Tour´97
- Die Karpaten auf einmal! / Bericht von Falk aus Norsingen bei
Freiburg
Karpaten`97
- Teil 2 / 1 / 3
Autor:
Falk Kienas ... http://www.karpatenbilder.net
Inhalt
Seite: 2 ... [Durchs Fagaras-Gebirge] [Zum Bucegi-Massiv] Die Ostkarpaten -
südlicher Teil: [Massivul Ciucas -
Der Krähenstein] [Brasov] [Das Penteleu-Massiv] [Das Ciomatu- und
Bodoc-Gebirge] [Das Ciuc-Gebirge] [Die Maramures] In der Ukraine: [Einreise] [Die Schwarzen Berge] [Das Swidowetsmassiv] [Zum Ozero Sinewir] [Die Polonias]
- Durchs
Fagaras-Gebirge
-
- Was man nicht im Kopf hat,
hat man in den Beinen, heißt ein Sprichwort. Was man
beim Start einer Tour nicht im Rucksack hat, kann
mitunter zu Problemen führen, besonders zu einer Zeit,
wenn sich der Durchschnittsbürger auf die Nachtruhe
vorbereitet.
- Hans-Jürgen brauchte noch
Benzin für seinen Kocher. Er merkte es bei Einbruch der
Dämmerung in Turnu Rosu, einem Dörfchen am Fuß des
Fagaras -Gebirges. Von hier wollten wir morgen früh den
Aufstieg beginnen.
- Zum Glück sind die Zeiten,
wo es Sprit auf Zuteilung gab, ein für allemal vorbei.
So sollte eine Brennstoffversorgung im Land der
unbegrenzten Unmöglichkeiten kein Problem darstellen.
Hans-Jürgen betrat den erstbesten Bauernhof und bat um
Hilfe, die ihm im Handumdrehen gewährt wurde.
- Der Mann tat einen kräftigen
Zug an einem Ende des Plastikschlauches, spuckte aus und
schon lief die gelbliche Flüssigkeit aus dem Tank seines
Dacias in Hans- Jürgens rote Benzinflasche. Im Dorf war
es bereits stockfinster, doch Hans-Jürgens Augen
leuchteten, jetzt fehlte nichts mehr.
- Viele Wege führen zum
Fagaras-Kamm. Die meisten Wanderer begannen ihren
Aufstieg, oder beendeten ihre Tour an der Cabana Suru, 10
km weiter im Osten. Seit jedoch ein Feuer auch die
Suru-Hütte vernichtete, ein Schicksal was meiner Meinung
nach früher oder später alle Karpatenhütten ereilen
wird, ging es auf dem Weg von Turnu Rosu äußerst
lebhaft zu. Eine Gruppe Rumänen mit Hund, fünf
Tschechen, vier Ungarn in Tarnuniformen mit
furchterregenden Messern am Gürtel und drei Deutsche
lieferten sich ein Wettrennen zum Avrig-See, dem Sieger
winkte das Fleckchen für's Zelt mit den wenigsten
Huckeln. Wir waren die Ersten. Die Tschechen wollten
weiter, die Rumänen bekamen unterwegs Ärger mit einem
Hirten, da ihr Hund die Schafe jagte und den Ungarn war
vermutlich ihr Kilo Stahl hinderlich.
- Bis jetzt spielte mein Knie
recht ordentlich mit, was ich zum Großteil meinen beiden
Stöcken verdankte. Würde es aber morgen zum
Spielverderber, wenn unser Weg über das Kirchendach
führte?
-
- Die Custura Saratii, das
Kirchendach, ist ein scharfkantiger Grat zwischen den
Bergen Serbota und Negoi. Im Sommer 1994, während meiner
ersten Fagaras-Wanderung, kraxelte ich über dieses
Felswirrwarr. Wie lang es damals dauerte, wußte ich
nicht mehr, konnte mich aber noch gut daran erinnern,
daß ich stark geschwitzt und noch stärker geflucht
hatte. Hans-Jürgen mußte gar absteigen, an besagter
Stelle. Wir beschlossen also, nicht über das Kirchendach
zu balancieren und wählten für das nächste
Etappenziel, den Caltun-See, einen Umweg über die
Negoi-Hütte.
- Hütte ist nicht das richtige
Wort, der Bau ähnelte einem Berghotel zu Saisonende. Die
170 Schlafplätze waren frei, Herr Pitaru, der
Hüttenwird, sägte Holz für den Winter und mit zwei
videokamerabewaffneten Berlinern saßen wir als einzige
Gäste im Speisesaal.
- Mit Bohnensuppe, Omelett und
Bärenbier im Bauch arbeiteten wir uns eine Stunde
später in Richtung Caltun-See. Der Weg drückte sich am
Fels entlang, ihn markierte ein blaues Dreieck. Stellen
die gefährlich aussahen, überbrückten Gitterroste und
am Fels baumelten Stahlseile. Ohne diese Vorkehrungen
wäre der Weg sicher ungefährlicher. Die Gitterroste
waren zum Teil heruntergebrochen und hingen nur noch an
einer Verankerung. Zum Glück regnete es nicht. Wie ein
Sägeblatt zog sich hoch über uns die Custura Saratii
zum Negoi, dem zweithöchsten Gipfel der rumänischen
Karpaten. Überall klebten Schneefetzen des letzten
Winters.
- Der Weg wühlte sich durch
Geröllmassen und schien geradewegs in einer Sackgasse
aus Fels zu enden. Doch es war keine Sackgasse, ein Spalt
kaum breiter als zwei Rucksäcke, teielte die Wand.
Strunga Ciobanului, Hirtenkamin, hieß die Stelle auf
meiner Karte. Ich ärgerte mich über den Namen. Nie im
Leben wäre ein Hirte auf die Idee gekommen, sich da
durchzuschinden. Michael kletterte los, Hans-Jürgen
folgte ihm, ich bildete das Schlußlicht. Auch hier
hingen wieder Ketten, wenn man sie ignorierte klappte der
Aufstieg ganz gut. Die Überraschung lauerte beim
Abstieg. Ein Brocken, groß wie eine Tischtennisplatte,
steckte im Kamin und begrub unter sich die Ketten an
einer Stelle, wo sie tatsächlich einen Sinn gemacht
hätten.
- Verschwitzte Finger preßten
sich auf rauhen Fels und zwei Beine ruderten durch die
Luft, bis die Schuhspitzen endlich etwas fühlten, worauf
sie stehen konnten. Das Schauspiel wiederholte sich
dreimal, dann lag der Kamin hinter uns.
-
- So wild und zerklüftet ist
das Fagaras-Gebirge nur auf seiner Nordseite. Lange,
sanft abfallende und dicht bewaldete Hänge ziehen sich
dagegen nach Süden. In den Wäldern versteckten sich in
den 50er Jahren Partisanen, um gegen das kommunistische
System in Rumänien zu kämpfen. Ihre Hoffnung setzten
sie auf die Amerikaner, um mit deren Unterstützung
Rumänien vom Kommunismus befreien zu können. Soldaten
durchstreiften tatsächlich die Wälder, nur waren es
keine GI's sondern Angehörige der rumänischen Armee.
Anfang der 60er Jahre galt das Partisanenproblem in den
Südkarpaten als gelöst.
- Als wir nach zehn Stunden auf
und ab am Caltun-See kaum noch geradeaus laufen konnten,
und mir die Spagetti nicht mehr schmeckten, wußte ich,
es war ein Fehler, den Umweg über die Negoi-Hütte zu
nehmen.
- Die vier Stunden bis zum
Capra-See am nächsten Tag waren wie Urlaub. Zwar regnete
es am Morgen, doch das beeindruckte niemanden. Wir
machen es wie Kohl, sagte Hans-Jürgen.
Absitzen und einen günstigen Moment
abpassen. Dieser ließ nicht lange auf sich warten,
bereits nach einer Stunde brannte die Sonne wieder auf
der Nasenspitze.
-
- Von einem Sattel, der
Bâlea-Fenster heißt, sahen wir im Norden die Reste der
Bâlea Schutzhütte (abgebrannt Ende August 1995).
- Nach Süden windet sich die
Transfagarasan, die Fagaras-Hochstraße, in das Tal des
Capra-Baches. Wir standen genau über dem Tunnel, der in
2030 m Höhe, durch das Gebirge bricht. Die Straße ist
eines der Monumentalbauten des Diktators Ceausescu und
wird als solches auch kräftig kritisiert.
- 1972 begannen Soldaten und
Sträflinge mit dem Ausbau des 1944 eingeweihten
Transfagaras-Höhenweges zur Fagaras-Hochstraße.
Ceausescu sprach zwar von der Errichtung eines
Wintersportgebietes im Bâlea-Tal, doch der eigentliche
Sinn bestand, falls nötig, in einer raschen
militärischen Präsenz in Siebenbürgen, wo ja immerhin
mehrere Jahrhunderte Ungarn das Sagen hatten. In zwei
Weltkriegen mußten die Regierenden in Bukarest die
bittere Erfahrung machen, daß der Kampf um die
Karpatentäler höchste Verluste forderte.
Verkehrspolitisch notwendig war der Bau nicht (wieviele
Straßen sind das schon??). In einer sozialistischen
Hau-Ruck-Aktion grub, bohrte und sprengte man die Straße
in ein Lawinengebiet ersten Grades. Weder Ingenieure noch
Techniker erkannten, oder wollten die Gefahr erkennen,
die von diesem Teil des Gebirges ausging. Wie viele
Arbeiter und Soldaten beim Bau der Straße Lawinen zum
Opfer fielen, wurde nie bekannt - von einem Skigebiet war
keine Rede mehr. Den letzten Toten gab es im vergangenen
Winter, eine Lawine zerstörte den halbfertigen Neubau
der abgebrannten Bâlea-Schutzhütte. Trotzdem gehört
die Transfagarasan, zusammen mit der Straße durch die
Bicaz-Klamm in den Ostkarpaten, zu den spektakulärsten
Straßen in den Karpaten.
- Am Gemsen-See, wir sahen
wirklich Gemsen, hatten wir etwa die Hälfte des Gebirges
geschafft.
- La trei pasi de
moarte - Drei Schritte bis zum Tod
nennt sich ein Felsgrat auf unserem Weg zum
Moldoveanu,Rumäniens höchstem Berg. Ganz so schnell
geht es aber doch nicht. Die mit Stahlseilen gesicherte
Stelle war ein Klacks verglichen mit dem Hirtenkamin am
Negoi. Drei Schritte bis zum Tod dürfte für
einige Straßenabschnitte in Deutschland passender sein.
