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Time-out

Ausstieg auf Zeit für ein neues Lebensgefühl

-ein Erfahrungsbericht-

von Christa Schudeja & Andreas Theis (Duisburg)


Alle, die beruflichen Erfolg ebenso schätzen wie Lebensqualität, wissen, daß eine kreative Pause alles andere ist als verlorene Zeit. Aussteiger auf Zeit tanken neue Energien und kehren hoch motiviert zurück. Den Rucksack packen und für mehrere Wochen abseits der Touristenpfade in die Natur! Viele träumen davon, wir haben es probiert. In Rumäniens rückständigster und zugleich faszinierendster Landschaft, der Maramuresch, waren wir zu Gast beim Bauern, tranken Quellwasser, badeten in Flüssen, zelteten auf einsamen Bergkämmen und kehrten schließlich verändert heim. Wie wir das Wesentliche des Lebens wieder entdeckten, davon erzählt unser Diavortrag. Lassen Sie sich durch unsere Bilder faszinieren und inspirieren von dieser neuen Art zu reisen.

Christa Schudeja & Andreas Theis, Duisburg

Kontakt: Ausstieg_auf_Zeit@gmx.de

 

pilgrim


Pilger [= Wallfahrer, Wanderer, Suchender,
der durch die Welt läuft, um sich selbst zu finden.]

Pilgrim, how you journey
on the road you chose
to find out why the winds die
and where the stories go.
All days come from one day
that much you must know,
you cannot change what's over
but only where you go.

Pilger, wie ist deine Reise,
auf dem Weg, den du gewählt',
um zu ergründen, warum die Lebenswinde sterben
und wie die Geschichte ausgeht.
Alle Tage stammen von einem Tage ab,
das solltest du nie vergessen.
du kannst nicht ändern, was vergangen,
sondern nur wohin du gehst.

One way leads to diamonds,
one way leads to gold,
another leads you only
to everything you're told.
In your heart you wonder
which of these is true:
the road that leads to nowhere,
the road that leads to you.

Ein Weg führt zu Diamanten,
einer führt zum Gold,
ein anderer führt dich nur zu dem,
was du selber bist.
In deinem Herzen fragst du dich,
welcher dieser Wege richtig sei,
der Weg, der ins Nicht-Sein führt,
oder der Weg, der zu dir führt.

Will you find the answer
in all you say and do?
Will you find the answer in you?

Willst du die Antwort finden,
in allem was du tust und bist?
Willst du die Antwort in dir selber finden?

Each heart is a pilgrim,
each one wants to know
the reason why the winds die
and where the stories go.
Pilgrim, in your journey
you may travel far,
for pilgrim it's a long way
to find out who you are.

Jedes Herz ist ein Pilger,
jedes will wissen,
warum die Lebenswinde sterben
und wie dieser Film ausgeht.
Wanderer, auf deiner Reise,
du musst weit reisen,
für Suchende ist's ein langer Weg,
zu finden wer sie sind.

Pilgrim, it's a long way
to find out who you are.

Pilger, es ist ein langer Weg,
zu finden, wer du bist.

(frei übersetzt u. interpretiert von Andreas Theis)

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Wenn Du eine Landschaft finden willst, in der Du erahnst, wie das Europa des 19. Jh. war, so reise in die Maramuresch.

Wenn Du die Anonymität der westlichen Städte Europas verlassen willst, statt Leute wieder Menschen treffen willst, dann begib Dich auf die langsame Reise in die Maramuresch.

Wenn Du die Zeit wieder fühlen möchtest, zu Dir selbst finden willst, dann Reise in die Maramuresch.

Nimm Dir drei Wochen Zeit, laß das Handy zu Hause und den Anspruch auf Komfort. Wähle den langsamen Weg. Laß Dich ein aufs Menschsein und dann kehrst Du aus diesem unendlich armen und unsagbar reichen Landstrich zurück als Mensch. Die Menschen dort mit ihrem bescheidenen Leben werden Dich reich beschenken und die Schönheit der Natur wird Dich in ihren Bann ziehen und Deine Seele heilen.

Und dazu wollen wir nun einladen ...

 

 

Die Erste Wanderung

oder: wahre Schönheit

Christa Schudeja

Unde merge? – Wohin? Es geht kein Weg am Nachbarn vorbei, ohne danach gefragt zu werden. Zu Fuß nach Costoi? Man rät uns den Bus zu nehmen.

Wie kann man nur laufen, wenn ein Bus fährt. Alle Fremden wollen ja in die Ortschaften und das so schnell als möglich. Doch wir wollen wandernd die Gegend erkunden und haben auf der alten Karte der Region eine kleine, kurze Straße gefunden. Daß diese sich am Berghang verläuft, merken wir erst vor Ort und müssen dann einen eigenen Weg über den Kamm suchen. Die Karte stammt noch aus dem sozialistischen Rumänien, was schon das Deckblatt verrät: der Blick durchs typische Holztor im Stil der Maramuresch fällt direkt auf einen Betonbau mitten im Gebirge.

Der Traum des Diktators vom sozialistischen Rumänien. Dabei bedarf diese Landschaft keiner Hotelklötze von Ferienanlagen. Sie zerstörten sie. Die Schönheit besteht hier in den natürlich gewachsenen Dörfern und der Natur, der man noch keine Gewalt angetan hat. Das Besondere ist nicht der Komfort eines Swimmingpools und eines weichen Hotelbetts, sondern der Luxus auf einer alten Dorfstraße zu wandern, die noch nicht asphaltiert ist und den Füßen noch gut tut.

Die Dorfstraße nach Costoi wird für uns zum Tor zur Maramuresch. Wir lernen kennen, was die Landschaft prägt: Pferdekutschen, Ziehbrunnen, Holzhäuser und Holztore, blumenübersäte Almen, frei laufende Pferde. Dazwischen gibt es aber auch neue Häuser und neue Autos, denn auch hier bleibt die Zeit nicht stehen und auch hier verdient einer gelegentlich sein Geld im Ausland.

Buna ziua – guten Tag. Wir bekommen frisches Wasser aus dem Ziehbrunnen gereicht. Dann geht es in der sengenden Hitze steil über die Almen zum Bergkamm. Zwei junge Männer mähen hier Gras. Die scharfe Sense rauscht an ihren nackten Füßen vorbei. Viele Trampelpfade führen nach Costui. Karte und Kompaß sind sich nicht einig in welche Richtung es gehen soll. Endlich erreichen wir den Ort, der den Versuch erahnen läßt, hier ein Feriendorf zu errichten. Zurück geblieben sind ein paar Holzhütten um ein Schwimmbad. In der undurchsichtigen Brühe tummeln sich wenige Badegäste. Aus einer Bar dringt Pop-Musik. Hier betrinken sich einige junge Tschechen, die wohl versehentlich auf einen regen Badebetrieb aus waren und hier landeten. Zwei magere Pferde grasen an der Dorfstraße.

Das Feriendorf überzeugt nicht. Letztlich fasziniert uns die wahre Schönheit der kleinen Straße wieder, die wir auf dem Rückweg nehmen – mit den heimkehrenden Bauern von der Feldarbeit oder Heuernte, mit ihren Rechen und Sensen über der Schulter. Uns überzeugen die letzten Sonnenstrahlen, die milde Schatten werfen und später dann die sternklare Nacht bei Vollmondschein.

Und die Stille der Nacht, die durchbrochen wird vom Heulen eines Wolfes. Beeindruckend ist dieser Ruf. Wer das Heulen der Wölfe hier nicht gehört hat, kennt die Karpaten nicht wirklich.

Ihr Luxus sind die tiefen Wälder. Es sind Wälder, in denen noch Bären und Wölfe leben können, frei von Touristenkolonnen. Doch die Zeit der Wildnis läuft in der Moderne aus.

Wer länger in der Wildnis bleibt, träumt anders, denkt anders, nimmt anders wahr, sagt der Wildnisforscher Robert Greenway.

Der Ruf der Wildnis weckt Sehnsucht. Es ist die Sehnsucht zur eigenen Natur zurück zu kehren. Doch die eigene Wildnis beginnt, wo Sicherheit aufhört.

Helen Keller:

Die besten und schönsten Dinge auf der Welt kann man weder sehen noch anfassen. Man muß sie mit dem Herzen fühlen.

 

 

Gastfreundschaft der besonderen Art

Andreas Theis

Wellness. Urlaub für Body & Soul. Lassen Sie sich verwöhnen: edel und komfortabel ... unser freundliches Personal steht rund um die Uhr zu Ihrer Verfügung ... Sie werden direkt vom Flugzeug abgeholt in bequemen Luxusbussen ... Sie brauchen sich um nicht zu kümmern. Hier wird Komfort noch groß geschrieben. Für das leibliche Wohl ist ausreichend gesorgt. Alles inklusive. Animation rund um die Uhr. Entspannen Sie am hoteleigenen Sandstrand, vergessen Sie den Alltag bei unseren Tanzabenden. Genießen Sie gute deutsche Küche in südlichen Gefilden. Entdecken Sie unter Führung unserer freundlichen Reisebegleiter die Insel auf einem gut durchorganisierten Tagesausflug.

So oder so ähnlich klingt es in vielen Werbeprospekten. Da läuft einem doch das Wasser im Munde zusammen. Sich mal so richtig verwöhnen lassen. Ausspannen und sich um nichts Gedanken machen müssen. Alles ist organisiert: Essen, Anreise, Unterbringung – und auch für Unterhaltung ist gesorgt. Ein sorgenfreies Leben. Entspannung pur.

Und ich, ich fahre nach Rumänien, und mit mir Kleidersäcke vom Roten Kreuz für die Kinderheime vor Ort. Bin ich nicht blöd?! Da fährt doch keiner hin. "Wohin fährst Du?!" höre ich es jetzt noch in meinen Ohren klingen, "nach Rumänien, was willst Du denn da!". Unverständnis bis Mitleid klingt in diesen Worten mit, keinesfalls Neugier oder sogar Neid. Ich bin out, megaout. Die anderen wenden sich verständnislos von mir ab und beginnen sich über ihre Stranderfahrungen auszutauschen: "Auf Ibiza ist der Service besser, dafür schmeckt auf Kreta das Essen besser." – Da kann ich nicht mitreden. Da will ich aber auch nicht mitreden. Ich suche etwas anderes. Eine andere Art von Komfort. Ich tausche Luxusstrände gegen unerschlossene Natur und Service gegen Gastfreundschaft der besonderen Art.

