. Ich steige auf der anderen Seite hinab, um abermals vor dem der Cabana entgegengesetzten Schluchteneingang zu stehen. Da ich vorhin schon, um Wasser zu holen, von der Gegenseite aus bis zu gut zur Hälfte in die Schlucht vorgedrungen war, wird dies jetzt praktisch meine dritte Begehung. Herrlich, diesen Durchgang kurz vor Sonnenuntergang noch einmal zu machen! Ich treffe auf eine Gruppe junger Rumänen aus Bistrita. Man hält mir eine Flasche Wein unter die Nase, die jungen Leute sind in bester Laune, nicht zuletzt auch durch den merklich gehobenen Alkoholpegel. (Wer mal in die Cheile Turzii hineinschauen möchte, der Willi war vor mir schon mal dort unter www.karpatenwilli.com/images/dia26.htm Dort finden sich auch Ansichten des Gebietes von Piatra Secuiului und seiner Dörfer, auf welches ich in Folge noch zu sprechen komme)

Um 8.30 Uhr verlasse ich mein Nachtlager bei der Cheile Turzii, über mir spannt sich der Baldachin eines königsblauen Himmels. Die Abstiegsroute entlang des Hasdate-Baches überrascht in mehrfacher Hinsicht. Auch, oder gerade weil der Bachlauf in der verschlungenen, tief eingeschnittenen Schlucht weniger von Felswänden, als mehr von grünen Grasflanken, oberhalb derer sich ein ausgedehnter Waldpelz ausbreitet, eingekeilt wird, wirkt er auf mich so besonders und eigentümlich. Einen annähernden Vergleich zu dieser Landschaft finde ich nur in der Eröffnungsetappe des Circuito Paine in Patagonien, wo der Rio Paine und seine Umgebung ein ähnlich urzeitlich anmutendes Bild prägen. Der Gang oberhalb des Canyonrandes zeigt die vielen Schluchtwindungen bis hinab in die Ebene des dort unten sich öffnenden Aries-Tales, wo sich die Ortschaft Cheia ausbreitet, sowie die Mündung des Hasdate in den Aries.

Die zweite Überraschung ist dann mehr der negativen Art. Ich achte nicht sonderlich auf die ohnehin schlechte Markierung (gelbes Dreieck) und gerate mit dem Erreichen der Bachniederung zunächst viel zu tief. Da das Weiterkommen direkt durch die Schluchtsohle aufgrund steiler Geländeriegel praktisch verwehrt ist, muß ich nun mühevoll durch die steilen Grasflanken wieder emporsteigen. Als ich glaube, daß die Aufstiegshöhe ausreichend sei, um den ersten Riegel oben zu übergehen, muß ich feststellen, daß das Gelände von zahlreichen, querverlaufenden Nebenschluchten unterbrochen ist, das bedeutet ein mühevolles, langwieriges Rauf und Runter, meist weglos und zum Schluß hin vermehrt durch Dickicht und Dornengestrüpp. Nach den aussichtreichen Wiesenhängen gerate ich in weniger durchschaubares Waldgelände. Als ich schließlich, durch steilen Bergwald dramatisch abgestiegen, wiederum direkt am Flußufer lande, und ich eine Schotterstraße und einen Steinbruch am gegenüberliegenden Ufer erblicke, wird mir gewahr, daß ich zwar schneller, als erwartet, die Einmündungsebene des Hasdate in den Aries erreicht, jedoch aufgrund meiner Irrwege die in der Schlucht tosenden Ciucas-Kaskaden und deren Badegumpen verpasst habe, was mich wiederum mehr ärgert, als die Plagen meines abenteuerlichen Irrweges.