-
- Mit mehreren Superlativen
kennzeichnete mein Wanderführer das Fagaras, als
höchstes, felsigstes und wildestes Hochgebirge der
rumänischen Karpaten. Ich setzte noch eins drauf und
bezeichnete es auch als das Dreckigste. Nirgendwo sonst
stolperte ich über so viele Konservendosen,
Gaskartuschen, Schuhsohlen und alte Socken wie hier. Kurz
vor der Negoi-Hütte hatte sogar jemand seine Hosen
liegen lassen. Nicht Hirten und Schafe zerstören die
Karpaten, diese gab es bereits als sich Decebal mit
Trajan prügelte, schuld sind einzig die Touristen mit
ihrer Bequemlichkeit. Unterhalb des Moldoveanus bauten
wir zwischen Ciorba de burta Tüten von Maggi,
Thüringer-Rotwurst- Dosen zum Einheitlichen
Volkspreis von 0,37 Mark und Red Bird Luncheon
Loaf, aus Holland, die Zelte auf.
- Irgendwie waren wir keine
richtigen Helden, da lag der Moldoveanu (warum ein Berg
auf der Grenze zwischen Transsilvanien und der Walachei
ausgerechnet Der Moldauer genannt wurde?) zum
Greifen nahe, und wir ignorierten ihn, wegen ein paar
albernen Regentropfen, die sich vermehrten und für die
letzten drei Tage im Fagaras zum ständigen Begleiter
wurden. Wir begnügten uns mit dem dritthöchsten Gipfel,
Vistea Mare (Große Aussicht) genannt und folgten den
roten Bändern, die auf den regennassen Steinen erheblich
an Ausdrucksstärke verloren hatten.
-
- Im Mogosu-Sattel lernten wir
Ion kennen. Er ist Hirte aus Corbi, einem Dorf am
Südhang des Gebirges, und wollte Zigaretten. Ion gehört
zu der Sorte Hirten, wie sie es schon seit der Dakerzeit
gab. Er befand sich auf der Transhumanz , der
Wanderschäferei. Das Leben der Wanderhirten bestimmten
die Schafe. Im Sommer zogen sie mit ihren Tieren durch's
Gebirge, im Winter kehrten sie zurück in die Dörfer.
Die Hirten legten gewaltige Strecken zurück, manche
zogen bis zum Kaukasus. Die Zeiten sind für Ion vorbei.
Heute beweiden seine Schafe nur noch die Hänge in der
Nähe der Stâna. Zu seiner Familie wird aber auch er
erst im Herbst zurückkehren, wenn das Gras trocken ist
und die Schafe keine Milch mehr geben.
- Nasser grauer Nebel waberte
am nächsten Morgen über dem Kamm, mittags regnete es
und kurz vor unserem Ziel, dem Zârnei-Sattel, erschlugen
uns fast Hagelkörner. Die Notunterkunft im
Zârnei-Sattel hat die Form eines Iglus, mit Löchern in
den Wänden. Außen auf den Löchern klebten
Pin-up-Girls, innen sah es aus wie auf einer
Bahnhofstoilette.
- Hans-Jürgen mußte
absteigen, da sein Schlafsack aus allen Nähten tropfte.
Mit zwei Freunden wollte er für eine Woche nach
Nordrumänien fahren. In Brasov wollen wir uns wieder
treffen, um gemeinsam das Penteleu-Gebirge zu
durchstreifen.
- Königstein und Bucegi, die
letzten Massive der Südkarpaten warteten auf uns.
-
- Zum
Bucegi-Massiv
-
- In der Kneipe von Podu
Dâmbovitei, einem Dorf zwischen Königstein und Bucegi,
ertränkten wir unseren Trübsinn. Ein Gewitter hatte uns
vom Kamm des Königstein gefegt. Damit fehlte mir eines
der bedeutendsten Karpatenmassive auf der Tour.
- Die Männer am Tresen und an
den Tischen hatten andere Probleme, bei Tuika und Bier
diskutierten sie, ob Rumänien Mitglied der Nato werden
solle oder nicht. Mit jeder Runde wurde die Diskussion
temperamentvoller.
- Was meint ihr?
fragte uns ein Typ am Nachbartisch. Wir versuchten ihm zu
erklären, daß Rumänien im Moment sein Geld sinnvoller
verschleudern kann, als für Tornados und Leoparden. Die
Antwort gefiel dem Mann. Er bestellte noch zwei Bier, und
brachte sie zu uns rüber mit den Worten: Jesus
beschütze euch.
- Podu Dâmbovitei blüht, der
Grund - seine günstige Lage in den Karpaten weckte das
Interesse der Bukarester Mittelschicht, die hier ein
Wochenendhäuschen nach dem anderen baut. Trotzdem ist es
noch nicht vom Tourismus überlaufen wie z.B. Sinaia oder
Busteni jenseits des Bucegi-Massivs, zudem wir am
nächsten Morgen aufbrachen.
-
- In einem Bachbett, dem das
Wasser fehlte, staksten wir bergauf. Nach einer Stunde
dann doch Wasser, erst auf Stirn und Rücken, später bis
zu den Knöcheln. Der Bach war nicht sehr breit, ich
konnte ohne Probleme auf die andere Seite springen. An
den Rändern reihten sich morsche, glitschige Bohlen.
Über diese haben Holzfäller in der Vergangenheit
unzählige Baumstämme zu Tal rutschen lassen. Als wir
gegen Mittag aus dem Wald traten, hatte sich etwas
verändert - die gelbgrünen Berghänge hatten Farbe
bekommen. Gelbe, weiße, blaue und rosa Flecken
leuchteten in der Sonne. Sie nannten sich
Himmelschlüsselchen, Kuhschelle, Frühlingsenzian oder
Bergnelke. Doch all das war nichts, verglichen mit den
riesigen Matten blühender Alpenrosen. Ganze Hänge
bedeckten die roten Blüten dieser Azaleenart, und am
Horizont ragten die Steilwände des Bucegi in die Wolken.
- Es gab Tage, da lief es
einfach nicht, die Beine waren wie mit Blei gefüllt, der
Rücken schmerzte und alle paar Schritte möchte man
Pause machen und überlegte sich irgendeinen triftigen
Grund, nur damit der andere nicht merkte, daß man
schwächelt. Der Gründe gab es zum Glück einige: die
Wasserflasche rausholen und einen Schluck trinken, von
dem Enzian unbedingt ein Foto schießen, die langen Hosen
ausziehen, pinkeln gehen usw. Wenn einem die Karte auch
noch eine Seilbahn offeriert, die uns den Aufstieg
ersparen kann, ist das wie Geburtstag. Wie ein Schlag ins
Gesicht ist es dagegen, wenn besagte Seilbahn nicht
fährt, und das tat die Seilbahn aus dem Ialomita Tal
rauf zur Babele-Hütte schon seit Jahren nicht mehr, wie
mir schien. Die Seile hatten Rost angesetzt, die Tür der
Station war verrammelt, und aus dem Mauerwerk sproß
Unkraut. Solche Schläge steckte ich dann weg, wurde
bockig, streckte den Mittelfinger hoch und lief weiter.
Am späten Nachmittag saßen wir als Sieger in der
Babele-Hütte, der Preis ein halber Liter.
-
- Das überdimensionale
Hufeisen Bucegi tanzt gleich mehrmals aus der
Karpatenreihe. Der westliche Teil besteht aus Kalkstein,
der östliche aus Konglomeraten. Die Folge davon ist:
uneinige Wissenschaftler! Für die Geologen zählt es zu
den Ost-, für die Geographen zu den Südkarpaten. Der
östliche Schenkel bildet ein Hochplateau, aus dem im
Norden der Omu, mit 2505 m höchster Berg des Massivs,
herausragt. Die Cabana Omu auf dem Gipfel ist somit die
höchstgelegene Berghütte in den Karpaten. Die
östlichen Berge (z.B. Costila, Caraiman) des
Bucegi-Hauptkammes bilden die größten Steilabbrüche in
den Karpaten. 400 Meter mißt die Valea-Alba-Wand, die
höchste Wand der rumänischen Karpaten, an der Südseite
des 2498 m hohen Costila Gipfels.
- Und wer glaubt, die Sphinx
gibt es nur in Gise, irrt. In Rumänien gibt es sie
gleich zweimal: auf dem Bucegi-Plateau, etwa 200 m
nördlich der Babele-Hütte, das Original und die Kopie
auf der Rückseite einer 50 000 Lei Banknote, im
Volksmund Bojarengeld genannt, da es meistens in den
Geldbörsen Wohlhabender steckt. In Deutschland geht auch
nicht Otto-Normalverbraucher mit 1000 DM Scheinen zum
Wochenendeinkauf.
- Wind und Sandkörner
bearbeiteten den Konglomeratbrocken in tausenden Jahren
zu seiner heutigen Form, wie auch die Babele-Felsen neben
der gleichnamigen Berghütte. Alte Weiber bedeutet
Babele, und die vier Gestalten erinnern mit etwas
Phantasie in der Tat an eine Gruppe tratschender
Mütterchen.
- Das Heldenkreuz unterhalb des
Caraiman-Gipfels erinnert an etwas anderes. Als Helden
galten im Winter 1916 die Soldaten der königlichen Armee
Rumäniens, die bei der Verteidigung des Prahova-Tals ihr
Leben ließen.
- Ein Pfad der im Winter
gesperrt ist, windet sich über den Abbrüchen zum
Heldenkreuz. Am Wegrand erinnern kleinere Kreuze an
andere Helden. Sie wurden zum Gedenken an Mitglieder des
Salvamont errichtet, die bei Rettungsaktionen selbst
tödlich verunglückten.
- Rote Punkte schaukelten
zwischen den Felswänden und verschwanden in den Wolken
unter uns, die Seilbahn ins Prahova-Tal war in Betrieb.
Mit der nächsten Kabine schaukelten wir mit nach unten,
tauchten in die Wolken und wurden in Busteni ausgespuckt
- die Südkarpaten lagen hinter mir.
-
- Die Ostkarpaten - südlicher
Teil
-
- Masivul Ciucas
- Der Krähenstein
-
- Mit den Südkarpaten lag auch
die alpine Landschaft hinter uns, der Vârful Ciucas
versuchte sich zwar noch einmal mit aller Macht zu
strecken, brachte es letztlich doch nur auf 1954 Meter.
Erst in Nordrumänien, im Calimani - und Rodna-Gebirge
lagen die Berge noch mal jenseits der 2000-Meter-Marke.
- Hinter dem Wintersportort
Predeal tauchten wir in die bewaldeten Hänge des
Gârbova Gebirges. Ablaufendes Regenwasser hatte tiefe
Rinnen in den Weg gewaschen, Dreckklumpen klebten an den
Schuhen. Wir bewegten uns wie auf Schmierseife. Zweige
knackten, Ketten klirrten und laute Rufe ertönten. Aus
dem Wald trat ein Mann mit einem Gespann. Zwei Ochsen
zogen ein paar Baumstämme durch das Gestrüpp. Zwei
Meter liefen sie, blieben stehen, ein Hieb mit der Rute
folgte und wieder bewegte sich der Pulk zwei Meter
weiter. Greu - Schwierig! rief uns der Typ
zu.