Was es damit auf sich hat, soll die folgende kleine Anekdote zeigen. Vielleicht verstehen Sie mich dann besser.

Es war wieder einmal so ein Tag, an dem ich mich fragte, was in Drei-Teufels-Namen mich eigentlich ausgerechnet ins touristisch unerschlossene Rumänien verschlagen hatte.

Christa wollte sich ein paar Holzkirchen anschauen, und so beschloß ich meinerseits einen Ruhetag einzulegen, um mal so richtig die Seele baumeln zu lassen und vielleicht meinen Wortschatz von 10 auf 30 Vokabeln zu verdreifachen. Aber es kam wie immer ganz anders als geplant.

Die leichten Bauchschmerzen, die mit ein Grund für meinen Ruhetag waren, hatten sich während meines nicht sehr erquickenden Mittagsschlafes zu einer richtig heftigen Magen-Darm-Grippe entwickelt. Um zwei Uhr war es dann so weit: die Sonne hatte unser Zelt in einen Hochofen verwandelt, und obwohl mein Körper von der nun mehr ausgewachsenen Grippe völlig ermattet danieder lag, mußte ich mich aufraffen, um nicht in der aufgestauten Hitze zu ersticken. Draußen vorm Zelt gab's Schatten. Dort schleppte ich mich hin – um schon bald feststellen zu müssen, daß ich auch hier nicht meinen dringend benötigten Schlaf finden würde. Denn dicht neben mir fielen gleich zwei Äpfel hernieder. Ein Volltreffer auf meinen Kopf aus zweieinhalb Metern Höhe ... – Schluß! Aus! Ich mußte ins Haus. Noch einmal rappelte ich mich auf und schlich zum Haus. Dort eingelassen, versuchte ich mit Händen und Füßen klarzumachen, daß ich dringend eines Bettes bedurfte. Ein denkbar schwieriges Unterfangen, da mir nicht der Sinn nach Konversation stand und nur ein Gedanke meinen Kopf beherrschte: Schlafen.

Zudem ging ich gewohnheitsmäßig von westlichen Geflogenheiten bezüglich der Gastfreundschaft aus. In Deutschland hätte mir niemand, einem völlig Fremden, so ohne weiteres das feinste Zimmer überlassen, damit ich mich dort für unbestimmte Zeit unbeaufsichtigt zur Ruhe legen könnte. "Mein Haus ist auch dein Haus" ist dort wohl nicht nur ein hohler Spruch!

Die Mißverständnisse waren demzufolge nicht nur sprachlicher Natur und so half alles nichts, ich mußte zurück zum Zelt, das Wörterbuch holen. Dann endlich lag ich – niedergestreckt auf zotteligen, kratzenden Riesendecken – im Wohnzimmer auf dem zu kurzem Ehebett, so daß mein Kopf auf dem Bettkasten, gedämpft durch viele Decken, zum Liegen kam. Auch hier mühte man sich sehr um mich, auf daß ich auch möglichst weich zum Liegen kam, wie ein Prinz. Eine ganz besondere Art von Komfort, die mich bestimmt stark angerührt hätte, wenn mir die Grippe nicht alle Sinne geraubt hätte. Aber in meinem Schmerz war mir alles gleich: es war kühl und ich lag. Mehr wollte ich nicht!

Nachdem ich mich stundenlang auf dem kratzigem Lager hin- und her gewälzt', willigte ich endlich ein die merkwürdige Tablette zu schlucken, die man mir schon des öfteren angeboten hatte. Noch etwas Wasser und einen Magentee hinterher und schon würg, würg – ich wollte noch was sagen – da kotzte ich schon das Frühstück samt Abendbrot aus. Sichtlich betroffen und erleichtert zugleich hing ich da, vorn übergebeugt, die vorgehaltene Hand über die Teetasse haltend, um wenigstens ein bißchen meines Mageninhaltes dem Teppich zu ersparen. Und was taten die Leute?! JA, was taten sie?!! Nein, sie liefen nicht fort, um Wischwasser zu holen, nein, nein! Noch nicht mal ein kleines Zucken um die Augenpartie; nichts, nichts verriet auch nur eine Spur eines Entsetzens über diese Bescherung. Dies war viel zu nebensächlich! Mitleidsvoll schauten sie mich an und fragten: Bun?? – Das heißt so viel wie: "Ist es dir jetzt besser?". Zutiefst erleichtert strahlte ich ein Ja herüber, dann waren sie schon weg. Bestimmt kam nun aber das Wischwasser. Weit gefehlt, ein Tuch wurde mir gereicht, um mich abzuputzen und nochmals wurde mir versichert, daß der Rest völlig egal sei. Ich war völlig irritiert, wohin nur mit meinen Schuldgefühlen, die hier offensichtlich keine Verwendung fanden?! Doch eh ich diesen Gedanken begreifen, geschweige denn in Worte fassen konnte, wurde ich bereits beherzt aufgefordert, mich schlafen zu legen und sie, sie sorgten für völlige Ruhe.

Die folgende Nacht schlief ich dort im Ehebett, während die Familie sich allesamt wie selbstverständlich in die kleine Küche zwängte. Selbst der große Vorraum wurde nicht genutzt, um mich, den Kranken, nur ja nicht zu stören. Ich war noch zu schwach, um gegen soviel Rücksichtsnahme ihrerseits zu protestieren.

Das ist mehr als Gastfreundschaft. Das ist die Art der Umsorgung, die ich mir wünsche. Ich glaube, die wir uns alle wünschen. Wenn ich jemanden brauche, ist er zur Stelle mit vollem Herzen. Ansonsten hab ich meine Freiheit und bin nicht Teil eines Dienstleistungsprogramms. Das ist der Komfort, den ich bevorzuge. Die erkaufte Freundlichkeit ist mir hingegen zu wider.

Und obwohl ich an diesem Tag der völligen Verzweiflung verdammt nahe war, meine vorzeitige Abreise schon geplant hatte, ist dies meine schönste Erinnerung an Rumänien. So etwas kann man nicht verstehen, das muß man erleben!

 

 

Eva Strittmatter: Sinn

Wenn ich krank gewesen bin

(sehr krank und in Krankenhäusern)

Kannte ich gut den Lebenssinn.

Und er war einfach zu äußern:

Licht auf der Haut. Und der grüne Duft

von Fichtennadelseife.

Und die Freiheit zu gehen in irdische Luft,

die ich atmend begreife.

Und Sonnenwärme ist fast schon zuviel

Und ein Ereignis am Morgen.

Und Leben leicht wie ein zielloses Spiel.

Und Hysterie sind die Sorgen,

mit denen man sich die Tage vergällt

und die Freude am Dasein vernichtete.

Und wunderbar ist das Bild dieser Welt,

wenn man es richtig belichtet.

 

 

Pop Ivan oder: was ist Erfolg?

Christa Schudeja

Wir werfen uns völlig erschöpft auf die weich gepolsterten Sitze des Wagens eines jungen Rumänen, den wir zunächst als Wiener wähnen, so perfekt spricht er diesen Dialekt. Obwohl wir die Alternative zum westlichen Komfort suchen, sind uns die Segnungen des westlichen Wohlstands im Moment willkommen, denn vor uns liegen noch 40 km Rückweg und es fahren gegen 21 Uhr weder Bus noch Zug .

Dieser Tag war ein Erfolg, obwohl wir einen Mißerfolg zu verzeichnen hatten: den Gipfel des Pop Ivan hatten wir nicht erreicht.

Dabei sah ich mich schon auf dem Grenzgipfel stehen und die fantastische Aussicht hinweg über die Karpatenukraine genießen. Neben mir die Grenzer, die ich mit Zigaretten der Marke Karpati – natürlich ohne Filter – bestechend, dazu bewegt hätte, mir einen Schritt über die ukrainische Grenze zu gestatten. Auch wenn ich nicht rauche, der Mann im Dorfladen hatte mir verständlich gemacht, daß mit den Jungs dort oben nur klar kommt, wer Zigaretten mitbringt. Außerdem: welche Frau aus Deutschland ist schon je hier oben angekommen? Ich hätte trotz verschwitztem T-Shirt die absoluten Chancen gehabt, völlig konkurrenzlos. Schließlich wollte ich auch mal flirten, denn die jungen Burschen sahen dort ziemlich kernig aus. Andreas hätte das per Foto festhalten müssen.

Die Tour war als machbare Tagestour erwähnt, auch wenn es keinen offiziellen Wanderweg gab und erst recht keine Beschilderung. Wer wagt sich schon hier ans Ende der Welt?

Die Anfahrt, die Mittagshitze und das Unwetter, mit den Wassermassen, die den Fluß und den Pfad zerstört hatten, diktierten allerdings andere Zeiteinheiten. Bis zum Einstieg in die Schlucht verkürzte uns ein LKW den Weg, indem er uns ein Stück mitnahm. Dann setzte ein wahrer Balanceakt ein aus Sprüngen über reißende Fluten, auf überspülte Steine und glitschige Baumstämme. Gelegentlich versuchten wir kletternd an schmalen Klippen entlang, am Geäst oder an Grasbüscheln festklammernd, uns einen Weg zu suchen. Brücken und Staustufen hatten die Fluten zerstört. Die Betonstücke lagen wie zerbrochene Waffeln im Flußbett zerstreut. Und trotzdem, es gab zwischendurch Momente zum Schauen – nicht nur auf die Schafscheiße, die uns gelegentlich darauf hinwies, daß da ein Durchkommen war – die Schafe hatten es ja geschafft – sondern auf die bezaubernde wilde Schönheit der Natur.

Dieser Reiz war so groß, daß ich das Ziel, auf dem Pop Ivan die Fernsicht zu genießen und mit den Grenzern zu flirten, fast völlig vergaß. Ich packte meine Kamera aus und suchte am Rastplatz nach Motiven.

Was Erfolge oder Mißerfolge sind, bestimmen letztlich wir selbst durch unsere Einstellung.

Verfallen wir der arroganten Haltung, immer bestimmen zu können, was erreicht werden muß, sind wir schnell dabei uns als Versager zu fühlen. Ich muß das und das schaffen. Ich lasse doch damit keinen Spielraum mehr für etwas anderes zu und beleidige im Grunde damit Gott. Er hat vielleicht einen ganz anderen Plan, etwas viel Spannenderes vor mit mir. Aber ich sehe nur auf das von mir gesteckte Ziel. Furchtbar anstrengend, immer so zu leben.

