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Zwei Eisenbahner in Rumänien – Reiseerinnerungen 1999

Ein Reisebericht von Ralf Mattern


Schloß Weesenstein 1997

Für eine Bekannte meines Vaters hatte ich die Zusage gegeben, für einen rumänischen Austauschchor ohne Honorar eine Führung zu halten. Dieser war hier mit einem klapprigen Bus zu Gast und man wollte Ihm neben einigen Auftritten auch etwas aus der sächsischen Heimat zeigen. So viel und so günstig wie möglich. Das erste, dass ich lernen mußte: „Das sind UNGARN, merke Dir das und sage nie was Falsches in dieser Richtung.“ „???“ Die Gehirnzellen arbeiteten und ich buchte bei meinem Vater Unterricht in der Geschichte Siebenbürgens.

Der Tag war gekommen und die Reiseleiterin aus Deutschland und Dolmetscherin sagte mir, sie habe die letzten Tage genug geredet. Es wäre da ein Mädchen, das lernt Deutsch und sie wird mich dolmetschen. Mir wurde es heiß und kalt. Vereinbart war Simultandolmetschen und ich hatte mir überhaupt keine Gedanken gemacht, die Führung war in Ablauf und Umfang im Kopf, ohne Rücksicht auf Sprachbarrieren.

Schloß Weesenstein ist mein Hobby, im „wirklichen Leben“ bin ich Eisenbahner. Genau so stellte ich mich vor. Nun hatte meine junge Dolmetscherin mit dieser Vokabel in dieser Umgebung nicht gerechnet. Also langsam, noch mal von vorn und während ich sprach baute ich im Hinterkopf meine Führung um. Als "Dank" für die Führung war vereinbart, daß dieser Chor für die Schloßbesatzung und mich singt. Seit dem kenne ich die Akustik eines jeden Raumes ganz genau...

Ich spürte die Begeisterung dieser Jugendlichen für die Musik aber auch für das Schloß von Minute zu Minute. Es gibt Fotos auf denen man das Staunen sieht und sie hingen mir am Mund und saugten die deutschen Vokabeln auf und lachten über eine Pointe obwohl sie noch gar nicht übersetzt war. Mir wurde unheimlich. Ich interessierte mich immer mehr für sie und blieb zum Mittagessen. Wir kamen ins Gespräch. Deutsch können viele vom Fernseher ..., Filme die nicht synchronisiert werden sind kein Verlust, sie können sogar auch bilden… Ein paar Tage später habe ich sie dann noch auf einem anderen Ausflug begleitet und es wurden ein paar Adressen ausgetauscht. Mich erreichte von meiner Dolmetscherin eine Dankeskarte. Ich schrieb zurück. Die Briefe kamen und gingen, doch als sie dicker wurden und Broschüren für ein Studium in Deutschland erhielten, verschwanden sie auf mysteriöse Weise. Es trat Funkstille ein. Ein letzter Versuch rettete den Kontakt. Seitdem schicke ich nur noch per Luftpost und Einschreiben. Die Briefe verschwinden trotzdem, wenn sie dick genug sind. Aber man bekommt sein Porto erstattet. Die Stelle der Post die die Nachforschungsanträge bearbeitet, kennt mich schon gut, ist sehr kulant aber auch machtlos. Bezeichnend nur, das die Briefe immer nur in eine Richtung verschwinden.

 

Rumänien 1999

Für den Herbst 1999 plante ich einen Besuch bei meiner Brieffreundin. Mit dem Zug. Schließlich gibt es ja internationale Freifahrscheine. Aber allein? Nach Rumänien? Kinga hat mir viel geschrieben über ihr Land und Angst hatte ich keine. Mein Vater war auch schon "früher" in Rumänien. Aber so weit wollte ich allein nicht fahren. Es fand sich ein zweiter Eisenbahner der das Wagnis nicht scheute: Jens.

Zur Vorbereitung diente mir der Reiseführer "Rumänien" vom Goldstadtverlag. Es war der umfangreichste den ich in deutschen Buchläden damals erwerben konnte. (Marco Polo war ein Lacher.) Außerdem besaß ich eine dreisprachige Karte "Erdély" Siebenbürgen 1: 500 000 eines ungarischen Verlages, die mir Kinga geschickt hatte. Beides ist sehr zu empfehlen.

Die Gastfreundschaft in diesem Land ist ja bekannt, wir wollten sie nicht strapazieren und uns selbst ein Bild vom Land machen – unvoreingenommen. So war unser erstes Ziel Brasov, bevor wir zu Kinga weiterreisen wollten.

