prima paginá
carpatii pesterile raport fotografie hártii informatie Willi si carte
Reportage de
cálátorie vechii
(Komm Mit) linkuri ghid si cazare privire de ansamblu dictionar postá
 

Winter in den Karpaten

ein Reisebericht:

Weihnachten/ Neujahr 2003/4

von: Christa Schudeja

Christa.Schudeja@gmx.de


1. Colinda

Dick mit Schnee behangene Äste begrüßen mich auf der Serpentine zum Gutii-Pass. Winter in den Karpaten! So hatte ich es mir vorgestellt. Ein zauberhafter weißer Winterwald tat sich mir auf. Es war schon dunkel und plötzlich tauchte in einer Rechtskurve ein Pferdefuhrwerk auf - ohne Licht versteht sich. Ein Planwagen. Eine Zigeunerfamilie auf Durchreise? Nachdem der Pass überwunden war ging es hinab ins Tal. Die Maramuresch lag vor mir, geschmückt im weißem Kleid. Und: Morgen ist Weihnachten - weiße Weihnachten! Die Menschen sind noch am späten Abend unterwegs, zu Fuß, mit Pferd und Wagen, mit Schlitten, mit Taschen, Körben, Holzfuhren, Säcken. Es müssen draußen ca. 15 Grad Minus sein.

Ich bin gespannt auf Weihnachten in den Karpaten. Am Heilig Abend sind die Kinder schon früh damit beschäftigt, sich als Colinda-Sänger zu formieren. Sie gehen in kleinen Gruppen von Haus zu Haus und singen ein mehrstrophiges Lied mit Inbrunst. Anschließend werden Glückwünsche überbracht und ein Dankeschön vom Hausherrn erwartet in Form einer kleinen Geldspende. 10.000 Lei sind schon viel für einen Sänger (ca. 25 Cent). Jonuc, Ileanas und Mihais Sohn (10 J.) hat sich mit den Nachbarskindern zusammengetan. Sie haben sich fein gemacht mit traditioneller Tracht, denn ein französischer Reporter dreht einen Beitrag für das französische und rumänische Fernsehen. Meiner Hütte ist die Kulisse und ich komme auch mit aufs Bild als Hausherrin.

Ja, die Hütte ist nun fertig geworden. Im Sommer existierte nur der Plan und jetzt steht das Schmuckstück aus Holz im traditionellen maramurescher Stil hier über dem Ufer der Mara und wartet auf mich. Der Ofen, auch im traditionellen Stil, heizt hervorragend. Auf dem Ofensims stehen alte Krüge und Teller aus Keramik. An den Wänden hängen Bilder - echte Gemälde und Hinterglasmalereien in naiver Bauernmalerei. Beim Umdrehen der Bilder stelle ich fest, dass diese schon sehr alt sein müssen. Die Familie hat echte Schätze aufgetrieben! Ich bin begeistert.

Gegen Abend wird sich geduscht, frisch angezogen und wir gehen zum Gottesdienst. Männer und Frauen stehen in der orthodoxen Kirche getrennt. Die Kirche ist voll. Sie befindet sich noch im Bau, ist aber innen so schön geschmückt, dass dies fast nicht zu merken ist. Die Bauern haben meist ihre weißen dicken Wolljacken an, die Frauen tragen dunkler Jacken und Kopftücher. Der Priester nutzt die Gunst der Stunde, um eine eindringliche und ermahnende Predigt zu halten. Ach ja, denke ich, als mein Blick über sie von harter Arbeit gezeichneten Gesichter schweift, die üblichen Reden. Statt ihnen zu sagen, was für fantastische Menschen sie doch sind, die unter diesen schwierigen Bedingungen ums Überleben kämpfen, werden ihnen noch Schuldgefühle eingeredet.