Ein etwas öder Fahrweg zieht entlang des Bergfußes, der Blick schweift über die ausgedehnten Felder der hier ansetzenden Ebene, meine Marschrichtung gen Westen führt jedoch wiederum ins Gebirge hinein. Es kehrt wieder Leben in die Landschaft zurück, viele auf den Feldern tätige Menschen grüßen mich. Die Ortschaft Cornesti bleibt am gegenüberliegenden Flußufer zurück, bis ich schließlich den Aries bei einer Häusergruppe über die Brücke der aus dem Ariestal kommenden Straße überquere. Es folgen vielleicht zwei bis drei Kilometer Teeretappe, bis ich im Dorf Moldovenesti eintreffe, welches sich eng an den Rand des Trascau-Gebirges drückt. In der Dorfkneipe halte ich Einkehr zu Kaffee, Limo und Schokolade, was wiederum die Kräfte zurückkehren läßt, die mir nach diesem unerwartet zehrenden Morgen abhanden gekommen schienen. Somit beschließe ich, anstatt der während der kurzen, mir aber endlos erschienenen Teeretappe ersonnenen Idee, hier in Moldovenesti eine Nächtigungsmöglichkeit zu erfragen, abermals den Rucksack zu schultern und meinen Weg fortzusetzen. Am oberen Dorfende grüße ich zwei ältere Damen mit "Buna ziua", ich erhalte jedoch keinen Gegengruß, was in einem rumänischen Dorf sehr ungewöhlich ist. Die beiden Damen sehen denn auch nicht wie Rumäninnen aus, und ich besinne mich auf das Ortschild am Dorfeingang, welches zweisprachig war, rumänisch und ungarisch. Auch wenn man mich jetzt nicht grüßt, was die Gastfreundschaft in den von Ungarn besiedelten Gegenden Rumäniens anbelangt, will ich betonen, daß mir diese schon mehrfach wohlbekommen ist, mir scheint der wohl wesentlichste Unterschied zwischen diesen beiden Volksgruppen, daß die Mentalität der Ungarn, im Gegensatz zu den Rumänen, wenig Südländisches zeigt, und sie somit eher zur Reserviertheit neigen, und ihr Ordnungssinn deutsche Ausprägungen zu haben scheint.

Von oben noch mal über das Dorf geblickt, kann ich dort übrigens drei verschiedene Kirchen ausmachen. Zum Nachmittag hin füllt sich das Blau des Himmels mehr und mehr mit Wolkengebilden und gelegentlich ergießen sich harmlose, auf mich angenehm erfrischend wirkende Schauer. Nach einem Anstieg durch Mischwald gelange ich auf ein weites, aussichtreiches Karstplateau. Man könnte meinen, in einer solchen Landschaft auf Schafherden zu treffen, stattdessen erlebe ich eine stille und einsame Bergetappe, während der ich bis zum Erreichen der nächsten Ortschaft keine Menschenseele treffen soll. Nur eine flüchtige Hirschkuh erschreckt mich zwischendurch in der Stille. Man kann diese Tiere übrigens gut von den Rehen unterscheiden, denn abgesehen von den vielleicht nicht ganz so offensichtlichen Unterschieden in Größe und Erscheinungsform scheinen diese Tiere weniger flink, ihre Flucht weniger abrupt und panisch, und ihr Hufschlag viel härter.

Im Westen werde ich eines mit einer schroffen Felswand behafteten Gipfels ansichtig, den ich zunächst für den Vf. Ungerului halte, im Nachhinein bin ich mir darüber allerdings nicht mehr ganz sicher. Die rote Bandmarkierung (übrigens ein Teilstück des europäischen Weitwanderweges E 4) weist mir den Weg zu einem weiteren landschaftlichen Höhepunkt des Trascau-Gebirges, nämlich die enorme Kalkmauer der Piatra Secuiului, deren Dramatik allerdings von hinten her besehen, also aus der Richtung, aus welcher ich mich annähere, noch nicht einsehbar ist. Erst, nachdem ich den ins Massiv eingekerbten Sattel erreiche, wird das wahre Ausmaß der Dinge ersichtlich. Wilde Kalktürme umzingeln mich, ich stehe sozusagen auf den Zinnen einer gewaltigen Felsbastion, von der herab sich ein atemberaubender Anblick hinab auf´s Dorf Rimetea eröffnet. Zur gegenüberliegenden Talseite hin steigt das Gebirge erneut an, und zeigt zwischen Waldgipfeln auch dort wilde Felswände. Ich lasse meinen Rucksack im Sattel zurück und erreiche unbeschwert in etwa 15 Minuten den Gipfel Piatra Secuiului (1129 m). Hier stehe ich nicht etwa auf einer markanten Bergspitze, sondern wiederum auf dem höchsten Punkt einer langgestreckten Karstplatte, auf der ich ein gutes Stück weit gen Süden schlendere. Herrlich sind dabei die Tiefblicke hinab ins Tal, in dessen Senke sich die drei Ortschaften Rimetea, Coltesti und Valisoara fügen. Weiter im Süden läßt sich der enge Klammeinschnitt der Cheile Valisoarei erkennen, zwischen deren Wänden die Straße nach Aiud hindurchschlüpft. Doch auch nach Osten, ins Vorland, lohnt der Blick, besonders sticht hier die malerische Lage der am Gebirgsrand gelegenen Ortschaft Podei ins Auge. Ich lümmle noch eine gute Weile im erbaulichen Licht der Abendsonne rum, und wünschte, ich hätte ein Zelt dabei, um hier im Sattel, inmitten dieser Herrlichkeit, mein Nachtlager errichten zu können.