Am 19.09.1999 ging es los. Mit dem EC 179 nach Prag. Und dort in den „Panonia“ nach Bukarest. Leider war die Buchung von Liege- und Sitzplätzen nahezu unmöglich. Was uns noch einige Erlebnisse bringen sollte. Unser Liegeabteil teilte ein junges britisches Pärchen, das wenig Interesse an einer Konversation mit uns zeigte. Insbesondere die junge Dame fand sich nur schwer mit den Gepflogenheiten in einem Liegewagen ab und bot uns "Profis" damit manche Gelegenheit zum Schmunzeln. Eben "very British"!

Bei Nachtreisen in Westeuropa werden die Pässe beim Liegewagenschaffner hinterlegt und der Reisende schlummert bei allen Personalwechseln und Grenzkontrollen ungestört durch. Auch bei Ferienreisen nach Ungarn vor 1989 kenne ich das als DDR-Bürger so. Das ist vorbei. Nachts gegen drei Uhr verabschiedete sich höflich der tschechische Zoll und bemühte sich, möglichst wenig zu stören. Wenige Minuten später, als der slowakische Grenzer kam, herrschte Kasernenhofatmosphäre im Zug. Grelle Beleuchtung und Schreie begleiteten die Kontrolle. Unser aus dem Schlaf gerissener englischer Nachbar war nicht so schnell, wie es der wild gestikulierende Grenzer erwartete und wurde dafür behandelt wie ein Schwerverbrecher. Dann Stille, Finsternis, der Zug ruckte an. Einschlummern. Drei Stunden später wieder Kontrolle, diesmal etwas zivilisierter. Reflexartig und zackig reichte unser Freund dem Grenzer die Pässe, die er bis dahin noch umklammert hielt. Kurz vor Budapest kam der Schaffner wecken. Dieser war sichtlich verblüfft, als mit dem Öffnen der Abteiltür der Engländer aufsprang und ihm die Pässe vor die Nase hielt.

In Budapest hieß es Konzentration, denn der Zug wurde umgebaut. Unsere Wagen blieben in Budapest. Der Stammzug war nicht zu betreten. Aber es wurden rumänische Sitzwagen angehängt. Wir mußten also innerhalb des Zuges mit Sack und Pack umsteigen. Wir fanden ein leeres Abteil und reisten ungestört bei strahlendem Sonnenschein am Vormittag durch die Puszta. Der ungarische Zoll verabschiedete sich höflich.

Wenige Meter nach der Grenze hielt der Zug in dem kleinen Grenzbahnhof Curtici. Wir schauten aus dem Fenster. Alle fünf Schritt ein Grenzbeamter mit Maschinenpistole, dazu noch ein paar Hundeführer, die unter und im Zug ihre Tiere auf Kontrollgang begleiteten, dazu überall Schrott in trostloser Gegend. Mir wurde etwas mulmig. Und nun machten wir die Erfahrung, was es heißt, richtige Reisekleidung zu tragen...

Ich reiste in Kniebundhosen mit Kraxe. Jens hatte sich für schwarze Jeans, eine schwarze Lederjacke, eine schwarze Sonnenbrille und eine schwarze Reisetasche entschieden. Kurz, er sah nach „MIB“ aus.

Ich wurde gefragt wohin ich wollte. "Wandern in den Karpaten" war meine Antwort. Stummes Nicken, weitergehen. Jens beantwortete die gleiche Frage auf Englisch "eine Freundin besuchen". „???“ "Auspacken" – war die Antwort und er durfte den Inhalt seiner Reisetasche im Abteil drapieren. Der Zöllner sprach mich englisch an, da ich ihn nicht verstand, schaute ich ihn ungläubig an. Dann zählte er auf, "Haschisch, Kokain, ..." Lächelnd verneinte ich. Als die Prozedur zu Ende war kam ein nettes Mütterchen mit Bauchladen und fragte uns, ob wir schon ein Visum hätten. Wir verneinten. Sie setzte sich, mit ihrem Köfferchen vorm Bauch, gemütlich in die Polster uns gegenüber und erklärte uns in fast akzentfreiem Deutsch die Prozedur. Ich fragte sie noch, ob ich Geld wechseln könnte. Kein Problem. Und wie wir später feststellten, machte sie uns einen fairen Kurs.