Doch weil die Tour so anstrengend war, gelang es gar nicht mehr, anstrengende Gedanken zu haben.

So kam die Enttäuschung über den nicht erreichten Gipfel gar nicht erst auf. Wir hatten es ja schließlich versucht und das war der Erfolg. Zudem hatten wir unser Bestes gegeben und die verwüstete Schlucht bezwungen. Die Bemühungen waren entscheidender als das Ergebnis. Eine Lektion für den Alltag hatten wir am Ende des Tages gelernt:

Wenn wir das Beste geben und dann nicht mehr an das Ergebnis denken, bekunden wir das Vertrauen zu Gott.

Nun, ich muß gestehen, der Lernprozeß war nicht einfach. Der Gipfel des Pop Ivan erschien so traumhaft schön im Abendlicht.

 

 

Kammwanderung

- worauf Du Dich verlassen kannst!

Christa Schudeja

Die Autoren des Buches "Die rumänischen Waldkarpaten" erwähnen kurz, daß es möglich sein müßte, auf der Bergkette oberhalb des Isa–Tals entlang zu wandern, wobei der Weg noch völlig unerforscht sei.

So steht für uns fest: da müssen wir hin!

Keine richtige Karte, keine Beschilderung und keinerlei Beschreibung. Hier sind Logik und Intuition gefragt. Und es funktionierte.

Anfangs ließ sich Andreas nur stur von seinem Kompaß leiten, bis der Weg auf einem Vorhügel endete. Nun war ich an der Reihe und überließ den Verlauf des Weges meinem Gespür für die richtige Richtung. Die Intuition irrt nie. Wir sind es gewohnt, sehr verkopft zu denken und die Gelegenheiten scheinen selten, in denen Intuition nötig ist.

Dennoch: ein ganzheitlicher Denker ist, wer sich wieder auf Ahnung verläßt. Unser übermäßiges Sicherheitsbedürfnis, die Angst vor Veränderung und die Angst zu versagen, stehen ihr im Weg.

Hier brauchten wir keine Angst zu haben. Es gab kleine Dörfer, zu denen man notfalls ins Tal absteigen konnte.

Kurz vorm Dämmern landeten wir dann auch direkt im Paradies mit Kompaß und Intuition:

Der Blick von unserem Rastplatz aus war fantastisch. Wasser war auch in der Nähe und wir teilten uns die Quelle unterhalb der Wiese mit 5 Fröschen. Um das Zelt kreisten die Mücken und scheiterten am perfekt dichten Moskitonetz aus der westlichen Welt. Die Abendstille wurde nur von gelegentlichen Rufen der Bauern durchbrochen, die bis zum letzten Licht mähten und Heu wendeten.

"Hier oben auf den Almen darf man überall sein Zelt aufschlagen", sagte der Bauer. Das Land ist nicht eingezäumt. Wir konnten uns den Platz nehmen, den wir brauchten. Oben im Baum hing dann nach dem Abendessen der Beutel mit Brot und Käse – sicher vor Bären, Wölfen und Schäferhunden, obwohl diese Aktion eher aus lauter Übermut geschah.

Unser Blick fiel direkt ins Tal auf das kleine Dörfchen Petrova. Das Abendlicht gab der dahinter liegenden Bergkette der Karpatenukraine eine bezaubernde Inszenierung.

Das komfortabelste Hotel dieser Welt hätte das nicht bieten können, was den Zauber dieses Ortes ausmachte.

Und es war ein Ort, den man nicht gezielt suchen kann, denn er läßt sich nur finden.

Der Weg ins Ungewisse, Neue, Unbekannte bedarf des Mutes und der Intuition für die einzuschlagende Richtung. Nicht nur in Rumänien im Isa-Tal. Da war es wohl einfacher für mich umzusetzen als hier, wo ich doch gern meine gewohnten, überschaubaren Pfade gehe und meinen Verstand mehr Gewicht gebe als meinem Gefühl.

Oft hegen wir die Illusion, daß das Leben so einfach wäre wenn wir auf ausgebauten Wegen mit Hinweisschildern gehen könnten und eine genaue Landkarte dabei hätten. Doch das ist nicht so, denn das Leben ist auch eine Reise. Niemand ist zuvor unseren Weg gegangen. Nur wenn wir ihn beschreiten wissen wir, wohin er führt und dies oft auch erst, wenn wir zurückblicken, um unseren Ausgangspunkt zu entdecken.

Obwohl uns dieses Geheimnis manchmal Angst macht, liegt in ihm die ganze Freude und Spannung des Lebens. Niemand sonst kann diese Reise für uns machen oder unseren Weg ebnen.

Bisweilen sind wir derart entsetzt, daß wir einfach wie angewurzelt stehen bleiben und das Risiko des Weitergehens nicht auf uns nehmen wollen. Und doch geht es im Leben genau darum: sich einen Weg zu bahnen.

Ein täglicher Lernprozeß !

Hör zu, Wanderer! Es gibt keine Wege. Wege entstehen beim Gehen (Richard Rohr)

 

 

Simone Ortitz:

Lauf – der Wind gibt dir Flügel.

Geh – die Bäume geben dir Schutz.

Sprich – die Vögel leihen dir ihr Ohr.

Sing – deine Stimme gibt dir Trost.

 

Die Frauen und ich oder ich und die Frauen

Andreas Theis

Eigentlich wollt' ich ja 'was ganz anderes dort in Rumänien. Aber der Alltag holte mich von Zeit zu Zeit wieder ein. Was so harmlos begann, sollte in einer menschlichen Tragödie enden.

Die Zugfahrt war lang, sehr lang, über 40 Stunden. Und diesmal war ich's, den die Leute bestaunten: "Was? Wie nur mit dem Zelt? Nach Rumänien?! Und Sie beherrschen die Sprache nicht einmal?!". Zugegeben, es machte mich ein wenig stolz. Ich als großer Abenteurer, der Wege beschritt, die andere sich noch nicht mal vorstellen mochten. Oft schon hatte ich selbst Weltenbummler bewundert, die so frei ihrer Wege zogen. Ich denke dies hatte eine gewisse charismatische Wirkung, auch und vor allem auf das andere Geschlecht. So kam es, wie es kommen mußte. Bald schon sah ich mich umringt von Frauen. Schluß war mit der besinnlichen Besinnung. Mit stolzgeschwellter Brust mußte ich den zu mir Aufblickenden von meinen bevorstehenden tollkühnen Taten erzählen. Und sie blickten nicht nur auf, weil ich sie stets um mindestens eine Kopfes Länge überragte. Dabei wollte ich mich doch befreien, befreien aus den Fesseln dieser Welt und fand mich erneut gefangen, gefangen im Netz des weiblichen Charmes, den selbst der stärkste Ritter nicht zu widerstehen vermag. Ganz schön anstrengend kann ich Ihnen sagen!

Gut auf der Hinfahrt ließ ich mir dies ja noch gefallen. Die Anreise war nur der Weg zum Ziel. Aber meine Attraktivität stieg unaufhörlich. Dabei hatte ich es darauf doch nun wirklich nicht angelegt. Ganz im Gegenteil! Keinen einzigen Gedanken verschwendete ich an so Nebensächlichkeiten wie ein attraktives Äußeres. Doch dies half alles nichts, auch wenn meine einzige Trekkinghose, die ich stets am Leibe trug, schon mächtig stinken mußte und ich durch meinen ungebändigten Haarwuchs einem Yeti glich, so besaß ich dennoch oder vielleicht gerade deswegen eine unbeschreibliche Anziehungskraft auf das weibliche Geschlecht. Don Juan wäre blaß vor Neid geworden. Frauen halt, wer glaubt sie zu verstehen, irrt.

Vielleicht, ganz vielleicht, hing meine frappierende Wirkung auf das schwache Geschlecht auch schlichtweg an der Tatsache, daß ich dort in Rumänien über Nacht zum Millionär geworden war. Die Frauen rochen förmlich den fetten Braten, denn die 100-Tausender-Scheine quollen bereits aus meinem Brustbeutel hervor.

Komisch, an dieser Stelle kommt mir ganz unwillkürlich der Ausspruch meiner besten Freundin in den Sinn: "Du bist schon ein ganz schöner Macho!" – Was Frauen nur immer haben?!

Jedenfalls fand ich mich so bald ganz unfreiwillig an der Seite eines entzückenden weiblichen Wesens wieder und das auch noch im kühlen Naß. Das war mir schon irgendwie unangenehm. So viel weiblicher Wollust war ich nicht gewachsen und ich sprang beherzt aus dem Wasser. Blitzschnell trocknete ich mich ab und zog mir die Klamotten über. Jetzt gab es nur noch eine Rettung: die Kirche. Hier würden Anstand und Sitte herrschen, so jedenfalls meine Erwartungen. So machte ich mich also auf zur Dorfkirche. Es war Zeit für die Heilige Messe und so strömten die Leute aus allen Richtungen auf die Kirche zu. Vor mir ein Zwillingspärchen in ihren Sonntagskleidern, die Gebetsbücher unter dem Arm geklemmt. Gott sei Dank: Hier war die Welt wieder so, wie ich sie kannte. Doch was mußte ich da sehen, als ich um die Ecke bog?!! Ich konnte es fast nicht glauben, und sie - sie war auch noch im Begriff die Kirche zu betreten. Es lockt das Weib, wo immer du auch bist! – Ich sag nur eins: violetter Minirock und schwarzer Tangaslip... und das zwischen den frommen Frauen, die sich demütig, in schwarzes Tracht gehüllt, gebeugten Hauptes dem Hause Gottes näherten.

Jetzt fragen Sie sich bestimmt, wie ich, [Räusper!] Entschuldigung! – also wie ich mir diese Farbe erklären kann: Schwarz trägt man dort beim Kirchgang, würd' ich sagen! – Was das ist Ihnen egal, das wollten sie gar nicht fragen?! Was wollten Sie denn dann wissen?!