Ob man deshalb oder trotzdem danach so ausgelassen feiert? Nach dem Gottesdienst beginnt der Festschmaus und das Feiern. Zunächst kommt der Nachbar mit Familie zu Besuch. Jonuc hat im September geheiratet, betreibt eine kleine Tischlerei und spricht deutsch. Er hat in Bayern bei einem Schauteller saisonal gearbeitet für 400 € im Monat täglich 12 Stunden. Mit dem Ertrag will er sich hier in seiner Heimat etwas schaffen. Nach dem Festschmaus geht man gemeinsam zur Familie der Schwester und zur Familie des Bruders... So ist die ganze Nacht Betrieb auf den vereisten Dorfstraßen bis zum frühen Morgen. Keiner muss allein bleiben. Man besucht sich gegenseitig, sogar die alten Leute sind bis zum frühen Morgen unterwegs. Überall wird vor der Tür gesungen und dann wird Sarmale( Hackfleischbällchen in Krautwickel), Wurst, Fleisch und selbstgemachtes feines Gebäck aufgetischt. Was die Frauen doch so in den Küchen zaubern können? Jede zeigt mit Stolz ihr Backwerk. Und ich habe Stollen aus Deutschland mitgebracht. Der wird außerordentlich gelobt. Stollen kennt man in den Karpaten natürlich nicht. Stollenpakete nach Rumänien - das wär' doch die Idee fürs nächste Jahr!

----------------------------------------------

Glühwein in den Karpaten? - Da gehört er einfach nicht hin!

Gemütliche Glühweinabende hatte ich mir in der Hütte vorgestellt. Denkste! Zunächst war Feiern angesagt und zwar jeden Abend ringsum bei Nachbarn, Verwandten, Freunden. Nicht mitzugehen, wäre beleidigend gewesen. Man hatte Spaß, sang, erzählte, aß und trank. Gegen Mitternacht am 1. Feiertag wollte ich mich mit Ileane abseilen, denn wir waren schon mehrere Stunden am Feiern und müde. Nein sagte der Schwager, der seine Gäste noch länger da behalten wollte und holte eine Axt, mit der er auf die Innenverriegelung am oberen Türrahmen schlug: ”So, jetzt geht hier keiner raus, wenn es der Hausherr es nicht will!” Der Spaß war perfekt. Die Tür hatte noch einige Schrammen mehr, aber wen stört es. Man sang und trank fröhlich weiter.

Am 2. Weihnachtstag startete ich den ersten Glühweinabend-Versuch. In eine der antiquarischen Krüge vom Ofensims in der Hütte füllte ich heißes Wasser und stellte darin die Weinflasche auf den heißen Herd. Meine zwei Gäste fanden den Trunk edel. Aber Ioanice, Ileanas Tochter hatte gerade Fieber bekommen. Schluss, aus mit der Gemütlichkeit. Sie stürmte in die Hütte und holte ihren Mann Mihai zur Hilfe. Der Krug auf dem Herd hinterließ wenig später einen ätzenden Gestank. Die Glasur war geschmolzen. Eine schwarze schleimige Masse ergoss sich auf der Herdplatte. Man sollte auch keine antiquarischen Krüge zum Erwärmen des Glühweins nutzen.

Mein 2. Glühwein-Versuch war auch nicht besser. Wir waren beim Schulhausmeister eingeladen. Stolz präsentierte er seinen sich drehenden Weihnachtsbaum. Aus einem Kinderwagenrad und diversen Schrottteilen hatte er einen genialen Baumständer mit Motorantrieb konstruiert. Die Männer lagen am Boden und bewunderten das technische Wunderwerk. (Ich fand es toll - Männer unter Weihnachtsbaum liegend. Was für eine Geschenkidee!) Ich schenkte allerdings dem Schulhausmeister nicht nur meine Achtung, sondern auch zwei Flaschen Glühwein für die abendliche Feierrunde. Doch der Abend wurde nicht lang. Man stieß an: feine Liköre und Pflaumenschnaps - alles hausgebraut und danach der Glühwein, der den harten Männern den Rest gab. Mihai sackte mehr und mehr in sich zusammen, kippte langsam auf dem Sofa weg , bis dann Ileane entschied, nach Hause zu gehen. Der geplante Besuch beim Förster blieb aus, der Glühwein war Schuld. Den letzten Versuch startete ich zu Hause bei Ileane und Mihai am 3. Feiertag. Das Getränk im heißen Wasserbad zu erwärmen, hielt ich für sinnvoll, bis zu dem Zeitpunkt, als die Küchenexplosion stattfand. Ileana hatte die Flasche nicht geöffnet und das Wasser war schnell ans Kochen gekommen. Glühwein in den Karpaten. Nein, da gehört er einfach nicht hin.