Der Zug ruckte an und nun kam der Schaffner. Er kontrollierte uns und erläuterte laut und wild gestikulierend unserer "Verbrechen". Ich wußte was kam. In Rumänien sind alle schnellfahrenden Züge platzkartenpflichtig und Platzkarten sind von Deutschland aus nicht buchbar. Schließlich zeigte er auf eine fett geschriebene Summe eines Notizblocks, die er offensichtlich schon vielen Ausländern gezeigt hatte. Ich zahlte anstandslos ohne nachzudenken – ich glaubte ja zu wissen worum es ging. Ich bekam sogar eine Quittung. Nach eingehender Untersuchung stellte sich heraus, dass es sich dabei um eine Fahrkarte von einer Strecke die unser Zug gar nicht befuhr und deren Gültigkeitsdatum schon ein paar Tage zurücklag, handelte. Das machte mich stutzig und ich rechnete nach und kam zu der Erkenntnis, daß ich für unsere Platzkarte soeben umgerechnet 20,00 DM bezahlt hatte. Sicher ein einträgliches Geschäft. In Arad stiegen nun viele Arbeiter in den Zug zeigten uns ihre – wie ich mich überzeugen konnte, gültigen – Platzkarten und verwiesen uns lautstark auf den Gang. Mein zögerlicher Versuch, unsere teure "Platzkarte" zu zeigen, wurde mit einem Lächeln quittiert. Wir fanden Platz mit unserem Gepäck ein paar Abteile weiter. Allerdings füllte man nun die Abteile mit mindestens acht Personen. Ich ging zum Speisewagenpersonal, daß bis eben noch gut Deutsch konnte um mein Anliegen mit der Platzkarte zu klären. Zu meinem Pech hatte der Mann alle deutschen Vokabeln vergessen und verstand mich nicht.

Es wurde abend und wie wir mitbekamen, hatten wir Verspätung. Im Zug war Licht. Draußen sah man nichts. Durchsagen gab es keine und nach der Uhr konnte man sich nicht richten. Woher weiß man wo man aussteigen muß? Irgendwie haben wir es geschafft.

Noch auf dem Bahnsteig sprachen uns ständig Frauen an, die uns ein Quartier anboten. Damals empfand ich das noch als Belästigung. Also raus aus dem Bahnhof und nach dem Busplan geschaut – ergebnislos. Aus den hundert Taxifahrern den sympathischsten rausgesucht. Die Adresse eines Hotels aus dem Reiseführer gezeigt. Wir hatten Glück. Der Fahrer war nett, die Fahrt ausgesprochen preiswert und wir wurden wohlbehalten abgeliefert. Wir gaben reichlich Trinkgeld und er hat sich ehrlich gefreut.

Im Hotel die erste Frage: Ein Zimmer mit Wasser für 120 DM oder ohne Wasser für 50 DM? Wir überlegten. Wir waren aber so fertig und durchgeschwitzt und entschieden mit Wasser. Dass wir keine deutschen Standards erwarten durften wußten wir, aber was wir vorfanden hat uns doch etwas verblüfft. Ein Satz aus dem Reiseführer gefiel mir: "Die Zimmer sind sauber, selten jedoch rein." Das Hotel hatte bessere Tage gesehen. Irgendwas fehlte immer. "Wasser" war ein Rinnsal in einer abgegriffenen Badewanne und die Spülung lief ständig. Wir machten es uns bequem. Ein Bißchen roch es nach „Original k.u.k. Monarchie“.

Am Morgen des 21.09. dann das erste Hotelfrühstück. Ein kleines Brötchen, etwas Butter und einen Klecks Honig und die Wahl zwischen Omelett oder kein Omelett. Als ich nach einer ganzen Weile Mut faßte die an der Theke stehenden Kellnerinnen bei ihrer Morgenplauderei zu stören und sie um eine zweite Tasse Tee zu bitten, bekam ich kurzerhand und sehr pragmatisch lauwarmes Wasser auf den bereits vorhandenen Teebeutel der ersten Tasse eingeschenkt.

Wir wollten nach Bran zum „Draculaschloß“ und es begann das Durchfragen. An der Rezeption gab man uns eine Karte mit dem Abfahrtsplatz für die Busse. Wir marschierten los. Auf einem Vorstadtbahnhof fragten wir erneut und man wies uns zu einer Ansammlung Busse, von dort halfen die Busfahrer weiter. Wir stiegen ein zahlten und lasen ein Schild "Bitte festhalten", mein Blick ging zur Decke. Dort stand "Notsignal" und als ich zum Fahrer schaute stand über dem Spiegel "VEB Kraftverkehr Dresden" – aha, so schnell fühlt man sich heimisch. Vorbei ging es an Kartoffelfeldern, die per Hand bewirtschaftet wurden. Den Ausstiegspunkt fanden wir allein. Wir schauten uns um und besuchten das Freilichtmuseum.