- Nach der Revolution bekamen
ehemalige Waldbesitzer ihren Forst zurück. Um den Wald
vor dem Kahlschlag zu schützen, erließ die Regierung
ein Gesetz, wonach es einer Genehmigung bedurfte, wenn
jemand Holz verkaufen wollte. Doch wenn es galt Gesetze
zu umgehen, wußte man sich schon immer zu helfen. Die
frischgebackenen Waldbesitzer griffen zu Axt und Säge,
fällten die Bäume und zimmerten Särge daraus, diese zu
verkaufen war ja nicht verboten. Die Särge konnten von
den Empfängern wieder in Bretter zerlegt werden. Es gab
nur ein Problem: Die Bretter mußten eine Mindestlänge
besitzen. Die Folge war: Den Behörden wollte es partout
nicht in den Kopf gehen, wer seine letzte Ruhestätte in
einem Sarg einnehmen sollte, der zweieinhalbmeter lang
war.
- Das Knarren und Poltern des
Ochsengespanns hatte sich hinter uns verloren, vor uns
endete der Weg auf einer Bergwiese mit Kühen, Bänken
und Picknicktischen. In der Susai-Hütte bot sich uns die
letzte Möglichkeit für ein Bier und da sowieso Mittag
war holten wir auch Müsliriegel, Brot und Speck aus dem
Rucksack. Die Rindviecher fühlten sich vor der Hütte
wie zu Hause, vielleicht waren sie das auch. Eine Kuh
trabte an unseren Tisch und im Handumdrehen hatte sie
meinen Speck samt Papier verschlungen und langte bereits
nach dem letzten Stück Brot. Erst ein ordentlicher
Schlag auf den Schädel, brachte die Kuh davon ab, sich
auch noch an Bier und Müsliriegeln zu vergreifen.
-
- Mit den Südkarpaten hatten
wir noch etwas zurückgelassen: Wegmarkierungen auf die
wir uns verlassen konnten. Hier tauchten sie auf,
verschwanden wieder, um nach etlichen Metern erneut
aufzutauchen. Wer auch immer mit Pinsel und Farbeimer
durch die Karpaten rannte, um gelbe Bänder, blaue
Dreiecke oder rote Punkte an Bäume und Steine zu malen,
hier im südlichen Teil der Ostkarpaten hatte er entweder
keine Lust gehabt oder ihm ging laufend die Farbe aus.
Wir rutschten einen Hang hinunter auf einen staubigen
Waldweg und wußten nicht mehr wo wir waren. Im
Allgemeinen führen Wege irgendwo hin: in ein Dorf, auf
eine Straße oder wenigstens zu einer Hirtenhütte.
Dieser hier tat das nicht. Er endete mitten im Wald an
einer Pfütze neben der ein Stapel Baumstämme in der
Sonne döste. Eine matschige Rinne, auf der die Stämme
heruntergelassen wurden, verschwand im Dunkel des
Blätterdaches. Wir folgten dem Gemisch aus Schlamm,
verrotteter Blätter und Baumrinde. Periodisch
wiederkehrende Regenschauer ließen uns unter Bäume
flüchten und die Regenklamotten anziehen. Kaum hatte ich
die Kapuze über die Ohren gestülpt schien wieder die
Sonne - ich kam mir verarscht vor.
-
- Oben im Kamm holte ich meine
Karte raus, wir mußten zu einem Paß der Predelus hieß.
Er trennte das Gârbova- vom Grohotis-Gebirge. Grohotis
heißt Geröll, etwas was es in diesem Massiv nicht gab.
Bis zum Horizont zogen sich Grasbuckel, der Krähenstein
dahinter sah aus, wie eine Burg aus dem Märchenbuch.
- Männer mähten einen
Grashang, wie es aussah, wird es länger dauern. Auf
einem gemähten Stück Wiese stand ein Zelt, aus
Holzstangen und Plastikplanen errichtet, und über einem
Feuerchen brodelte das Mittagessen. Die Leute bleiben
hier draußen bis das Gras gehauen war, dann erst würde
es mit vollgeladenen Pferdekarren zurück ins Dorf gehen.
Noch drei Stunden bis Cabana Muntele Rosu,
rief mir ein Typ mit rostrotem Vollbart zu, als ich mich
nach dem Weg zum Krähenstein erkundigte. Nach drei
Stunden hockten wir auf einer Lichtung neben einem
Forststraße mitten im Wald. Von einer Hütte weit und
breit keine Spur, dafür holperte ein gelber Lieferwagen
durch die Schlaglöcher und hielt ein paar Schritte neben
meinem Kochtopf. Zwei Typen stiegen aus, der ältere
ähnelte einem Hirten, der jüngere nuckelte an einer
Weinflasche und nannte sich Stephan. Das pinkschwarze
T-Shirt, sein Silberkettchen und die Ohrringe gaben ihm
etwas Schwuchtelhaftes. Ich mochte ihn nicht. Nicht weil
er schwul war, er war besoffen und lästig wie eine
Scheißhausfliege.
- Ihr wollt wirklich
über die Berge? fragte Stephan und hielt mir die
Weinflasche unter die Nase.
- Das ist gefährlich,
gibt jedes Jahr Tote. Ihr könntet die Felsen
runterfallen.
- Ich versuchte ihm zu
erklären, daß wir nicht zum ersten Mal auf Tour waren -
ohne Erfolg.
-
- Also in 'ner Woche
fahre ich ans Schwarze Meer, ihr könnt mitkommen.
Er schien von seiner Idee begeistert zu sein. Eine volle
Stunde versuchte uns Stephan davon zu überzeugen, daß
es mit ihm am Schwarzen Meer doch viel schöner war, als
in den Karpaten. Plötzlich klapperte es auf der anderen
Straßenseite. Hirten kamen aus dem Wald geritten. Sie
brachten frischen Schafskäse, den Stephan nach Brasov
bringen mußte. Der Käse wurde verladen, einer der
Hirten stieg mit in den LKW, der Motor heulte auf und das
Auto mit Stephan verschwand in der einsetzenden
Dämmerung. Der Alte, er war tatsächlich Hirte, ritt mit
dem Rest zurück in die Berge. Wir hatten endlich Ruhe.
-
- Am nächsten Morgen folgten
wir der Forststraße nach Osten, sie mündete auf die
Nationalstraße 1A in der Nähe eines Restaurants mit dem
Namen Babarunca. Wir waren früh dran, drinnen langweilte
sich das Personal, draußen, am Straßenrand, eine Nutte.
- Der Weg zum Ciucas begann auf
der anderen Straßenseite und war mit roten Dreiecken
markiert, die irgendwann von blauen Dreiecken abgelöst
wurden. Laut meiner Karte hätten es rote Kreuze sein
müssen. Solch kleine Unstimmigkeiten gewöhnt, setzten
wir unseren Weg unbeirrt fort und standen gegen Mittag im
Tigailor-Sattel unter bizarren Konglomeratblöcken, die
denen im Bucegi ähnelten. Über dem Ciucas-Gipfel
versammelten sich bleigraue Wolken, die sich auch bald
ihrer Last entledigten. Klitschnaß bis auf die Knochen
zwängten wir uns durch die Tür der Cabana Ciucas. Die
Hütte glich einem Bauernhof, hinter dem Gebäude
wühlten Schweine im Boden, am Treppengeländer wetzte
sich die Hauskatze ihre Krallen und der Hofhund balgte
sich mit den Hirtenhunden der benachbarten Sennstation.
Der Wirt schleppte eben einen Eimer voll frisch
gemolkener Milch aus dem Stall in die Küche. Die Wirtin
machte uns Gemüsesuppe, anschließend gab es Mamaliga
mit Schafskäse und zum Nachtisch Bier, das zu der Gegend
paßte, es hieß Ciucas. Regengüsse, die die
Fensterscheiben herunterliefen, verzerrten die Sicht nach
draußen. Schäfer trieben ihre Herde in einen Pferch zum
Melken. Nach über zwei Monaten in den Karpaten, wurde
ich meinem Zelt zum ersten Mal untreu, wir schliefen in
der Hütte.
-
- Ein klarer, kalter Julimorgen
begrüßte mich auf dem Weg zum Klo. Im Gegenlicht der
aufsteigenden Sonne sah die Landschaft unter mir aus wie
ein Meer, die waldbedeckten Gebirgszüge bildeten blaue
Wellen, mit zunehmender Entfernung heller werdend. Der
milchige Spritzer am Horizont hieß Penteleu, dort
wollten wir hin. Doch erstmal stiegen wir ab, um in
Brasov Hans-Jürgen abzuholen.
-
- Brasov
-
- Brasov oder auf deutsch
Kronstadt liegt den Karpaten zu Füßen. Direkt hinter
der Altstadt erheben sich die Hänge des Tâmpa-Berges
und von dort sind es etwa 3 - 4 Tage bis ins
Bucegi-Massiv. Ich mochte die Stadt, auch aus einem
anderen Grund; jedesmal wenn ich auf dem Hauptbahnhof aus
dem Zugabteil stolperte, umringten mich zwei Sorten von
Menschen - Taxifahrer und Zimmervermieter. Erstere wies
ich meist höflich ab, mit den Zimmervermietern wurde ich
jedoch rasch handelseinig.
- Diesmal aber schien uns das
Pech im Nacken zu sitzen. Weder auf dem Bahnhof stellte
man uns die obligatorische Frage: Unde
dormiti? - Wo schlafen Sie?, noch auf
dem Piata Sfatului im Zentrum hatte jemand Lust uns ein
Quartier für eine Nacht zu vermieten. Nach zweimaligem,
erfolglosem Prominieren auf Brasov's Einkaufsboulevard
der Strada Republicii gaben wir auf. Vielleicht sahen wir
nach mehreren Karpatenwochen nicht mehr wie ausländische
Touristen aus?
- Wir erinnerten uns einer
Billigherberge, die uns Hans-Jürgen empfohlen hatte -
Hanul Codreanu - etwa 15 Minuten zu Fuß vom Hauptbahnhof
gelegen.
- Die Fassade des Gebäudes war
bunt wie der Rock einer Zigeunerin. Der Junge an der
Rezeption sah ziemlich schwer aus, das Mädchen, das uns
die Zimmertür aufschloß umso leichter.
-
- Wir bezogen einen Raum in der
obersten Etage. Auf den ersten Blick sah es recht nobel
aus. Die Wände waren mit Holz verkleidet, das Bad
gefließt und die Betten tip top gerichtet. Doch ich fand
etwas zum Mäkeln. Die Tür ließ sich nicht
verschließen, das Waschbecken im Vorraum war eine
Atrappe, ihm fehlte der Abfluß. Dafür lief das Wasser
der Klospülung ständig, nur nicht dann, wenn ich an der
Strippe zog, und an den Holzwänden stand, wer sich wann
mit wem geliebt hatte.