Tja, wie gut tat mir da die Kellnerin tags darauf im Touristik-Komplex Borscha, die mich mit völliger Mißachtung beglückte. Hätte ein Rumäne am Tisch des Restaurants nicht Wort für mich ergriffen, so wäre ich glatt verhungert. Doch diese unaufgeforderte Freundlichkeit des Rumänen hatte Nebenwirkungen. Er fühlte sich dadurch ermutigt, ja fast verpflichtet, mir gleich ein paar Tips zu geben. Ja, richtig, wie sollte es anders sein, zum Thema Frauen. Für ihn stand nämlich fest, das wichtigste, was ich hier mitnehmen sollte, sei eine Frau. So billig käme man sonst nicht an eine gefügige Frau, so ungefähr seine Worte.

Dachten denn dort wirklich alle nur an das Eine?!

Entsetzt von so viel Oberflächlichkeit schlich ich mich zurück in unser Quartier am Fuße des Gebirges. Hier war ich sicher, dachte ich. Weit gefehlt. Gerade als ich auf dem Balkon sitzend völlig in Poesie versunken war, und mein Blick den häßlichen, alten Baukran sublimierend [veredelnd] nur noch den herrlichen Sonnenuntergang sah, da rüttelte es an meinem Stuhl. Die geöffnete Balkontür, neben die ich meinen Stuhl plaziert hatte, wurde gegen selbigen geschlagen. Dabei nahm die Stärke der Erschütterung stetig zu. Die reizende junge Zimmernachbarin hatte mich entdeckt und wollte in einer waghalsigen Aktion zu mir rüberklettern, da ihr – glücklicher Weise – die Tür den direkten Weg versperrte. Durch meine Sittsamkeit konnte ich diesen heimtückischen Angriff allerdings spielend abwehren. Doch ihr Betteln und ihr Flehen konnte ich nicht lange aushalten. Und so erkaufte ich mir ihr Schweigen durch ein leichtfertiges Versprechen. So sah ich mich eine halbe Stunde später mit ihr zum völlig heruntergekommen Hotel flanieren. Dort war Disko angesagt. Disko statt Sonnenuntergang. Das Leben kann manchmal wirklich hart sein.

Niemals hätte ich gedacht, daß ich meine Selbstverteidigungskünste auch einmal anwenden müßte. Doch diese Frau war schlimmer als Patex. Nachdem ich mich kampfeserprobt gleich mehrmals hintereinander geschickt aus ihrem Armgeflecht befreite, lotste sie mich auf eine Parkbank. In der Zwischenzeit hatte ich in meinem fast vergessenen Englischvokabular gewühlt, um ihr auf schonende Weise beizubringen, daß es mit uns endgültig nichts würde. Da kam ganz unverhofft ein kleiner Freund zu Hilfe geeilt. Kaum sichtbar huschte er durchs Gras. Ich bemerkte seine Anwesenheit erst gar nicht. Erst durch den erstarrten Blick meiner Balkonnachbarin wurde ich ihm gewahr. Doch das war erst der Anfang des nun einsetzenden Spektakels. Meine von Liebe ergriffene Nachbarin nahm mich auf einmal gar nicht mehr wahr. Stattdessen sprang sie urplötzlich auf die Bank. Sie wäre wohl auch noch auf die Lehne geklettert, nur zu ihrem Leidwesen, besaß diese Bank keine. Diese Akrobatik hatte aber auch ihr Gutes, so war das fast gleichzeitig einsetzende Geschrei der Frau an meiner Seite besser zu hören. Ich meinerseits nutzte die Gunst der Stunde, um mich aus dem Staub zu machen. Höflich wie ich nun mal bin, natürlich nicht ohne mich von meiner jetzt anderweitig beschäftigten Verehrerin zu verabschieden. Obwohl ich glaube: das hat sie wohl nicht gehört.

Ich freute mich indes zu früh, denn als ich so fröhlich pfeifend meiner Pension entgegenschritt, da kam der Vater des Patex-Mädchens auf mich zu. "Wo ist denn mein Töchterlein?!" fragte er mich. Ich stammelte irgendwas von Disko und daß ich müde sei. Doch das half alles nichts, ich mußte mich zu ihm gesellen. Er hatte in der kurzen Zeit, seit er in der Pension weilte, schon den Hausvorstand übernommen und lud mich deshalb auch gleich an den Tisch des Hausinhabers ein. Da er vor Kopf saß, erzählte er auch das meiste, wie es sich für einen, wenn auch selbst ernannten, Hausherrn schließlich auch gehört. Er wußte einfach zu jedem Thema etwas beizusteuern und war sich stets sicher, daß er völlig richtig lag, und damit zwangsläufig die anderen falsch. Keiner konnte ihm das Wasser reichen. – Es gab nur Wein! – Er wußte auch bereits genau, wie meine Karriere verlaufen mußte. Von ihm aus stand also einer Hochzeit mit seinem Töchterlein nichts im Wege. Auch die Schwiegermutter in spe schloß mich unbesehen in ihr Herz.

Gut, nachdem ich ihr Töchterlein in den höchsten Tönen erleben durfte, konnte ich schon verstehen, daß es den Eltern egal war, an wen sie sie verlieren würden. Was für ein Verlust?!

Irgendwie schaffte ich es noch einmal mich aus den Klauen zu befreien und drängte am nächsten Morgen zu einem frühen Aufbruch in die Berge. Dort oben wähnte ich mich sicher vor den Waffen einer Frau. Aber gerade wenn Mann sich ganz sicher fühlt, kommt unaufhaltsam die weibliche Gefahr. Und so war's dann auch. Ein Mädchen aus Tschechien kam mit ihrem Vater den Berg hinaufgestapft, den ich gerad’ gazellenähnlich hinunter sprang. Mitten in einem solchen graziösen Sprung, fiel mein Blick mitten in ihren Ausschnitt. Provokant weit geschnitten war er einfach nicht zu verfehlen und lud zu sehr tiefen Einblicken und Eindrücken ein. Ich blieb also stehen, natürlich nur um ihr ein paar Tips zu geben, denn wer so unprofessionell gekleidet war wie sie, bedurfte bestimmt meiner Hilfe. Christa meinte, ich hätte ziemlich lange dort oben verweilt, dies kann ich mir nur durch die Tatsache erklären, daß ich der wiedermals gefragten englische Sprachen noch immer nicht ausreichend mächtig war.

Viele Frauen kreuzten meinen Weg und immer wieder wurde ich durch so profane Dinge wie das Balzverhalten aus meinem neuen Lebensgefühl der Freiheit und der Insichkehr gerissen.

Das Schicksal hatte es also gut mit mir gemeint, könnte man denken, doch meine Lage war viel aussichtsloser als ich dachte. Das größte Übel, die intriganteste Verführung überhaupt, ging die ganze Zeit neben mir her und ich merkte es anfangs gar nicht. Da hieß es: "Ich kann bei dem schlechten Licht einfach Deine Schlafanzugshose nicht finden, willst Du nicht meine Hose nehmen?" Ich ahnungsloser Wessi nahm dies natürlich gutgläubig an. Aber damit saß ich bereits in der Falle. Auf's Subtilste ausgeklügelt und unanfechtbar. Aber es blieb natürlich nicht bei der Hose, danach kamen die Socken, dann das Hemd. Nach und nach hatte ich in fast all ihren Sachen meine Duftmarken hinterlassen. Wenn das mal nicht zu mehr verpflichtet. Den Rest erspare ich Ihnen lieber.

Ja, ja, ich sehe es an Ihrem ungläubigen Blick, Sie ahnen es, wollen es aber ebenso wenig wahr haben wie ich, das ist ja das Tragische, aber doch die Frau von der ich eben erzählte war meine Reisegefährtin Christa. Da staunen Sie!

Gut, wenn Sie sie jetzt selber fragen, wird sie sagen, es sei genau umgekehrt gewesen, und ich hätte immer um ihre Klamotten gebeten und nur deshalb hätte sie sie mir angeboten. Können Sie sich so was bei mir vorstellen?! Doch nun wirklich nicht!!! Und überhaupt, hätte ich gefragt, dann hätte sie sie mir doch gar nicht anbieten müssen! Oder? Und warum sollte ich fragen, ich brauchte keine Kleidung.

Ach, lassen Sie mich das leidige Thema mit den Frauen lieber jetzt beenden tun. [an alle Linguisten eine großen Verzeihung wegen des Wörtchen "tun"!]

 

Unsere Nächte

- ein schonungsloses Bekenntnis

Christa Schudeja

So hatte ich's mir anfangs vorgestellt: eine bequeme Fahrt im Liegewagen, zumindest bis Wien. Im netten Abteil für uns ganz allein, vielleicht zusätzlich noch belegt mit vier weiteren netten Männern, wohlgemerkt im abschließbaren 6-Bett-Abteil.

Doch es kam anders.

Am Abreiseabend beschloß ein Mensch sein Leben zu beenden und wählte das Gleis auf dem der Nachtzug Richtung Wien fuhr. Statt im Liegewagen fanden wir uns im Zug nach München vor; auf harten Sitzen in einem noch freien Abteil, mit der ständigen Angst im Genick: Steigt nicht doch noch jemand zu und raubt unseren ausgestreckten Beinen den freien Platz? Kurzzeitig tat das dann auch eine Familie mit Kind, aber ansonsten hatten wir Beinfreiheit und die Rucksäcke dienten als Kopfkissen.

Die nächste laue Sommernacht mit Zwischenstop in Debrecen/Ungarn. Das Zimmer in Bahnhofsnähe, das Andreas durch seinen Flirt mit einer Mitreisenden im Zug ergattern konnte, lehnte ich aus ökonomischen Gründen ab. Für 5 Std. Schlaf 20 DM, das war zuviel. Andreas entdeckte den romantischen Park mit den freien Bänken. Warm genug war es ja.

Doch ich sah uns ausgeraubt und mit einer Kopfwunde am Morgen im Gebüsch liegend – dadurch hätten wir einem dieser armen Teufel, die es hier gab, seinen Lebensunterhalt für mehrere Jahre gesichert. Doch die Spende fand ich zu hoch. Die Holzbänke in der Bahnhofshalle entbehrten zwar jeder Romantik, aber die Mitschlafgemeinschaft schien harmlos zu sein. Und das bestätigte sich. Schlaftrunken erreichten wir dann den Frühzug. Als ich mich in Satu Mare völlig übermüdet gegen 15 Uhr in das Hotelbett stürzte, war mir der Schlaf nicht lange vergönnt. Es gab ein festliches Grillhähnchen-Essen. Während die Seelen der toten Tiere längst in den Himmel aufgestiegen waren, stieg das Bratfett gasförmig zum Hotelfenster direkt in meine Nase. Muffige Hitze oder Brathähnchenduft, das war die Alternative.

