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Dem Himmel nahe.

Ein Reisebericht von Sebastian Seckfort (Westfale)


Im Schneidersitz hocke ich vor der grossen Rumänienkarte, langsam fahren meine Finger den Nordosten ab. Nach vier Wochen Bukarest kribbelt es mir in den Füssen - nicht länger sesshaft sondern auf Reisen möchte ich sein. Eine Stadt in den Bergen suche ich. In ein Netz von Höhenlinien gefasst entdecke ich Piatra Neamt (Stein der Deutschen), von dort möchte ich, quer durch die Karpaten wandernd in die Maramuresch, in das vergessene Märchenland Rumäniens.

Wenig später winken Simona, meine Gastgeberin und ich ein Taxi heran. Im Eiltempo fahren wir auf der einflugsschneisenartigen Haupverkehrsader Richtung Gara de Nord, in wenigen Minuten fährt mein Nachtzug nach Piatra. Traurig klebe ich an der Scheibe, jetzt, nach fast einem Monat Bukarest sehe ich hundert kleine Dinge an die ich Erinnerungen knüpfen kann. Aus dem Auto heraus verfolge ich den unmittelbaren Schritt der vorbeigehenden Passanten. In Gedanken laufe ich ein Stück mit, reihe mich wieder ein in den ewig hetzenden Strom der Masse...

Es ist eine abendliche Stunde der vergangenen Zeit. Berauscht und tief Bleiluft inhalierend bleibe ich, eben aus dem Metroschacht gequollen, mit offenem Mund am Piata Romana stehen. Was ich erblicke: Ein dampfender und fauchender Koloss macht die Strasse neu. Tausend hintereinandergeschaltete Bunzenbrenner erweichen den Teer der "Ceausescu-Horizontalen", dann wird er abgekratzt und frisch duftendes Schwarz aufgelegt, plattgewalzt und fertig, alles mit hundert Meter brodelnder und qualmender Maschine.

Stehende Luft-hupende Taxis. Leute die kreuzen und queren wo sie wollen. Inmitten des Chaos ein Polizist, mit Trillerpfeife und grossartigen Handbewegungen hilft er den Autokolonnen abführen. Schräg fällt die Sonne ein und enthebt dieses komplexe Stadtstilleben der alltäglichen Betrachtung. Das Ganze eingerahmt von Blocks mit roter Leuchtreklame. Ein älterer Herr aus dem siebten Stock schaut zu. Nah am Boden hocken die klebstoffhaien Zigeuner, die eine, noch Kind, hält ein Baby schräg in den Armen, zwei Meter weiter trinkt eine Schöne Jidvei, einen vorzüglichen rumänischen Wein.

Mit dem Verlassen der Stadt verebbt auch das mir schon nicht mehr aufgefallene Rauschen im Ohr. Das regelmässige Du-du-du-du des Schienenbettes wiegt mich in den Schlaf.

Um sieben Uhr Morgens bin ich in Piatra Neamt, es ist wesentlich kälter - Ende September und Buchenspitzen werden gelb. Auf den Stufen zum Markt verkauft ein kleiner, ostblöckisch gekleideter Junge 4 mal 7 bis 8 Walnüsse, immer wieder ordnet er sie anders an, bereits mit mir innerlich feilschent schaut er mich an. Im nächsten Moment jagt er dem Hundewelpen nach um ihn wieder auf seine vier Buchstaben zu setzen.

Später besuche ich ein Museum, schlendere über einen jüdischen Friedhof und passiere Coca Lindenstein, Marcu Feingold, Iulius Kaufmann und begegne und begegne im Urwald des Wuchses und der Grabsteine den Damen Und Herren Weinberg, Morgenstern, Steinfeld und Weissbein.

Verortung: 150 Kilometer bis zur rum.-ukr.-Grenze, Piatra Neamt hat eine direkte Busverbindung mit Chisnau der Hauptstadt Moldaviens. Mittels eines Busses gelange ich in den Klosterort Bistrita. Für zwei Stunden laufe ich umher, bin angetan von diesem Kleinod: Langhaarige Mönche mit langen Bärten, heben wenn sie laufen ihre Röcke und halten ihre Kappe fest. Um Drei laufen Holzschlägel über ein Brett im Glockenturm. In dieser Hatz scheinen sie sich zu jagen, ein virtuoses Spiel, anschliessend rufen die Glocken zum Gebet. Zwei Mönche stehen eng aneinandergerückt im Eingang der Kirche und starren gemeinsam auf ein mobiles Handtelefon, in langen schwarzen Roben gekleideter Würdenträger wendet sich ab als es ringt (piepsendes Ringen ).