- Immerhin konnten auch wir
glücklich und zufrieden sein, doch noch eine Bleibe für
die Nacht gefunden zu haben. Was ich jedoch, im Gegensatz
zu Micha, nicht konnte war schlafen. Schreie weckten
mich, sie kamen aus dem Nachbarzimmer. Je nach
Gefühlszustand der Dame kurz und spitz oder tief und
kraftvoll. Unterbrochen wurden sie nur durch
Regieanweisungen an ihren Partner. Wortfetzen drangen an
mein Ohr: acum - jetzt, asa - so
oder ma doare - es tut mir weh (Trottel). So
hatten meine Nachbarn jede Menge Spaß, ich keinen
Schlaf, dafür eine Sonderlektion rumänisch. Als die
beiden endlich befriedigt waren und wieder Ruhe eintrat,
fielen auch mir die Augen zu, um sie wenig später wieder
aufzuschlagen. Diesmal waren es andere Geräusche. Es
regnete, das registrierte ich, da das Fenster einen Spalt
offen stand, doch das war es nicht. Tok, tok, tok machte
es neben mir. Ich tastete mit den Händen in die Richtung
aus der das Geräusch kam. Pitsch , ich fühlte etwas
Nasses auf meiner Hand, und wieder pitsch. Von der Decke
fiel ein Tropfen nach dem anderen neben mein Bett, es
hatte sich bereits eine kleine Pfütze gebildet. Ich
weckte Micha, zu schlafen hatte sowieso keinen Sinn mehr.
Wir stellten unsere Trinkflaschen unter die Stelle,
schlüpften in unsere Klamotten, holten die Pässe an der
Rezeption und wankten zum Bahnhof, um auf Hans-Jürgen zu
warten. Dieser hockte bereits mit seinen Freunden Uwe und
Ulrich in der Vorhalle.
-
- Das
Penteleu-Massiv
-
- Vier Männer, fünf Frauen
und ein Schwein, das in einem Kartoffelsack steckte,
setzten uns in Siriu, einem Dorf im Südwesten des
Buzau-Gebirges, ab.
- Vârful Penteleu ist mit 1772
Metern der höchste Hügel im Buzau-Gebirge, welches drei
Massive bildet: das Siriu-Gebirge im Westen,
anschließend das Podul Calului-Massiv und im Osten das
Penteleu-Gebirge, zu dem eine staubige, langweilige
Forststraße führte. Das ganze Massiv schien nur aus
Wald und Forststraßen zu bestehen. Es ist Rumäniens
Holzlieferant Nummer eins. Demzufolge herrschte auf den
Schotterstraßen ein reges Treiben. Holzlaster donnerten
über die Piste, wippende Baumstämme im Gepäck. Tanne
und Rotbuche werden am häufigsten geschlagen. Die
meisten Stämme bleiben jedoch im Land. Niedrige
Holzpreise auf dem Europäischen Markt und hohe Kosten
beim Holzschlag, machen der Forstwirtschaft Rumäniens
das Leben schwer. 80 Mark bekommt Rumäniens Holzmonopol
Romsilva für einen Kubikmeter Holz innerhalb des Landes.
Wird die gleiche Menge exportiert, sind die Einnahmen
gerade mal halb so hoch. Sogenannte Erntemaschinen zum
Fällen der Bäume, wie im Flachland üblich, können in
den Bergen nicht eingesetzt werden, hier diktiert die
Handsäge das Arbeitstempo. Ebenso mühsam ist der
Transport der Stämme. Traktorenreifen wühlen sich neben
Pferdehufen in den Waldboden. Eine neue Forststraße
anzulegen kostet genausoviel wie der spätere Erlöß aus
dem Holzverkauf in diesem Gebiet.
-
- Der nächste LKW, der um die
Ecke preschte, hatte nichts geladen. Hans-Jürgen
streckte den Daumen hoch, Bremsen quietschten und aus dem
Fahrerhaus schaute ein sonnenblumenkernekauendes
Mondgesicht, das nach Covasna wollte, einer Stadt
nordwestlich des Gebirges. Wir bekamen ebenfalls
Sonnenblumenkerne, sprangen auf die Ladefläche und
übten uns im Kerne knabbern. Die Dinger hatten hier die
gleiche Bedetung wie bei uns Marsriegel, man hatte
irgendwas im Mund ohne etwas in den Bauch zu bekommen. In
den Dörfern und Städten verkauften Frauen und Kinder
die Kerne an jeder Ecke säckeweise. Die Rumänen
knackten mit den Zähnen die Schale, popelten irgendwie
den Kern heraus und spuckten zuletzt die Schale aus. Eine
Kunst, die ich nie begreifen werde. Entweder zermalmten
meine Zähne alles, oder ich verknotete fast meine Zunge,
beim Versuch den Kern zu erwischen. Der Fahrer kam aus
Ploiesti und kannte sich in den Bergen genausowenig aus
wie wir. Obwohl er sich anhand meiner Karte orientierte,
verfuhren wir uns nur zweimal (wir verliefen uns später
ständig) und wurden im Bisca Mare-Tal neben einer
Brücke abgesetzt. Wir liefen im Tal nach Süden, gefolgt
von unseren Schatten, die inzwischen auf ihr Minimum
geschrumpft waren. An einem Forsthaus, das Tisa hieß,
hätte laut Karte ein Pfad nach Osten führen müssen,
tat es aber nicht. Wir hockten uns unter ein paar Tannen,
knabberten einen Riegel und nahmen den nächsten Weg, der
sich rechts in den Wald schlug. Aus dem Weg wurde
irgendwann ein Pfad, aus dem Pfad wurde irgendwann
überhaupt nichts. Halbwüchsige Fichten fuchtelten uns
im Gesicht herum, Nadeln stachen ins Genick,
Brombeerranken umklammerten die Beine, wir mußten
zurück und krochen den Hang hinauf. Rote Punkte
leuchteten zwischen den Wanderschuhen. Die Erdbeeren
machten zwar nicht satt, ich brachte es aber trotzdem
nicht übers Herz, einfach dran vorbeizulaufen. Der
Penteleu war weit und breit der höchste Punkt im
Gelände, solange es bergauf ging war alles in Ordnung.
Nach einer Stunde lichtete sich der Wald und zwischen den
Bäumen blinkte ein Haus in der Abendsonne, die
Wetterstation unterhalb des Penteleu-Gipfels.
-
- Auf dem Gipfel entdeckte ich
am nächsten Morgen etwas, das ich schon seit Tagen
vermißte: auf einem Stein leuchtete ein rotes Band. Ein
Pfad, kaum breiter als meine Schuhsohle, verschwand in
nordöstlicher Richtung unter Heidelbeerbüschen. Mit ihm
verschwand auch die Wegmarkierung. Wie in
Sibirien, stellte Hans-Jürgen fest. Dort
waren die Wege auch zugewachsen, nur an die Bäume
genagelte Drähte dienten als Wegweiser. Hier hatte
es nicht mal Drähte, nur mannshohes, triefendes
Tannendickicht, das einen naß machte wie bei einer Woche
Dauerregen. Es hatte keinen Sinn, weiter zu laufen, wir
stolperten nach unten auf ein Stück Wiese. Ärgerlich
schaute ich auf meine Karte: der Berg, der uns zum
Rückzug zwang, hieß Porcul - das Schwein. Hans Jürgen
suchte nach einem Weg und fand tatsächlich einen. Fuß-
und Schaf-spuren zeichneten sich deutlich am Boden ab.
Wir passierten eine Hirtenstation, die es nach meiner
Karte nicht geben durfte, kurz danach teilte sich der
Pfad. Wir wählten links und fühlten uns bald darauf
verarscht. Eine Weile latschten wir noch parallel zum
Kamm, dann machte der Pfad einen Schwenk und entließ uns
auf eine Forststraße. Keiner hatte mehr Lust, ein
drittes Mal umzukehren, und so bauten wir neben einem
Bach, der sich Bâsculita nannte, die Zelte auf. Über
mehrere kleine Staustufen sprudelte uns das Wasser
entgegen, ein Zeichen, daß hier Forellen lebten. Es war
eine einfache Methode das Wasser mit Sauerstoff
anzureichern, ich begegnete ihr oft in den Karpaten.
-
- Es regnete, als ich am Morgen
aus dem Zelt kroch, um zu pinkeln.
- Fünf Paar Wanderschuhe
quatschten etwas später durch einen schmierigen, braunen
Kleister, krochen unter mannsdicken Baumstämmen durch,
verloren ab und zu den Halt - was der Träger jedesmal
mit Scheiße quittierte - und standen endlich
klitschnaß und besudelt vor einer Hirtenstation.
Tamasoiul, sagte ein Opa, als ich mich nach
dem Namen der Stâna erkundigte. Die gab es sogar auf
meiner Karte, endlich wieder ein Punkt, an den wir uns
klammern konnten. Der nächste Punkt war ein Forsthaus,
Gheorghita hieß es. Ich fragte nach dem Weg dorthin, der
Mann verstand mich nicht. Ich mußte einen markanteren
Punkt finden. Die Holzfällersiedlung Comandau kannte er
und zeigte in eine Richtung. Wir folgten dem Fingerzeig
und standen nach drei Stunden wieder bei dem Opa. Ich war
kurz davor durchzudrehen. Wenn wir noch einmal im
Kreis laufen, gehe ich zurück nach Siriu und streiche
das Penteleu-Gebirge aus meinem Bewustsein, schwor
ich mir.
- Wir verliefen uns nicht mehr.
Dafür versenkte ich im Obârsia-Bach meinen Rucksack.
Zum Glück war nichts passiert, die Benzinflasche hatte
ab jetzt eine Beule und das Klopapier war genauso naß
wie meine Socken.
-
- Eine Schotterstraße führte
nach Comandau, auf ihr herrschte ebensoviel Verkehr wie
bei unserem Einstieg in Siriu. Staub knirschte noch
zwischen den Zähnen, als wir in der Nähe des Dorfladens
abgesetzt wurden - unser Blindfug hatte ein Ende. Der Ort
erhielt seinen Namen aufgrund einer österreichischen
Grenzkommandostelle. Eine Grenze bestand in dieser Region
bereits seit dem Mittelalter, als der ungarische König
die Szekler hier ansiedelte, damit sie das Königreich
vor Eindringlingen aus dem Osten schützten. Die
Nachfahren jener Szekler leben heute als eine von vielen
Minderheiten in Rumänien. Auch in Comandau sprechen die
Leute ungarisch. Sie leben von der Landwirtschaft und der
Holzindustrie, mehrere Sägemühlen zerkleinern die
angelieferten Stämme. Aufgrund des starken Verkehrs -
alle fünf Minuten donnerte ein Holztransporter durch den
Ort - steckte der Hauptweg unter einer knöcheltiefen
Schlammschicht. Die Waldeisenbahnen, die in der
Vergangenheit den Holztransport übernahmen, sind heute
bis auf wenige Ausnahmen stillgelegt. Von den Bahndämmen
hat der Wald inzwischen wieder Besitz ergriffen.
- Covasna lag 12 km nördlich
und etwa 450 m unterhalb von Comandau. Wir erreichten den
Luftkurort im Tal der Feen - Valea Zânelor,
durchgeschüttelt wie Mixgetränke und gepudert wie
Weihnachtsstollen auf der Ladefläche eines LKWs. Die
Berge über dem Tal erinnerten mich an die Westküste
Kanadas. Dort nannten die Holzfäller das rigorose
Abholzen ganzer Berghänge clear cutting.
