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Nach 17 Monaten in Rumänien

Ein Bericht von Sarah Münch


Rundbrief Nr.4

Sarah Münch

Ambulante Altenbetreuung/Orthodoxe Gemeinde Sibiu

Januar 2007

Liebe Unterstützer, liebe Familie und Freunde von zu Hause, liebe Leute, die ich in Rumänien kennen gelernt habe und die mir ans Herz gewachsen sind!

Nach 17 Monaten in diesem Land kann ich sagen: Es war die beste Entscheidung, einen Freiwilligendienst von eineinhalb Jahren abzuleisten. Ich bedanke mich bei allen, die mich auch in diesem längerem Zeitraum in Gedanken begleiten und mit ihren Spenden unterstützen!

Der tuica für`s nächste Jahr ist gebrannt, alle Schweine sind geschlachtet, der Weihnachtsstress an der Arbeit ist beendet, Hermannstadt hat die Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres mit einem riesigen Feuerwerk in mehreren Stadtteilen gefeiert, Rumänien ist wirklich der EU beigetreten (Das bedeutet auch, dass nächstes Jahr keine Schweine mehr im Hof geschlachtet werden dürfen!) ... und ich habe endlich wieder die Ruhe euch von meinen Erfahrungen zu berichten.

Mein Leben hat sich in den letzten Monaten noch einmal richtig verändert. Im September habe ich eine rumänische Mitbewohnerin gefunden, mit der ich wirklich Glück gehabt habe. Dadurch ist der letzte große Traum meines Freiwilligendienstes in Erfüllung gegangen. Wir verstehen uns gut und unternehmen viel miteinander. Ich habe durch sie viel Rumänisch dazu gelernt und zum Glück hat sie Geduld mit meiner unbeholfenen Art und Weise, mich in der neu gelernten Sprache auszudrücken. Außerdem habe ich endlich einen Plan in die Tat umgesetzt, mit dem ich schon vor Beginn meines Dienstes in Gedanken gespielt habe, siehe letzten Abschnitt...

Ich bin noch tiefer in die Mentalität dieses interessanten und verrückten Landes eingetaucht, habe viele Ansichten und Meinungen über Rumänien und die Welt gehört, von denen manche mir immer noch völlig unverständlich sind. Aber natürlich habe ich im Kopf auch einen großen Schritt gemacht, was meine persönliche Toleranz anbetrifft. Darüber später mehr ...

Viele verschiedene (endlich auch mal junge!) Menschen sind mir begegnet, Archivisten, Sport- und Theologiestudenten, Krankenpfleger, überzeugte Veganer (rum. naturisti), hervorragende Nachwuchsmusiker, Leute, die was anpacken wollen, statt wegzugehen, etwas in diesem Land aufbauen wollen, z.B. Skipisten oder Altenheime oder ... Menschen, die Träume und Ideen haben, wissen, was sie im Leben wollen und die das auch hier umsetzen wollen. Das klingt zwar komisch, aber vielleicht hatte ich nicht damit gerechnet, Menschen mit so ehrgeizigen Plänen und Vorstellungen im Leben hier zu treffen. Ist sogar in meinem Kopf noch irgendwo ganz tief unten die Vorstellung von einem "zurückgebliebenen" Land präsent? Auch darum soll es in meinem neuen Rundbrief gehen...

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!

 

Sprache

Der bekannteste zeitgenössische Autor Rumäniens Mircea Cartarescu sagt in einem Interview über die rumänische Sprache: "Wir Schriftsteller in Rumänien leben sehr durch unsere Sprache. Wir leben von der Chemie der Sprache, von ihrem Klang. Sie ist fantastisch. Die größten Schreiber sind bei uns Poeten. Wir leben von der Spannung zwischen den verschiedensten Schichten unserer Sprache. Die slawischen, griechischen, türkischen, ungarischen, deutschen Schichten unseres Sprachkuchens haben alle eine andere Färbung. Wer den ganzen Kuchen essen möchte, muss sich als Ausländer schon an unseren Ort, in unsere Sprache begeben." (Anmerkung: M. Cartarescu erwähnt an dieser Stelle nicht, dass die rumänische Sprache eine romanische Sprache ist, d.h. auf das Lateinische aufbauend, was allerdings für das Verständnis der Sprachstruktur wichtig ist.)

Manchmal, wenn ich den Einheimischen zuhöre, halte ich plötzlich inne und kann gar nicht glauben, dass ich sie so einfach verstehe. Es kommt mir unwirklich vor, dass ich inzwischen Menschen verstehe, von deren Sprache ich vor 18 Monate noch nicht die geringste Ahnung hatte.

Die rumänische Sprache ist Musik in meinen Ohren (Rumänische Musik, vorausgesetzt, sie gefällt mir, klingt dann natürlich doppelt schön (-:). Es ist wahrscheinlich die vokalreichste Sprache, die es gibt (behaupte ich einfach mal, ohne viele andere Sprachen zu kennen), was man z.B. an Wörtern wie oua (Eier), oaie (Schafe, Plural oi), reteaua (das Netz) oder ziua (der Tag) erkennen kann. Ich könnte den Menschen einfach den ganzen Tag nur zuhören (und zuschauen). Das ist wie Fernsehen für mich, unter Rumänen wird es mir nie langweilig. Es ist irgendwie eine lustige Sprache. In letzter Zeit, da ich immer mehr auch die Umgangssprache verstehe und anwenden kann, merke ich das immer wieder an Ausdrücken, die ich aufschnappe und die mich schmunzeln lassen. Zusätzlich haben die Rumänen (komischerweise vor allem die Männer) eine bestimmte Art zu reden, die durch ihre Gestik und sprachliche Ausdrucksweise einfach nur "Fernsehen" für mich ist.