Ich sattele meinen Rucksack und laufe zum Kloster hinaus, in die Wälder Richtung Maramuresch. Doch bevor ich die erste Hügelkuppe überschreite bleibe ich stehen. Ein Mönch und ein Noviz treten auf mich zu, der Eine hält Moos in der Hand der Andere ein Buch der Psychologie. Auf freiem Feld, bei pfeifendem Wind wird mir die Offerte gemacht Gast des Klosters Bistritas zu sein. Den schon einmal gegangenen Weg sehe ich nun ein zweites Mal. Am Abend esse ich im Speisesaal an langer Tafel, tief über die Teller gelehnt schlürfen die Mönche ihre Suppe. Vor versammelter Runde werde ich willkommen geheissen und als Gast des Klosters vorgestellt.

Auf einem abendlichen Spaziergang zeigt mir Vater Prina die Kirche und das Klosterareal. Er erzählt von seiner Liebe zu Gott und dem Bestreben seiner mildtätigen Wärme näher zu kommen. Bis dorthin, sagt er, bestreite er den direkten Kampf mit dem Teufel: Er schleicht sich ein und trickst, ist einmal auf dieser Seite dann auf der Anderen, er spricht zu und hönt, treibt Dich, wenn Du ihn nicht erkennst dorthin wo er es will. Deshalb lebe er in Askese, schläft jede Nacht nur drei Stunden, isst wenig, betet, und liest Psalme und Evangelien, sagt: "Vater, Sohn, Heliger Geist beschütze mich".

Für drei Tage werde ich ein kleiner Teil des klösterlichen Treibens, bis ich von einem Zweig des Klosters höre, ein abseits gelegenes, neues Kloster weit oben in den Bergen, genannt Manastirea Sf. Ioan Botezatoru (Kloster des heiligen...).

Früh Morgens um sechs wartet ein Auto auf uns, im Nebel und mit noch verklebten Augen fahren wir direkt in die Karpaten. Auf Serpentinenschleifen ereichen wir den Gebirgsort. Eingekeilt von den Wänden der östlichen Karpaten eröffnet sich mir ein neuer Horizont.

Lacul Rosu

Alaska und Heidiland -wo sie auszog die Ronja, das Fürchten zu lernen- das ist hier. Eine ausgestreckte Hochebene, tausendvierhundert Meter über Null, bewaldete Hügelkuppen, bewaldete Täler und Bergrücken. Jetzt im Herbst der Klang der Farben, die Sinfonie, ein fast ungehörtes sentimentales Sterben. Auf einem Spaziergang streife ich durch das völlig abgeschiedene Tal unterhalb unserer Kirche. Aschpfahl windet sich eine Erlenaue hindurch. Am Rand des Flusses streife ich entlang, werde von einem alten Bauernehepaar mit misstrauischen Blicken verfolgt. Sie leben ohne Zufahrtsstrasse, kennen keinen Strom, stellen Strohpuppen zum Schutz vor wilden Tieren auf, sie melken ihre Kühe mitten auf der Weide. Es ist die Luft der Sinfonie, ich erkenne ihn wieder, diesen herrlich modrigen Geruch meiner frühen Jugend.

In Schwaden hängt Rauch im Tal, auf freigespühlten Kiesbetten suche ich mir meinen Weg, schlängele mich durch Auen. Ich nähere mich der verstreuten Siedlung. Schlammige Srasse mit überfluteten Teilen. Links und rechts des Weges eine andere Welt: kleine Hütten und Häuser, am Rande piken Gänse und Puten Gras. Es sind Holzfäller und Bauern die hier wohnen, nun weiss ich, dass es die Welt die ich suchte noch gibt.

Als ich wieder am Hort bin lehne ich mich an dessen hölzerne Balustrade. Schräg blendet mich die Sonne, rotbraunes Buchenlaub schwimmt in Pfützen, langsam pendelt der Schwanz der Kuh, bedachte Schritte, ein Mann geht vorbei. Aus dem Tal kräht ein Hahn, der hinabrauschende Fluss macht den Rücken. Silberdistelsamen fliegen vorbei, eine letzte Grille im Abseits, ansonsten ist hier Stille.

