Wo die Zeit zur Ewigkeit wird ...

oder "Hochzeit in Botiza"

Dieser Beitrag von Nikolaus Scholz erschien in der April-Ausgabe von "Welt der Frau" (die österr. Frauenzeitschrift)

Irgendwo im Herzen der Marmarosch, einer der wohl isoliertesten Regionen Europas, die selbst unter Rumänen als arm und rückständig gilt. Die Uhren, so sagt man, messen hier nicht die Zeit, sondern die Ewigkeit.

Geographisch wie geschichtlich gehört die rumänische Marmarosch zu Siebenbürgen. "Land des Holzes" wurde es einst genannt und das nicht ohne Grund. Um die Jahrhundertwende waren ungefähr noch 90% des gesamten Marmarosch-Gebietes von Wäldern bedeckt. Was Wunder, das sich ausgerechnet in diesem Teil des heutigen Rumänien die Schnitzkunst so perfektionieren konnte. Die Rede ist von den für die Marmarosch so typischen Holzkirchen, jenen schindelgedeckten Gotteshäusern aus Eichen- oder Tannenholz mit figuralen oder symbolhaften Verzierungen. Viele sind im Lauf der Jahrhunderte zum Raub der Flammen geworden. Auch wenn es Tradition gewesen ist, daß wenn ein Dorf seine Kirche durch Feuer verloren hatte, eine reiche Nachbargemeinde eine neues Gotteshaus finanzierte, sind nur mehr wenige Kirchen im Originalzustand erhalten geblieben. Die wenigen thronen zumeist auf Anhöhen und ihre Silhouetten sind schon von weitem erkennbar. Die Kirchtürme ähneln Pfeilen, die sowohl den Himmel, als auch die Erde an dieser Stelle festnageln scheinen zu wollen.

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Nur allzu leicht verliert der Fremde die Orientierung mit dem eigenen PKW, selbst wenn eine übersichtliche Straßenkarte auf dem Beifahrersitz liegt. Die Wegweiser sind spärlich und der letzte Orientierungspunkt Baia Mare, eine im 12.Jahrhundert von sächsischen Bergarbeitern gegründete Siedlung im Nordwesten des Landes nahe der ukrainischen Grenze - heute eine Stadt mit einer der höchsten Umweltbelastungen von Rumänien - ist längst aus dem Blickfeld geraten. Fast unmerklich habe ich die Grenze in eine andere Welt passiert, dessen Landschaft den Eindruck erweckt, als könne hier ein Mensch ein Leben lang gehen, ohne sich jemals zu finden. Fahrräder, Ochsenkarren und Pferdegespanne bestimmen hier auch im ausgehenden 20.Jahrhundert den Rhythmus des Alltags, und nur selten kann ein Einheimischer ein Auto sein Eigen nennen. In dieser abgeschottenten Welt scheinen Pläne und Zeit als nicht so wichtig.

Endlich, im letzten Licht der Dämmerung: Botiza, eine kleine 4000-Seelen zählende Gemeinde an den Ausläufern der Karpaten. Die Hauptstraße, die einzig Geteerte im Ort, ist nur schwach beleuchtet. Der Schauplatz an der unkrainisch-rumänischen Grenze ist von einer beeindruckenden Friedlichkeit, die das stille, schlichte Leben der Leute erahnen läßt. Doch selbst wenn die Uhren in diesem Ort anders zu gehen scheinen und das Leben der bäuerlichen Bevölkerung fast ausschließlich vom Wechsel der Jahreszeiten geprägt ist, haben sich Alltag und Traditionen zu wandeln begonnen. Ich sitze mit Ion Petrus ("s" mit Komma nach unten!) in der niedrigen Stube seines Hauses, in dem ich für wenige Tage als zahlender Gast einquartiert bin. Er ist einer der Ältesten im Dorf und kann gut erzählen. Wir sitzen vor einer halbvollen Flasche selbstgebrannten Schnapses, die an diesem Abend mehr als einmal die Runde machen wird: Eine Geste der Gastfreundschaft und es wäre mehr als unhöflich, die Aufforderung zum Trinken abzulehen.

"Als ich als Kind aufgewachse bin, gab es noch offenes Feuer in der Küche", erinnert sich der 75jährige Ion Petrus, der als Halbwaise mit neun Geschwistern unter ärmlichen Bedingungen in Botiza aufgewachsen ist. Erst in den letzten zehn Jahren sind Kühlschrank, Fernsehen und Zentralheizung zu Selbstverständlichkeiten im Alltag geworden. Erste Touristen haben sich in diesen entlegenen Winkel Rumäniens verirrt und finden nun in privaten Quartieren Unterkunft - und Essen. Und das nicht zu knapp. Ganz im Gegensatz zu früher.

