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"Friedhof der fröhlichen Leute"

Das rumänische Dorf Sapânta hat einen einzigartigen Beerdigungsritus - jeder muß mit einer ironischen Nachrede rechnen

Ein Bericht von WOLFGANG KOHRT


Endlich fällt Schnee auf Sapânta. Er wickelt die Armut weiß ein. Schnee ist besser als der lange Regen. Die Tisa war über die Ufer getreten, und das Land sah aus, als hätte es schon Gott aus zweiter Hand übernommen. Nun ist das Dorf dabei, seinen alten Zustand zu suchen. Heuschober stehen hinter den Bauernhäusern. Holz für den Winter liegt am Schuppen. Hinter dem Dorf beginnen die Hügel des Maramures. Ein paar hundert Meter weiter ist schon Ukraine.

Sapânta ist ein Dorf in der nordwestlichen Ecke Rumäniens. Leben und Sterben sind fast noch archaisch. Erst mit der Beerdigung beginnt hier eine gewisse Anarchie. Der Ritus der Totenfeier ist Jahrhunderte alt, die Sache danach erst ein paar Jahrzehnte.

Wenn der Tod kommt, wird lange Abschied genommen. Drei Tage ist der Leichnam im besten Zimmer des Hauses aufgebahrt. Menschen aus dem ganzen Dorf erscheinen in ihren schwarzen Sonntagskleidern zum letzten Besuch. Sie essen gut neben dem verstorbenen Nachbarn, trinken ein paar Gläser doppelt gebrannten Horinka auf, nun ja, seine Gesundheit. Weil drei Tage lang sein können, lassen sich die Männer zum Kartenspiel nieder, und weil es sich so gehört, singen die Frauen abends ihre Klagelieder. Nach drei Tagen setzt sich der Zug mit dem offenen Sarg in Bewegung, und das halbe Dorf gibt das letzte Geleit. Aus Anstand sowieso, aus Neugier eventuell und vielleicht auch aus Schadenfreude. Denn gleich wird es wieder lustig werden. Sapânta hat den einzigen Friedhof der Welt, auf dem den Toten nachgeredet wird.

Ungefähr 700 hohe Holzkreuze stehen um die orthodoxe Kirche. Alle in diesem besonderen Blau von Sapânta. Unter dem Spitzdach des Kreuzes ist eine typische Szene aus dem Leben des Verstorbenen aus dem Holz geschnitzt und in naiver Manier bunt ausgemalt. Darunter fängt der Text an. Mit Dioca Diacu verhielt es sich so: "Ich werde euch erzählen, wie gut ich lebte. Ich habe gearbeitet, wie ich konnte, und natürlich auch mal ein Gläschen getrunken. So verging mein Leben in der Kneipe, und ich lebte, bis der Tod mich 1978 fand." Toader Ioani war allem Anschein nach der Herzensbrecher von Sapânta. Er hat immer die Pferde geliebt. "Und noch eins: in der Kneipe mit den Frauen anderer zu sitzen. Ich bedaure sehr die Welt, denn ich bin zu früh gestorben."

Dieses Schicksal teilte Dumitru Holdis. Auch er saß gern in der Kneipe. Nur ohne die Frauen der anderen. "Weh denen", sagt schon der Prophet Jesaja, "die Helden sind, Wein zu saufen, und wackere Männer, Rauschtrank zu mischen." Das Strafgericht kam mit 45, Holdis hatte sich zu Tode gesoffen. Das Bild auf seinem Kreuz zeigt, wie ihn eine Schlange am Fuß erwischt. Der Text gibt Aufklärung: "Der Schnaps ist eine Schlange, die uns Trauer und Mühsal bringt. Wem der Schnaps gut schmeckt, dem wird es so ergehen wie mir."

Jedes Kreuz hier hat sein Bild und die Beschreibung eines Lebens in der Mundart der Maramures-Leute. Es geht um Arbeit und Freizeit, Verhalten und Verhältnisse, Tausendschönchen und Tunichtguts. Es sind Bilder aus dem Leben auf dem Acker der Toten. Ein Mann mit Sense über der Schulter und Proviantrucksack treibt seine Schafe über die Hügel. Viele Frauen sitzen am Spinnrad, ein Ehepaar sitzt einträchtig am Tisch. Männer stoßen in der Kneipe mit Schnapsgläsern an. Jäger gehen in ihrer grünen Kluft zur Jagd.

Ion Stan Patras hätte damals nicht geglaubt, daß er sein verlassenes Dorf weltweit in Reiseführer für Rumänien bringen würde. "Ach, meine arme Welt", steht an seinem Grab, "ich habe hier schwer gelebt. Seit dem 14. Lebensjahr mußte ich Geld vedienen. Aus 62 Ländern haben sie mich bis gestern besucht, aber wer jetzt noch kommt, der wird mich nicht mehr finden."