Wir sind die Eremiten von Lacul Rosu,
Vier Mönche und ein deutscher Tourist,
Selbstgewählt und weltentfremdet.
Keine Heizung und fliessend Wasser,
Strom nur auf Knopfdruck.
Heute scheint die Sonne in unsere Küche
Und die schlammigen Wege von Gestern trocknen ab.
Heute kommt Speck in die Suppe,
Fleischklumpen tanzen im brodelnden Ozean
Des 1-Metertopfes.
Wenn wir essen dann richtig viel,
Zwei verschiedene Vorsuppen, Pilaf und Kompott,
Wir essen die Zwiebeln roh und in in grossen Bissen,
Unsere Gesichter sind nach dem Essen rot,
Von feuerroten Paprikas.

Vor und nach dem Mahl heben wir die Mütze und danken dem Geber. Ich besorge den Abwasch und betreue, seit dem uns der Econom entlaufen ist den Haushalt. Noch in der Dunkelheit des Morgens schäle ich grüne Kartoffeln und lass, was gerade so kommt tanzen, wickle Kohlköpfe in Papier und schraube Marmeladengläser auf, wenn die anderen klamme Finger haben. Geborgen atme ich in den Armen des Vaters Sofroni.

Mitte Oktober wird es richtig kalt, während des Vormittags sackt das Thermometer unter Null und der Regen wird zu Eis, dick behangen sind dann die Bäume. Vater Vitalei trägt drei Hosen und eben soviele Pullover, wenn er abends in seinen Schlafsack kriecht deckt er sich zweimal zu. Ich bin erkältet und schlecht verheilende Flohstiche matretieren mich, bei fünf Grad wiederhole ich immer und immer wieder die Präpositionen, dekliniere Verben und werde bei Gefühlsäusserungen doch nicht verstanden.

Am schlimmsten ist es Morgens aus dem Schlafsack zu kriechen, doch ich muss ganz dringend, denn das Klo ist hinter dem Haus, bei Sonnenschein wasche ich mich nackig hinter der Kirche. Am Nachmittag mache ich einen Rundgang.

Unterwegs im schützenden Rücken des Lacu Rosu Tals. Poetischer Waldpfad auf erdigem Grund, durchblickende weisse Steine, gestreutes Herbstlaub in Rot, Braun und Gelb. Ein abruptes Ende dieses Weges, ab da nur noch verwachsenes Wild, die Spur verliert sich, entwurzelte Bäume versperren den Weg. Plötzlich aufragende Felsfront, nacktes Gestein, hart und massiv, massig und alt. Ich bewege mich auf Wildwechseln, direkt unterhalb der überhängenden Gewalt, ein riesiges Stilleben.

Am Fels verlaufende Rinnsale tropfen herunter, schleimig und rutschig wird es, eine Grotte tut sich auf, vielleicht eine Höhle? Voller Achtsamkeit und leicht ängstlicher Vorsicht gehe ich hinein, soweit das Tageslicht in die Dunkelheit sticht. Nach hundert Metern wird es Nacht, mit Lehmklumpen werfe ich die weiteren Ausmasse ab. Auf diese Weise entdecke ich ein mittelgrosses Loch welches weiterführt. Wohin bleibt vorerst verborgen. Ich drehe mich und will zurück ... verharrend fährt mein Blick zum Ausgang, schwarz die Konturen der Höhle. Wieder draussen gehe ich weiter am Fels entlang.

Ich starte den Versuch ein kleines Plateau zu erreichen, waghalsig gelingt es, unsicher ob Steine sich lösen und kleine Bäume entwurzeln. Oben bietet sich ein Blick bis zum Horizont, sonst im Nebel versteckte Weiten blicken durch, spitze Hügel in besonnenem Licht. Hoher Berg, von der Karte her gekannt, am überschwappendem Horizont. Quer durch die Wildnis heim: Struppige Fichten, niederes Gehölz, immer auf Moos, auf Tierpfaden wo vielleich auch Fuchs, Luchs, Wolf und Bär frequentieren - Der Nase nach und doch einen guten Riecher. Kurz unterhalb entstiefele ich dem Dickicht, Weiden von Kühen, mit Sensen bearbeitetes Areal auf 1600 Meter. Grosse Heutürme auf dem gebuckelten plateauartigen Gipfel, ganz unerwartet stehe ich hier oben, wollte ich doch eigentlich gar nicht, eine Freude da zu sein, auf diesem Berg und dieser Welt.