Der Abstieg über Markierung blaues Kreuz durch den Santierul Mare ("großer Steinbruch") ist steil und nach diesem langen Wandertag auch beschwerlich. Dennoch ist der "Abgang" durch die Kulisse großartiger Felstürme und -wände mit erquicklichem Ausblick auf die Dächer von Rimetea aller Mühen wert. Am Bergfuß treffe ich einen Schäfer mit seiner Herde. Dessen Hunde scheinen geradezu wohlerzogen, was sicher daran liegt, daß wir uns hier in Dorfnähe befinden, und die Hunde dann von selbst wissen, daß für sie nun praktisch Feierabend ist und man hier nicht jedem Vorbeikommenden gleich an die Waden geht.

Rimetea ist auch aus der Nähe besehen ein schönes und einladendes Dorf, allerdings in seiner Erscheinungsform für die meisten Gegenden Rumäniens untypisch. Die schönen, weißverputzten Häuslein aus der Habsburger Epoche, welche sich gleichförmig um ein stattliches katholisches Kirchlein gruppieren, mögen eher in die ungarische Tiefebene, als in die rumänischen Karpaten passen. Doch genau das ist Rumänien, und die Existenz, der Einfluß und die Hinterlassenschaften der in diesem Vielvölkerstaat gelebten und lebenden Minderheiten tragen wesentlich zur Vielseitigkeit und zum Reichtum des Landes bei. Rimetea ist ein alter Bergarbeiterort, jedoch nicht schmutzig und verkommen, sondern ein echtes Schmuckstück, in dem heutzutage, neben der Landwirtschaft, auch der Tourismus als Erwerbsquelle eine Rolle spielt, was an den zahlreichen, sich im Ort befindlichen Pensionen ersichtlich ist. In der ersten Pension werde ich abgewiesen, man sei gerade am Putzen, oder es sei frisch geputzt, kurzum scheine ich für die junge Dame wohl zu dreckig.

Im zweitletzten Haus auf der linken Straßenseite Richtung Coltesti finde ich schließlich Unterkunft bei einem älteren Paar. Mein Schlafgemach, ein antiquares Holzbett mit der obligatorisch schweren Decke, befindet sich in einem landestypischen "Omazimmer", ausgestattet mit einem bald schon knisternden Kanonenofen, schönen Wandteppichen und Bildern mit Jagdszenen aus dem 19. Jahrhundert. Trotz meines späten Eintreffens gegen 21 Uhr wird mir das Tischlein reichlich aufgedeckt, was mir nach meiner "Königsetappe" nicht unwillkommen ist. Am folgenden Morgen finde ich mich vor einem nicht weniger üppig ausgestatteten Frühstückstisch. Mir ist über Nacht die Idee gekommen, zwei Übernachtungen in diesem angenehmen Haus zu verbringen, da ich dann heute unbeschwert gepäcklos meine Wanderung machen kann, die eigentlich nicht zwingend in einem anderen Ort enden muß. Ich erfahre von den Wirtsleuten, daß das Dorf fast rein ungarisch ist, es würden nur 23 nichtmagyarische Personen hier leben. (Fotos und weitere Infos über Rimetea und Umgebung hält Willi parat unter www.karpatenwilli.com/images/dia26.htm)

Der erste Teil meiner Wanderung führt mich hinauf zur Quelle Izvorul Remetea, wobei es mir zunächst noch gelingt, der ersten möglichen Irreführung zu entkommen. Kurz danach jedoch falle ich zum ersten Mal der miserablen Markierung zum Opfer. Statt eines Überganges durch den felsigen Bergzug der Ardascheia erreiche ich weglos mit viel Mühe und Zeitaufwand deren Grat. Als Entschädigung wird mir hierfür eine prächtige Aussicht offeriert. Ich folge ein gutes Stück weit dem Gratverlauf, um schließlich abermals anstrengend durch steiles Gelände die gewonnenen Höhenmeter wieder kaputtzumachen.