Eigentlich habe ich Angst vor Hunden. Ein Einäugiger dieser Sorte hatte aber beschlossen, mich ins Herz zu schließen. Und so machte ich mich zum Gespött meines Kameraden. Wir gingen zum Schloß, nun in Begleitung. Schloss und Museum sind hervorragend restauriert und in einem sehr guten Zustand. Der Dracula-Rummel hält sich noch sehr in Grenzen und man kann die Schönheit der Gemäuer mit ihren Winkeln, Halbgeschossen, den Balkonen, Söllern und Gauben genießen. Als wir wieder aus dem Tor traten, warte schon mein treuer vierbeiniger Freund. Langsam begann ich mich daran zu gewöhnen und er tat mir nichts, außer mir zu zeigen, daß er es gut mit mir meint. Wir schlenderten über den Markt und ich bewunderte die Handwerkskunst und ich entschied mich für eine schöne Holzvase für meine Trockenblumen. Zurück an der Bushaltestelle machte mir mein neuer Freund klar, daß er sehr traurig ist, wenn ich jetzt fahren will. Doch durch die Bustür hat er sich dann glücklicherweise nicht getraut. Wir fuhren ohne Begleitung zurück. Beim Aussteigen entstand plötzlich ein Tumult hinter mir und ich wurde auf Rumänisch heftig beschimpft. Es dauerte ein paar Sekunden bis ich begriff: Ich hatte völlig gedankenverloren vergessen, die Klapptür hinter mir zuzuplautzen. Natürlich kenne ich das aus meiner Vergangenheit, aber erst so merkt man wieder wie schnell sich das Unterbewußtsein an Komfort gewöhnt.

Es schloss sich ein Bummel durch die Stadt an. Der Markt ist nagelneu restauriert. Wir machten es uns im Freisitz vor dem „Karpatenhirsch“ bequem und ließen es uns gut gehen. Als wir das Innere des Gebäudes wegen des WC's aufsuchten, wurden wir scharf zurückgewiesen. Beim zweiten Anlauf ließ man uns nach einem Bakschisch passieren. Am Tisch nebenan ein paar deutsche Fetzten in einem fremden Dialekt. Die älteren Herrschaften müssten Siebenbürger Sachsen sein. Dann sahen wir ein paar Hunde, denen das Fell zu Berge stand und wir entdeckten auch den Grund. Drei junge Männer führten ein Löwenbaby an der Leine spazieren. Wir vergewisserten uns mehrfach das wir nicht träumten und fotografierten den Gesellen. Wir erlebten wie ein Vater seine Kinder mit dem Pferdefuhrwerk aus dem Internetcafé am Markt abholte. Rumänien – ein Land der Gegensätze. Vor dem Hotel hatten wir noch eine nette Episode mit einem Rumänen, der mich für einen Einheimischen hielt. Wir telefonierten mit Kingas Bruder und schliefen zufrieden ein.

Am anderen Morgen das gleiche Prozedere, nur wurde zu meinem Erstaunen jetzt sogar ein neuer Teebeutel verwendet.

Ein Rundgang durch Brasov schloß sich an. Wir besuchten die berühmte schwarze Kirche mit ihren Teppichen und hatten Glück einem Orgelkonzert zu lauschen. Anschließend wollten wir mit der Seilbahn auf die Tîmpa. Aber aus unerfindlichen Gründen fuhr sie nicht. So vergnügten wir uns weiter in der Stadt. Ich wollte Geld wechseln. Vor der Wechselstube sprach mich ein zwielichtiger Mensch vom Typ "Türsteher" an, der mit mir schwarz tauschen wollte. Ich verneinte höflich. Als ich die Wechselstube verließ kam ich auf die verwegene Idee ihn nach einem Blumengeschäft zu fragen. Anstandslos, ausgesprochen freundlich und in gebrochenem englisch wies er mir den Weg zu einem Markt mit einem äußerst üppigen Blumenangebot und verabschiedete sich höflich. Ich dachte einen Moment ich wäre im falschen Film.