Paula aus dem Buchenland

Auf der hintersten Mitte des Überlandbusses Richtung Viseu de Jos - eine schlaffe Hand umarmt mich alkoholgechwächt. Sie gehört dem neben mir sitzenden Holzrumäner aus der Maramuresch. Als er für mich anfängt zu singen drehen sich einige um, ihn füllt der Gesang mit Zufriedenheit, mich weniger, denn ich kann die Hand auf meiner Schulter nicht vergessen, seit Kurzem mag ich es überhaupt nicht mehr, wenn Männer "Anfasser" sind: ... mit glühenden Backen lädt mich der Mönch in Jogginganzug in sein Kammer, auf ein "Weinchen" wie er meint. Im Zimmer ist es bei leicht gedämmter Atmosphäre kuschelig warm, richtig heimelich, gar behaglich. Etwas unwillig trinke ich den Rotwein. Er, namenloser Mönch aus namenlosem Kloster macht nervös mit den Händen rum. "Du gefällst mir" sagt er in der Art wie auch "Hubba-Bubba-Kaugummis" zum Platzen kommen und zwickt mich dabei in die linke Wange, "I love you", fügt er an, überkreuzt dabei seine kurzen wurstartigen Finger. Nicht länger bleibt mir die Erregung verborgen. Seine Hormone versetzen ihn in Wallung und streben in meine Richtung, "Wollen wir Liebe machen", fragt er. Erstaunlich gesetzt sag ich ihm, dass es mir keinen Spass machen würde und vorziehe jetzt zu gehen. Zum Abschluss drückt er mich an seinen grossen Bauch und leckt sich den Oberlippenbart. Wieder an der frischen Luft freue ich mich über eine nunmehr ausdifferenzierte Meinung über kirchliche Zustände....

Am frühen Nachmittag warte ich in Iacobeni, einer Bergwerkssiedlung darauf, dass Frau Tucan von der Arbeit kommt. Sie soll, wie mir eine Informantin berichtete in direkter Verbindung mit deutschen Einwanderern, welche vor über 200 Jahren hier her kamen, stehen.

Auf klebrigen Tischen einer Strassenkneipe vergeht die Zeit träge, beim Schreiben bleibt der Unterarm immer auf der Decke kleben, Kaffee der eigentlich den ersehnten Schub bringen soll, verschüttet sich, zu lange betrachte ich das trostlose Fensterbild. Ein plötzlicher Impuls heisst mich aufstehen, das Interview verschiebe ich auf unbestimmte Zeit und veranlasse diesen Ort zu verlassen.

Während ich meinen Kaffee bezahle fällt mir eine Frau ins Auge: Gummistiefel trägt sie, einen Arbeitsoverall, Schirmmütze und raucht Tabak. Ohne zu wissen, dass sie die Person ist nach welcher ich sie befrage, frage ich diese Frau nach Frau Tucan. Kurz unterhalten wir uns über die Deutschen die noch hier sind, darüber das es schwer ist Arbeit zu finden, über ihre Tochter welche schon in Deutschland war und über das Wetter.

Mit einem vorbeikommenden Bus fahre ich in das Flachland, endlich raus aus den Bergen -habe Grosstadtluft nötig. Symbolträchtig wird es als der Bus seine Schnauze senkt, nach fünf Wochen verlasse ich vorerst die Hochebene, wie als Warnung des nahenden Winters mahnt ein schneebekapter Zeigefinger.

Die üblichen Betonwände -besonders gepflegt scheint die Betonplombe. Strassenhunde sind zahlreich aber wenig aggressiv, etwas rauher scheint mir der Wind hier, etwas verlassener die Lage, etwas weniger Geld als in den Städten die ich schon kenne. Eine Besonderheit ist der öffentliche Nahverkehr, er funktioniert hier teilweise selbstorganisiert mit Grossraumtaxis. Bemerkemswert ist dessen Personal, meist junge Typen die an den verschiedenen Haltestellen um Mitfahrer werben, wie Marktschreier rezitieren sie die verschiedenen Stadtteile Suceavas -sie stehen in den Türen und zählen mit Können die "10000-Lei-Scheine". An mehr abgelegeneren Haltepunkten reissen sie noch während der Fahrt die Tür des Transporters auf und fragen mit leicht fletschenden Zähnen: "Oras?", was soviel heisst wie Stadt.