Nach diesen Anreisenächten erreichten wir dann endlich das Gewünschte: einen Platz beim Bauern auf der Wiese. Genau so hatte ich es mir vorgestellt. Doch nach einigen Tagen himmlischer Ruhe des Nachts gesellten sich Gäste zu uns. Ein fantastischer Anblick eröffnete sich mir an jenem Abend, als ich meine letzten Notizen vorm Zelt schrieb. Der sanfte Weg durch die Wiese, das Maisfeld, Weite und Himmel und Ruhe. Zärtliche Schatten der Abendsonne lagen auf dem satten Grün, bis die Nacht kam und mit ihr die Mäuse. Sie fühlten sich unterm Zeltboden behaglich im Heu und gründeten gerade eine Wohnsiedlung. Ungewollt wurde ich Mithörerin. Es ging zu wie am Verkehrsknotenpunkt im Berufsverkehr. Was tun? Ein Schlag auf den Zeltboden hätte sie erschreckt oder verletzt. Der Gedanke an körperbehinderte Feldmäuse unter mir, behagte mir dann doch nicht, da ich schon den Anblick des toten Huhns auf dem Misthaufen auf nüchternen Magen hatte verkraften müssen. Also händigte ich den Mäusen in Gedanken einen Untermietvertrag aus und schloß Frieden mit ihnen. Und ich schlief die restlichen Stunden doch noch.

Nach dem sicheren Platz wagten wir uns dann in die wilde Natur und schlugen das Zelt auf Almen und Bergwiesen auf. Hier hatten die Mäuse keine Chance, dafür fürchteten wir um unseren Proviant. Doch der Cowboy an meiner Seite übte sich beim Lassowurf und so hing kurze Zeit später der ganze Sack mit Eßbarem im Baum. Wohl hätte der Geruch die braunen Jungs anlocken können, ich war mir allerdings sicher, daß der Gestank unserer Socken vorm Zelt sie von der Schlafstätte fernhielt. Und das war dann auch so.

Für die letzte Nacht im Gebirge mußten wir notgedrungen dann doch noch einmal ein Hotelzimmer beziehen. Wir hinterließen am Morgen einen Papierkorb voll feuchten Toilettenpapiers. Das Ergebnis unserer Trockenaktion, denn in der letzten Gebirgsnacht hatte sich das Regenwasser unerlaubt Einlaß ins Zelt verschafft und so die letzten trockenen Sachen vereinnahmt.

Jede Nacht war anders spannend. Wer wählt da schon ein stinknormales Hotelzimmer auf Dauer? Ja, so werde ich die Nächte mit den Mäusen, den abgeschreckten Bären, dem feuchten Toilettenpapier, dem Brathähnchengestank und nicht zuletzt meinem nicht schnarchenden Begleiter Andreas wohl nicht so schnell vergessen. Rumänische Nächte haben es in sich.

 

 

Badetag - Leben im Hier & Jetzt

Andreas Theis

Gerade jetzt wo wir den Kamm endlich gefunden hatten, mußte sich Christas hochgelobtes nostalgisches Ost-Wunderwerk von einem Bergschuh in seine Bestandteile auflösen. Ein mißmutiges Gefühl ergoß sich über mich: >Das mußte doch nun wirklich nicht auch noch sein! Dieser blöde Schuh!!!"

Eins war klar, wir mußten absteigen, auf direktem Wege. Gerade als ich dies schweren Herzens beschlossen hatte, da tauchte wie aus dem Nichts eine Ortschaft im Tal vor uns auf. Wir waren also eh am Ende unseres Naturparadieses angelangt.

Doch diese Erkenntnis wollte mich einfach nicht so recht beschwichtigen. Immer noch hing ich der Vergangenheit nach; wie schön wäre es doch, dort droben durch die himmlische Naturlandschaft still vergnügt meines Weges zu geh'n. Und nun sollte urplötzlich alles vorbei sein? Oh, nein!

Wenn ich heute zurückdenke, an dieses Gefühl der Verbitterung, dann muß ich lächeln, weil mir sofort eine Geschichte in den Sinn kommt. Eine Geschichte, die mir dort auf dem Kamm wohl geholfen hätte, zurückzukehren in die Gegenwart, ins Hier & Jetzt. Diese Geschichte möchte ich Ihnen nun erzählen:

"Einem armen Chinesen entlief das Pferd. Die Nachbarn drückten ihr Mitgefühl aus. "Woher wißt ihr", fragte der alte Mann, "daß es ein Unglück ist?" Einige Tage später kam das Pferd zusammen mit einigen Wildpferden zurück. Die Nachbarn gratulierten. "Woher wißt ihr, daß es ein Glück ist?", fragte der alte Mann. Der Sohn des alten Chinesen versuchte, eines der Wildpferde zu reiten, stürzte und brach sich ein Bein. Die Nachbarn beklagten den Jungen. "Woher wißt ihr, daß es ein Unglück ist?", fragte der Vater. – Im nächsten Jahr kam es zum Krieg. Alle jungen Männer des Dorfes mußten zu den Waffen. Der Sohn des Alten durfte daheim bleiben. Die Nachbarn kamen und ... "

Leider hatte ich zu jener Zeit auf unserer Kammwanderung oberhalb des Isatals noch zu sehr verinnerlicht, alles bewerten zu müssen. So dauerte es lange bis ich endlich Abschied nahm von den vermeidlich verpaßten Chancen. In meinem Wahn dachte ich nämlich nur noch an eins: so schnell wie möglich in die nächste Stadt zu kommen, denn schließlich gab's nur dort neue Schuhe. Dabei vergaß ich völlig, daß es Sonntag war und diese Hast mich überhaupt kein Stück meinem ach so wichtigen Ziele näherbrächte. So trabte ich blind vor Gram hinter Christa her. Ich bemerkte wohl noch, daß sie stoppte, um sich mit einer am Hoftor Stehenden zu unterhalten. Dann ging es fürchterlich schnell. So kam es jedenfalls mir, dem in Selbstmitleid Ersaufenden, vor. Zuerst bot man uns Wasser an. Aus dem Wasser wurd' dann ein ganzes Mahl und eh ich mich versah, war auch schon unser Nachtquartier arrangiert. Da erst kam ich zurück aus der Zukunft und landete sanft in der Herzlichkeit der Menschen, die sich selbstlos um mich bemühten. Die Freundlichkeit dieser unverhofften Begegnung rieß mich aus meinem trübsinnigen Gedanken. Ich ließ mich fallen in das weiche Bett, das mir wie selbstverständlich überlassen war, und mit meinem müden Körper fiel auch alle Hast und aller unnötiger Ehrgeiz von mir ab und ich war wieder ganz da. Ich genoß das diesmal extra fettfreie Essen und streckte meine Gliedmaßen voller Wonne aus. Zum krönenden Abschluß dieses wahrhaftig sonntäglichen Tages nahm ich gemeinsam mit unserer neuen Gastfamilie ein Bad im Fluß unweit von dem kleinen Dorfe.

Nie hätte ich gedacht, daß mich, einen Held der Berge, ein Badetag könnte so in meiner Seele berühr'n.

 

Dabei fällt mir ein Gedicht von Reiner Maria Rilke ein:

Wunderliches Wort: die Zeit vertreiben!

Sie zu halten, wäre das Problem.

Denn, wen ängstigts nicht: wo ist ein Bleiben,

wo ein endlich Sein in alledem? –

Sieh, der Tag verlangsamt sich, entgegen

jenem Raum, der ihn nach Abend nimmt:

Aufstehn wurde Stehn, und Stehn wird Legen,

und das willig Liegende verschwimmt –

Berge ruhn, von Sternen überprächtigt; –

aber auch in ihnen flimmert Zeit.

Ach, in meinem wilden Herzen nächtigt

obdachlos die Unvergänglichkeit.

 

 

Das Rodnagebirge: Die erste Tour

Andreas Theis

Das Rodnagebirge, höchster Abschnitt der Ostkarpaten und zugleich einer der einsamsten Gebirgszüge Rumäniens. Hier gibt es weder Bergwacht noch Schutzhütte. Nur ein paar Hirtenhütten. Doch selbst die sind meist leer. Der Hirt' ist unterwegs, unterwegs mit seiner Herde. Ihn zu entdecken ist nicht schwer. Eher unwahrscheinlich ist dagegen die Begegnung mit einem Bären, die es in den Karparten auch heute noch gibt. Sie meiden Gott sei Dank den Kontakt mit Menschen und stellen deshalb keine unmittelbare Gefahr dar.

Die Einsamkeit hat aber auch ihr Gutes: Touristen gibt's in dieser Region somit nur selten. Das macht den besonderen Reiz dieser teilweise völlig unerschlossenen Berglandschaft aus. So gibt es Wege, da dauert es bis zu fünf Tage, bis wieder eine bewohnte Hütte am Wegesrand erscheint. Das Zelt ist hier also nicht nur romantisches Beiwerk, sondern überlebenswichtig, da die Nächte empfindlich kalt werden können. Damit aber noch nicht genug. Es gibt auch keine richtigen Wanderkarten, sondern nur Skizzen, die lediglich eine grobe Orientierung geben können. Auch Trinkwasserquellen gibt es nicht überall. Deshalb will die Tour gut geplant sein: Wo ist die nächste Quelle? Was, wenn der eingezeichnete Weg sich auf einmal verliert?

Wir wußten um all diese Risiken und versuchten deshalb die erste Tour im Rodnamassiv so einfach wie möglich zu gestalten.

So ging's zunächst einmal mit wenig Gepäck per Sessellift, der erstaunlicherweise auch im Sommer fuhr, hinauf in die Berge. Ein gemütlicher Einstieg ins Gebirge, wenn auch die etwas veraltete Technik des Lifts Christa ein wenig zu denken gab.