Das Wetter hat sich zwischenzeitlich verschlechtert, reichlich graue Wolken und Schauerneigung können mich jedoch von der Fortsetzung meiner Wanderung nicht abhalten. Am Zusammenfluss zweier Bäche trennen sich rotes Band und blaues Kreuz, ich folge dem roten Band gen Süden. Von meinem ursprünglichen Plan, zuerst den Vf. Ugerului zu erklimmen, bin ich bereits aus Zeitgründen abgewichen und ich erkläre somit die Höhle Poarta Zmeilor zu meinem Tagesziel. Wiederum beschert mir die Markierung wenig Glück, dennoch gelange ich zunächst zum Wegweiser an einer knorrigen Buche, an dem rotes und blaues Band eintreffen. Blau zeigt dort an "Vânatore 2 ½ - 3 h", rot "Cabana Râmet 5 ½ - 6 h". Somit sehe ich mich mit Hilfe der Karte bestätigt, daß ich mich immer noch auf dem richtigen Weg befinde. Ich lehne mich gerade für ein paar Minuten zum Ausruhen an den Stamm der alten Buche, da rollt er, wie aus dem Nichts kommend, über die Wiesenhänge direkt auf mich zu und bereits nur wenige Sekunden später umgarnt er mich mit seinem feuchtkalten Atem: der berüchtigte Karpatennebel, dem ich bei meinen vielen Wanderaufenthalten in diesem Gebirge doch niemals entrinnen konnte. Er scheint einfach hierher zu gehören, wie der Paprika zu Ungarn.

Jetzt wird die Fortsetzung des Weges erst richtig spannend und ich bin froh an meinem Kompaß, um die Orientierung jetzt nicht endgültig zu verlieren. Ich habe hier das Bedeleu-Plateau erreicht. Der üppige Buchenwald der Aufstiegsroute zeigt sich hier oben nur noch sporadisch, er ist mit Kalksteinen übersäten Wiesenkuppen und Dolinenlöchern mit manchmal enormen Ausmaßen gewichen. Doch die Landschaft will sich mir nur in kleinen Häppchen offenbaren, die Stimmung ist jetzt geradezu gespenstisch. Der dichte Nebelvorhang treibt seine hämischen Spielchen mit mir, er lichtet sich mal mehr, mal weniger, erlaubt mir einen kurzen Blick in die Umgebung, um diese nur wenige Sekunden später wiederum komplett zu verschlucken. Diese kurzen Momente muß ich nun jedesmal nutzen, um mich zu orientieren, ein Wegzeichen der hier oben doch wieder etwas häufiger auftauchenden Markierung zu erhaschen. Bachläufe und Feuchtwiesen finden sich hier oben, ich passiere die eine oder andere Viehtränke, ohne jedoch ein weiteres Lebewesen außer mir selbst anzutreffen. Bei La Rogoaze stoße ich auf ein schlichtes, aber unterkunftstaugliches Hirtenhäuschen. Ich befinde mich mit meiner Ankunft dort zwar immer noch auf dem richtigen Weg, habe allerdings durch die ständige Sucherei nach diesem sehr viel Zeit verloren.

Die nächste Irrung folgt sogleich, indem ich dem Pfad, welcher zur Râmet-Hütte führen würde, folge. Ich bemerke den Fehler, da die Wegrichtung sich nach einer Weile beständig auf Süd einpeilt. Es ist ein Jammer, eigentlich bin ich sehr nahe am Ziel, doch nun muß ich dennoch vorzeitig abbrechen. In der Pension habe ich meine Rückkehr auf etwa 18 bis 19 Uhr angegeben, was bereits jetzt schon nicht mehr einhaltbar ist. Zudem bräuchte ich noch Zeit, um mir, falls möglich, die Höhle eventuell genauer anzusehen. Über einen herrlichen Abstiegsweg hoch über einer von um diese Jahreszeit noch laublosen Buchenwald getarnten, eindrucksvollen Schlucht, erreiche ich das zwischen die Bergzüge hineingeklemmte Dorf Izvoarele. Dieser Ort ist wiederum rumänisch, was man sowohl den Menschen, als auch deren Behausungen ansieht. Auch ein kleines Kloster schmückt das idyllische Dorf, dessen anziehender Liebreiz besonders dann zur Geltung kommt, wenn man sich ihm von den Bergen herab nähert.

Von Izvoarele ausgehend mündet ein ungeteerter Fahrweg in die von Schlaglöchern übersäte Straße, welche Buru mit Aiud verbindet, und somit durch das ganze Tal hindurch führt. Im späten Abendlicht passiere ich Coltesti, welches, wie Rimetea, ein praktisch rein ungarisches Dorf ist. Als ich endlich in der Pension ankomme, ist es fast Nacht. Dort ist man bereits in Sorge um mich. Ich war doch zu unbekümmert und habe nicht damit gerechnet, daß man mich bereits jetzt schon vermissen würde, aber meine Gastgeber waren drauf und dran, den Salvamont über mein Verschwinden zu verständigen. Mir ist das jetzt doch etwas peinlich und ich entschuldige mich sogleich. Man gibt mir allerdings sofort zu verstehen, daß man mich nicht etwa rügen möchte, sondern jediglich in Angst um mich gewesen sei. Auch heute biegt sich wiederum der Abendbrottisch unter den vollen Schüsseln aus der bodenständigen Küche einer ungarischen Hausfrau und nach einer heißen Dusche versinke ich in der Matratze des Himmelbettes in einen tiefen Schlaf.