Die erste Nacht in Suceava verbringe ich schreibender und zusammengerollter Weise in einem "Non-Stop-Internet". Am Morgen verlasse ich zusammen mit dem "http://-Dealer", welcher ein Theologiestudent ist und jetzt zum Seminar eilt, die Lokalität. Umringt von arg schweren Mauern befinde ich mich wenig später inmitten des 500 Jahre alten Herrschaftssitzes von Stefan cel Mare (...der Grosse). In Rumänien eine nationale Ikone, Held der Geschichte.

Suceava war im 15. Jahrhundert eine wichtige Handelsstadt, eine Station auf dem Handelsweg Orient-Okzident, die Bukovina sollte auch als Durchgangsstrasse der heraufdrängenden Türken dienen, doch Stefan fand ein Mittel gegen die Osmanen, er fegte sie hinweg. Bei jedem Sieg schenkte er seinen Untertanen ein Kloster, so entstanden die weltberühmten Moldauklöster, die sogar Japaner nach Rumänen locken. In Dankbarkeit nicht osmanisiert worden zu sein besteige ich die Mauern der Burg und empfange im Ansinnen an heroische Taten dieses tapferen Rumäners die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages. Erst viel später drangen die Osmanen, als Gastarbeiter verkleidet in den westeuropäischen Kulturraum und breiten sich bis heute unbemerkt aus.

Den weiteren Tag verdöse ich im Forum der Deutschen, ein Ort welcher sich sehr gut dazu eignet. In der "Zeit" lese ich zu meinem Erstaunen, dass Schröder Gerhard bei der Bundestagswahl getrickst hat. "Hey Georg W.", hätte er gerufen "Du bist ein blöder Imperalist" und alle haben es geglaubt, "Gut, dass ich den "Vertriebenenverband der Buchenlanddeutschen" gewählt habe, denke ich selbstzufrieden.

Am Abend werde ich Zeuge eines Schönheitswettbewerbes, eine Veranstaltung des Lyzeums mit industriellem Schwerpunkt. Weil ich deutscher Tourist bin darf ich zuschauen: Ein Stimmung wie in diesen knallenden "High-School-Filmen" aus Amerika welche ich gesehen habe, italienische Liebesmusik bis die Boxen stöhnen. Die begeisterte, fast schon verrückt wirkende Zuschauerschaft steht und johlt, manche machen das sogar von den Sitzen aus. Ich fühle mich so unpassend gekleidet, weiss nicht wohin mit dem bereits angebissenen Brot und auch die Kaffeedose welche ich seit Kurzem immer mitschleppe findet keinen Platz.

Schlank-galant, in langen körperbetonten Abendkleidern präsentieren sich die Schönsten der eh schon Schönen dieser Stadt. Sie machen das gut, keinen echten Mann kann das kalt lassen, auch mich nicht, nur weiss ich nicht wo die Jacke hinzulegen sei. Während die Augen immer grösser werden und mich die Begeisterung über soviel Wohlproportion erreicht, erscheinen am unteren-rechten Bildrand drei Sauberfrauen in buntgesprenkelten Arbeitskitteln, drunterherschauenden dunklen Strumpfbändern und Puschen. Ein wenig empört wende ich mich wieder den roten Luftballons zu, die Stimme der Ansagerin überschlägt sich trotz dieses Zwischenfalls. Eine strahlende Siegerin hat der Abend, sie kann wirklich verzaubern, viel Oberweite hat sie ausserdem.

An einem anderen Abend treffe ich die Königen in dem gleichen aufreizenden Zustand auf einer Halloween-Party, soeben wurde sie zu der Person mit der witzigsten Verkleidung gewählt, ich möchte ihr gratulieren und zu einem Softeis bei Mc-Donalds einladen doch eine mönchische Schüchternheit nimmt von mir Besitz.