- Hans-Jürgen, Uwe und Ulrich
wollten die letzte Waldeisenbahn Transsilvaniens suchen,
Michael und ich wollten weiter. Die nächsten vier Tage
würden wir im Ciomatu- und Bodoc-Gebirge den
vulkanischen Charakter der Karpaten kennenlernen.
-
- Das Ciomatu-
und Bodoc-Gebirge
-
- Wir nahmen den Bus zum
Bahnhof, Tickets verkaufte die Schaffnerin. Es war
witzig, hier gab es selbst in Bussen Leute, die die
Fahrkarten kontrollierten. Noch witziger aber war, daß
unsere Tickets, die ich beim Einsteigen gekauft hatte,
nachher, bei der Kontrolle ungültig waren. Erst eine
Diskussion und der Nummernvergleich überzeugte die Dame,
daß die Fahrscheine gültig waren: wir durften
weiterfahren.
-
- Nördlich von Sfântu
Gheorghe erheben sich die Hügel, die sich später Muntii
Bodoc nennen. Sie mußten noch eine Weile warten, unser
erstes Ziel hieß Lacul Sfânta Ana. Der St. Annen-See
liegt im südöstlichsten Zipfel des Harghita-Gebirges,
das hier Ciomatu-Gebirge heißt, und ist der einzige
Kratersee der Karpaten. Wir waren nicht die einzigen
Rucksacktouristen, die in Bixad, einem Dorf am Fuße des
Ciomatu-Gebirges, aus dem Zug sprangen und sich in
Richtung Berge vorarbeiteten. Mehr als ein Dutzend
Jugendlicher hatte den gleichen Weg. Das war
ungewöhnlich. Zum einen, weil uns in letzter Zeit
entweder Waldarbeiter oder Hirten begegneten, nur keine
Wanderer, zum anderen sahen die Typen nicht wie Wanderer
aus. Ich konnte mir zumindest nicht vorstellen, wozu
Ghettobluster in den Bergen nützlich sein sollten.
Dagegen war ich von den Wegweisern beeindruckt: hatte es
im Penteleu überhaupt keine, waren sie hier gleich
dreisprachig. Auf rumänisch, ungarisch und deutsch sagte
uns ein Schild mit blauem Kreuz, daß es noch 700 Meter
bis zum See waren. Der See hat weder Zu- noch Abfluß
sein Waser ist gespeichertes Regenwasser, in dem jetzt
gebadet wurde. Michael trieb es auch ins Wasser. Ich
hatte keine Badehose, brauchte auch keine, da ich immer
nackt baden ging. Doch hier konnte ich das nicht, erstens
badeten alle in Textil und zweitens war der See der
heiligen Anna geweiht. Ich konnte keine Schwierigkeiten
gebrauchen, hockte mich ans Ufer und kaute Datteln. Aus
einem roten Pickup wurden gerade Bierkisten für den
Strandkiosk entladen, der einem Bushäuschen ähnelte.
-
- Auf dem Weg nach Baile
Tusnad, wo wir Geld wechseln und Essen kaufen mußten,
sprudelten kohlensäurehaltige Mineralquellen aus dem
Fels, das Wasser schmeckte wie Clausthaler. Trotz des
Kratersees und der Brausequellen wollte bei mir irgendwie
kein richtiges Vulkangefühl aufkommen. Unter
vulkanischem Charakter stellte ich mir etwas vor wie
Schwefeldämpfe, Geysire, Lava, kurzum heiß mußte es
sein. Hier dagegen war es naß, der Aufstieg von Baile
Tusnad am nächsten Tag war mit Abstand der feuchteste
der ganzen Tour. Bis zu den Knöcheln im Dreck, staksten
wir ein schmutzig braunes Etwas hinauf, das gestern noch
ein Weg war. Lehmgelbe Bäche stürzten uns entgegen, das
T-Shirt klebte am Körper und kleine, boßhafte Rinnsale
bahnten sich einen Weg über Bauch und Rücken in die
Hose, um an den Beinen hinab in die Schuhe zu laufen. Das
alles hatten wir nur unserer Faulheit zu verdanken. Als
die ersten Tropfen fielen, beachteten wir sie nicht, bis
es zu spät war. War man dann mal naß bis auf die Haut,
machte es auch keinen Sinn mehr, die Regenklamotten
anzuziehen. Nach knapp drei Stunden traten wir aus dem
Wald auf eine Wiese, größer als ein Fußballfeld. Zelt
an Zelt quetschte sich bis zum anderen Ende, das eine
Straße begrenzte. Wir bahnten uns einen Weg über leere
Bierflaschen. Zwischen Plastikbechern und aufgeweichten
Papptellern standen Würstchenbuden und
Krimskramsverkäufer. Aus den Zelten dröhnte Musik,
Polizisten regelten den Verkehr auf der Straße. Am
Waldrand hockten ein paar Gestalten unter Plastiktüten
und kifften. Hierhin wollten also die Typen aus dem Zug.
Wir hatten keine Ahnung was hier abging.
-
- Die Straße der wir folgten,
führte nach Turia, so stand es zumindest auf den
Kilometersteinen. Vor dem Hotel Carpati in Turia
sprudelten wieder Brausequellen aus dem Berg. Wir konnten
wählen zwischen Kohlendioxid und Eisen, oder ohne Eisen,
dafür mit Bor und Aluminium. Wir wählten Eisen. Die
Berge hinter dem Hotel gehörten schon zum Bodoc-Gebirge.
Wir krochen einen Hang hinauf, irgend etwas roch faul.
Der Gestank entwich einer Grotte, es war
Schwefelwasserstoff. Die Wände der Grotte waren gelb vom
abgelagerten Schwefel. Nach einigen Metern versperrte ein
Gitter den Weg ins Innere. Das Gitter war unnötig,
stellte ich fest. Aus dem Loch strömten Dämpfe, die
einem die Kopfhaut wegätzten, würde man weiter gehen.
Auf einer Tafel am Fels stand, daß hier Schwefel
abgebaut wurde. Auch der Name der Höhle ließ daran
keinen Zweifel, Pestera Puciosul hieß die
Schwefelhöhle, oder auf ungarisch: Büdösbarlang
- Stinkhöle. Ich glaubte nun doch an den vulkanischen
Ursprung des Gebietes.
- Noch etwas faszinierte mich
am Bodoc: links und rechts des Pfades leuchteten
Pfifferlinge, Birken- und Steinpilze, sowie Rotkappen
zwischen braunen Blättern, Tannennadeln und
Grasbüscheln hervor. Wir brauchten uns nur zu bücken,
um die Pilze einzusammeln. Nach einer Stunde hatten wir
genug und brauchten drei Abende lang keine Nudeln mehr zu
kochen.
- Gegen Mittag des nächsten
Tages erreichten wir den Casinul-Nou-Paß, hier endete
das Bodoc-Gebirge und das Ciuc-Gebirge begann. Der Paß
war nichts Besonderes, eine Schotterstraße zwischen zwei
bewaldeten Hängen mit einem Monument, das an die
Gefallenen ungarischen Revolutionäre von 1849 erinnerte.
Sie kämpften in diesem Gebiet gegen die zaristische
Armee Russlands. Mich erinnerte der Paß an etwas
anderes, die Hälfte der Tour lag nun hinter mir.
-
- Das
Ciuc-Gebirge
-
- Die nächsten Kilometer ging
es über Wiesen. Etwas Orangenes am Horizont, das wie ein
Zelt aussah, erregte unsere Aufmerksamkeit. Beim
Näherkommen entpuppte sich das Zelt als Auto unter einer
Plane, aus dessen Radio Volksmusik dudelte . Es gehörte
zu vier Männern, die hier oben Heu machten. Im Moment
machten sie erst mal Mittag. In einem rußgeschwärzten
Kessel brodelte das Essen. Auf dem selbstgezimmerten
Tisch standen Teller, neben den Tellern Schnapsgläser.
Es gab Lammfleisch mit Kartoffeln und Pilzen, zum Dessert
Tuika. Ich fragte nach dem Weg. Unser Tagesziel hieß
Uz-Paß, dort querte laut Karte wieder eine Forststraße
das Gebirge. Mit dem Paß konnte keiner der Vier etwas
anfangen. Ich holte meine Karte raus und zeigte auf die
Stelle. Köpfe beugten sich über das Blatt. Die Karte
wanderte von einem zum anderen und eine heiße Diskussion
entbrannte. Da die vier ungarisch redeten, verstanden wir
kein Wort. Ein Typ mit Strohut auf dem Kopf, der etwas
deutsch sprach - War schon in Deutschland. Mit
einem Tiertransport bis München und Hamburg. -
studierte noch mal die Karte. 20 Kilometer,
stellte er überzeugt fest. Das konnte nicht sein!
Besser ihr geht zurück bis zur Straße und fahrt
per Anhalter, sind bloß 2 km mehr. Ich erklärte
ihm, daß wir durch das Ciuc wandern wollten - große
Augen, Unverständnis. Drei Wochen braucht ihr
schon, war schließlich die Antwort. Wir hatten
drei, höchstens vier Tage geplant. Daß ich durch die
ganzen Karpaten laufen wollte, erzählte ich nicht mehr.
Auf die Frage, wie ich es mir leisten konnte, drei Jahre
nicht zu arbeiten, hätte ich keine Antwort gewußt. Es
folgte wieder eine kurze Konversation. Ein etwas
korpulenter Herr verschwand hinterm Auto und kam zurück,
zwei sagenhafte Knüppel in den Händen. Wegen der
Hunde, meinte der LKW-Fahrer Da hinter - er
zeigte auf den nächsten Hügel - ist 'ne Hirtenstation -
große Hunde. Ich war baff. Sie meinten es gut,
aber was sollten wir mit diesen Steineichen anfangen? Wir
wollten die Hunde doch nicht pfählen. Außerdem hatten
wir unsere Teleskopstöcke und bis jetzt noch nie
ernstere Probleme gehabt.
-
- Wenn wir schon ohne Knüppel
weiter wollten, ohne etwas gegessen zu haben ließen sie
uns nicht weg. Wir hockten uns mit an den Tisch. Fett
tropfte vom Kinn, Tuika rann die Kehle runter. Im Radio
kamen Nachrichten, irgendwas von einem Bürgermeister aus
Cluj. Die vier fingen plötzlich an zu schimpfen und
fluchten. Rumänen - Katastrophe, sagte der
Typ mit dem Strohhut. Hier Magyaren - keine
Probleme. Aber im Norden wieder Rumänen, wieder
Katastrophe. Bis jetzt hatten wir die angebliche
Katastrophe recht gut überlebt.
- Wir überlebten auch die
Hunde, sie parierten auf's Wort. Wenn nicht, hätten uns
die Knüppel auch nicht viel geholfen, es waren etwa 20
Stück. Was mir viel mehr Kopfzerbrechen bereitete: der
Hirte kannte auch keinen Uz-Paß. Vermutlich kannten die
Leute nur den ungarischen Namen, den aber kannten wir
damals nicht. Meine Karte war in rumänisch geschrieben.