Der letzte Wandertag bricht an. Diesmal geht der Rucksack wieder mit, und nach einem gewohnt üppigen Frühstück, wo mir unter anderem auch ein etwas den schweizer Rösti ähnelnder Kartoffel-Eierkuchen aufgetragen wird, starte ich in den Tag. Ich folge diesmal der Markierung blauer Punkt, welche Rimetea über das Nordwestende verläßt. Es dauert nicht lange, bis die Markierung verschwunden ist. Ich ignoriere bewußt diese Tatsache, da ich keine Lust verspüre, ständig nach eventuell vorhandenen oder nicht vorhandenen Wegzeichen Ausschau zu halten. Diesbezüglich ist anzumerken, daß nach meinem momentanen Erfahrungsstand (der, bezogen auf die Möglichkeiten in diesem Gebirge, immer noch recht bescheiden ist!) die Wegmarkierungen im Trascau oft in einem schlechten bis miserablen Zustand zu sein scheinen. Solange sich daran nichts ändert, ist beispielsweise die gestern von mir unternommene Wanderung von Rimetea aus zur Poarta Zmeilor eher mit einem guten Schuß Pioniergeist gesegneten Enthusiasten zu empfehlen. Von meiner Odyssee vom gleichen Ort aus hinüber zum Vârful Ugerului werde ich in Folge detaillierter berichten. Eventuell könnte einem derartigen Debakel vorbeugend begegnet werden, indem man sich wirklich gleich zu Beginn bemüht, die Blaupunktmarkierung eben nicht zu verlieren.

In den Zeiten des "Conducators" war es jedenfalls noch so, daß Wanderwege und -markierungen regelmäßig von Schulklassen instandgehalten wurden, nach der Revolution wurde diese Tradition bedauerlicherweise nicht mehr weiter verfolgt und die rumänischen Bergvereine verfügen derzeit leider noch nicht über eine derartige Kapazität (vor allem auch finanziell!), als daß man ein derart umfangreiches Netz an Wanderwegen, wie es die rumänischen Karpaten bietet, in nächster Zeit auch nur annähernd umfassend sanieren könnte.

Kurzum, ich versuche jedenfalls mit meinem Orientierungssinn den erstrebten Einstieg zum Vf. Ugerului zu erreichen. Zwischen Rimetea und dem Ugerului versperren mir die beiden Bergzüge der Ardascheia und der Salas den Weg, und erst jenseits davon befindet sich ein weiteres Tal, von dem aus ich dann den Gipfel angehen könnte. Jedenfalls verschlägt es mich zunächst viel zu weit nach Norden, ohne dabei einen Sattel gefunden zu haben, über welchen ich mal rasch zur anderen Seite hindurchschlüpfen könnte. Stattdessen finde ich die verwitterten Relikte der Markierung gelbes Dreieck, welche zu den alten Minen hinaufleitet. Von den Minen kann ich jedenfalls keine Überreste mehr finden, dafür gelange ich auf die Grathöhe hinauf. Der mühevolle Anstieg wird mir mit einer unerwarteten Prachtaussicht belohnt. Zur einen Seite sehe ich nun den Aries tief unter mir vorbeifließen. Der Blick weit in dessen Tal hinein und über die umliegenden Dörfer und Berge ist atemberaubend! Zur anderen Seite hin wird mir sozusagen der Abschiedsblick hinüber zur Piatra Secuiului kredenzt, gleichfalls hinunter nach Rimetea und hinüber nach Coltesti, ja sogar die Cetatea Trascaului erhebt sich stolz auf dem Thron ihres grünen Hügels. Diese Festung ist quasi das Wahrzeichen von Coltesti, bedauerlicherweise bin ich bei meinem Aufenthalt im Tal nicht dazugekommen, der stolzen Anlage, die im 13. Jahrhundert zum Schutz vor den Mongoleneinfällen diente, einen Besuch abzustatten. http://www.karpatenwilli.com/apuseni/cheile04.htm