In dem Auto eines Agenten fahre ich Richtung Russland, im Radio läuft eine Popversion des Radeszki-Marsches, ein Hauch von "Österreich-Ungarn" in dieser ehemaligen Provinz von "Franz-Josef-Land", kurz vor der ukrainschen Grenze stoppen wir in einem Dorf namens Straja. Hier lerne ich Paula kennen.

"Du kannst Deutsch", frage ich in einer Hendrikverdutztheit in die heruntergekurbelte Autoscheibe, "Ja, ich war drei Jahre in Berlin-Wedding, aber steig doch ein". Zu Gast bin ich bei der 25-jährigen Paula und ihrer jungen Familie. Das Haus ihrer Eltern ist ein typisch rumänischer Bauernhof, kleiner Innenhof und Kuhstall, niedrige Türen und einen vergleichsweisen winzigen "Koch-Schlaf-Bereich", der Kachelofen nimmt fast die Hälfte der Küche ein. Gemeinsam sitze ich mit Paulas Mann am Küchentisch, wir essen Krautwickel. Drei Meter weiter spielt die Oma mit Paulas kleinen Tochter, sie tun das auf dem ehelichen Bett ...

"Ist es schön Mutter zu sein", frage ich Paula,
"Ja, es ist sehr schön", während sie am Ofen lehnt und uns beim Essen zuschaut.
"Warum warst Du in Deutschland",
"Ich habe damals versucht bei euch Asyl zu beantragen, eine Freundin sagte mir, dass das möglich sei",
"Du bist ohne ein Wort deutsch zu können nach Deutschland?", frage ich erstaunt,
"Ja, ich war 18 und wollte hier weg!" Paula trägt ein rotes Kopftuch, ich finde sie sehr hübsch.
"Und hattest Du Freunde dort", frage ich interessiert,
"Ich war zusammen mit einer Afghanerin, einer Iranerin, einer Türkin und einer Afrikanerin in einem Zimmer, es war sehr schön, nur die Deutschen waren nicht so freundlich".
"Hattest Du auch einen Freund in Deutschland", frage ich etwas später, doch das will sie nicht sagen, nur ihr Freund lacht und fordert: "Los sag schon, da gab es doch Einen!".
"Er war Portugiese", sagt sie schüchtern, wir lachen und ich frage ob ich etwas trinken darf.

Gemeinsam fahren wir später zum Bahnhof und irgendwie merke ich, dass Paula nicht für immer in diesem hübschen Haus an der ukrainischen Grenze wohnen möchte. Ich versuche Paula zu sagen, dass es gut seien könnte wenn das Mädchen zweisprachig aufwächst und eine deutsche Schule besucht, aber das weiss sie schon längst.
"Komm mal im Sommer dann ist es viel schöner hier".
"Viel Glück", wuensche ich Paula.

"Schau mal, der erste Schnee"

Kein Gedanke kommt mir warum ich den Blick nicht hebe, ich tue es aus Notwendigkeit, trage dabei die Hände in den Hosentaschen, -drücke mich links vom Bahndamm entlang. Letztes Jahr wurde unweit von hier eine Braut , welche sich einen Absatz im Gleis verharkte, samt ihres zuhielfekommenden Mannes von einem Zug erfasst -in Radauti, resümiere ich nüchtern, zerteilt die Bahn den römisch-katholischen Friedhof und auch Menschen.

Auf einem abendlichen Spaziergang laufe ich links vom Bahndamm, vom Schnee gedämpfte Stille liegt über dieser Kleinstadt, rechterhand liegende Villen jüdischer Zeit fangen nicht mein Interesse, durch die Strassen schlendernd hänge ich meinen Gedanken nach. In einem Park scheuche ich Krähen und Raben auf -ein unauffällig schmeichelnder Sonnenuntergang zelebriert sich bei Minusgraden.

An der Kasse zum Zoo steht Niemand und wartet auf Geld, es ist zu kalt und wäre uninteressant. Leichte Winterschwaden -ein Löwe mit Hospitalismussyndrom brüllt königlich, seine Augen sind ungeahntes Kraftfeld , der grosse Karpatenbär winselt auf nässendem Boden.

An einem Kiosk Richtung Stadtmitte kaufe ich mir ein Abonement für die Bukowina. Feststellung: "Ich scheine die Bukowina aboniert zu haben."