Patras war der Zimmermann in Sapânta und baute Holzhäuser. Bis er 1932 das erste Kreuz für einen Verwandten schnitzte. Danach kamen andere aus dem Dorf und wollten ebenfalls einen fröhlichen Nachruf. So hat Ion Stan Patras umgesattelt. Er hat nicht mehr für die Lebenden gearbeitet, sondern für die Toten. Bis er sich 1977 selbst unter sie mischte. Sein Lehrling Dumitru Pop hat die krisenfeste Stellung übernommen. Nun ist er der Mann des letzten Wortes. Pop sucht das Holz aus, schneidet es zu, schnitzt die Szenen heraus, bemalt das Kreuz und entwirft den Text. Niemand mischt sich ein. Nicht der Pfarrer und nicht die Familie des Verstorbenen. Es hätte keinen Zweck. Erst bei der Beerdigung erfährt das Dorf, was Dumitru Pop in seinem Schuppen eingefallen ist. Damit muß dann jeder leben. Außer der Tote.

Manchmal klingt sogar vorsichtig Gesellschaftskritik an. Als in Bukarest noch Ceausescu von Rumänien herrschte, wäre in keiner Zeitung erschienen, was auf dem Kreuz von Turda George und seiner Frau mitgeteilt wird: "Solange wir auf der Welt waren, pflanzten wir schöne Obstbäume. Die Alte hat immer den Faden gesponnen und ich erntete Äpfel. Ich habe viel geerntet, aber viele Äpfel haben wir nicht gegessen, weil wir sie der LPG liefern mußten."

Sapânta weiß, daß Pop kein böser, schmutziger Volksdichter ist. Trotzdem kommen manchmal alte Leute wie zufällig bei ihm vorbeigeschlendert. Fangen irgendein Gespräch an. Sitzen ein Weile. So, als wollten sie nur den Nachmittag herumbringen. Tatsächlich wollen sie vorfühlen, was der Zimmermann über sie denkt. Aber Pop bleibt hart.

Die Bauern nehmen das in Kauf. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Viel mehr Dorfleute wollen auf den Friedhof, als dort Platz ist. Mittlerweile ist die Marktwirtschaft der große Regulator. Wer das Kreuz bezahlen kann, ist im Spiel. Ein Kreuz kostet zwei Millionen Lei (etwa 400 Mark). Das sind vier Monatsgehälter. Viele können sich diesen noblen Tod nicht leisten. Sie werden auf einer Zweigstelle zur letzten Ruhe gelegt.

Die anderen, glücklicheren, reicheren, hüten ihren Platz unter dem blauen Kreuz wie einen Sack goldener Lei. Diese Grabstellen sind ein wichtiger Teil von Erbschaften. Nach 20 bis 30 Jahren werden die Gräber neu belegt. Es kommt ein neues Kreuz ans Kopfende. In Bild und Text führt Dumitru Pop darauf die Lebenswege des neuen und des alten Toten zusammen.

Draußen in seinem einfachen Schuppen hat er gerade wieder so ein Kreuz zu stehen. Es ist frisch und glänzt in diesem Blau von Sapânta. Auf dem noch unfertigen Bild wird er eine Geschichte von Vater und Sohn erzählen. In der Ecke lehnt ein anderes Kreuz. Es wird nicht in Sapânta aufgestellt werden, sondern in Italien. Pop hat auch schon in die USA geliefert und nach Moldawien. Die Leute haben von ihm gelesen und schicken ihre Bestellungen einfach an Dumitru Pop, Sapânta, Rumänien.

So ist das Dorf mit seinem Friedhof berühmt geworden. Es hat nichts zu bieten, außer seine Toten. Deshalb akzeptieren alle das Urteil des Kreuzemachers. "Auch wenn die Familien manchmal nicht einverstanden sind. Aber es ist doch nicht zu ändern. Ihr Leben war nun einmal so, und dann muß ich eben schreiben, daß jemand seine Eltern beleidigt hat oder beim Nachbarn klauen ging. Aber ich gehe nicht soweit, daß der Text verletzend wird."

Jeder weiß ohnehin, was gemeint ist. Die Pirsoie beispielsweise würde sich im Grab umdrehen. 80 Jahre ist sie geworden, aber ihre Jugendsünden sind nicht vergessen worden. Auf ihrem Bild steht sie in Tracht am Küchentisch und prostet mit einem Glas jemandem zu, der nicht zu sehen ist. Die Dorfgemeinschaft weiß schon, was das zu bedeuten hat. Auch wenn Pop durch die Blume dichtete: "Solange ich auf der Welt lebte, haben mir zu viele Dinge gut gefallen. Ich habe gut gelebt wegen einem schönen Mann neben mir. Lieber Mann, du sollst gut weiterleben, wegen mir wirst du sowieso eifersüchtig sein, solange du lebst. So eine wie mich wirst Du nicht wieder finden." Das ist durchaus doppelsinnig gemeint. Jeder im Dorf wußte, daß sie sich von fremden Männern gern in verschwiegene Heuschober werfen ließ.

Grabredner und Pfarrer haben die Erfahrung, daß nirgends soviel gelogen wird, wie auf dem Friedhof. An der offenen Grube werden die Ellenbogen eingefahren und die Gesellschaft erteilt Generalabsolution. Wenigstens wissen wir jetzt von einer Ausnahme. Auf Sapântas lustigem Friedhof nimmt niemand seinen Ruf mit in die Grube. Er wird immer über ihm schweben.

(Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht in der Berliner Zeitung - Nummer 24 - Freitag, 29.Januar 1999)

Eventuelle Anfragen zu diesem Beitrag, an den Autor WOLFGANG KOHRT, sind per eMail über wkohrt@berlinonline.de möglich.

Bilder vom "Friedhof der fröhlichen Leute" (1,83 MB)


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