Ich habe, wie bereits erwähnt, in den vergangenen Tagen eine unerwartete Einsamkeit im Trascau-Gebirge vorgefunden. Nicht einmal den sonst doch überall in den rumänischen Karpaten präsenten Waldarbeitern war ich begegnet. Um so mehr überrascht es mich jetzt, als ich hier oben, auf diesem schlecht erreichbaren und halb zugewachsenen Kamm, plötzlich Stimmen vernehme. Doch an Stelle von vermeintlichen Beerenpflückern oder Waldarbeitern marschiert ein mit Wanderstöcken bewehrtes ungarisches Urlauberpärchen einher. Diese sind, nach eigener Aussage, von Rimetea aus dem gelben Dreieck gefolgt. Sie kehren gerade von einem Aussichtsfelsen zurück, der sich weiter hinten befinden soll, und den sie mir wärmstens empfehlen. Ich folge unter Zurücklassung meines Rucksacks ein Stück weit dieser Richtung, ohne jedoch ganz bis zu dem Felsen weiterzugehen. Die Aussicht ist jetzt besser, als von meinem ursprünglichen Standpunkt aus, da der Kamm hier frei von höherem Buschwerk und Bäumen ist. Die Beiden konnten mir bezüglich meiner Idee, von hier aus bis zum Ugerului vorzudringen, nicht weiterhelfen. Sie kennen nur den Zustieg ab dem Dorf Vidolm im Ariestal, von wo aus sie vergangenes Jahr zum Gipfel gegangen waren. Sie empfehlen mir den Besuch dieses Gipfels aber unbedingt.

Ich beschließe nun, eine weglose Gratwanderung zu machen, und somit den Versuch zu starten, über die beiden in der Karte verzeichneten Gipfelhöhen Bert (1011 m) und Chisbert (969 m) in den Sattel zu gelangen, über welchen die Markierung blauer Punkt wohl ins Tal überhalb Vidolm hinab geführt hätte. Der Versuch artet wieder einmal, wie bereits schon begonnen, in eine mittelprächtige Durchschlageübung aus. Es gelingt mir zunächst gut, die bewaldete Grathöhe zu halten, anschließend steige ich durch einen übergrasten Steilhang zu einer Wiese herab. Der Trugschluß ist nun, zu glauben, daß ich durch ein weiteres Absteigen durch den dichten Wald bis in die Sohle des westlich von mir einschneidenden Tales den Weg erreichen könnte. Ich komme bis hinunter zum Bach, wo das Gelände weiterhin weglos bleibt, folglich läuft der Wanderweg auf der gegenüberliegenden Talseite, ich weiß nicht, wie hoch überhalb des Bachlaufes. Es wird mir nun zu blöde, die gegenüberliegende Talflanke wieder emporzukraxeln, also folge ich dem Bachlauf, und zwar auf dem mir am einfachsten erscheinenden Weg, nämlich direkt durch´s nasse Bachbett. Und siehe da, meine Spekulation geht auf, denn der Wasserlauf mündet schließlich, in Übereinstimmung mit meiner Wanderkarte, im Hauptbach eben jenes Tales, durch welches der Aufstiegsweg (diesmal blaues Kreuz) von Vidolm her auf den Vf. Ugerului führt. Ich bin nun allerdings sehr tief geraten, und von dem Punkt aus, wo ich im Tal eintreffe, wäre es vielleicht eine lockere halbe Stunde bis hinunter nach Vidolm, und sicherlich sind es von hier aus viele mühsame Stunden bis hinauf zum Gipfel.

Ich bin zugegebenermaßen bereits ganz schön abgekämpft, doch ich fahre fort nach dem Motto "und nun erst recht!". In einem einsamen Hüttchen lasse ich zunächst meinen lästigen Rucksack zurück und marschiere nun, wesentlich erleichtert, hinauf in einen Sattel (948 m). Etwas unterhalb des Sattels war zuvor prompt die Markierung blauer Punkt von Rimetea her eingetroffen, das blaue Kreuz steigt nun jenseits des Sattels in ein - von hier oben betrachtet - einsam und wild erscheinendes Tal hinab, um welches sich aus dichten Wäldern heraus zerklüftete Berggestalten erheben. Beim genaueren Hinsehen schließt sich für mich hier der Kreis, denn dort unten erkenne ich die Konfluenz mit dem grünen, ausrangierten Eisenbahnwaggon wieder, zu welcher ich gestern nach Überschreitung der Ardascheia gelangt war, und von der aus mich dann das rote Band auf das Bedeleu-Plateau geführt hatte. Für mich wird jetzt die im Sattel beginnende Markierung roter Punkt interessant. Der an einem Baum angebrachte Wegweiser bestätigt denn auch, daß es sich hier um die Gipfelroute handelt.