Mir macht es Spaß, immer mehr so zu reden wie die Rumänen. Das klingt banal? Meiner Erfahrung nach gibt es einen Unterschied zwischen "Sich verständlich machen" und "So reden, wie es die Muttersprachler tun". Letzteres kommt, glaube ich, erst nach mindestens einem halben Jahr Sprachpraxis. Ich genieße es, wenn meine Sätze so klingen, wie ich es liebe, sie von den Rumänen zu hören. Dass mir das bei weitem nicht immer gelingt, muss ich wohl nicht hinzufügen. Oft komme ich mir wie der letzte Trottel vor, weil ich bei tiefgehenden Gesprächen nicht annähernd das ausdrücken kann, was ich wirklich fühle. Oder weil es sich einfach nur ausländisch anhört und ich ganz genau weiß, dass kein Rumäne das je so sagen würde. Aber daran habe ich mich gewöhnt (Etwas anderes bleibt mir ja auch nicht übrig). Die Menschen haben im allgemeinen Verständnis dafür und bemühen sich, herauszubekommen, was ich wirklich sagen will. Nur manchmal schauen mich die Leute mitleidsvoll an und schlagen vor, englisch oder deutsch mit mir zu sprechen. Ich weiß, dass die Aussprache mein schwacher Punkt ist, vor allem, weil ich das osteuropäische "R" nicht vorne mit der Zunge rollen kann. Das muss sich in den Ohren Einheimischer anhören, als würde ich mich ziemlich quälen, ihre Sprache zu reden ...

Es ist eine schöne Erfahrung, eine neue, vielleicht auch etwas exotische Sprache im Land von den Einheimischen zu lernen. Das Wissen dieser wunderschönen Sprache ist eines der größten Geschenke, die mir Rumänien gemacht hat. Ich kann nur jedem raten, der einmal die Chance hat, längere Zeit in einem anderen Land zu leben, die Gelegenheit zu nutzen und so gut wie möglich die Landessprache zu lernen. Erst dadurch kann man sich sicher und zu Hause fühlen und die Mentalität besser, auch mit ihren "Zwischentönen" durchdringen. Ansonsten bleibt man eher Zuschauer als Mitbürger auf Zeit.

 

"Weit öffnet die Tore eurer Herzen ..." - Weihnachten in Rumänien

Larg deschideti poarta   Weit öffnet die Tore
sufletelor voastre!   Eurer Herzen!
N-am venit sa cerem   Wir sind nicht gekommen um zu bitten,
Am venit sa dam.   Wir sind gekommen um zu geben.
     
Dalbe si iar dalbe   Dalbe und wieder dalbe (myth. Weihnachtsblumen)
Flori adeverate   Wahrhafte Blumen,
Ca si vestea buna   Wie die gute Nachricht,
Ce v-o colindam   Die wir euch singen.
     
Merele de aur   Äpfel aus Gold
Merele din sate   Äpfel von den Dörfern
s-au cules azi noapte   Wurden heute nacht
de colindatori.   Von den Colindesängern gesammelt.

 

Dies ist der Text eines so genannten "Colind", d.h. eines rumänischen Weihnachtsliedes, welches ich zu diesem Weihnachtsfest mehrere dutzend Mal gesungen habe ...

In der Adventszeit gab es vereinzelte Momente, in denen ich beinahe bereut hätte, zu Weihnachten hier zu bleiben und nicht wie fast alle in meiner Umgebung nach Hause zu fahren. Aber ich wollte auch dieses Jahr für meine älteren Menschen da sein, für die die Weihnachtstage meistens besonders einsame Tage sind.

Nach einer SMS an eine Freundin aus der orthodoxen Kirche in Valea Aurie am 23.12. war jedoch jede Angst vor einem einsamen Weihnachtsabend verschwunden. Ich war eingeladen am Abend des 24. nach der vecernie (Abendgottesdienst) mit den anderen Jugendlichen aus der Gemeinde Colinde singen zu gehen. Dies ist eine Weihnachtstradition der Rumänen, bei der man von Haus zu Haus (in Valea Aurie natürlich von Blockwohnung zu Blockwohnung...) geht und dort für Freunde oder bedürftige Menschen Weihnachtslieder singt. Dafür bekommt man dann je nach Reichtum der betreffenden Gastgeber eine Kleinigkeit zu essen und zu trinken, colinde-singende Kinder freuen sich meistens über Geld.

Wir sind also mit einer Großgruppe von 30 Jugendlichen zwei Abende und insgesamt 13 Stunden zu allen Familien der Jugendlichen nach Hause gegangen und wurden tatsächlich bei jedem mit Kuchen, suc (Erfrischungsgetränken) und vin bewirtet. Nach 5 Familien konnte ich schon nicht mehr und nach 10 Familien habe ich endlich aufgehört zu essen ... Die letzte Familie besuchten wir auf dem Land und wurden fürstlich mit hausgemachten Köstlichkeiten verwöhnt. Unsere stimmungsvollen und festlichen Gesänge wollten gar nicht mehr enden ... Ich sagte, wie überwältigt ich von der Gastfreundschaft wäre. - "Siehst du, Sarah, es gibt hier auch viele reiche Familien."