Den Abstieg mußten wir allerdings zu Fuß bewältigen, da der Sessellift nur bis um fünf fuhr und das auch nur, wenn sich mindestens zehn Fahrgäste einfänden. Doch wir waren guten Mutes, denn dort oben in 2000 Meter Höhe gab's markierte Wanderwege. Ausgerüstet mit einer alten Karte von der Umgebung Borschas und einem Kompaß, sollte es wohl ein Kinderspiel werden. Doch es kam wie immer, anderes als gedacht. Der Weg hinab verlor sich auf einmal. Was so leicht begann, endete schon bald in einem Trümmerfeld aus umgestürzten Bäumen, gefolgt von dichtem Unterholz, an das sich ein steiler Holzabstransportweg anschloß, der letztendlich in einem Bachlauf endete. Alles hervorragend geeignet, um sich die Knochen zu brechen. Fußstapfen im Matsch verhießen uns die geringe Hoffnung, daß dieser mörderische Weg wenigstens keine Sackgasse war. Makabere Gedanken stiegen in mir auf bei diesem schier endlosen Abwärtstrip von mehr als 1000 Höhenmetern: >> Wenn wir nun nirgends Knochen finden, dann hat's unser Vorgänger wohl geschafft. – Dann schaffen wir es auch! <<

Gerade als ich diesen Gedanken zu Ende gedacht', da erschien ein mächtiges Holzkreuz am Wegesrand. – Nein, leider kein Gipfelkreuz!

Gott sei Dank lösten zwei heraneilende Hirten kurz darauf die Spannung auf: noch 2-3 km. Und dann taucht auch wieder das Wanderzeichen auf. Breit und fett in voller Größe grinst es uns an, als wollte es sagen: "Warum habt ihr euch denn Sorgen gemacht?!"

Jetzt endlich konnte ich Christa gestehen, daß ich deshalb so zügig voran geeilt war, weil ich befürchtete, daß wir sonst die Straße nicht vor der totalen Finsternis erreichen würden. Irgendwie hatte sie das geahnt und wir hatten völlig unbemerkt eine stille Übereinkunft getroffen, schnell aber vorsichtig den Abstieg zu meistern – und was noch wichtiger war, den anderen nicht mit seinen Befürchtungen in Panik zu versetzen. Denn Ruhe war das Wichtigste in dieser Ausnahmesituation.

So erreichen wir endlich doch noch die Straße. Es war inzwischen dunkle Nacht geworden. Hätt' uns nach einem weiteren Kilometer verzweifeltem Straßenlaufs nicht ein LKW noch aufgegabelt, so wären wir wohl die ganze Nacht hindurch gelaufen.

War das nicht Leichtsinn? Oder Dummheit? Suchte ich etwa diesen ultimativen Kick, so wie es Mount-Everest-Besteiger tun, die dann mit abgefrorenen Zehen heimkehren, wenn sie überhaupt zurückkommen? Oder bin ich einfach ziellos blind drauflos maschiert und kam so in die brenzliche Lage?! Diese Fragen stellte auch ich mir. Doch die Antwort war mir klar:

Nein! Beides nicht! Ich wollte mir weder etwas beweisen, noch suchte ich in einer lebensbedrohlichen Situation meine Läuterung [Selbstbesinnung].

Mir sagte mal eine gute Freundin, "Wenn du dich nur unauffällig verhältst und dich einpaßt in die Gesellschaft, dann kann dir nichts Böses widerfahren. Dann machst du keine Fehler und dein Leben kann gelingen." Aber diese risikofeindliche Haltung verhindert in Wirklichkeit das Leben. Wer absolut keinen Fehler machen will, der macht alles falsch. Denn er wagt nichts, er geht kein Risiko ein. Und so kann auch nichts Neues entstehen.

D.h. hätte ich es nicht riskiert ohne Sprachkenntnisse und ohne exaktes Wissen über die Begebenheiten vor Ort trotzdem nach Rumänien zu fahren, dann könnte ich nun nicht vor Ihnen stehen und Ihnen von meinen bewegenden Erlebnissen erzählen. Diese Erfahrungen sind die Risiken wert.

Zudem suchte ich nicht das Risiko – es kam zu mir. So wie im Alltag, wenn Unvorhergesehenes über mich hereinbricht und mich in eine tiefe Krise stürzt. Das kann ich nicht vorausplanen, dagegen gibt es keine Versicherung.

In der westlichen Gesellschaft haben wir viele Versicherungen. Sie können zwar manchmal den finanziellen Schaden abdecken, jedoch niemals unser menschliches Leid lindern. In Rumänien kennt man das Wort Schadensversicherung nicht. Hier ist der Mitmensch deine Versicherung. Er achtet auf dich und er kümmert sich um dich, wenn du Hilfe brauchst. Dort kannst du dich nur schwer in der Anonymität verstecken, denn dort kennt man sich und weiß voneinander. Dort ist mein Haus auch dein Haus. Als ich dies erkannte, stellte sich mir die Frage: "Warum brauchen wir bei uns im Westen soviel gekaufte Sicherheit? Warum heißt bei uns der Schutzengel Provinzial und nicht Herr Nachbar?

Ich kann auf diese Frage keine Antwort geben. Die muß jeder für sich selbst finden. Ich kann nur eines sagen, aber das mit Bestimmtheit: Ich habe dort im rückständigen Rumänien gelernt, mit solchen zum Leben gehörenden Ausnahmesituationen, wo jede Versicherung versagt, selbstverständlicher umzugehen. Ich suchte die natürliche Herausforderung, um diese Fähigkeit in einer versicherungsfreien Gesellschaft zu trainieren und den Glauben an meine Fähigkeiten, ja an mich selbst, zu stärken. Ich wollte mein Glück nie absichtlich herausfordern, denn das kann schnell zu einer Überforderung werden. Nein, ich suchte die Herausforderung, die mich langsam wachsen läßt. Denn ich liebe mein Leben und würde es deshalb nie unnötig in Gefahr bringen. Doch wie sagt Henry Ford so treffend: "Nichts geschieht ohne Risiko. Aber ohne Risiko geschieht auch nichts." Oder wie der Volksmund sagt: "Wer nichts wagt, der nichts gewinnt." Und ich, ich habe die Erkenntnis gewonnen, daß mich das Streben nach Sicherheit, das Vermeiden von Fehlern und das Nicht-Auffallen-Wollen, am Leben hindert.

 

 

 

Heinz Rudolf Kunze: WIE KÖSTLICH

Wie köstlich ist die Einsicht, daß man viel zu wenig wagt,

Viel Zeit verliert mit laufendem Motor.

Man stellt sich halt die Grenzen seiner eignen Existenz

Doch meistens viel zu eng gezogen vor.

Wenn jeder Mensch begriffe, wieviel Freiheit er verpaßt und kampflos dem Vergessen überläßt,

dann wäre Nibelungentreue, Obrigkeitenkult und Machtgier

bald so chancenlos wie Pest.

Man kann doch zu sich stehen, wie man will,

Die meisten stehen lebenslänglich still.

Der Wind bläst ihnen ständig ins Gesicht,

Doch aufzustehen trauen sie sich nicht.

Man sehe nur mal mich an, wie ich lebe, was ich tu:

Im besten Falle längerfristig nichts.

Ich sitz in meiner Wohnung und ich fei`re Pubertät

Und freu mich an der Wanderung des Nichts.

Es gibt da zwar Momente, wo der Wahnsinn leise lacht

Und man sich völlig überflüssig fühlt.

Doch nur an solchen Fluchtpunkten schafft man die Chronistenkraft, den zu skizzier`n, der eine Rolle spielt.

Man kann doch zu sich stehe, wie man will...

Ich will nicht mehr verschieben und vertagen und verliern.

Der Gutschein auf die Zukunft ist gefälscht.

Ich dulde keinen Aufschub und ich höre nicht mehr zu beim offiziellen Durchhalt-Kauterwelsch.

Ich bin nicht länger der, von dem man sagt, so kennt man ihn.

Ich hab ein Anrecht weich zu sein und schrill.

Man kann doch nicht im Ernst erwarten, daß man Recht behält.

Man kann doch zu sich stehen, wie man will.

 

 

Gipfelgefühl

Andreas Theis

Endlich, wir waren über 2000 Meter. Ein Gefühl der Freiheit ergoß sich über mich. Die Luft war hier viel klarer und ich fühlte mich eins mit der Natur. Während ich mich von dem anstrengenden Aufstieg mit vollem Marschgepäck auf einer Bergwiese liegend erholte, sah ich mich schon über die Dächer dieser Welt marschieren, entlang der endlosen Bergkämme, so hoch hinauf wie es nur ging. Dem Gipfel des inneren Friedens stets entgegen. Dabei ein leichtes Lied auf meinen Lippen. Von dort aus wär' die Welt so klein und ich wäre frei, frei wie ein Vogel.

Als ich so vor mich hin träumte, rieß mich plötzlich eine unnatürlich freundliche Stimme aus meiner inneren Zufriedenheit. Und da sah ich ihn, Mr Keep-smiling persönlich. Er baute sich bedrohlich vor mir auf und ohne sich vorzustellen, begann er sogleich uns auszufragen. Erst zum Schluß stellte sich ganz beiläufig heraus, daß er zu einer europäischen Naturschutzorganisation namens pro natura zählte. Schön und gut, aber das gab ihm noch lange nicht das Recht uns vorschreiben zu wollen, wo wir zu campieren hätten. Ich hatte nur noch einen Gedanken: weg von hier und meinem Ziel entgegen. Ich wußte wo wir in Frieden nächtigen könnten und dorthin wollte ich so schnell als möglich. Gut, daß der schäbig grinsende Möchte-Gern-Naturschützer humpelte, so konnten wir ihm leicht entkommen. Doch dieser Naturschützer und seine Mitbrüder hatten ganze Arbeit geleistet und alle Wege bis auf den ihrigen völlig verwüstet. So waren wir gezwungen, als wir meinen idyllischen Platz für die Nacht schon vor uns liegen sahen, doch umzukehrern – zum Lagerplatz der pro natura-Typen, denn der Abstieg zu meinem Platze war durch deren Werk nunmehr halsbrecherisch geworden.

Da faßte ich einen Entschluß: Niemand durfte so willkürlich meine Pläne durchkreuzen. Ich würde meinen Gipfel erreichen, egal wieviele Steine man mir in den Weg werfen mochte.

