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Kleine Idylle im Vorland der Karpaten

Bericht von: Diether Rodatz

(Dieser Artikel erschien im Hamburger Abendblatt - Ausgabe 21./22. Juni 2003)


Siebenbürgen

Ganz bescheiden entwickelt sich ein wenig Wohlstand. Und die Landschaft Transsilvaniens bietet Bio-Urlaub für Leib und Seele.

Die deutschen Spuren sind hier in der Mitte Rumäniens noch unverkennbar: Kirchen, Städte, Straßendörfer, einige Ortsschilder wieder zweisprachig. In Sebes (früher Mühlbach) steht am frisch getünchten Rathaus die Mahnung von Heinrich Heine: "Bildung ist Freiheit". Die Freiheit hat Rumänien, das auf baldigen EU-Anschluss hofft, seit dem Ende der 24-jährigen Ceausescu-Knechtschaft anno 1989 endlich wieder.

Die Bildung aber genießen heute überwiegend rumänische Kinder. Denn die Siebenbürger Sachsen sind weg. Was Wunder, in Deutschland lockte der Wohlstand. Nur von alter Heimat und Erinnerungen kann keiner satt werden. Wenige Alte blieben und schuften - wegen miserabler Renten - in Sommer und Herbst mühsam für volle Vorratskammern. Wie alle ihren Vorfahren, die achteinhalb Jahrhunderte lang die mehr oder minder fruchtbaren Böden nördlich der Transsilvanischen Alpen am Fuß der Karpaten beackerten.

Eine Reise nach Siebenbürgen - das ist für Touristen ein lehrreiches Kontrastprogramm. Plötzlich lachst Du über die deutschen Sorgen. Plötzlich kannst Du sie richtig bewerten. Denn hier leben Menschen, denen es seit Jahrzehnten unendlich viel schlechter geht. Der Blick in die Vergangenheit öffnet den für die Zukunft: Ganz bescheiden entwickelt sich so etwas wie Wohlstand. Hier eine Pizzeria, da eine Raststätte, dort ein kleiner Biergarten. Sogar Metro ist schon mit Großmärkten vertreten. Ja, es geht aufwärts. Ein Arbeiter verdient im Mittel 300 Euro pro Monat, ein leitender Angestellter schon 500. Für rumänische Verhältnisse sehr viel Geld.

Auch das Straßenbild spiegelt diesen Trend wider. Bei den Autos überwiegen zwar noch klapprige Dacia (rumänischer Renault 12), aber westeuropäische Marken nehmen zu. Die Pferdewägelchen, meist mit Zigeunern am Zügel, sieht man seltener. Sture Wasserbüffel trotten höchstens auf kleinen Nebenstraßen. Dennoch oder deshalb: Ein Besuch lohnt sich.

Wenn der Liebe Gott Golf spielen würde, er käme bestimmt oft in die Gegend um Fogarasch (Fagaras). Leicht wellige, saftige Wiesen schwingen bis an die Waldränder der auslaufenden Karpaten. Wie helle Flickenteppiche verteilen sich bis zum Horizont Schafherden auf dem Grün. Ab und an hat im Frühjahr ein Imker seine Bienenkörbe unter Akazien aufgestellt. Man kauft Honig direkt bei ihm oder auf dem Markt.

Noch vor knapp 100 Jahren hatten in der Gegend um Fogarasch die Siebenbürger Sachsen das Sagen. Sie stellten weit über die Hälfte der Einwohner. Heute leben im ganzen Sprengel noch rund 300 deutsche Seelen. Für die gibt es eine evangelische Kirche (gebaut 1841 bis 1843) mit einem rührigen jungen Pfarrer-Ehepaar - das im Pfarrhaus übrigens gern zwei Ferienwohnungen vermietet, denn auch in Rumänien fehlt der Kirche an allen Ecken und Enden Geld.

Dr. Johannes Klein und seine Frau haben begriffen, dass sich der Exodus der Siebenbürgen-Gemeinde nicht rückgängig machen lässt. Sie setzen auf die Jugend. Und die besteht überwiegend aus Rumänen und Zigeunern (übrigens: "Zigeuner" ist in Rumänien kein Schimpfwort). Mit diesen machen sie Musik, üben Theaterstücke ein und arbeiten seit über fünf Jahren auch an ihrem Lieblingsprojekt, dem Jugendheim Seligstadt (rumänisch Selistat). Rund 30 Kilometer von Fogarasch entfernt liegt in idyllischer Landschaft dieses verlassene Dorf mit einer gerade noch begehbaren Wehrkirche aus dem 14. Jahrhundert. Daneben die alte Schule, die Pfarrer Klein mit viel Idealismus und wenig Geld als Gästehaus restauriert.

Nur noch zwei Siebenbürger Seelen halten in Seligstadt die Stellung. Eine davon ist Sofia Tonca. Die 82-Jährige hat die Kirchenschlüssel-Gewalt und erzählt, dass früher einmal 700 Menschen hier wohnten. Heute sind es noch etwa 200 Einwohner, meist Zigeuner, die sich bescheiden in den Häusern eingerichtet haben. Über die Hälfte der Dorfhäuschen steht aber leer und verfällt.