Wir waren der "Konkurrenz" anderer colindatori aus dem Viertel durch die costumi populare (Trachten), die die Hälfte von uns trug, und durch unsere außerordentliche Sangeskunst natürlich weit überlegen! Das Weihnachtsfest scheint mir hier geselliger. Traditionell ist der 24. Dezember der Vorbereitung und dem colindat gewidmet, der 25. dem Kirchgang und der Familie und der 26. den Besuchen bei Freunden, Verwandten, Bekannten...

Ich bin froh, hier geblieben zu sein und das lustigste und aufregendste Weihnachten meines bisherigen Lebens erlebt zu haben. Ich bringe einen Schatz neu gelernter Weihnachtsliedern und schönen Erinnerungen nach Deutschland mit.

 

Stolz

Ich begegne vielen Menschen, die mir sagen, dass es eine gute Sache sei, freiwillig in diesem Land zu helfen. Rumänen würden nie so etwas machen wie wir Deutschen. Einmal ließ mir ein Mann beim Trampen sogar den Vortritt, weil ihn mein Engagement in seinem Land beeindruckte!

Jetzt, da ich die Sprache besser kann, die "Zwischentöne" immer mehr verstehe, die Menschen besser kenne und diese im Gegenzug die anfängliche Höflichkeit mir gegenüber mehr mit Ehrlichkeit ersetzen, fällt mir zunehmend eine andere Nuance ins Auge. Ich bemerke in Gesprächen, dass auf manche Rumänen bereits die Arbeit, die ich hier mache, als eine innerliche Positionierung zu dem Land Rumänien wirkt. Sie empfinden allein den Fakt, dass ich hierher gekommen bin, um armen Menschen zu helfen, als eine Art Angriff auf ihr Selbstbild. Sie sagen mir, dass es hier viele reiche Menschen gäbe und dass wir Deutschen uns gar nicht vorstellen könnten, welch teuren Automarken hier herumführen. Dann sage ich, dass ich das weiß und nehme mir vor, nicht mehr so ausdrücklich von "bedürftigen Menschen" zu sprechen. Manchmal wäre es mir lieber, ich könnte sagen, dass ich nach Rumänien gekommen bin, um viel Geld zu verdienen, das wäre für manche vielleicht verständlicher...

Am Anfang konnte ich diese völlig unerwartete Reaktion gar nicht richtig einordnen, doch mehr und mehr ist mir klar geworden, dass es sich dabei auch um eine Art Stolz handelt. Wir können es uns nicht vorstellen, wie es ist, als ganz normaler Mensch, der auch nur sein Glück im Leben sucht, in einem Land zu leben, dass von allen als das Armenhaus Europas angesehen wird. Die Menschen wollen einfach nicht arm sein oder als arme Menschen angesehen werden. Sie wollen genau so leben wie andere Europäer. Dadurch nimmt aber leider auch die Solidarität mit den armen Menschen im Land ab, die es ja trotzdem unzweifelhaft gibt, die aber nach Empfinden der Mittel- und Oberschicht "Schuld" sind an dem schlechten Bild, dass das Land im Westen hat.

Es ist allerdings tatsächlich so, dass muss ich auch zugeben, dass es in Westeuropa viele Menschen gibt, die noch nie in Rumänien waren, die aber trotzdem meinen zu wissen, welche Zustände hier herrschen. Diese Vorstellungen sind oft noch von Berichten aus dem kommunistischen Rumänien geprägt oder von den ersten Fernsehbildern, die nach der Revolution über unsere Bildschirme flackerten und z.B. Behindertenheime mit erschreckenden Zuständen zeigten. Doch in diesem Land hat sich viel verändert.

Den Vogel in puncto Sich-durch-meine-Arbeit-angegriffen-fühlen hat jedoch mein Fahrlehrer abgeschossen. Er meinte bei einer Fahrstunde zu mir, dass ich eine schlechte Meinung über Rumänien habe, weil ich denke, dass zu Zeiten von Ceausescu es den Menschen schlecht ging. (Denke ich wirklich, aber ich habe mir abgewöhnt über diese Meinung zu reden...) Ceausescu hätte es nie zugelassen, dass Ausländer ins Land kommen, um zu helfen. In Wirklichkeit wären die Menschen nämlich gar nicht arm, sondern würden mich nur belügen, um immer noch mehr zu bekommen. Ich habe an meine Alten gedacht und ihn gefragt, ob er je in die Häuser der Ärmsten der Armen eingetreten ist, die nur 30 Euro Rente bekommen. Daraufhin meinte er, dass die wahrscheinlich noch von 10 anderen Stellen Hilfe bekommen würden und das Rumänien eh ein "Tara de hoti" ("Land der Diebe", das sagen so viele, ich kann`s nicht mehr hören!) sei.