In Serpentinen zieht ein eindeutiger und auch markierter Pfad bis zum Gipfel hinauf, welcher sich als das höchste Ende eines über einen langgezogenen Grat sich ausdehnenden Karstplateaus präsentiert. Es lohnt sich durchaus, sich hier oben die Zeit zu nehmen, und das in etwa rechteckige Gipfelplateau abzuwandern. Man erreicht hierbei viele herrliche Aussichtspunkte. Das Aries-Tal zieht direkt unter mir eine elegante Schleife, Dörfer schmiegen sich in verwinkelte Talnischen, dahinter im Norden erhebt sich im Dunst von Wolken eine stattliche Gipfelwoge. Die Muntii Gilau, auch Muntele Mare genannt, bäumen sich dort in für die Westkarpaten ungewöhnliche Höhen empor. Der Hauptgipfel Muntele Mare wird mit seinen 1826 Metern nur knapp von der Cucurbata Mare (1849 m) im Bihor überboten. Beim Abgehen des Gipfelbereiches bieten sich mir erneut Blicke zurück nach Coltesti und Rimetea, auch der tiefe Einschnitt der Cheile Valisoarei fällt ins Auge. Unter den Felsabstürzen des Gipfels breitet sich ein Bergwald aus, der unter Naturschutz steht, von hier oben betrachtet erscheint er allerdings gewöhnlich.

Zufrieden kann ich mich nun an den Abstieg machen und von dem Hüttchen aus, in dem ich meinen Rucksack deponiert habe, ist es schließlich nicht mehr weit bis hinab ins schöne Dörflein Vidolm am Aries - Ufer. Zum guten Schluß hin werde ich, nach einem Wandertag mit vielen düsteren Wolken, von einer wohltuenden Abendsonne verwöhnt. Neben allerlei gewöhnlichen Viechereien begegne ich in Vidolm auch den inzwischen seltenen Schwarzbüffeln. Ziehbrunnen mit langen, hölzernen Hebearmen waren für mich bislang ein Symbol für Ungarn. Hier in Vidolm sind sie allgegenwärtig, und das Dorf scheint mir rumänisch dominiert. Der Ugerului zeigt sich, hier vom Tal aus betrachtet, als ein langgezogenes, von Felsen durchsetztes Bollwerk.

Ich schlendere zur Haltestelle an der Straße des Aries-Tals. In der Stadt Turda entsteige ich dem Bus und erhalte im Hotel Potaissa im Zentrum für 400.000 Lei ein Zimmer inclusive Abendessen. Rings um die Stadt legt sich ein Ring aus Schwerindustrie und heruntergekommenen Siedlungen, das Zentrum mit seinen schmucken, alten Habsburger-Häusern zeigt sich hingegen durchaus ansprechend. Zu meinem Leidwesen feiern die Fans von Steaua Bucuresti den Sieg ihrer Mannschaft im UEFA-Cup über ihren englischen Kontrahenden Middlesborough bis nachts um halb Drei. Da der Bus nach Timisoara schon sehr früh geht, bleibt mir keine Zeit zum Ausschlafen. Verdrießlicherweise kommt anstatt eines großen Busses nur ein Kombi (in Rumänien nennt man das Maxi-Taxi) daher, der nach mitteleuropäischen Maßstäben bereits voll besetzt ist. Bis Deva bleibe ich jedenfalls reichlich inkommod, stehend oder auf der Stiege bei der Eingangstüre kauernd, bei schlechter Sicht und schlechtem Wetter. Erst ab Deva kann ich mich gemütlich in einem Sitz am Fenster zurücklehnen. Leider wäre es gerade die Strecke Turda-Deva gewesen, die ich noch nicht so gut kenne, die Route Deva - Lugoj - Timisoara bin ich mit dem Reisebus schon etliche Male abgefahren.

Kommt man in eine fremde Stadt und hat weder entsprechende Literatur noch gute Tips zur Hand, beginnt wieder mal die leidige Unterkunftssuche, die in solchen Fällen allzu oft wenig zufriedenstellend endet. Das Hotel Carina liegt jedenfalls gut 20 Minuten vom Zentrum entfernt, versteckt in einer Nebengasse eines uninteressanten Stadtviertels und kostet mich stattliche 1.200.000 Lei mit Frühstück. Um die Leselampe anzukriegen, muß ich mich als Kabelverleger betätigen, und das rote Lämpchen des Fernsehers leuchtet zwar nett, aber das war´s auch schon.