Einen Teil der siebten Stunde des nächsten Tages verbringe ich an einem Sammelplatz für Busse -sie wollen nicht, zu alt, schlechte Strassen und schlechtes Benzin. Meiner nach Siret wird am Anlasser mit einem Feuerstab bemüht. Der um den Schlaf gebrachte Chauffeur ist erst noch ein bisschen unfreundlich und raucht eine Zigarette auf seinem Sitz, er trägt Lederjacke und Rumänermütze. Abgaswolken als ob es Heizöl wäre - bereits volle Busse sitzen im Dunkeln - überall aufsteigender Atem - schon nicht mehr breiiger Schnee am Rande vom Russplatz und mein Bus an die Grenze.

Aus dem Fenster schauend realisiere ich ein bisschen mehr -tauende Schneefelder im Morgengrauen. Der glücklichste Tag in Siret, artikuliert sich nicht als solcher, am Morgen passiere ich eine Holzfabrik und ein Hunderudel folgt mir, nasse Schuhe und über Stunden kalte Füsse weil ich in ein Schneefeld laufe. Der Vormittag kommt, Kaffee trinkend sitze ich in einer Bar und ein zweites Mal formuliert es sich: "Auch der Zufall schenkt, die unbelebten Dinge flüstern es."

Durch die Hilfe des katholischen Pfarrers gerate ich an ein Ehepaar welches ihr Haus unterhalb des Strassendamms Richtung Osten hat. Die paar Stufen hinunter gehe ich in Ewartung. Mann und Frau Totrescu, Strada 9. Mai, empfangen mich in der Tür stehend. Er verbrachte die ersten vierzehn Jahre seiner Tochter in kommunistischen Arbeitslagern, sie verbrachte die ersten vierzehn Jahre mit ihrer Tochter alleine, lehrte Deutsch an rumänischen Schulen und wartete.

Abends im Wohnzimmer erzählen sie mir. Zwischen Bergen von Büchern und Arbeitsheften, Hundegebell und Zeitungen, Katzengefauche und losem Schreibmaschienenpapier. In dieser Stube spannt sich in kürzester Zeit ein Gespräch welches mich nachdenklich macht. In ihrer Bescheidenheit und Verehrung für "Jesus den Erlöser rütteln sie mit einer unsichtbaren und doch spürbaren Gewalt.

Ihre Traurigkeit über den Westen beschämt mich, doch mit dieser treten sie nicht auf die Strasse sondern lassen sie mir an diesem Abend angedeihen. "Demut und Bescheidenheit fehle der Welt" - zwei Achtzigjährige mit Plumpsklo im Garten erzählen mir dies. Schutzlos dringen ihre weiteren Worte in mich ein.Wie sie mich beschenken an diesem Abend dafür fehlen mir jetzt die Worte. Dass sie ein "Spielball in den Händen Mächtiger" sind muss ich noch sagen.

Später am Abend besuche ich ein "Internet-Cafe", was ich dort lese macht meine jetzige, mich am Formulieren hindernde Befangenheit aus. Vielleicht bin ich jetzt der sentimentale Westeuropäer der ich nicht mehr seien wollte.

Am nächsten Morgen stehe ich um 5:15 an der E85 und warte auf meinen Bus nach Czernowitz, als er auch nach einer Stunde nicht kommt folge ich dem Angebot des Zigarettenhändlers und wir fahren per Autostopp in die Ukraine. Vor der Grenze trinken wir noch einen Kaffee, er erzählt von den vier Kindern und der Notwendigkeit Geld zu beschaffen.

In einem Hinterraum der Grenzstation wechselt er mir Lei in Dollar, für 33500 kriege ich einen. Mit einer Deutschlehrerin die kaum Deutsch kann und ihrer Freundin treten wir in den Grenzverkehr. Männer mit russischen Gesichtern und Lederhandschuhen wärmen sich im Hauptgebäude der ukrainischen Grenzer die Füsse und verhandeln auf Russisch. Während ich die Dollarnoten in "Griwna" tausche flirtet mein "Agent" mit der Dame am Nachbarschalter. Ein kurze direkte Unterredung mit dem ukrainische Grenzbeamten und ich habe meinen Pass wieder, der Schlagbaum öffnet sich.

Sebastian Seckfort ( sebseck@web.de )

P.s.  21, Westfale, Abitur in Rödinghausen, Zivi in Dresden


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