Am meisten hat mich getroffen, dass er behauptete, ich würde schlecht über Rumänien denken und deshalb diesen Dienst ableisten. Dabei ist doch genau das Gegenteil der Fall! Ich habe ihm erklärt, dass viele meiner Kollegen in Westeuropa die selbe Arbeit machen, weil es überall benachteiligte Menschen gibt. Ich weiß nicht, ob er das verstanden hat, schließlich war ich ziemlich aufgebracht und musste rumänisch reden und nebenbei auch noch Auto fahren ... Ich wollte mir nicht die Blöße geben, vor so einem Menschen zu weinen, aber innerlich war ich sehr verletzt. Inzwischen habe ich jedoch ein wenig mehr über das Bedürfnis nach einem positiven nationalen Selbstwertgefühl nachgedacht und kann über diese Begebenheit sogar lächeln.

Man sollte bei manchen Themen sensibel sein, wenn man sie ins Gespräch bringt. Als ich mit meiner Mitbewohnerin Diana bei ihren Eltern in Craiova eingeladen war, meinte sie, ich solle nicht zu viel erwarten, ihre Eltern seien "einfache Menschen". Ich hatte zu dem Zeitpunkt gerade Fieber und fühlte mich krank und meinte deshalb scherzhaft zu ihr, dass ich wahrscheinlich auch nicht besonders viel essen werde... Sie erschrak sehr und machte einen ziemlich verletzten Eindruck. Ich verstand zunächst gar nicht, was ich mit dieser Bemerkung angerichtet hatte und konnte sie erst damit beruhigen, dass es ein Witz war und dass ich so etwas auch zu Deutschen sagen würde. Die Themen Essen und Hunger sind hier noch relativ sensible Themen, weil es auf der einen Seite wirklich noch einige Menschen gibt, die sich nicht regelmäßig satt essen können und andererseits im Ausland Rumänien viel zu oft noch mit dem Thema "Hunger und Armut" in Verbindung gebracht wird.

 

Asociatia "Sfântul Nicolae" Valea Aurie

So heißt meine offizielle Arbeitsstelle, bei der ich seit über einem Jahr zwei Mal pro Woche mithelfe und über die ich euch leider noch relativ wenig erzählt habe. Die Asociatia "Sfantul Nicolae" (Heiliger Nikolaus) ist in den Kellerräumen einer neu gebauten orthodoxen Kirche im Stadtteil Valea Aurie untergebracht. Auf kleinstem Raum wird jeden Tag Essen für 40 ältere Menschen und 25 Kinder gekocht und Hausaufgabenbetreuung (so etwas wie Hort) für eben diese Kinder angeboten. Nachdem ich am Anfang in alle Bereiche hineingeschnuppert habe, werde ich inzwischen am meisten beim Projekt "O masa de prânz pentru vârstnici in dificultate" (Ein Mittagessen für Senioren in Schwierigkeiten) gebraucht. Die Verteilung des Essens an die älteren Menschen wird ausschließlich von Freiwilligen getragen, d.h. von zwei deutschen und ca. vier rumänischen. Da ich von allen diejenige bin, die schon am längsten beim "Essen ausfahren" dabei ist, werde ich inzwischen sozusagen als "Erfahrungsautorität" geachtet. Bei Entscheidungen, die das Projekt betreffen, werde ich gefragt und meine Meinung wird geachtet.

Es ist schön, dass ich mich inzwischen dort zu Hause fühle, sowohl an der Arbeitsstelle, als auch in der Gemeinde und im Viertel. Ich bin froh, junge und ältere Kollegen zu haben, die ich mag und mit denen ich schon viele lustige Erlebnisse hatte, schließlich ist Rumänien ein Land der Improvisationen! Toll ist, dass ich durch die Mitarbeit in der Gemeinde viele engagierte Rumänen kennen gelernt habe. Obwohl es im Rumänischen ein Sprichwort existiert "Omul bun e nebun" (Ein guter Mensch ist verrückt), gibt es anscheinend trotzdem Menschen, die etwas für die Benachteiligten der Gesellschaft tun wollen. In einem Land, in dem viele Bewohner Schwierigkeiten haben, an einen ausreichenden Lebensunterhalt zu kommen, ist es für mich noch überraschender, einheimische "Freiwillige" kennen zu lernen. Es waren so manche besondere Menschen darunter, z.B. Ionut, ein Informatikstudent, der seine gesamten Semesterferien (3 Monate) damit verbracht hat, jeden Tag 4 Stunden mit unserer "tractor"-Dacia Essen auszufahren oder Ioan, ein ehemaliger Hubschrauberpilot der rumänischen Armee, der das selbe macht, allerdings für einen unbefristeten Zeitraum. Im Kreis der orthodoxen Kirche ist dieses Projekt einzigartig und so zieht es viele Menschen an, die etwas für Bedürftige tun wollen oder sich im sozialen Bereich engagieren möchten.

Der orthodoxe Pfarrer Sasausan hat den Verein gegründet, führt ihn mit viel persönlicher Hingabe und ist einfach ein bewundernswerter Mensch. Von ihm habe ich so einiges gelernt, was die Unterstützung von hilfsbedürftigen Menschen angeht. Seine Frau führt die Küche und ist dagegen mit ihrer übertrieben emotionalen, verlangenden und oft krankhaft negativen Art, mit der sie auch schon so manchen engagierten Mitarbeiter und Freiwilligen vertrieben hat, eine der größten Herausforderungen meines Freiwilligendienstes. Doch auch mit solchen Menschen sollte man umgehen lernen. Wer sagt denn, dass ich in meinem zukünftigen Leben nur mit unkomplizierten Vorgesetzten zu tun haben werde?