Da lag es im Hof, das tote Schwein. Ich hatte Schweineschlachten noch nie erlebt, obwohl ich am Stadtrand gegenüber vom Bauernhof groß geworden war. Das Schweineschlachten war längst in die Schlachthöfe verlegt worden. Das Töten der Tiere wurde bald anonym und ich gewöhnte mich schnell an die Ladentheken. Doch wenn ich schon Fleisch esse, muss ich auch wissen, dass dafür ein Tier sein Leben lässt, dachte ich und machte mich beherzt auf, um dem Nachbarn quasi über die Schulter zu schauen. Das Schwein rauchte ein wenig - die Borsten waren schon abgesengt worden. Es ist Raucher, scherzte der Nachbar und goss mir einen Schnaps ein. So konnte ich das Geschehen auf nüchternen Magen ganz gut ertragen, zückte meine Kamera und hielt das leblose Wesen im Bild fest.

Drei Männer und eine Frau zerrten das tote Tier auf einen Holzschlitten, um es am nahen Feldrand abzuwaschen. Mihai und der Nachbar, säuberten die Haut mit scharfen Messern. Die angeräucherte Haut musste ein Leckerbissen sein. Mihai schnitt sich ein Stück vom Ohr ab und biss vergnüglich hinein. Ich bekam den Mund erst wieder zu, als auch mir ein Stück frischer Haut gereicht wurde. Mit Tzuika spült auch Frau das runter... Weitere Leckerbissen lehnte ich allerdings dankend ab. Die ganze Prozedur des Waschens, Zerlegens und Verarbeitens dauerte ca. 2,5 Stunden. Drei waren 2 Männer und 3 Frauen beschäftigt. Jeder wusste, was er zu tun hatte. Abfälle gab es nicht, selbst der Hofhund bekam nur ganz wenig ab.

Dann wurde der Tisch hergerichtet, Mamaliga ( Maisbrei) gekocht und schon war das Schlachtfest im Gange mit dem ersten Schweinegulasch. Im Fass lagerten in Salzlake eingelegt die Schweineschwarten, die Wurst lag im Holztrog zum Kochen fertig und im Kühlschrank die Fleischstücke. Fleisch zu kaufen, das wäre zu teuer, sagte die Hausfrau. Aber so sei der Vorrat nun für eine lange Zeit gesichert und sie wüssten, dass es gutes Fleisch ist.

Die Männer hatten ihren Spaß dabei, als ich sagte, dass ich die Fotos ins Internet bringen wollte. La mults ani - auf viele Jahre! Wir stießen auf das Wohl an. Prost darf man nicht sagen, das heißt auf Rumänisch „blöd”. Ich bin dich nicht blöd...

----------------------------

Domnul Ingenieur

Domnul Ingenieur ist der arbeitslos gewordene Agraringenieur aus der Nachbarschaft. Als die Zwangskollektivierung aufgehoben wurde, hatte er keine Funktion mehr. Die Bauern hatten tort Kollektivierung immer selbständig in ihren Höfen gewirtschaftet und sich quasi selbst versorgt, so machten sie wie bisher weiter, er aber hatte nur noch ein kleines Stück Land. Jetzt hat er dazu eine kleine Rente ( ca30 € monatlich) und durch seine Französischkenntnisse verdingt er sich gelegentlich als Dolmetscher im kleinen Touristenbüro des Dorfes. Im Sommer 2002 hat er mir die Grundkenntnisse der rumänischen Sprache beigebracht, mit Händen und Füßen und lauter Stimme. Selbst als ich einem üblen Schnupfen erlag, die Füße im heißen Fußbad steckend und die Augen triefend, ließ er nicht ab, mir weiters Vokabular zu wahre Kostbarkeiten aus seiner Privatsammlung in meiner Hütte. Aus seiner hauseigenen Sammlung Maramurescher Kostbarkeiten hat er willig alles das geliefert, was Ileana von ihm für die Hütte wünschte.

Domnul Ingenieur hebt sich schon etwas von der bäuerlichen Umgebung ab, ist aber allgemein akzeptiert als gebildeter Nachbar. Im Sommer kam er immer zur „Tele-Novelle” zum Fernsehen, die er täglich mit Spannung verfolgte. Tragische Ausgänge konnte er nur schwer verkraften. Einmal stützte er völlig zerstört aus dem Zimmer nach Hause. Ein Schicksalsschlag in der spanischen Seifenoper hatte ihn sichtlich mitgenommen. Doch zu allem Unglück blieb ihm auch noch das Ende der Serie unbekannt. Ein plötzlicher Stromausfall im Dorf legte alle Fernsehgeräte lahm. Seitdem kommt er nicht mehr zum Fernsehen. Das hatte er nicht verkraftet.