Timisoara ist die größte Stadt im Banat. Die 300.000 Einwohner setzen sich aus verschiedenen Volksgruppen zusammen, wobei die Rumänen in der Mehrheit sind. Der Nordweststreifen des Banat hat ein paar Jahre mehr zu Ungarn gehört, als etwa Siebenbürgen, entsprechend macht sich der magyarische Einfluß in der Stadt bemerkbar, die Ungarn sind dann auch die zweitstärkste Fraktion in der Multikultistadt, von denen auch die bei uns gängige Benennung "Temeschvár" herrührt. Die deutsche Benennung Temeschburg findet meines Wissens nach kaum Anwendung, und das wohl nicht erst, seit der Großteil der Banater Schwaben in die Bundesrepublik verzogen ist. Timisoara liegt im Dreiländereck Rumänien - Ungarn und Serbien, und auch die Serben sind als nicht unbedeutende Volksgruppe in der Stadt ansässig.

Auch wenn mir die Stadt nicht dasselbe eigenartige Gefühl einer alten Vertrautheit, wie Sibiu und Brasov geben kann, finde ich Gefallen am Herumschlendern. An Stelle eines mittelalterlichen Ortskerns mit engen, verwinkelten Gassen und eher gedrungenen, eng aneinander klebenden Häuschen mit romantischen Innen- und Hinterhöfen, zeigt sich Timisoara mit oft palastähnlichen, pompösen Bauten aus Habsburger Zeiten. Großzügige Plätze und stattliche Kathedralen, katholische wie auch orthodoxe, sind ebenfalls ein Merkmal Timisoaras. Sehr angenehm sind die vielen schönen Parkanlagen, manche säumen direkt das Flußufer, und laden zum Verweilen auf einem ihrer Bänklein ein. Timisoara war die Keimzelle der jüngsten rumänischen Revolution, die im Zentrum der Stadt in ein tragisches Blutbad ausartete. Heute kann man sich hier auf die Spuren der Revolte, die am 22.12.1989 hier zum Ausbruch kam, machen. An vielen Straßenecken findet sich das Graffiti "Respect ´89", und ich entdecke auch ein Informationszentrum mit schriftlichen und bilddokumentarischen Auslagen im Schaufenster zu den damaligen Begebenheiten. Die Informationsstelle ist allerdings bei meinem Eintreffen dort geschlossen.

Als ich nach einem deftigen Imbiss aus einem Schnellrestaurant heraustrete, stoße ich dort auf einen Gedenkstein in Form eines Würfels. Dieser Würfel mit den darauf eingravierten Namen macht mich tief betroffen. Daß auf unserer Welt ständig irgendwo entsetzliche Dinge passieren, weiß ein Jeder, wir sind oft schon abgestumpft ob der Flut an schrecklichen Bilder in den Abendnachrichten. Dennoch gibt es doch immer wieder gewisse Vorfälle, die einen in einer besonderen Weise schockieren, und die sich einem für ewig einprägen. So ging es mir mit der Nachricht vom gewaltsamen Tod der 40 Kinder, die gerade die Vorstellung eines Weihnachtsmärchens verlassen hatten und von verängstigten Demonstranten als Schutzwall gegen die marodierende Securitate benutzt wurden, in der Hoffnung, diese würden nicht auf Kinder schießen. Alle Kinder und Erwachsenen wurden erbarmungslos niedergemetzelt, eben an der Stelle, wo ich nun stehe.

Da der Ostbahnhof von Timisoara die letzte Station des Freiburger Reisedienstes ist, wo noch einmal Passagiere aufgenommen werden, bevor der Bus endgültig Rumänien verlässt, habe ich noch den ganzen Morgen über Zeit zu einem erneuten Spaziergang durch die Stadt. Ich muß mich erst gegen 12 Uhr mittags an der Gara de Est einfinden. In Timisoara scheinen die Berge fern, ringsherum breitet sich die vollkommen platte Pannonische Tiefebene aus, die sich von Ungarn her bis weit ins Westbanat hineindehnt. Dies schlägt sich auch im Klima nieder, und nach einem anfänglich noch nebelverhangenen Morgen erreicht das Thermometer unter einem strahlend blauen Himmel gegen Mittag 30 Grad. Wir erreichen die Grenze zu Ungarn und ich knabbere an den köstlichen rumänischen Keksen. Eines steht jedenfalls fest, die Apuseni werden mich wiedersehen, doch was habe ich denn bislang vom Banat gesehen, außer der obligatorischen Transitstrecke? Da gibt es doch schließlich auch noch verwunschene Dörfer, wilde Karstgebirge, freundliche Menschen . . . .


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