Wir ließen uns ein Taxi rufen um zum Bahnhof zu gelangen. Als ich einstieg legte mir der Fahrer den (statischen) Gurt, der mir drei Mal zu groß war und nicht ins Gurtschloss ging, um, bedeutete mir ihn über der Brust festzuhalten und sagte "Polizia". Ich gehorchte. Auf die Frage wohin wir reisen, antworte ich wahrheitsgemäß. Es war ein Fehler, denn der Taxifahrer versuchte uns die ganze Fahrt zu überreden uns dort hin zu fahren. Da ich der Diskussion müde wurde und ihm schlecht erklären konnte, daß wir gewissermaßen aus Berufsinteresse mit der Bahn fahren wollten, tat ich so als verstehe ich ihn nicht.

Die Fahrkarte trägt das Datum 22.09.1999. Die Zugfahrt im Regionalzug 4505 war ein Erlebnis. Das Wagenmaterial bestand aus "langen Halberstädtern", deren Herkunft schwach überpinselt war. Im Inneren war noch das Eigentumsmerkmal "52 50 ..." sichtbar. Die Wagen waren soweit in gutem Zustand, nur eines nicht, die WC's. Die waren selbst für Geschäfte im Stehen eine Zumutung, an anderes gar nicht zu denken. Und Wasser? Was ist das? Eisenbahntechnologisch war die Zugfahrt hochinteressant. Eine eingleisige, elektrifizierte Strecke, die sichtlich an der Leistungsgrenze befahren wurde. Auf jedem (!) Kreuzungsbahnhof warteten ein oder zwei abfahrbereite Züge auf unser Eintreffen. Meist waren es endlos lange Güterzüge. Auch eisenbahntechnisch ist Rumänien ein Land der Gegensätze. Auf den Hauptmagistralen gibt es modernste Gleisbildstellwerke mit Fernsteuerung. Andererseits gibt es noch die gute alte Aufsicht und das Fahrkartenwesen ist nahezu mittelalterlich. Noch weiter abseits, in den Bergen, wird oft mit „Brechstange und Staffelstab“ gefahren. Nicht selten dienen dabei Seile zum Verschieben und Baumstämme als Kuppelstangen. Auch Pferde sollen schon als Rangiergeräte gesichtet worden sein.

Der Zug transportiere alles was sich transportieren ließ. Manchmal hielt er scheinbar mitten auf einem Feld und die Bäuerinnen kamen angeströmt und bestiegen in Gummistiefeln und einem Sack Kartoffeln den Zug. Bald war der Wagen voller Fahrräder, Kartoffeln und Leiterwagen. Ein paar Mütterchen mit lebenden Hühnern saßen nebenan und wir fanden uns sehr sympathisch und "unterhielten" uns. Wobei die Unterhaltung vorwiegend aus Lächeln und Gesten bestand. Wir fuhren über die Felder und bemerkten, daß das Pferd das häufigste Ackergerät war. Mit der Entfernung änderte sich das Publikum. Die Mütterchen stiegen aus. Die rumänischen Wortfetzen verklangen nach und nach. Junge Leute stiegen ein und es wurde munter ungarisch erzählt.

Kurz vor dem Ziel, es war inzwischen nachmittag geworden und einige Zeit nach dem letzten Happen vergangen, beschlossen wir, bevor wir zu unseren Gastgebern fuhren, noch ein Mal kräftig zu essen. Ein schwerer Fehler, wie sich herausstellen sollte.

Die Fahrgäste deuteten uns freundlich, daß es für uns Zeit wurde, auszusteigen. Wir erreichten Miercurea-Ciuc. Der Bahnsteig schwarz voller Menschen. Aber SIE fand mich auf Anhieb und wir fielen uns in die Arme.

Wir liefen eine Weile durch die Stadt. Sie wohnte bei ihren Eltern in einem Neubau. Grau und trist. Nicht anders als die Plattenbausiedlungen meiner Kinderzeit. Wir benutzten einen Fahrstuhl, den ein deutscher TÜV sofort stillegen würde. Innen war die Wohnung hübsch und wohnlich eingerichtet. Und eine liebe Mama, die mit dem Mittagessen auf uns gewartet hatte. Da hatten wir den Salat. Wir unterhielten uns über ungarische Eßgewohnheiten. Und daß sie viel Weißbrot essen. Ich verstand das als Aufforderung zur gereichten Suppe kräftig zuzulangen. Ich war satt. Schwerer Ausnahmefehler!!! Es war der erste von sechs(!) Gängen. Höflich aß ich weiter. Vorspeise und Hauptspeise schaffte ich noch. Beim Kompott streikte mein Magen. Mutti war sichtlich enttäuscht! Ein einziges klitzekleines Stück des extra für uns gebackenen Kuchens nahm ich noch zu mir, auch um Jens zu unterstützen, dem es offensichtlich schlechter ging. Das Obst ließ ich mir dann auf's Zimmer stellen.