Abgesehen davon bin ich sehr froh, dieses sinnvolle Projekt mit meiner freiwilligen Arbeitskraft unterstützen zu können und wirklich gebraucht zu werden.

 

Orthodoxie

Ich bin hier mit einer in Deutschland relativ unbekannten Konfession konfrontiert, die ich euch zum Ende meines Freiwilligendienstes endlich auch ein wenig näher bringen will. Eigentlich wollte ich das schon viel früher tun, aber ich habe festgestellt, dass es gar nicht so einfach ist, ein völlig fremdes "religiöses System" zu verstehen, bzw. darzustellen.

Es gibt natürlich viele Unterschiede, die einem gleich auf den ersten Blick auffallen, deren Sinn man aber nicht gleich versteht. Orthodoxe Kirchen sind beispielsweise innen vollständig mit Heiligenfiguren und biblischen Szenen ausgemalt, nur schwach beleuchtet und im ganzen Raum sind Ikonen verteilt. Der Weihrauchgeruch nimmt einen ein. Beim Eintreten in die Kirche bekreuzigen sich die Menschen und küssen alle eine bestimmte Ikone. Die Kirche ist den ganzen Tag von früh bis abends geöffnet und auch außerhalb der Gottesdienstzeiten kommen die Menschen, um vor den Ikonen zu knien, zu beten oder auch einfach nur um miteinander zu schwatzen.

Jeden Tag findet morgens und abends Gottesdienst statt, der sonntags auch schon mal 3 Stunden dauern kann. Es wird die meiste Zeit gesungen, dabei wechseln sich der Priester und eine Gruppe von Sängern ab. Die Gläubigen stehen die meiste Zeit, knien sich nur ab und zu hin und bekreuzigen sich auch während des Gottesdienstes sehr viel. Sie stellen Grundnahrungsmittel wie Brot und Öl auf einen Tisch vor dem Altar und versehen diese mit einer langen gelben Kerze. Man gibt dem Priester kleine beschriebene Zettel und einen geringen Geldbetrag dazu (Versuchen die Rumänen, sogar Gott zu bestechen?).

Der Wald von Unverständlichkeiten lichtet sich, wenn man sich Zeit nimmt zum Hineindenken in das andere "religiöses System", wenn man anfängt die Landessprache zu verstehen und geduldige Menschen trifft, die einem die verschiedenen Rituale erklären und Fragen beantworten.

In erster Linie basiert das spirituelle Verständnis im Gegensatz zu unserer wort- und verstandeslastigen religiösen Kommunikation viel mehr auf Gefühl, Hingabe und Besinnung. Man nimmt sich mehr Zeit für den Gottesdienst und durch das fast ununterbrochene Stehen konzentriert man sich mit dem ganzen Körper auf das Gebet und das Hören auf Gottes Wort.

Eine Atmosphäre der Heiligkeit und inneren Sammlung wird durch die "schummrige" Beleuchtung mit Kerzen und die ununterbrochenen Gesänge erzeugt. Dagegen wird während des Gottesdienstes nur ganz wenig gesprochen, selbst das Evangelium, einer der heiligsten Abschnitte der "Sfânta Liturghie" (Hauptgottesdienst), wird gesungen. Bis auf eine kurze Predigt am Ende des Gottesdienstes, die sich meist eher auf die Schriftauslegung als auf das tägliche Leben der Menschen bezieht, spricht der Priester die Menschen nie persönlich an. Die meiste Zeit befindet er sich hinter der so genannten "Ikonostase", d.h. einer Wand, die den Altar- vom Kirchenraum trennt und vollzieht dort die gottesdienstlichen Handlungen.

Am Anfang geben die Gottesdienstbesucher dem Priester (preot) so genannte pomelnice, auf denen die Namen von lebenden und verstorbenen Personen stehen, für die sie beten wollen. Dazu geben sie etwas Geld als Unterstützung für die eigene Gemeinde. In kleineren Kirchen mit weniger Gottesdienstbesuchern liest der Priester alle Namen vor und betet für die Personen, was schon mal 15 Minuten dauern kann. Einmal habe ich sogar meinen Namen gehört, was mich sehr gerührt hat. So viele Sarahs gibt es in Valea Aurie nicht ...

Die mitgebrachten Lebensmittel werden im Gottesdienst gesegnet und danach an die Besucher verteilt. An Feiertagen werden am Ende des Gottesdienstes außerdem kleine Brote, sogenannte prescuri verteilt. Davor werden diese in großen Mengen in unserer Küche von einigen Frauen gebacken, die alle Witwen sein müssen. Warum es diese Bedingung gibt, weiß ich allerdings auch nicht. Man wird eben trotz aller Bemühungen nie alles verstehen, fremde religiöse Systeme werden so lange Mysterien bleiben, so lange man sich nicht ganz zu ihnen bekennt.

Die Menschen bekreuzigen sich nach unserem Verständnis sehr oft, ob bei bestimmten Schlüsselwörtern im Gottesdienst oder wenn der Bus an einer Kirche vorbeifährt oder beim Losfahren des Zuges, um Segen für die Fahrt zu erbitten oder bei emotionsgeladenen Streitgesprächen oder einfach nur, wenn sie an Menschen oder Ereignisse denken, die ihnen sehr wichtig sind.