Diesen Weg mußte ich allerdings alleine gehen. Es war mein Ziel und in diesem Fall durfte ich keine Kompromisse eingehen. Ja, ich wollte mir wohl auch selbst etwas beweisen. So brach ich am nächsten Morgen bereits um sechs Uhr auf, während alle anderen noch tief und feste schliefen. Der Ehrgeiz hatte mich gepackt, und in der ersten Zeit rannte ich wie wild meinem Ziel entgegen. Ich mußte diesen dummen Gipfel erreichen. Viele vor mir hatten es schließlich auch geschafft. Ich bemerkte erst gar nicht, daß ich dem altbekannten Leistungsprinzip erneut verfallen war. Es war gar nicht mehr mein Ziel. Es hatte längst den Rahmen meiner Selbst gesprengt.

Erst allmählich durch die Kraft der Natur und die Ruhe um mich herum, besann ich mich auf mein wahres Ziel zurück. Ich wollte reisen, nicht rasen, ich wollte mich und die Natur erleben. Ich wollte, daß wir eins werden. So fand ich allmählich meine Gelassenheit zurück und ging befriedet dem Gipfel entgegen. Unaufhörlich aber ohne Hast. Ich wußte wieder was meins war und was nicht. Doch ich sollte nochmals auf die Probe gestellt werden.

Kurz vorm Ziel zogen dicke Wolken auf und kündigten ein Gewitter an. Das hieß für mich: Umkehr, denn ich hatte kein Zelt dabei und war dem Irrglauben verfallen, daß Christa sich wohl möglich Sorgen machte könnte, wenn ich nicht noch heute – wie vereinbart – zurückkehrte. Außerdem hätt' ich dort oben sowieso nichts gesehen. Ein schwacher Trost nach soviel Mühe so kurz vorm Ziel.

Der Ehrgeiz war zurückgekehrt und rüttelte und schüttelte mich so fürchterlich, er wollte das Unmögliche möglich machen. Er sah nur noch eins: den Gipfel, den es zu bezwingen galt. Für ihn machte alles andere keinen Sinn. Was sollte ich sonst auch zu Hause erzählen?! Daß ich es nicht geschafft hätte, so kurz vorm Ziel?!

Es war eine schwere Entscheidung. Und ich war zum ersten Mal froh, daß ich sie alleine fällen mußte. Ich oder mein Ehrgeiz. Ich fühlte tief in mich hinein und spürte, daß dieser übertriebene Ehrgeiz nicht gut für mich war. So lief ich immer noch etwas wankelmütig in meinem Entschluß den Wandersleuten wieder entgegen, die ich kurz zuvor so mühsam eingeholt'. Dann fing es an zu regnen. Die Entscheidung war gut gewesen und in einer kurzen Regenpause genoß ich die unglaubliche Stille dieser Berglandschaft. Da begriff ich, daß es der Moment war, der mir das tiefe Gefühl der Zufriedenheit verlieh und nicht das unumstößliche Ziel. So trat ich ganz beschwingt den Heimweg an, obwohl ich das vermeindliche Ziel doch nicht erreichen konnte. In Gedanken malte ich mir bereits meinen nächsten Solotrip durch die wundersame Welt der Berge aus. Zudem gab es noch einen anderen Gipfel, den ich bei meinem Hinweg achtlos links liegen lies. Vielleicht sollte dies mein Ziel für heute sein, doch dies jetzt schon zu entscheiden, das spürte ich, war noch zu früh.

Als ich dann vor dem besagten Gipfel stand und mich das Gipfelkreuz von oben freundlich anlachen tat, wußte ich er war der Mühe wert und kurzer Hand erstürmte ich ihn, obwohl weder Weg noch Pfad den steilen Berg hinauf führten.

Dort oben begegnete es mir dann doch noch. Es kam ganz leise und ist auch kaum zu beschreiben: das Gipfelgefühl.

Alles rings um dich ist niedriger und wirkt so klein. Ein wahnsinniges Gefühl der Weite. Dort bist nur du und die Unendlichkeit. Kein Streß mit dem Chef, kein Streit mit dem Nachbarn und kein Gedanke an das liebe Geld. All' dies kommt dir dort oben nicht in den Sinn.

So habe ich letztendlich doch mein Ziel erreicht, auch wenn der Weg dorthin nicht so war wie anfangs gedacht'. Es war ein harter Kampf mit mir. Doch dort oben gewann ich meine Gelassenheit zurück und schloß Frieden mit mir. Daran erinnere ich mich auch heute gerne zurück, wenn mir wieder einmal ein Ziel sooo wichtig erscheint. Und während ich noch in Gedanken diesem besonderen Moment mit mir alleine nachsinne, fällt meinen Blick ganz unwillkürlich auf ein Gedicht:

Drei Wünsche:

die

Gelassenheit

all das hinzunehmen,

was nicht zu ändern ist,

die

Kraft

zu ändern,

was nicht länger zu ertragen ist

und die

Weisheit

das eine vom anderen

zu unterscheiden.

[Quelle: Postkarte => Autor unbekannt.]

 

 

Borscha / Rückreise oder: ... was ist Reichtum?

Christa Schudeja

Kontraste in Borscha:

Die Anreise mit dem Linienbus über die Dörfer gibt einen weiteren Einblick in das Leben der Menschen der Maramuresch. Im Bus sitzen Frauen und Männer in Stadtbekleidung oder in Arbeitskluft. Die Sense liegt zusammengeklappt im Gepäcknetz. An der Hintertür des Busses steht ein Fernsehgerät, das an der Endhaltestelle ausgeladen wird. Unterwegs ist in einem der Dörfer Markt. Ein Fuhrwerk versperrt die Straße. Bauern verkaufen Kartoffeln, Gemüse, Obst und Tiere. In Borscha herrscht an der großen Straßenkreuzung reger Betrieb ohne Eile. Über die Absperrung gelehnt warten Menschen. Auf was? Auf wen?

Borscha ist Stadt und Dorf zugleich. Im winzigen Zentrum stehen häßliche und neu renovierte Betonbauten, vor denen sich Holzstöße auftürmen – das Heizmaterial für den Winter. Zwei große Häuser sind völlig leer. Dahinter Dorfcharakter mit Gänsen, die über den Weg watscheln. Eine beschauliche Rast am Flußufer ist nicht möglich, denn dort türmen sich Berge von Müll auf. Auf dem kleinen Markt bieten Händler Fahrradteile, Handwerkszeug, Schuhe und Lebensmittel feil. Daneben gibt es ein kleines Restaurant mit guter Küche. Hier rasten auch die Bauern nach ihren Käufen oder Verkäufen mit ihren Frauen in bunt bestickten Blusen. Meine Bergschuhe haben die Strapazen der Touren nicht überlebt und eine Sohle verabschiedet sich vom Oberleder. Ein einziges Paar Wanderschuhe ist hier zu bekommen, aber eine halbe Nummer zu klein. Mit Wasser im Schuh versuche ich das Leder zu weiten. Im Ort finden wir am übernächsten Tag nach langem Hin und Her auch einen neuen Kompaß. Obwohl das Wort dem Deutschen gleicht, versteht man uns anfangs nicht. Hier sucht keiner einen Kompaß. Man richtet sich nach der Sonne.

Der Touristik-Komplex:

Vor dem häßlichen Betonklotz, der sich Hotel nennt, grast ein abgemagertes Pferd. Hunde suchen nach etwas Freßbarem. Neben dem restlos überfüllten Müllcontainer wird ein weiterer Müllhaufen abgefackelt. Dahinter steht eine Ruine von einem noch nicht fertigen und schon wieder einfallenden Haus. An der Hotelrezeption sitzt niemand. Wozu auch? Wer weiß, wann der nächste Gast hier für ein Zimmer mit fließend kaltem Wasser umgerechnet 20 DM bezahlt? Über Schotter geht es zum Sessellift. Funktioniert das rostige Teil noch? Tatsächlich. Wenn sich eine Gruppe von 10 Personen findet, wird er auch in Bewegung gesetzt. Fantastisch! Unverhofft taucht neben einem großen leeren Hotel ein kleinerer hübscher Bau auf mit Blumenkästen an den Fenstern und einer Terrasse, auf der Essen serviert wird. Ein neues Hotel wie eine Fata Morgana – doch spätestens dann, wenn die Kellnerin keine Lust hat ihren Job zu tun, wird klar, hier ist man in Rumänien. Wir finden Unterkunft in einer Pension, oder besser gesagt, bei einer Familie, die ihre Zimmer im Haus inkl. Küche und Bad vermietet und dafür zusammengepfercht in einem Raum neben der Küche haust. Die obere aufgestockte Etage besteht aus rustikal zusammengezimmerten Holzbalken und Wänden, durch die jedes Husten des Nachbarn zu hören ist. Im Badeofen wird am Abend eingeheizt, wenn sich die Gäste duschen möchten. Die mäßige Wasserspülung des WCs läßt einen ständig ins Schwitzen geraten, weil es nur sehr dürftig wegspült. Es kommt eine neue Familie aus der Stadt. Während die verwöhnte Tochter nach einem Urlaubsabenteuer Ausschau hält und dazu permanent zwischen Haus und Hotelvorplatz auf dem Schotterweg auf und ab geht, brüstet sich der Vater mit seinen Erfolgen. Schließlich hat er es geschafft sich ein Auto und einen Wochenendurlaub zu leisten. Er weiß schließlich wo es langgeht und gibt das zu verstehen.

Der neue Reichtum läßt sich auch hier sehen.

Reichtum – die materielle Existenz betreffend – beruht einzig und allein auf Besitz. Nun rackert auch er sich ab im Irrglauben, daß er weniger Sorgen hat, wenn er nur über genügend Geld verfügt.

Es sind zwei Welten: die der heumähenden Bauern und die der neuen Reichen. Beide kämpfen auf ihre Art. Doch der Bauer kann für sich selbst und seine Familie sorgen, auf seinem Grund und Boden. Er ist sein eigener Herr, auch wenn er viel mehr und schwerer arbeiten muß. Er ist niemandes Knecht. Das macht ihn stolz und verleiht ihm eine Würde, selbst in zerlumpten Kleidern. Er kennt das moderne Sklaventum nicht. Nur vom Wetter und seiner Gesundheit ist er abhängig. Ich habe in vielen Gesichtern, Gesten und Worten der Menschen hier einen anderen Reichtum entdeckt. Sie gaben mir wortlos zu verstehen, daß Reichtum nicht in den Dingen liegt, sondern in dem, was man weder berühren noch sammeln, noch speichern kann. Das Geheimnis des Lebens hat jenseits des Greifbaren seinen Ort. Es spricht aus dem Vergänglichen, fast Gefühlten, fast Erkannten.