Zu Hause erfuhr ich den anderen Namen: Rugat-Paß.
- Wir erreichten ihn am anderen
Morgen um halb zehn. Auf den Wiesen herrschte jetzt
emsiges Treiben. Jeder hatte etwas zu tun, die Frauen
luden Heuballen auf Pferdekarren, die Männer machten
Pause.
- Ab jetzt orientierten wir uns
nur noch nach Kompaßnadel und Forstwegen. Führte ein
Weg nicht nach Norden, wurde halt querfeldeingelaufen.
Das klappte ganz gut, bis wir am Nachmittag wieder mal im
Unterholz festsaßen. Ein Slalomlauf zwischen Kuhfladen
brachte uns zu einem Dorf, das ringsherum eingezäunt
war. Eine Stunde dauerte es, bis wir eine Lücke fanden,
um auf den Hauptweg zu gelangen.
- Eghersec,
antwortete ein Waldarbeiter der am Wegrand auf einem
Holzhaufen saß, als ich ihn fragte, wo wir sind.
-
- In den Tälern des
Ciuc-Gebirge siedelten szekler Bauern bereits ab dem 11.
Jahrhundert. Die Dörfer ziehen sich oft etliche
Kilometer am Ufer der Bäche entlang bis in die höheren
Bergregionen. Für uns hatte das den Vorteil, daß wir
nicht soviel Lebensmittel zu schleppen brauchten. Etwas
Brot und Käse, ein paar Tomaten und Paprika würden wir
schon bekommen. Womit wir jedoch nicht gerechnet hatten
war das meist miserable Angebot der Dorfläden, Magazin
Mixt genannt. Dem Anspruch als Gemischtwarenladen wurden
sie schon gerecht. In den Regalen des Dorfladens von
Cosnea, dem nächsten Dorf, langweilten sich Gläser mit
Kirschkompott neben Flaschen mit Alkohol (87%) und
getragenen Damenschuhen. Wir hatten nur noch drei
Müsliriegel und brauchten dringend was zu beißen.
- Im Dorf war nichts los, die
meisten waren draußen auf den Bergwiesen zum Grasmähen.
Hinter einem Zaun standen ein paar Frauen und Männer
rum, die ihren Selbstgebrannten vom vergangenen Jahr
probierten. Ich fragte, ob es hier irgendwo Brot zu
kaufen gäbe. Bei Victoria, lautete die
Antwort. Geht 100 Meter zurück, dann rechts.
Victoria war Ende 50 und hatte nicht nur selbstgebackenes
Brot, sondern ein richtiges kleines Geschäft im Flur
ihres Hauses. Sie verkaufte Tomaten, Zigaretten,
Erdbeermarmelade, Schokolade, Bier, das ebenfalls Ciuc
hieß, und vieles mehr. Über den Hof sausten
Zwerghühner, Puten und Gänse und ihre Kunden. Kinder
kauften Schokolade, Frauen traten aus der Tür, Brote
unter den Armen und der Dorfpope brauchte ein paar
Stahlnägel.
- Hinter dem nächsten Paß lag
die Gemeinde Lunca de Sus, am Trotus-Bach. Dem Tal folgt
eine der zwei Bahnlinien durch die Ostkarpaten. Sie
verbindet Transsilvanien mit der Moldau und trennte
Michael und mich. Micha mußte zurück nach Deutschland,
etwas fürs Studium tun, wie er sagte. Ich mußte erst
mal Rumänien verlassen. Mir fiel mein Visum für die
Ukraine ein, es galt vom 1. August bis zum 15. September,
heute war bereits der 13. August - die Waldkarpaten der
Ukraine warteten.
-
- Die Maramures
-
- Auf Platz 75 im Wagen Nr. 7
saß schon jemand, d.h. das ganze Abteil war voll, wie
seine Insassen, Gendarmen des ersten Diensthalbjahres am
Ende ihres Urlaubs. Ich kramte meine Platzkarte aus der
Hosentasche, in der Hoffnung, damit Eindruck zu schinden.
Wenn die nicht wollten, würde mir nichts weiter
übrigbleiben, als es mir auf dem Gang bequem zu machen.
Doch es klappte, man rückte zusammen und ich quetschte
mich dazwischen. Mein Nachbar reichte mir 'ne Flasche
Kirschlikör und der Zug setzte sich in Bewegung.
- In einem Ort, der Salva
hieß, stolperte ich aus dem Zug, es war mitten in der
Nacht. Ich setzte mich auf den Bahnsteig und wartete
zähneklappernd auf den Anschlußzug, der mich nach
Sighetu Marmatiei, der Hauptstadt der Maramures, bringen
sollte. Von dort sollte ein Zug nach Rachow in die
Ukraine fahren. Der Zug fuhr, allerdings gestern
vormittag, heute war Samstag. Der nächste würde in vier
Tagen fahren, erfuhr ich von der Dame hinter dem
Fahrkartenschalter. Wenn sie in die Ukraine wollen,
müssen sie nach Halmeu oder Siret, wir haben keinen
internationalen Grenzübergang, säuselte sie
lächelnd. Das hatte mir gerade noch gefehlt, Halmeu oder
Siret, beides war ein Umweg, der mich ein paar Tage
kosten würde. Ich entschied mich schließlich für
Halmeu, so konnte ich den Lustigen Friedhof
in Sapânta besuchen, er lag an der Strecke.
-
- Fuhrwerke polterten über die
Dorfstraße, je nach Wohlstand des Bauern wurden sie von
einem oder zwei PS gezogen. Den Pferden mit ihren roten
Bommeln am Kopf begegnete eine Herde Kühe, die eine Oma
über den Asphalt trieb. Am Straßenrand watschelten
Gänse durch Regenpfützen. Ich lief durch ein richtiges
Dorf, so wie ich es aus Kinderbüchern kannte. Die
Häuser, oft aus Holz, waren mit Lehm verputzt und
anschließend blau, gelb oder pink gestrichen worden. Sie
erinnerten mich an die Bergblumen im Bucegi. Über einem
Zaun hing Schafwolle zum Trocknen und vor den meisten
Gehöften saßen Frauen mit Spinnrad, Rocken und
Webstuhl, die aus der Wolle Jacken, Westen, aber vor
allem Decken fertigten. Doch das Originellste in Sapânta
ist sein Lustiger Friedhof. Ion Patras, ein
Holzschnitzer aus dem Dorf, schuf zu seinen Lebzeiten die
Grabkreuze, auf denen die kleinen Sünden und Laster der
Verstorbenen zu sehen sind. Spieler, Trunkenbolde und
Diebe liegen hier friedlich nebeneinander. Hirten waren
in der Regel gute Menschen, wie mir schien. Ich sah kein
Bild, das einen Hirten einer Missetat bezichtigte. Der
Alkohol dagegen mußte auf viele anziehend gewirkt haben.
Leider verstand ich die Texte unter den Bildern nicht.
-
- Ein Lieferwagen setzte mich
am nächsten Tag in Satu Mare ab, ich gab ihm 5000 Lei
und trödelte zum Bahnhof. Es gab gleich mehrere Züge in
die Ukraine, der nächste fuhr 15.30 Uhr. Ich schaute auf
die Uhr, es war fünf Minuten vor halb vier. Mit einem
Satz stürzte ich zum nächsten Schalter. Ich kann
ihnen kein Ticket verkaufen, sagte die Dame.
Das geht nur im Zug beim Schaffner. Der Zug
fuhr eben ein, ich schnappte meinen Krempel und spurtete
auf den Bahnsteig. Zum Glück hantierte ein Schaffner
gerade an einer Abteiltür rum. Ich fragte ihn nach dem
Preis für ein Ticket, Achselzucken war die Antwort. Er
verschwand im Waggon, ich sollte ihm folgen. Er wühlte
sich durch den Zug, um mich schließlich dem
Schlafwagenschaffner zu übergeben, der etwas englisch
sprach. Ich sollte mich erst mal setzen. Als sich der Zug
in Bewegung setzte, kam er zurück, einen Taschenrechner
in der Hand. Wir halten in Djakowo und Tschop,
wohin willst du? fragte er. Djakowo lag gleich
hinter der Grenze und somit näher an den Karpaten.
Djakowo, sagte ich. Seine Finger sausten
über die Tasten des Rechners, er faselte was von 27 km,
kritzelte auf ein Stück Papier herum und kam auf die
stolze Summe von 30 US- Dollar. Sowas hatte ich vermutet.
Satu Mare - Djakowo, das waren knapp 30 Kilometer, der
Typ verlangte wahrhaftig über einen Dollar je Kilometer.
Ich könnte in Halmeu, dem rumänischen Grenzübergang,
aussteigen. Aber was, wenn man mich dort auch nicht
rüberließ, ohne ein ordentliches Bakschisch? Wir
einigten uns auf 20 Dollar und er mußte mir beim
Ausfüllen der Zollerklärung helfen.
-
- In der Ukraine
-
- Einreise
-
- Die erste Frage des Zöllners
war ziemlich dämlich: Haben Sie Waffen,
Betäubungsmittel oder Rauschgift? Ich hatte ein
Taschenmesser und Aspirin, wollte jedoch keine
Schwierigkeiten und antwortete brav: Nein!
- Dann kam die zweite Frage,
und die war noch dämlicher: Warum nicht?
- Hm, ähm ... Ich
hätte ihm doch das Messer zeigen sollen.
- Mein Rucksack interessierte
ihn nicht sonderlich. Dafür wollte er genau wissen
wieviel Geld ich einführte, um zu überprüfen, ob ich
meine Zollerklärung korrekt ausgefüllt hatte. Schein
für Schein stapelte sich auf der Sitzbank des
Zugabteils. Vier Augenpaare stierten auf das Häufchen -
es waren etwa 200 Dollar und 60 Mark. Blöd kam ich mir
dabei vor. Schließlich brauchte niemand zu wissen, was
ich so an Finanzen mit mir herumschleppte. Das war's.
Jetzt fehlte nur noch mein Paß. Endlich - ein Soldat
rannte aus dem Grenzgebäude und reichte mir den Ausweis
durchs Abteilfenster. Ein Pfiff ertönte, gefolgt von
einer Rauchwolke, der Zug ruckte an, und ich war in der
Ukraine.
-
- In Djakowo, dem ersten Ort
hinter der Grenze, stieg ich aus und hatte ein Problem.
Ich brauchte Grywen, die Währung der Ukraine.
Normalerweise wäre das kein Problem, doch erstens war
Djakowo ein Kaff, und zweitens konnte ich auf russisch
lediglich Guten Tag sagen und ein Bier
bestellen. Ich schulterte meinen Rucksack und lief los.
- Die Leute hockten auf Bänken
vor ihren Häusern und kauten Sonnenblumenkerne. Sie
schauten mich an wie ein Marsmännchen. In meinem
Sprachführer suchte ich im Kapitel Geld die
passende Frage aus, prägte mir den Satz ein und ging auf
eine etwas üppige Dame mittleren Alters zu. Sie
unterhielt sich mit einem älteren Herrn. Die
sprechen ja ungarisch, stellte ich besorgt fest.