Anschließend gingen wir im Ort spazieren. Wir besuchten Kingas Schule, das „Márton Áron Gimmnázium“. Ein wunderschöner Bau, der einen Hauch von Kirchenschiff hat. Zu meiner Verblüffung konnten wir uns am frühen Abend anstandslos darin bewegen. Wir schlenderten dann über den Markt und setzten uns auf eine der Bänke zum Plaudern. Als wir am Abend zurück kamen gab es, sehr zu meiner Beruhigung, kaltes Abendbrot mit Brot, Wurst und Käse, wie zu Hause. Nur das man den „Belag“ hier separat zum Brot isst. Wir erzählten noch lange, der Fernseher lief auf RTL. Irgendwann sind wir zu Bett. Wir schliefen im Zimmer der Kinder im gemütlichen Bett, während sie auf Luftmatratzen im Wohnzimmer kampierten. Gastfreundschaft eben, und zu protestieren ist zwecklos. Und wenn wir noch später ins Bett gegangen wären und noch zeitiger aufgestanden wären, sie wären später ins Bett und eher auf und das warme Essen wäre immer fertig. Manchmal bekomme ich dabei ein schlechtes Gewissen.

Am anderen Tag besuchten wir Schomlenberg, eine Pilgerstätte der Katholiken. Zaghaftes Abtasten einer Christin die wirklich glaubt und durch den Glauben Kraft findet und zwei Atheisten. Interessante Gespräche. Ich mag sie. Ich kenne viele Pseudo-Christen, die die Kirche nur zur Hochzeit, zur Taufe und zum Sterben sehen. Ich finde das nicht gut. Aber mit Christen gleich welcher Konfession, die wirklich glauben und den Glauben leben, habe ich erstaunlich viele Gemeinsamkeiten und ähnliche Standpunkte feststellen können. Natürlich jeder aus seiner Sichtweise, denn ich bin wirklich überzeugter Atheist. Dann besuchten wir einen Eremiten, der in einem Sarg schläft. Das „Warum“ blieb mir verborgen und mich beschlich ein leiser Verdacht, dass sich mit dem Geld, das die Leute in seinem Käfig niederlegten, gut leben läßt. Aber ich kann es nicht nachprüfen und nehme es erst einmal so hin wie es mir geboten wurde. Wir spazierten über die "Almen" des Karpatenvorlandes und auf alten ungarischen Grabsteinen erhielt ich meinen ersten Unterricht in ungarischer Grammatik. Später kamen wir an einem Gehöft vorbei, dessen Tor offen stand. Nach dem ich zweimal daran vorbei ging, ließ ich mir ein Schild übersetzen, das ans Tor genagelt war. "Der Hund beißt" war die Antwort. Wie gut, dass man eben nicht immer alles weiß. Kinga und ich kamen uns menschlich ein wenig näher und drückten das in unseren Gesten auch aus. Jens in seinem Mafiosi-Outfit folgte uns nun als "unser Schatten". Er war unser Beschützer und Body-Guard geworden. Die Soldaten am Feldrand, die sich mit freiem Oberkörper vom Ernteinsatz erholten werden sich über den Anblick einiges gedacht haben. Auch gesellte sich zu uns, eigentlich ganz offensichtlich aber zu mir, ein neuer vierbeiniger Beschützer. Wir kehrten ein zu Mama, die wieder hervorragend gekocht hatte. Nun konnten wir auch ordentlich zuschlagen. Der Abend führte uns wieder in die Stadt. Und spät in der Nacht versuchte ich mit den Eltern ins Gespräch zu kommen, was gar nicht so einfach war, weil die Kinder zwar einmal Dolmetscher werden wollten, aber in diesem Gespräch eher als Filter wirkten.

Der nächste Tag, also der 24.09.1999 wird mir als verwöhnter Mitteleuropäer noch lang in Erinnerung bleiben. Es war meine erste Lektion rumänischer Lebensart. Die da heißt, für alles gibt es eine Lösung, aber meist die, die man am wenigsten erwartet. Heute muß ich drüber Schmunzeln, damals war mir nicht wohl zu mute, obwohl es eigentlich harmlos war.