"Es gab keine Teller, sondern nur eine einzige Schüssel, um die alle Kinder gesessen sind", erzählt Ion Petrus weiter und demonstriert gleichzeitig mit seinen derben, gefurchten Händen, wie es damals zugegangen sein mag. Alle löffelten gemeinsam aus einer Schüssel. Manchmal gab es dazu gebratene Kartoffel aus dem Feuer. Besonders schwer war es, als sein Vater gestorben ist und die Kinder zu Halbwaisen wurden. Da gab es oft gar nichts zu essen. Zum Glück besaßen sie ein paar Schafe und konnten Käse machen. Dann wieder aßen sie nichts außer Zwiebel aus dem eigenen Garten mit trockenem Brot. Ein einfaches Leben und wenn Ion Petrus die Zeit heute mit jener von damals vergleicht, so scheint ihm der Unterschied wie Himmel und Erde zu sein. Der Zusammenhalt spielte in dieser Gegend früher eine weitaus größere Rolle als heute. So bewirtschaften oft mehrere Frauen Teile ihrer Felder zusammen. Baute eine Familie ein neues Haus, so trafen sich die Männer des Dorfes am Wochenende und errichteten dieses gemeinsam. Doch in den Augen des Bauern hat sich vieles zum Schlechten gewandelt. Kommt die Rede auf die Jugendlichen des Dorfes, läßt er kein gutes Haar an ihnen. "Die heutige Jugend will nicht arbeiten und widersetzt sich den Wünschen der Eltern", schimpft er. Als er noch ein Bub war, schickte ihn die Mutter oft des Nachts hinaus auf die Weide mit den paar Pferden, die sie besaßen. Sie duldete keinen Widerspruch. Er tat seine Pflicht und gehorchte, auch wenn er mit den Pferden draußen unter freiem Himmel übernachten mußte. Doch das ist längst zum Stoff für Geschichten an langen Winterabenden geworden.

Die für Marmarosch so typische Tracht aus selbstgewebten Stoffen ist nur mehr in verschlossenen, hölzernen Familientruhen zu finden und wird nur mehr an besonderen Festtagen angelegt: Die bunt bestickten Hemden etwa oder die weiten, weißen Hosen der Männer, ihre schweren, gewebten Joppen aus Schafswolle, die im Rumänischen "Cojoc" genannt werden, die Röcke der Frauen mit den für diese Gegend charakteristischen, schwarz-rot gestreiften Schürzen, die einst auf hölzernen Webstühlen in der kalten Jahreszeit gefertigt wurden. Die Menschen in dieser entlegenen Grenzregion waren schon immer Selbstversorger und sind es zum Großteil bis heute geblieben. Schon seit Jahrhunderten nutzen die Bauern von Botiza die einzige Salzquelle des Ortes zum Konservieren von Speck und Schinken. Ab und zu kommen noch immer die Bauern zu dem in die Erde gelassenen ausgehöhlten Baumstamm und schöpfen daraus Salzwasser.

Noch vor einigen Jahren trugen die Dorfbewohner "Opinci", die traditionellen Bundschuhe, die aus Schweinsleder gefertigt wurden, ein Material, das zunehmend durch Kunststoff ersetzt wird. Ion Petrus kann sich nicht einmal daran erinnern, wann er sie zum letzten Mal getragen hat, so lange ist das schon her. Die Zeiten haben sich gewandelt, selbst wenn Marmarosch noch heute als eines der rückständigsten Gebiete Rumäniens gilt.

Aber heute wird Hochzeit gefeiert in Botiza. Ioanna heißt die junge, blonde Braut im blendend weißen Kleid. Sie sitzt an einem langen, festlich gedeckten Tisch im Kreis der engsten Angehörigen. Ihre Wangen sind heiß und gerötet und- was Wunder - ihre dunklen Augen sind feucht von den Tränen, nimmt sie doch Abschied von ihrem Elternhaus. Draußen weint auch der Himmel Tränen und die Straße versinkt im Schlamm. Doch das tut der guten Stimmung keinen Abbruch. Hochzeitsgäste drängen in die gute Stube, um der Braut ein letztes Lebewohl zu sagen, tanzen zu den Klängen der beiden Musiker, wirbeln im Kreis, daß sich die Balken biegen. Wer immer in die kaum mehr als fünf mal fünf Meter kleine Stube zur Braut vordringen will, muß mindestens ein volles Glas vom hochprozentigen Schnaps leeren. Und daran muß man sich als Fremder erst gewöhnen. "Tuika" ("T" mit Komma nach unten) heißt das Gebräu. Nicht umsonst nennen ihn die Einheimischen: "der wie fünfzig Feuer brennt": Der Tuika ist ein doppelt gebrannter Zwetschkenschnaps mit gut 52 Prozent Alkoholgehalt. Ein wahres Teufelszeug, das in der Kehle brennt, zu jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit kredenzt wird und vieles vergessen macht: Die Arbeitslosigkeit zum Beispiel oder die hohe Inflationsrate. Das sind nur zwei der Gründe, warum so mancher der einheimischen Jugendlichen seinem Heimatdorf den Rücken zukehrt und nie wieder kommt. Aber heute ist Hochzeit und wer denkt da an solche Probleme?