 

Die 82-jährige Sofia Tonca, eine der wenigen übrig gebliebenen Ur-Siebenbürger, hat die Schlüsselgewalt für die Wehrkirche von Selistat (Seligstadt). Seit dem Exodus der deutschstämmigen Bürger zählt der Ort nur noch kmapp ein Drittel der einstigen Einwohnerzahl.

Foto: Sven Krieger

Die Kirche ist ländlich schlicht, aber sehenswert. Drinnen ein Altarbild von Fritz Schullerus: Jesus als Jude führt ein Mädchen an der Hand. Ein Mädchen? Pfarrer Klein erklärt: "Das Bild wurde 1892 vom Frauenverein gestiftet." In luftiger Höhe um die Kirche herum eine Balustrade, von der Feinde beobachtet und mit heißem Pech begossen werden konnten. Hinter der Kirche Reste vom alten Fruchthaus, in dem früher Getreide und Speck gelagert wurden. Damit keiner stibitzte, durften die Bauern immer nur zu zweit hinein. "Die Schnittstelle am Speck wurde nach dem Abschneiden zur Sicherheit wieder gestempelt", erinnert sich Frau Tonca schmunzelnd. Hinter dem Fruchthaus liegt der alte Friedhof mit überwachsenen deutschen Grabsteinen sowie einem sächsisch "Tirnatz" genannten Hüttchen, wo sich bei Regen die Trauerredner oder Musiker unterstellen konnten.

Unweit von Seligstadt, in Soars, haben Bauern zur Selbsthilfe "Agrartoursimus" gegriffen. Sie restaurierten verlassene Gehöfte, bieten sie mit derzeit rund 40 Betten als Ferienwohnungen an. Man kann sich selbst verpflegen, doch Faulsein ist kaum teurer. Und vor allem: Das Essen trägt zwar kein Bio-Siegel, ist aber sehr ökologisch. Denn die meisten Lebensmittel werden hier noch an Ort und Stelle produziert. Wie zur Bestätigung gackern und schnattern frei laufende Hühner, Gänse, Enten dazu, tummeln sich Kälber, Schafe und Hunde auf den bei Nässe matschigen Dorfstraßen. Wanderkleidung mit Gummistiefeln ist also immer zu empfehlen.

Doch zurück aus der Idylle in die aufstrebende Kleinstadt Fogarasch (40000 Einwohner). Viele Plattenbau-Sünden gibt es zu sehen, aber auch ein restauriertes Schloss aus dem 14. Jahrhundert, drinnen neuerdings sogar ein elegantes Restaurant. Auf der E 68 braust der Verkehr durch den Ort, der genau in der Mitte zwischen Hermannstadt (Sibiu) und Kronstadt (Brasov) liegt. Es gibt für Autotouristen also noch viel zu erkunden. Aber: Nachts in Rumänien extrem vorsichtig, besser gar nicht fahren.

Empfehlenswerter ist jedoch die wunderbare Natur in Sichtweite der bis zu 2544 Meter hohen, schneebedeckten Fogarasch-Berge. Dort zu wandern, zu radeln oder mit dem Camper auf Nebenstrassen die Landschaft zu genießen, das ist Bio-Urlaub für Leib und Seele.

Für die Anreise per Auto sollte man drei Tage kalkulieren!

Anreise per Auto:

Von Hamburg bis Siebenbürgen sind es ca. 2000 Kilometer, via Wien und Budapest in drei Tagen gut zu schaffen. Die Lichthupe wird nicht als Erlaubnis-Zeichen etwa zum Abbiegenlassen benutzt, sondern bedeutet: Achtung, ich lasse dich nicht durch!

Benzin (95 Oktan)

kostet 25000 Lei, Diesel ("Motorina") 19000 Lei pro Liter (1 Euro = 37000 Lei).

Wechselstuben

an den Grenzen, sonst zur Bank gehen. Dort stehen oft schon Geldautomaten.

Preise

der Gästewohnung (bei Eigenverpflegung): 5 bis 8 Euro pro Person und Nacht. Im Gästehaus Seligstadt / Selistat zahlen Gruppen etwa 4 Euro pro Kopf.

Ferien auf dem Bauernhof in Soars:

mit Frühstück pro Person 11 Euro, Halbpension 12 bis 16 Euro, Vollpension 15 bis 18 Euro, Kinder unter 12 die Hälfte. Telefon: 0040 268 404848, Fax: 0040 268 214223, eMail: patrichimihai@yahoo.com (englisch, französisch, deutsch).

Kontakte:

Evangelisches Pfarramt Fogarasch, Telefon + Fax: 0040 268 211994, eMail: klein@deltanet.ro

Wanderinformationen

finden sich im Internet: http://www.karpatenwilli.com

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"Der Autor diether.rodatz@axelspringer.de ist Redakteur bei Auto Bild
und Mitglied der Siebenbürgenhilfe Großhansdorf sowie Copilul
(rumänisch: das Kind) in Ahrensburg. Bei der jährlichen
Siebenbürgenreise, die Kontakte vertieft und die Verwendung der Spenden
kontrolliert, entstand obiger Reisebericht. Die beiden gemeinnützigen
Vereine kooperieren eng miteinander und freuen sich gerade in diesen,
auch hier weniger rosigen Zeiten, über Spender, Gönner und Helfer.
Kontakt: www.copilul.de."


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