Ich würde bloß Bahnhof verstehen. Trotzdem nahm ich all
meinen Mut zusammen und leierte die Frage runter - es
klappte. Versuchen Sie's im Café Tisa, sagte
sie.
- Das Café lief gut, die
Gäste zahlten in Dollar. Wieviel? fragte der
Boß, ein Schwergewicht im Anzug, dem der Schweiß auf
der Stirn stand. Ich holte einen 50 Dollar Schein raus.
Wurstfinger hielten ihn gegens Licht. Okay,
brummelte der Mann und verschwand, um mir kurz darauf 90
Grywen unter die Nase zu halten.
- Jetzt mußte ich nach
Winogradow, von dort sollte morgen ein Bus nach Rachow
fahren.
-
- Die Schwarzen
Berge
-
- Das Haar des Busfahrers war
schon weiß, sein Gesicht zerknittert - der Bus hatte
vermutlich das gleiche Alter.
- Die Turbaza
(Touristenherberge) in Rachow erinnerte mich an das Café
in Djakowo, beide hatten den selben Namen: Tisa, nach dem
Fluß Theiß, der durch das Städtchen fließt.
- In dieser Herberge, hatte man
eine eigene Taktik entwickelt, Fremden das Geld aus der
Tasche zu ziehen. 11 Grywen kostete das Einzelzimmer.
- Haben Sie noch ein
Zimmer frei? fragte ich die Dame an der Rezeption.
Ja oder Nein hätte ich jetzt
erwartet, doch ihre Antwort überraschte mich.
- Woher kommen Sie?
wollte sie wissen. Verschwand hinter einer Tür, kam
wieder und erklärte mir, daß ich nur noch ein
3-Bett-Zimmer bekommen könne, das 33 Grywen koste.
Mittlerweile mit den hiesigen Gepflogenheiten bestens
vertraut, einigten wir uns auf 22 und ein
Doppelbettzimmer. Das Zimmer lag im 1. Stock, mit Blick
auf den Friedhof, ohne Strom und warmes Wasser, dafür
stand auf dem Tisch die typisch russische Teemaschine -
ein Samowar und im Bett räkelten sich Ohrwürmer.
- Ich hab gehört du
willst zur Gowerla? fragte mich jemand am nächsten
Morgen, als ich mir eben ein Eis kaufen wollte. In den
Bergen muß ich auf Leckereien wie diese verzichten, bin
ich dann zurück in der Zivilisation, kann ich mich kaum
bremsen. Dmitriy kam aus Kiew und hatte mit angehört,
als ich versuchte den Weg zum höchsten Berg der Ukraine
herauszufinden. Die Gowerla ist 2061 m hoch und liegt im
Tschernogoramassiv - den Schwarzen Bergen - im
südlichsten Teil der Waldkarpaten. Da ich mich in der
Regel mit Händen und Füßen verständigte, mußte ich
Dmitriy zwangsläufig aufgefallen sein. Er hatte
Elektronik studiert, jobbte aber in einem Reisebüro in
Dubai. In seinem Beruf fand er hier nichts. Außerdem lag
der Lohn in der Ukraine im Durchschnitt bei nur 70 Grywen
im Monat. Wir reisten gemeinsam weiter. Ursprünglich
wollte ich von Rachow, dem Tal der Weißen Theiß
folgend, von Süden zur Gowerla. Doch das Land südlich
der Gowerla war Reservat. Für Touristen
gesperrt, meinte Dmitriy. Wiedermal mußte ich
meinen Plan ändern. Wir wollten mit der Bahn bis
Jasinja, und von dort zu Fuß ins Tschernogoramassiv.
- Der Zug nach Jasinja ähnelte
einem Ameisenhaufen. Auf den Holzbänken drängelten sich
bis zu vier Personen, Bäuerinnen, alte Mütterchen und
schwatzende Männer. Im Gang stolperte ich über Säcke,
Körbe und Frauen, die Bier, belegte Brote und Kuchen
verkauften.
- Jasinja bedeutet Esche und
galt als Hauptstadt der Huzulen. Als die einzigen
berittenen Hirten in den Karpaten waren sie eine Art
Karpatencowboys. Sie lebten bis zum Anfang
unseres Jahrhunderts als Halbnomaden von der Schaf- und
Rinder-, vor allem aber der Pferdezucht. Wie lange die
Huzulen schon im Tschernogora-Gebirge, sowie in den
Tälern der Flüsse Prut und Tscheremosh leben und woher
sie einst kamen, weiß heute niemand genau.
-
- Am Mittag des nächsten Tages
kraxelten wir durch dichten Fichtenwald, stopften uns mit
Himbeeren voll und lernten am Abend Ljuba kennen. Sie war
eine Pastushka (Kuhhirtin). Dmitriy fragte sie, ob wir
heute in einer der Hütten schlafen dürften. Ihr
seid zu zweit? wollte Ljuba wissen. Dann
könnt ihr mit bei uns schlafen. Gestern waren es
12. In der Hütte knisterte ein Feuer, darüber ein
Topf mit Nudeln hing. Auf Brettern lagen Pilze zum
Trocknen aus und an der Wand hingen Holzkellen, Töpfe
und Löffel. Wir rollten unsere Schlafsäcke in eine
Ecke, Ljuba öffnete die Tür und brachte uns einen Eimer
frisch gemolkener Milch. Jeden Morgen und jeden Abend
mußte sie über 100 Kühe melken. Tagsüber kümmerte
sie sich um die Hütte, holte Feuerholz, kochte Essen und
sammelte Pilze. Bin jetzt den 33. Sommer hier
oben. Stolz lag in ihrer Stimme. Aber nun
merke ich es schon manchmal - das Reißen im
Rücken. Sie arbeiteten zu viert auf der Station.
Eine Freundin aus Jasinja half Ljuba. Zwei Männer
trieben tagsüber die Kühe auf die Weide. Die Kühe
gehörten den Leuten aus den Dörfern. Die Viehbesitzer
bezahlten die Hirten und bekamen im Gegenzug Milch, je
nachdem wie viele Tiere sie besaßen und wieviel Milch
diese gaben.
- Wir sollten uns um das Feuer
kümmern, es durfte nicht ausgehen. Vielleicht glaubten
die Hirten noch immer, daß es Mensch und Vieh Unglück
bringen könne.
- Ljuba nahm kein Geld für die
Unterkunft, drückte mir statt dessen eine Axt in die
Hand und sagte: Macht mir lieber ein paar
Holzscheite fürs Kochfeuer, aber nicht zu klein.
Wir wechselten uns ab beim Holzhacken und bekamen zum
Abschied noch frischen Schafskäse. Schaut wieder
mal vorbei, rief Ljuba. Dann folgten wir dem Hirten
zur Gowerla.
-
- Jemand, der jetzt in München
lebt, hat das Gipfelkreuz gespendet, laß ich auf einer
Metalltafel unter dem Kreuz. Vom Gipfel aus konnte ich
Rumänien sehen. Am Horizont erstreckte sich die Kette
des Rodna-Gebirges, blau und winzig, wie Streuselkuchen.
Der höchste Krümel hieß Pietrosul - ich würde ihn
erst am Ende der Tour besuchen. Etwas näher, mehr im
Südosten, lag Pop Iwan, der zweithöchste Berg des
Tschernogoramassivs - Der aus den Wolken
trinkt nennen ihn die Huzulen. Heute mußte er
dürsten. Dazwischen wuchs Wald, dicht, dunkel und
geheimnisvoll. Es war das Reservat von dem mir Dmitriy
erzählt hatte. Wolf und Karpatenbär - der größte
Gebirgsbär der Welt - lebten dort. Bis zum Anfang
unseres Jahrhunderts trieben außerdem huzulische Räuber
ihr Unwesen in den Wäldern. Oleska Dobosch galt als der
Berüchtigtste. Geplünderte Kaufleute, erschlagene
Gutsherren und vergewaltigte Bürgerstöchter gingen auf
sein Konto. 1745 wurde er aus dem Hinterhalt erschossen.
Heute ist es wieder ruhig in den Bergen, das
Gefährlichste, was uns hätte begegnen können, wäre
eine Meute Hirtenhunde. Doch auch davon blieben wir
verschont.
- Stundenlang konnte ich so auf
dem Gipfel sitzen und einfach nur schauen, bis sich die
Sonne verabschiedete. Ich fühlte mich dann, als ob ich
schon immer ein Teil dieser Berge war.
-
- Unter uns im Osten lag das
Sportlerheim von Worochta. Dort wohnten und trainierten
zur Zeit die zukünftigen Olympioniken der Ukraine. Wir
stiegen ab, vielleicht konnten wir in dem Heim
übernachten. Es war voll, aber Dmitriy gab noch nicht
auf. Ein Stück weiter stand das Heizhaus.
- Habt ihr Wodka?
fragte der Heizer. Hatten wir leider nicht. Dmitriy
verhandelte mit dem Mann und einigte sich schließlich
auf 5 Grywen fürs Übernachten einschließlich warmes
Wasser zum Duschen. Wir schliefen auf Turnermatten, aus
denen die Asbestfüllung rieselte...
-
- Das
Swidowetsmassiv
-
- Dmitriys Zug nach Lwow fuhr
um Mitternacht, sein Urlaub war zu Ende.
- Mein nächstes Ziel hieß Ust
- Tschorna, im Tal des Tereswa-Flusses. Ich mußte
irgendwie zurück nach Jasinja und von dort etwa 30 km
über die Swidowets-Berge laufen. Sie bilden den
mittleren Teil der Waldkarpaten. Ihr höchster Punkt
heißt Bliznitsa (1880 m). Ich trampte, wurde in Jasinja
abgesetzt und lief über eine Stunde, bis ich den Abzweig
zur Touristenstation Dragobrat unterhalb der Bliznitsa
fand.
- Das Massiv hatte zwar keinen
Nationalparkstatus, trotzdem versperrte mir ein
Schlagbaum den Weg. Im Kontrollhäuschen saß niemand.
Ich schlüpfte unter der Schranke durch und baute neben
dem Forstweg mein Zelt auf.
- Blauer Enzian und eine blaue
Bandmarkierung begleiteten mich bis Dragobrat, Skilifte
bis zum Kamm. Unterhalb des Dogjaska-Gipfels sah ich
einen See. Es war mein erster See in der Ukraine - ich
blieb.