Die Gute Stube ist zum Bersten voll. Die Brautmutter hat ihrer Tochter bereits ihren Segen gegeben. Alle Verwandten werden dem Beispiel folgen und so dauert die Verabschiedung der Braut gute zwei Stunden. Zwei Stunden, in denen Tränen fließen und viel getrunken, getanzt und gesungen wird. Die beiden Musiker heizen die Stimmung auf und spielen ohne Unterlaß.

Draußen hat es zu regnen aufgehört, doch das viele Naß hat die unbefestigte Nebenstraße in eine Schlammbahn verwandelt. Die Sonntagsschuhe werden mit Gummistiefeln vertauscht. Ein Auto fährt vor, um die Braut abzuholen. Der Hochzeitszug mit den Verwandten und den geladenen Gästen verläßt das Haus der Brauteltern und marschiert durch das Dorf Richtung Kirche, begleitet von der mittlerweile auch nicht mehr ganz nüchternen 2-Mann-Kapelle. Fast bei jedem Haus wird Station eingelegt und der hochprozentige Zuika rinnt durch durstige Kehlen. "La multiani" ("t" mit Komma nach unten) - Du sollst leben!"

Inzwischen dampft und duftet es in der engen Küche des Gemeindehauses. Es ist das einzige Gebäude im Dorf, das auch über einen genügend großen Saal verfügt, der für großangelegte Festlichkeiten genutzt werden kann. Maria Petraus steht mit zwei Helferinnen seit den Morgenstunden in der Küche, würzt, rührt und kostet. Sie hat alle Hände voll zu tun. Denn nach dem Kirchgang werden an die 450 bis 500 Menschen zum Hochzeitsessen erwartet. Was sie denn da kocht? Was für eine Frage! Verschiedene Kuchen sind bereits fertig und natürlich steht "Sarmale" auf dem Menuplan: Mit Reis und Fleisch gefüllte Weinblätter, eine traditionelle Festtagsspeise, die nicht fehlen darf. "Raciura", Fleisch in Aspik, Käse, Salate, Hühnersuppe mit Nudeln und als Hauptspeise: Rinderbraten. Wenn sich die Köchin an ihre eigene Hochzeit erinnert, die nun schon 40 Jahre zurückliegt, gab es damals auch "Sarmale" und "Placinte cu branza" - Käse in Blätterteig. Ein Schaf wurde zu ihrer Hochzeit geschlachtet und einen Sack Mehl hat sie als Hochzeitsgeschenk bekommen. Daran kann sich Maria Petraus noch gut erinnern, denn Mehl war damals eine Kostbarkeit. Heute hat man alles im Überfluß. "Denken Sie nur", verkündet die Köchin mit Stolz, "heute gibt's allein neun verschiedene Kuchen!" Und damals, vor 40 Jahren, hatte sie kein Geld, auch keines, um sich neue Schuhe kaufen zu können. Doch wenn man jung und verliebt ist, spielt Geld keine Rolle, oder nicht? "Die Braut in Strumpfhosen" hat man sie scherzhalber genannt. Ihre Schuhe hat sie sich schließlich selber gefertigt.

"Schmeckt köstlich!" George hat sich zu einem der Töpfe geschlichen und gekostet. Er darf, hilft er doch schließlich in der Küche mit. Und während im Saal die bestellte Band einen letzten Soundcheck für ihren Auftritt probiert, gibt George ein Lied zum Besten: "Als ich jung war, konnte ich fliegen wie ein Spatz", singt er mit rauher Stimme, "von Ast zu Ast bin ich geflogen und niemand konnte mir etwas tun. Dann aber hat mich ein Jäger erwischt und ich konnte nicht mehr fliegen.Wer aber war der Jäger? Niemand anders als meine Geliebte und meine Mutter, die hat mich verflucht!"

In der Zwischenzeit hat die Trauung in der nur einen Steinwurf entfernten Dorfkirche ein Ende gefunden. Braut, Bräutigam, Gäste und Musiker haben sich zu einem langen Zug formiert und marschieren Richtung Gemeindehaus. Der Veranstaltungssaal, der sonst kaum den Charme einer Bahnhofshalle zu übertreffen vermag, ist festlich geschmückt. An langen, weiß gedeckten Tischen werden bis weit über Mitternacht kulinarische Köstlichkeiten serviert, die Band wird die Menschen zum Tanzen animieren und getrunken wird bis zum Morgengrauen. Schließlich soll diese Hochzeit jedem der Anwesenden noch lange in Erinnerung bleiben.

Nikolaus Scholz

Wien

Fotos: W. Scherz


Bilder aus Botiza

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Bilder vom Bauernmarkt in Botiza (348 KB)

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Botiza - Maramureser Dorfansichten (610 KB)

Botiza und seine Menschen (701 KB)

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