Am Neujahrstag kam auch er mit zwei Nachbarsfamilien zum Gratulieren. Bis in die Nacht wurde gefeiert. Aus dem Kassettenrecorder dröhnten Maramurescher Tänze, Mihai pfiff und tanzte dazu und der Tzuika wurde ringsum gereicht. Da riss es auch Domnul Ingenieur vom Sessel, er tanzte beschwingt mit und wir hatten einen riesigen Spaß. Ileana sagte, sie hätte ihn noch nie tanzen sehen. Die Stimmung hatte ihn danach sogar zu einem Anflug von Traurigkeit veranlasst, als es nach Hause ging, erzählten mir die Männer aus der Nachbarschaft als ich dort am nächsten Abend eingeladen war. Domnul Ingenieur hätte geweint, meinten sie. Als ich dann sagte, ich käme nun erst im Sommer wieder, versicherten sie, auch sie würden nun weinen. Nun bin ich daher verpflichtet, einfach eher wieder einzutrudeln. Schließlich warten die Hütte, meine Freunde, die Wälder, die Wiesen, die Weiden, einfach die faszinierenden Menschen und die traumhaft schöne Natur. Und ich kann schlecht weinende Männer sehen...

Domnul Ingenieur ist traurig, dass sich im Grunde wenige Touristen, die hier überhaupt auftauchen für die Menschen und ihr Leben interessieren. Die Sprache, so sagt er, interessiert überhaupt nicht. Sie besichtigen die Holzkirchen, Tore und Museen und bleiben höchstens 1-2 Nächte und sind dann wieder weg. Wir sind uns einig, Domnul Ingenieur und ich: Die Menschen sehen viel und im Grunde nichts wirklich.

Im Sommer wollen wir, Ileanas Familie und ich, die alte Natur-Waschanlage auf dem Grundstück wieder in Gang bringen. Zu Ceausescus Zeiten wurden diese Anlagen systematisch abgebaut. 1974 präsentierte er sich noch als Bewahrer der Kultur, bevor seine Beton-Faust zuschlug. Da wartet eine Menge Arbeit. Aber mit Musik und Tzuika, da werden schnell Träume war... („Bewahrt die Bräuche der Vorfahren, behaltet sie ständig in Erinnerung. Ich meine, das sollt ihr nie vergessen” Nicolae Ceausescu, Viseu de Sus 18.10.1974)

 

Die Überlebenskünstler

Was mich am meisten fasziniert, sind die Menschen in der Maramuresch. Gut, es gibt auch Unfreundliche, Gewiefte, Schwätzer... eben alle Sorten von Menschen, denn es sind eben auch nur Menschen. Und doch finde ich hier wirklich viel „Menschen”. Ich schaue gern in ihre Gesichter, sie sind wie ein offenes Buch. Während wir hier in der Wohlstandswelt eine Klage-Kultur entwickelt haben, finde ich dort in den ärmsten Hütten Frohnaturen, die ich regelrecht um ihre Unbeschwertheit beneide. Wer bei uns hier nicht mit klagt, wird schon verdächtig. Warum soll man dort aber klagen? Sie haben alle das gleiche Los: den Kampf ums Überleben zu gewinnen.

Zum Beispiel: Ileanas Cousin ist noch sehr jung, aber hat schon ein Bein abgenommen bekommen. Er versteckt sich eher vor der Öffentlichkeit. Ich traf ihn, als er seinem Vater dabei half, Bretter vom Wagen abzuladen. Mit seinen Krücken stellte er sich seitlich an die Ladefläche und zog die Bretter vom Stapel, so dass es dann schneller ging, diese abzuladen. Ileanas Schwager ist im Herbst mit der Hand in eine Maschine geraten und hat sich quasi die Fingerkuppen völlig zerquetscht. Ich betrachtete die frisch verheilten Wunden und bedauerte ihn. Ach, sagte er, er hätte im Krankenhaus viel Schlimmeres gesehen!

Nun könnte ich die Liste fortsetzen von den alten Leuten, die sich noch abmühen in Haus und Hof zu wirken, den jungen, die bei glühender Hitze die Felder abmähen, die schweren Baumstämme auf Laster laden, die Frauen, die im eiskalten Winter in den Bächen die Wäsche waschen, schwere Körbe und Säcke transportieren... Und ich bin noch dem Geheimnis auf der Spur, wie man trotz täglicher Plackerei, monotoner Arbeit, Leben jenseits von allem Luxus soviel Frohsinn besitzt. Oder ist es gerade das: jenseits von allem Luxus?


zurück / înapoi