Nach einer üblicherweise kurzen Nacht, brachen wir am Vormittag auf. Bicaz war das Ziel. Mir völlig unbekannt. Wir gingen zum Busbahnhof. Nun ist Reisen und Verkehr in jeder Hinsicht bei mir Beruf und Hobby. Außerdem bin ich es nicht gewöhnt, die Reiseplanung aus der Hand zu lassen. Nur was macht man mit einer Begleiterin, die sechs Sprachen spricht?! Kinga verhandelte lange am Schalter. Der gewünschte Bus fuhr wohl nicht, sondern irgendein anderer. Und es stellte sich heraus, daß zurück kein Bus fahren sollte. Da fingen die Gedanken bei mir an zu kreiseln. Ich kannte die Verhältnisse nicht und fühlte mich das erste Mal irgendwie ausgeliefert. Mein Stimmungspegel begann zu sinken. Der Bus kam und wir fuhren ein paar Stunden damit. Ich hatte weder ein Gefühl für Richtung noch für Entfernung. Wir vertrieben uns die Zeit mit „Galgenraten“ in mehreren Sprachen. Auf einem Paß hielt der Bus. Die Leute stiegen aus. Einige gingen zu einem Restaurant in der Nähe. Endstation? Wir stiegen auch aus, bewegten uns aber nicht weit. Ich bekam mit, daß es sich um eine Pause handelte. Ein Linienbus macht Pause vor einer Kneipe mitten im Niemandsland. Wieder was gelernt. Von meinen trüben Gedanken muß jemand etwas geahnt haben. Denn da kam er angetrottet auf vier Pfoten. Wieder einer der mich ins Herz geschlossen hatte. Kinga versuchte ihn mit ein paar Fußtritten fernzuhalten, aber unterwürfig kroch er weiter auf uns zu. Auch hier beendete die sich schließende Bustür wieder die Freundschaft.

Die Fahrt ging weiter, bis der Busfahrer mitten an einer Bergstraße stoppte um uns herauszulassen. Wieder Verhandlungen wegen der Rückfahrt, wieder offensichtlich erfolglos. Die Stunde war schon fortgeschritten und wir machten uns der Straße entlang auf den Weg. Es war eine beeindruckende Schlucht. Viele Pfade führten auf die Berge, die ich gern probiert hätte, aber für diesmal hatten wir dafür wohl keine Zeit, keine Ortskenntnis und vor allem keine Ausrüstung. Ein kleiner Rucksack mit vielen, vielen lieb gemeinten Broten und Obst, etwas zu Trinken und zwei Fotoapparate waren unser ganzes Gepäck. Wir rasteten etwas unterhalb der Straße am Bach und liefen danach weiter auf dem Asphaltband talwärts. An einigen Stellen hatten sich Händler niedergelassen. Wir besichtigten ihre Waren und kauften ein paar Karten. Als wir am Ende der Schlucht waren, wurde es nachmittag und Kinga konnte noch immer keine Auskunft geben, wie wir heimfahren. „Mal sehen.“, „Wir werden fragen.“, „Autostopp ist zu gefährlich“ und ähnliche Sätze beruhigten mich nur äußerlich. Wir machten abseits der Straße, unter Bäumen versteckt, ausgiebige Rast und plünderten den Verpflegungsrucksack. Der Appetit hielt sich bei mir und Jens ob der guten Verpflegung im Hause der Gastfamilie und der Ungewißheit der nächsten Stunden sehr in Grenzen. Ich machte mir Gedanken um das Verbringen meiner ersten Nacht im Gebirge ohne Ausrüstung.

Wir waren noch mitten im Schmaus, als uns gegenüber ein alter klappriger Bus hielt und der Fahrer ausstieg und rauchte. Kinga ging hin und unterhielt sich mit dem Fahrer. Sie kam zurückgerannt und sagte wir müßten schnell zusammenpacken, das wäre unser Bus und er fährt gleich weiter. Ich war verdutzt, denn diese Lösung hatte ich nicht erwartet, also beeilten wir uns. Unterwegs sagte sie mir, daß dieser Bus nicht nach Hause fährt, sondern zu einem Bahnhof in einer anderen Stadt und der Fahrer glaubt(!), dass dort ein Zug fährt, sogar zurück nach Hause. Meine Stimmung hob sich augenblicklich, da ich das Gefühl bekam, die Situation selbst wieder unter Kontrolle zu bekommen. Das System Bahn kenne ich und ich finde mich auch ohne Fremdsprachenkenntnisse auf einem Bahnhof zurecht und habe kein Problem den richtigen Zug zu finden, der mich an mein Ziel bringt.