Nach dem Sturz des Diktators hat man hier in den Dörfern die Felder nach den alten Plänen aufgeteilt und ernährt sich so fast ausschließlich selbst: niemands Knecht sein und niemands Herr – Freiheit in der Maramuresch.

 

 

Die Rückreise:

Aufbruch am Morgen nach kalter Dusche – oder auch nicht – und dem Versuch, die Marmelade auf die Brotkrumen zu verteilen. Das letzte Frühstück in der Maramuresch. Nach dem Fotostop an der Holzkirche aus dem 17. Jh. geht es per Kleinbus zur nächsten Zugstation. In fünf Stunden bewältigt die legendäre Karpatenbahn die Strecke von 160 km entlang des Rodnagebirges nach Cluj/Klausenburg, selbstverständlich mit Schnellzug-Zuschlag. Es ist heiß, doch statt Wasser aus der Flasche gibt es nach einem frommen Lied einen feuchten Kuß des dreisten jungen Bettlers. Der Schmatz läßt den Adrenalinspiegel von Andreas sein Maximum erreichen. Der zweite Angriff wird dementsprechend blitzschnell durch einen wortlosen Rausschmiß abgwehrt. Endlich in Cluj, halten wir Ausschau nach einem Quartier, um am Morgen die Rückfahrt fortzusetzen. Wer länger läuft, erreicht das preiswertere Hotel. Allerdings führt der Weg dazu vorbei an kläffenden Hunden, denen wir Paroli bieten. Beim Uhrmacher in seinem Kiosk vor dem Bahnhof bekommen wir noch einen Wecker, den er unter all den Teilen hervorkramt und mit dem Preis seinen Tagelohn sichert. Das Radio- und Fernsehgeschäft hat schon geschlossen; es scheint schon seit 1950 geschlossen zu sein, denn die aktuellen Auslagen im Fenster erinnern an Omas Radio. Auf der weiteren 24-stündigen Rückreise erheitert uns nur noch unsere Dichtkunst, die uns die Tour überleben läßt:„Ja es ist Wahnsinn, warum schwitz ich hier in der Hölle...”Am Morgen in der Regionalbahn von Köln nach Duisburg denkt Andreas ans Auswandern. Zwischen den glücklichen Menschen, die noch einer Arbeit nachgehen dürfen, klinisch sauber und mit frostiger Mine einzeln im Abteil sitzen, suchen wir einen Platz. Unseren Platz hier neu zu finden, das wird wohl anstrengender werden als die Tour durch Rumänien... Plötzlich ist alles so fremd im vertrauten Land. Habe ich hier wirklich gelebt? Gehöre ich hier hin? Wo sind die Weiten der Wälder geblieben? Wo ist die Frau mit dem Heurechen und die Familie auf der Pferdekutsche?

Unter der warmen Dusche im Bad fühle ich mich dann doch wieder zu Hause. Und ich nehme meinen Reichtum war: das weiße Handtuch, die Tasse Kaffee am Morgen, das weiche Bett.

Ich suche in den nahen grünen Ruhrauen einen Platz zum Träumen in der Sonne und betrachte das Grün und den Himmel, wobei im Hintergrund die Geräusche der Autobahn das Zirpen der Grillen fast übertönen. Bin ich reich?

 

Der Zweifler und ich - ein Dialog

Andreas Theis

Der Zweifler: So darf ich jetzt auch mal was sagen?! Ich verstehe nämlich irgendwie gar nichts mehr. – Ich denk Du wolltest Urlaub machen. Und Urlaub heißt doch in erster Linie Entspannung. Nur so komme ich erholt in den Arbeitsalltag zurück. Und deshalb fährt man doch schließlich weg.

Ich: Du hast Recht, ein Relax- oder Wellnessurlaub war das wirklich nicht. Ich suchte eine andere Art der Entspannung. Entspannen heißt für mich in erster Linie den inneren Druck loslassen. Ich war befreit vom Komfortwahn, denn Komfort war in Rumänien ein Fremdwort. Ich mußte nicht mehr das beste Hotelzimmer haben, ich brauchte kein Schwartau-Extra, um gut in den Tag zu starten. Ich hatte mich losgelöst vom Haben-Müssen des Westens.

Genauso wenig mußte ich etwas leisten. Ich mußte nicht den höchsten Berg erklimmen oder alle berühmten Holzkirchen in 6 Tagen sehen. Von alldem hatte ich mich freigemacht. Und das ist für mich wahre Erholung.

Der Zweifel: Und was erzählst Du dann zu Hause auf der Arbeit, wenn Deine Kollegen fragen, wo Du warst und was Du erlebt hast? Rumänien, Karpaten, das kennt doch keine Sau. Da stehst Du aber verdammt dumm da.

Ich: Oh, ja Du weißt gar nicht, wie sehr Du damit Recht hast. In der Tat stand ich ziemlich dumm da. Die meisten meiner Freunde verstanden mich nicht. Ich konnte nicht von meinen Erlebnissen erzählen, weil sie unseren westlichen Bewertungsmaßstäben nicht standhalten. Ich konnte keine Highlights vorweisen und von keinen Megaevents berichten. Das ist in der Tat ein Risiko, deine Freunde werden deine Begeisterung nur schwer begreifen, und du wirst urlaubsmäßig zum Außenseiter. Du kannst nicht mehr mitreden. Du weißt nicht, wo der Strand am weißesten ist oder wo die Küche am besten.

Aber es kommt noch schlimmer. Vielleicht fühlst du dich am Ende fremd in deiner Heimat, weil dich nichts mehr mit der heimischen Lebensart verbindet. Dann wird die Fremde zur Sucht. Und es zieht dich immer öfter dorthin, wo es für dich keinen geordneten, sicheren Alltag gibt.

Der Zweifel: Ja, wenn das so ist, warum bleibst Du dann nicht gleich in Rumänien?!

Ich: Eine gute Frage. – Es fehlt mir wohl der Mut für diesen Riesenschritt ins Ungewisse. Denn ich weiß nicht, ob ich als Mitbürger dort genauso akzeptiert wäre, wie als Gast. Außerdem würde dann das Besondere zum Alltag. Ob dieser neue Alltag mir ein besseres Lebensgefühl gibt, weiß ich auch nicht. Der Schritt ist mir einfach eine Nummer zu groß. Lieber möchte ich das neue Lebensgefühl in meinen Alltag hier in Deutschland einbauen. Für mich ist die Fremde auch nicht zu einer Sucht geworden, aber zu einem wichtigen Bestandteil meines Lebens.

Der Zweifel: Aha, irgendwie schätzt Du also doch die Vorzüge des westlichen Wohlstands. Du möchtest nur ab und zu mal aussteigen, um in einem andersartigen Umfeld neue Energien für den Alltag zu tanken. Aber das geht bei Dir nicht durch's Faul-abhängen und in-der-Sonne-braten. Aber das Gegenteil vom Nichtstun ist doch etwas leisten wollen, zum Beispiel sich einer sportlichen Herausforderung stellen und sich so beweisen, was man kann, wer man ist. Doch das willst Du offensichtlich auch nicht. Wie, wenn nicht durch sportliche Herausforderungen, willst Du denn dann den ultimativen Kick bekommen, der Dich vom Vordergründigen trennt und Dich zu Dir selbst zurückfinden läßt?

Ich: Oh, das ist schwer zu erklären!

Du hast schon Recht, ich wollte mir selbst begegnen. Dafür brauchte ich schon mal die Abgeschiedenheit der Berge. Die Weite der Naturlandschaft verlieh mir das Gefühl, daß ich ein Teil des Universums bin. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Eine gute Basis, um mich selbst zu begreifen.

Auf der anderen Seite war die Rückkehr zu meiner eigenen Mitte nur aktiv zu erlangen. Ich konnte mich nicht einfach in die Sonne legen und abwarten, daß ich den tieferen Sinn meines Lebens begreifen würde. Ich mußte mir Ziele setzen, um an den daraus entstehenden Herausforderungen zu wachsen. Ich mußte unbekannte Wege gehen. So war ich gezwungen meiner Intuition wieder Vertrauen zu schenken. Dort gab es auch keine Versicherung im westlichen Sinne. So mußte ich meine Zuversicht zurückholen. Dies alles durfte ich nicht verbissen tun. Nach dem Prinzip der Checkliste: Ziel erreicht, auf zum nächsten. Denn das Leben besteht nur im Hier & Jetzt. Diese Gelassenheit in meinem Handeln zu erreichen, war dort in Rumänien für mich irgendwie leichter. Vielleicht weil Zeit und Erfolg für mich dort eine andere Bedeutung hatten. Doch auch wenn ich mich nicht überfordern wollte und mein Leben nicht riskieren wollte, ganz ohne Risiko geht nichts. Daß ich die Gefahren jedoch alle heil überstand, läßt mich das Risiko wieder ins rechte Licht rücken. Es gehört zum Leben und du kannst dich nicht dagegen versichern.

Der Zweifel: also eine Art Selbstfindungstrip. Das wär nichts für mich!

Ich: muß auch nicht. Diese Art zu reisen ist bestimmt nicht für jedermann. Jeder sollte seine Art finden zu sich selbst zu finden. Sei's auf solchen Reisen, sei's im Kloster oder sonst wo.

Der Zweifel: Ich habe mich schon längst gefunden. Ich brauche sowas gar nicht.

Ich: Das freut mich für Dich. Wenn Du wirklich zu Frieden bist mit Deinem Leben, dann hör auf zu suchen. – Glücklich bist du dann, wenn du dich nicht mehr fragst, warum du es nicht bist.

Wenn Du aber immer noch jeden Sommer nach dem großen Paradies suchst, nach dem Himmel auf Erden und immer wieder enttäuscht zurückkehrst, weil die Realität wieder einmal nicht hielt, was das Werbeprospekt versprach, dann laß Dir noch einmal unsere Gedanken durch den Kopf gehen. Vielleicht findest Du Deinen Weg. Deine Auszeit.

Doch Achtung, das ganze könnte einige Gefühle in Dir aufwühlen. Vielleicht mehr als Dir lieb' ist. ´

 

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Ausstieg_auf_Zeit@gmx.de

Ich bitte jetzt schon mal um Verständnis, daß ich nicht immer sofort antworten werde.

Andreas Theis

 

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Stand: 17.04.2002

© Christa Schudeja und Andreas Theis.

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