Man trägt fast ständig ein Gebetsbüchlein bei sich und in den Autos hängen ganze Kollektionen von Kreuzen und Ikonen. Dadurch z.B. ist die Religion sehr viel stärker ins Alltagsleben integriert als bei uns und gibt den Menschen Halt und Orientierung in schwierigen Lebenssituationen. Auch bei der Lebenshaltung und Moral gibt es Unterschiede. Beispielsweise ist es verpönt, sich über die Schwierigkeiten des Lebens zu beklagen. Unser Pfarrer Sasausan bezeichnet dies sogar als "Sünde" (das Wort wird hier häufiger benutzt als bei uns) und fordert die Menschen auf, auf das zu sehen, was ihnen Gott gegeben hat und dafür dankbar zu sein.

Gegenüber den oftmals verzweifelten Menschen, die wir zusammen besuchen, ist das für mich manchmal ein nicht ganz leicht nachzuvollziehender Ratschlag. Die Menschen scheinen dieses Gebot allerdings sowieso nicht so ernst zu nehmen ... Außerdem fällt mir auf, dass alles Schlechte, was der Menschheit geschieht, wie Naturkatastrophen oder persönliche Schicksalsschläge, wie z.B. Krankheiten, oft als Strafe Gottes interpretiert werden. Das erschreckt mich manchmal und deshalb versuche ich so weit es geht, das den Menschen auszureden.

Nach offiziellen Angaben sind 90% der Rumänen orthodox, der Rest gehört anderen Konfessionen an und nur ein verschwindend geringer Teil bezeichnet sich selber als atheistisch. Deshalb ist das Land meiner Meinung nach nicht zu verstehen, wenn man sich der Religion nicht nähert.

 

Toleranz

Warum geht man in ein anderes Land um einen Freiwilligendienst abzuleisten? Ein Ziel ist meistens, ein Blick über den Tellerrand zu wagen und seine persönliche kulturelle Toleranz zu erweitern.

So sehr ich das Land liebe, so traurig und unverständlich finde ich einige Ansichten, die mir täglich begegnen. Ich habe im letzten Jahr so manche Meinungen gehört, die mich am Anfang erschreckt haben, aber an die ich mich mit der Zeit gewöhnen musste.

Offensichtlich ist die Einstellung gegenüber Zigeunern. Man trifft fast niemanden in diesem Land, der sich nicht irgendwie negativ über tigani äußern würde. "Zigeuner" ist die allgemein anerkannte Bezeichnung, mit ihr verbindet sich noch keine Diskriminierung. Die offizielle Bezeichnung der nationalen Minderheit ist romi (Roma), oft auch rromi geschrieben, um eine "Verwechslung" mit români (Rumänen) zu vermeiden, für mich persönlich eigentlich die diskriminierendste Bezeichnung. Man ist davon überzeugt, dass das schlechte Bild, das Rumänien im Ausland hat, vor allem durch den Einfluss der Zigeuner zustande kommen würde. Diese würden nicht arbeiten und hätten nur gelernt, zu stehlen und zu betteln. Sie würden sich nicht waschen und deshalb stinken. Die Töchter würden mit 12 Jahren verheiratet werden und setzten dann eine Menge Kinder in die Welt, um die sie sich gar nicht kümmern könnten.

Sicherlich ist das alles nicht aus der Luft gegriffen und jedes dieser Vorurteile beruht auf wahren Beobachtungen. Das Erschreckende ist jedoch, dass diese einzelnen Meinungen, die man ständig hört, eine allgemeine Ablehnung der Volksgruppe begründen, die sich durch alle Schichten zieht und die für mich alarmierend ist. Ich denke, man kann an unserer Geschichte erkennen, was passieren kann, wenn eine ganze Volksgruppe aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen wird und gleichzeitig als Sündenböck für alles Negative verantwortlich gemacht wird. Auch wenn man nicht gleich so weit gehen will, tut es mir weh, dass Menschen von vornherein abgelehnt werden, weil sie einer bestimmten Bevölkerungsminderheit angehören. In Gesprächen zu diesem Thema sage ich, dass ich nichts gegen Zigeuner habe. Sie gehören einer völlig anderen Kultur an, die wir von außen nur schwer verstehen können. Diese Kultur erscheint den Rumänen fremd im eigenen Land und deswegen bedrohlich. Wenn man die Zigeuner verurteilt, nimmt man ihnen aber von vornherein jede Chance, aus ihren oft elenden Verhältnissen herauszukommen.

Wenn man die Menschen, insbesondere Rumänen ab 30, auf den Kommunismus (von Sozialismus spricht man hier nicht, auch wenn das historisch korrekter wäre) und die Ceausescu-Vergangenheit des Landes anspricht, bekommt man höchstwahrscheinlich eine unerwartete Antwort. Wir, die wir die Bilder von einem Volk im Kopf haben, dem jeglicher Kontakt zu Ausländern verboten war, das vor leeren Geschäften stundenlang nach Brot anstehen musste, dessen Kulturgüter zu Gunsten des Aufbaus eines "neuen Rumäniens" zerstört wurden und das jahrzehntelang von der securitate bespitzelt wurde, bekommen zu hören, dass das Leben unter Ceausescu einfacher und besser gewesen wäre. Jeder hätte eine Arbeit und ein Auskommen gehabt, von dem man leben konnte. Seit 16 Jahren ginge es nur noch bergab mit dem Land. Ich weiß, dass Rumänien durch den politischen Wandel und das Einführen der Marktwirtschaft vor große Probleme gestellt wurde. Es erscheint mir jedoch absurd, sich nach einem autoritären Gewaltregime und einem kranken Diktator, der wahrscheinlich zuallerletzt das Wohl des Volkes im Sinn hatte, zurück zu sehnen.