So konnte ich mich wieder der Landschaft widmen und Kinga zeigte mir einen See der im Ungarischen wohl Teufelssee heißt. In der Mitte des Sees ragen Bäume mit den Wurzeln nach oben heraus. Entstanden ist dieses Phänomen durch einen Erdrutsch und es ranken sich darum viele ähnlich lautende Sagen in Rumänisch, Ungarisch und Deutsch.

Der Bus hielt am Bahnhofsvorplatz. Wir lösten die Karten und wenige Minuten später kam unser Zug. Ich fragte mich nun, wozu ich mir überhaupt irgendwelche Gedanken gemacht habe. Kinga amüsierte sich über mich, da ich Fahrkartenverkauf und die Kontrolle im Zug allein ohne ihre sprachliche Hilfe managte. Sie wünschte sich von mir, daß ich das nächste Mal mit dem Auto käme, dann wären wir freier und flexibler und könnten mehr sehen. Zuhause freute man sich sehr über unsere Heimkehr. Nur Mutti war etwas enttäuscht, daß wir von der Verpflegung wieder etwas mitbrachten. Der späte Abend führte uns wieder in die Stadt.

Für den 24.09.1999 war eigentlich ein Besuch des Stadtschlosses geplant. Aber irgendwie kamen Jens und ich früh nicht in die Gänge. Die Familie richtete sich danach. Es hieß einpacken und Abschied nehmen. Die Zeit begann zu rennen und wir hatten wieder einmal vergessen was es heißt ein mehrgängiges köstliches ungarisches Menü zu genießen und das es dazu Zeit braucht. Auch einige Gastgeschenke sollten noch verteilt werden. Ich konnte das köstliche überbackene Geflügel gar nicht richtig genießen. Wir stürzten überhastet fort um unseren Zug zu bekommen. Zum Abschied gab es Küßchen. Als ich mich aus dem Zugfenster lehnen wollte um Kinga zu winken, rief sie mir zu, dass das verboten ist. Es waren ihre letzten Worte. Dadurch habe ich diesen Abschied bis heute nicht vergessen.

Gefühl und Verstand und die Eindrücke der letzten Tage vermischen sich und wollten verarbeitet werden. Der Blick auf die Bauern mit ihren Pferden die die Felder bearbeiteten brachte Ruhe in die Eindrücke. Beim Umsteigen in Brasov hatten wir Zeit dem Treiben im Bahnhof zuzusehen und nach Hause zu telefonieren. Für die Rückfahrt können von Deutschland aus keine Liegeplätze gebucht werden. Aber wir bekamen sie am Zug problemlos. Als wir unser Abteil bezogen hatten, boten uns Jugendliche allerlei Souvenirs zum Kauf durch das Abteilfenster an. Wir ignorierten sie lächelnd und beobachteten ihr Treiben. Sie boten uns ihre Waren auf Deutsch, auf Ungarisch auf Englisch, auf Französisch und auf Spanisch an. Da wir ihnen immer in möglichst langen, schnellen Sätzen im schlimmsten sächsischen Dialekt antworten, haben sie bis zur Abfahrt nicht herausfinden können, welche Sprache wir verstehen. Wir schieden herzlich lachend. Das rat-tat-rat-tat des Zuges holte mich langsam in die Wirklichkeit zurück. Wir standen lange schweigend am Fenster und sahen den Mond und die Signale in der Dunkelheit. Als wir eingeschlafen waren, weckte uns ein ungarischer Grenzer mit den Worten "cabin control" und begann die Liegen auseinanderzubauen. Aber nur die, auf denen keiner lag. Nach ein paar Minuten verabschiedete er sich freundlich lächelnd. Der Zug war pünktlich, das Umsteigen in Budapest klappte problemlos. Und so wurden wir am Nachmittag des 25.09. von den Eltern von Jens auf dem Bahnhof in Dresden in Empfang genommen.

Es folgten wieder ein paar Briefe und mittlerweile auch E-Mails und im Herbst des Jahres 2000 konnte ich Kinga in Bochum, bei einem Theaterprojekt besuchen. Seit Frühjahr 2001 ist sie mit Unterbrechungen öfter in Leipzig, zu Auslandssemestern ihres Gemanistikstudiums. Jetzt im Sommer 2002 bereite ich mich auf einen Besuch bei Ihr vor, wieder mit dem Zug und diesmal allein. Dabei waren mir die Seiten von „Karpatenwilli“ sehr, sehr hilfreich. Deshalb habe ich ihm meine Geschichte aufgeschrieben.

Ralf Mattern (ralf.mattern@sz-online.de)


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