-
- Am nächsten Morgen, als die
Sonne eben über die Bergspitzen kroch, stand ich schon
auf dem Kamm. Am Horizont erschien ein Punkt, der langsam
näher kam und sich als LKW entpuppte, dem die rechte
Motorhaube fehlte, was an sich nichts Besonderes war. Was
mich stutzig machte war die Tatsache, einem LKW zu
begegnen, wo sich sonst nur Wanderer und Hirten
herumtrieben. Auf der Ladefläche hockten ein Dutzend
Menschen. Einige mit Videokameras bewaffnet, fingen
gleich an, mich zu filmen. Der Fahrer hielt, pinkelte
neben seinen Wagen und sagte, daß er mich auf der
Rückfahrt bis Ust - Tschorna mitnehmen könne. Da ich
noch nie auf einem Gebirgskamm getrampt war, gefiel mir
der Vorschlag. Ich lief weiter, wartete ab und zu, doch
kein LKW kam - ich war am Abzweig nach Ust - Tschorna
vorbeigelaufen. So stolperte ich über verwaiste
Hirtenpfade nach unten und erreichte das Tereswa-Tal 3
bis 4 km südlich des Dorfes.
- Königsfeld hieß das Dorf
zur Zeit Maria Theresias. Sie siedelte im 18. Jahrhundert
Tiroler Familien dort an.
- Als erstes begegneten mir
Kühe, hinter dem Friedhof - Günter. Er war Deutscher,
Ende 40 und einer der letzten in Ust - Tschorna.
Ich wurde in Sibirien geboren, erzählte er
mir. Die ersten 4 Jahre wuchs ich in einem Lager
auf. Alle Deutschen, die arbeiten konnten, wurden 45 nach
Sibirien verschleppt - meine Eltern auch. Jetzt
wolle er mit seiner Familie nach Deutschland zu seinen
Verwandten. In 4 bis 5 Jahren habe ich Deutsch
völlig verlernt, sagte Günter resigniert.
-
- Nach Kolotschawa, dem
nächsten Karpatendorf, führte mich die Erdgasleitung
Sojus. Wie eine schlecht verheilte Narbe zog
sie sich über die Berge. An manchen Stellen rosteten
noch immer eineinhalb Meter dicke Rohre vor sich hin. Es
lief sich nicht besonders gut. Zu sehen gab es auch
nichts, da um mich herum alles in Wolken gehüllt war.
Den Blick auf den Boden geheftet, wollte ich nur noch
Strecke machen und erschrak, als mich plötzlich jemand
anredete: Wie spät ist es? fragte mich ein
Hirte und hielt mir seine Uhr hin. Sie war
stehengeblieben. Die Zeiten in der Ukraine brachten mich
völlig durcheinander. Offiziell galt im ganzen Land
Osteuropäische Zeit, westlich der Karpaten wurde dagegen
MEZ verwendet, und Ljuba lebte sogar nach
Westeuropäischer Zeit, solange sie in den Bergen war.
Ich stellte ihm die Uhr auf MEZ, denn die Mitte Europas
liegt immerhin in den Waldkarpaten, etwa 25 km
südwestlich von Rachow.
- Die Kinder in Kolotschawa
grüßten mit Ahoi, sie hielten mich für
einen Tschechen. Die meisten Wanderer, denen ich in der
Ukraine begegnete, waren Tschechen. Sie hatten keine
Probleme sich zu verständigen, tschechisch und
ukrainisch sind einander ähnlich. Das Angebot in den
Läden ähnelte sich auch: Wodka und Schokolade konnte
man überall kaufen. Mit Bier und Brot mußte man schon
etwas Glück haben, Obst und Gemüse gab es dort dagegen
selten. Ich kaufte es bei den Straßenhändlern. In
Kolotschawa bekam ich alles, sogar Wasser aus dem
Dorfbrunnen gegenüber der Holzkirche.
-
- Zum Ozero
Sinewir
-
- Der See Sinewir lag etwas
abseits meiner Route. Da ihn mir Dmitriy empfohlen hatte,
nahm ich den Umweg in Kauf. Ich blieb auf der Straße,
die dem Tereblja-Fluß folgte und nach Sinewirskaja
Poljana führte. Einer Legende nach entstand der See aus
den Tränen von Sin, der Frau des Wir, einem Hirten, der
an dieser Stelle im Fluß ertrank. Ich mochte den See
nicht. Alles war so künstlich. Der Pfad drumherum, die
Picknickunterstände oder die Verbotsschilder: Du
sollst nicht Zelten, Du sollst kein Feuer
machen, Du sollst keinen Furz lassen,
usw. Ich fühlte mich wie in einem Museum. Immerhin
durfte ich Himbeeren pflücken und in einem der
Unterstände biwakieren.
-
- Es nieselte am Morgen. Ich
wollte nach Torun, einem Bergdorf im Rika-Tal, und von
dort zurück zum Hauptkamm - der Borshawa Polonina
Bergkette.
- Der Weg nach Torun war nicht
einfach. Bisher war alles ordentlich. Ich lief über die
Grasmatten der Berge und hatte mein Ziel immer vor Augen.
Jetzt sah ich nur Bäume, Farngestrüpp und Schlammpfade,
die ständig ihre Richtung änderten. Ich holte meinen
Kompaß aus dem Rucksack und blätterte in den kopierten
Seiten meines Reiseführers. ...folge den gelben
Streifen, stand da. Ich fand keine und laß weiter:
... nachdem du dich 7 Minuten durchs Dickicht
geschlagen hast..., ich schlug mich ein paar
Stunden, erreichte gegen Mittag Torun und stürmte den
Dorfladen.
- Sind Sie etwa
allein? Es war mit Abstand die häufigste Frage die
mir auf der Tour gestellt wurde. Meistens gefolgt von der
Frage, ob ich kein Auto hätte. Die Frau hinter dem
Ladentisch wollte es noch genauer wissen: Haben Sie
denn keine Freunde? Ich nuckelte an meiner Cola aus
Sibirien, die nach Apotheke schmeckte und überlegte mir
eine Antwort. Ähm, doch schon, aber man braucht ja
ein Visa und so... Daß ich ganz gern auch mal
allein reise, hätte sie sicher nicht verstanden. Ich
konnte Entscheidungen treffen, diese wieder verwerfen und
wenn was schief lief, schimpfte ich mich selbst einen
Trottel.
-
- Die Poloninas
-
- Ritschka liegt am Fuß der
Polonina-Berge in den mittleren Waldkarpaten und hatte,
wie die meisten Orte, ein Café. Der Name war
irreführend, denn getrunken wurde in der Regel Wodka.
Ich hatte schon erlebt, daß es kein Wasser gab, keinen
Schnaps zu haben war jedoch abgrundtief verdorben. An der
Theke standen drei Dörfler. Was wiegt der
Rucksack? fragte einer. Er war schwer, das wußte
ich, aber ich hatte ihn nur einmal gewogen, das war
daheim. Auf stattliche 40 Kilo hatte er es damals
gebracht. Jetzt wog er weniger. Ich rechnete die
Slowakei- und Rumänienkarten ab, die bei Tudor in
Rumänien lagen, sowie einen erheblichen Teil meiner
Verpflegung. 30 Kilo, sagte ich. Ungläubige
Gesichter starrten mich an. Jeder hob den Rucksack einmal
hoch - unverständliches Kopfschütteln. Ich mußte mich
setzen, bekam ein 100-Gramm-Glas, die Wirtin schenkte
ein, und ich stieß an - auf daß die Tour gelang. Das
Zeug schmeckte nicht mal schlecht. Zum Nachtisch gab es
Schokolade, denn ein Ukrainer trinkt den Wodka nie, ohne
danach etwas zu essen. Die zweite Runde setzte ich aus.
Mir fiel ein Spruch ein: Für einen Russen sind 1000
Kilometer nicht weit, 10 Grad minus nicht kalt und 100
Gramm nicht viel, das paßte auch auf die drei Ukrainer.
-
- Das ein Deutscher allein mit
einem 30-Kilo-Rucksack durch die Karpaten zog war zwar
selten, wurde aber akzeptiert. Daß ich keine Waffe
hatte, verstanden sie genausowenig wie der Zöllner bei
der Einreise in Djakowo.
- Na wegen der
Wölfe. Erst als ich versicherte, daß mir bis
jetzt noch kein Wolf über den Weg gelaufen sei,
beruhigten sich die drei.
- Ich verließ das Café mit
der Gewißheit, daß ich heute nicht mehr weit gehen
würde. Der Weg, dem ich folgte, war falsch. Ich merkte
es nach einer Stunde. Am nächsten Morgen trommelte mich
der Regen aus dem Schlafsack. Ich lugte unter der Apsis
hervor und sah nichts - keine Berge, keine Bäume und
auch keine Wölfe. Auf dem Kamm heulte bloß der Wind,
und der Nebel fraß alles, was sich weiter als 5 Meter
von mir entfernte. Mit dem Kompaß in der Hand suchte ich
den ersten Pfad, der nach Norden führte, und stieg ab.
- Unten empfing mich eine Herde
Kühe - das Dorf hieß Pilipets. Die Bewohner dieser
Region waren Bojken. Wie ihre Nachbarn, die Huzulen,
lebten sie von der Viehzucht. Es wird erzählt, daß sie
im 13. Jahrhundert in der Nähe des Dorfes Tuchla den
westwärts stürmenden Mongolen die einzige Niederlage
zufügten, so daß jene gezwungen waren, sich einen
anderen Weg durch die Karpaten zu suchen. Sie fanden ihn
1241 weiter im Süden über den Rotunda-Paß, der das
Suhard-Gebirge vom Rodna-Gebirge, meinem Finale, trennt.
-
- Ein Schrott-LKW der Marke GAZ
(er hatte Schrott geladen) nahm mich mit nach Wolowets.
Wolowets hatte für mich keine Identität. Orte wie
Djakowo oder Ritschka waren Dörfer. Rachow war ein
Städtchen. Wolowets dagegen war weder das eine noch das
andere. Neben Holzhäuschen ärgerten vor sich hin
bröckelnde Wohnsilos das Auge. Immerhin lag Wolowets an
der Bahnlinie Moskau - Prag bzw. Budapest, das machte es
wichtig. In einem, sagen wir Supermarkt, kaufte ich noch
was zum Abendbrot (die hatten slowakisches Bier), dann
schleppte ich mich noch bis zum Mentschulpaß oberhalb
des Ortes.
- Zwei Wochen war ich nun schon
in der Ukraine unterwegs, wenn nichts dazwischen kam
würde ich es in 2 bis 3 Tagen geschafft haben.
- Die Pfützen am Straßenrand
wurden größer. Als es am stärgsten goß, flüchtete
ich in Imbißbuden und trank Kaffee. Das klappte ganz
gut, obwohl die Dame hinter dem Tresen in Unter-Worota
lieber an ihren Hühneraugen rumpolkte, und der Wirt in
Shdenewo kein Wasser hatte.
- Dem Shdenewka-Tal folgend
erreichte ich am nächsten Tag Ushok, nahe der Grenze zu
Polen. Es war Sonntag, dem Namen nach. Ich hatte es
geschafft. Vor lauter Freude lief ich ins Nachbardorf
Wolosjanka. Es war der 1. September und etwa drei Viertel
der Tour lagen hinter mir. Mein Visum verfiel erst in
reichlich einer Woche. Trotzdem wollte ich zurück nach
Rumänien und den Rest laufen.
weiter
zu Teil: 3 / 1
zurück
/ înapoi