Erschrocken bin ich ebenfalls über die allgemeine Ablehnung von Homosexualität. Mir war schon eher aufgefallen, dass man hier nie gleichgeschlechtliche Paare sieht und dass allenfalls Witze über sie gemacht werden. Geschockt hat mich aber die "Kampagne gegen Homosexualität und Polygamie", zu der vor kurzem von der orthodoxen Kirche aufgerufen wurde. Alle Gläubigen wurden dazu aufgefordert gegen eine Gesetzesinitiative aus Bukarest zu unterschreiben, die das rumänische Recht an europäisches angleichen soll, d.h. dass auch gleichgeschlechtliche Paare heiraten können (wobei ich nicht glaube, dass die EU in Rumänien die Mehrehe einführen will (-;). Ich denke, dass so ein Gesetz für Rumänien, wo homosexuellen Partnerschaften sowieso noch jegliche Akzeptanz fehlt, tatsächlich zu früh kommt. Den Rumänen, denen ich erzählt habe, dass gleichgeschlechtliche "Ehen" bei uns erlaubt sind und dass ich das sogar ok finde, waren wohl nicht weniger erschrocken und irritiert als ich ...

Das sind nur einige Beispiele, an denen ich immer wieder meine kulturelle Toleranz "testen" kann. Am Anfang habe ich noch versucht, zu diskutieren und meine Meinung darzulegen, doch inzwischen gehe ich diesen Diskussionen meistens aus dem Weg, weil ich mich nur aufrege und gewisse verbreitete Meinungen auch nicht ändern kann ...

 

"Meine Alten" - Abschied und Erinnerungen

In den nächsten Wochen heisst es nun Abschied nehmen von meinen älteren Menschen, für die ich 18 Monate dagewesen bin und zu denen ich, abhängig von der jeweiligen Person, eine mehr oder weniger persönliche Beziehung aufgebaut habe.

Natürlich war es nicht immer einfach in schwierigen Situationen die Geduld zu bewahren, aber im Gedächtnis werden mir die schönen Ereignisse und Situationen bleiben, die ich an guten Tagen erlebt habe: Wenn Frau Chivuta mit den Worten "Ach, wie du mich wieder zum Lachen bringst!" in ungehemmtes Gelächter ausbricht und später beim Abschied mit Tränen in den Augen vor mir steht und nicht weiss, wie sie sich für die Dinge bedanken soll, die ich für sie tun konnte.

Wenn ich Aurica im Rollstuhl durch die Stadt schiebe, sie sich zu mir umdreht, grinst und vor Freude gluckst beim Anblick eines kleinen Kindes oder beim Wiedererkennen eines Ortes, der vor dem Unfall vor 10 Jahren zu ihrem Alltag gehörte. Wenn ich bei der vom Leben allein gelassenen Frau Hennegariu im vermölten und stickigen Wohnzimmer sitze und an einem guten Tag das erste Mal seit einem Jahr ein klares und interessantes Gespräch mit ihr führen kann. Wenn ich mit Herrn Baila die Kathedrale betrete, er mit seinem Buckel nacheinander vor allen Ikonen niederkniet, leise sein Gebet murmelt und mir irgendwie ein Schauer über den Rücken läuft.

Wenn sich Ana, deren eintöniger Alltag sich wegen ihrer Multiplen Sklerose normalerweise ausschließlich in einer kleinen Blockwohnung abspielt, auf unseren Treffen mit den anderen betreuten Personen in eine lustige Frau mittleren Alters mit Ausstrahlung und vielen verrückten Ideen verwandelt. Wenn ich es schaffe, Frau Stieger von den sie so bedrückenden Alltagsproblemen abzulenken, mit ihr zu lachen und sie auch als lebensfrohe Frau zu erleben. Wenn ich zu Herrn Drasovean komme, merke, dass er in den wie immer einsamen Tagen nach meinem letzten Besuch ungeduldig unser nächstes Treffen erwartet hat und wir über vieles reden, was ihn und mich bewegt. Wenn ich Frau Isailas dankbares und liebevolles Lächeln sehe, das mir so viel Kraft gibt. Wenn Frau Delch aus ihrem langen und intensivem Leben stundenlang Geschichten erzählt, die mir eine Ahnung davon geben, was "Leben" bedeuten kann und von denen ich einen schweren und doch irgendwie angenehmen Kloß im Hals bekomme.

Während ich all das schreibe, kann ich nicht verhindern, dass mir die Tränen in die Augen steigen. Ich stelle fest, dass ich Menschen kennen gelernt habe, die ich nie vergessen werde und die mir trotz ihrer Kompliziertheit und ihrer "Mäckchen" ans Herz gewachsen sind. Ich habe gesehen und versucht zu verstehen, wie Menschen denken und handeln, die alt geworden sind nach einem außergewöhnlich schwerem Leben, das leider auch nach all diesen Jahren nicht gnädiger mit ihnen geworden ist.

Gleichzeitig fühle ich, dass wir uns sehr aneinander gewöhnt haben. Es ist in Ordnung nach diesen 18 Monaten zu gehen und etwas neues anzufangen. Es ist Zeit, Platz für einen neuen Freiwilligen zu machen, der den Elan und die Ambitionen mitbringt, wie ich sie am Anfang hatte. Ich freue mich, dass jemand passendes für diese schöne und spannende Freiwilligenstelle gefunden wurde und wünsche meiner Nachfolgerin Manuela alles Gute bei ihrem Freiwilligendienst in Hermannstadt!

Zum Abschluss möchte ich euch noch von einer schönen Schicksalswendung erzählen, die das Kulturhauptstadtjahr einem Alten von mir gebracht hat: Herr Drasovean wohnt mitten im historischen Zentrum von Hermannstadt mit einem wunderschoenen Blick auf den Kleinen Ring. Diesen kann er in seinem Leben aber leider nicht so richtig geniessen, weil er z.B. kein Wasser in der Wohnung hat und die Wände seiner ärmlichen Behausung mit Rissen durchzogen sind. Schon lange hat es mich verwundert zu sehen, dass so gut wie alle Häuser in seiner Umgebung renoviert werden und er selbst aufgrund fehlender Finanzmittel von einem neuen Dach und einem Badezimmer weiterhin nur träumen kann.

Doch vor zwei Monaten bekam er überraschend Besuch von einem Immobilienmakler, der anscheinend als erster den standortbedingten Wert des Hauses erkannt hat und ihm und den anderen Bewohnern das Haus abkaufen will. Im Kaufvertrag ist ein Wohnungstausch und das Zahlen einer Abfindung von 10.000 Euro festgeschrieben. Herr Drasovean bekommt für seine derzeitige Behausung eine Eigentumswohnung mit zwei Zimmern, Küche und Badezimmer mit fließend warmem Wasser; der Umzug dorthin wird organisiert und bezahlt; mit dem zusätzlichen Geld kann er sich eine komplett neue Wohnungseinrichtung kaufen. Auf meine Frage, ob es ihm um die zentrale Wohnlage nicht Leid tue, winkte er nur ab und meinte, dass er endlich auch unter Bedingungen wohnen wolle "wie ein normaler Mensch". Als Rentner könne er sowieso kostenlos Bus fahren und sei auf diese Art und Weise schnell im Zentrum. Auch wenn sich damit sein größtes Problem, die Einsamkeit, nicht lösen wird, werden die neuen Bedingungen seine Situation sicher entscheidend erleichtern.

 

Scoala de Soferi

Ja, ich habe mich wirklich getraut! Seit drei Monaten versuche ich mich mit einer kleinen rostroten Kugel namens Daewoo Matiz, auf der ein Aufsatz "Scoala" montiert ist, und einem Fahrlehrer, der noch viel mehr verrückte Ansichten zu bieten hat (siehe oben), mich durch das Hermannstädter Verkehrschaos zu kämpfen. Es ist der verzweifelte Versuch Regeln auswendig zu lernen und anzuwenden in einem Land in dem nahezu keine Regeln gelten. Hier verdient der Theorieunterricht seinen Namen noch wirklich, weil er mit der Praxis fast gar nichts zu tun hat.

Ungefähr ein Drittel der Verkehrszeichen, deren Bedeutung ich lerne, gibt es im ganzen Land kein einziges Mal. Ich weiß inzwischen, warum man in Rumänien als Fahrradfahrer so schlechte Karten hat, denn der sogenannte Schulterblick wird hier nicht gelehrt (hab mir ja von vielen erschreckten Deutschen erzählen lassen müssen, wie überlebenswichtig der sei!). Dafür lerne ich, wann man Pferdewagen wie überholen darf und dass man auf einer unasphaltierten Straße in der Stadt gegenüber einer gepflasterten Straße immer Vorfahrt gewähren muss (Sarah: "Aber hier ist doch gar kein Schild! Gilt dann nicht rechts vor links?" Fahrlehrer: "Siehst du nicht, dass wir auf einem unasphaltierten Weg sind??").

Warum ich mir das alles antue? Weil es (noch!) lediglich ein Zehntel von dem kostet, was man in Deutschland für die Fahrschule bezahlt und der rumänische Führerschein seit dem 1.1.2007 ohne Einschränkungen auch in Deutschland anerkannt ist - dafür ist der Abenteuerfaktor hier allerdings mindestens doppelt so hoch ...

Der Zeitpunkt meiner Rückkehr hängt also demnach vom Wohlwollen des rumänischen Prüfers ab, er wird aber auf jeden Fall im Februar liegen. Ich bereite mich innerlich auf den Abschied vor, irgendwie ein Abschied ins Ungewisse. Ich kann mir im Moment noch überhaupt noch nicht vorstellen, wie sich das Leben in Deutschland anfühlen wird. Nur eins ist sicher: Hier war und bin ich glücklich. Ein mächtiger Engel hat mich begleitet und mich weitgehend vor Krisen und Tiefschlägen bewahrt. Dafür bin ich dankbar.

Vai, ce imi va lipsi tara asta!


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