prima paginá
carpatii pesterile raport fotografie hártii informatie Willi si carte
Reportage de
cálátorie vechii
(Komm Mit) linkuri ghid si cazare privire de ansamblu dictionar postá

Meine erste Reise ins Ausland

Bericht über eine Zugreise nach Viseu de Sus (Maramures)

von Petra aus Wolfen


Am 17. Juli 1983 fuhr ich das erste Mal nach Rumänien zu meinem Brieffreund Georg, mit dem ich mich seit Ende der zehnten Klasse schrieb und der mich im März des gleichen Jahres besucht und mich nun zu einer Gegenvisite nach Viseu de Sus eingeladen hatte. Visum und Kofferpacken waren erledigt, nun wartete ich voller Ungeduld darauf, daß ich gegen 0:40 Uhr in den Balt-Orient-Express steigen konnte und die große Fahrt losging! Bis Berlin brachten mich meine Eltern. Wir fuhren mit dem 18-Uhr-Eilzug von Bernburg nach Berlin-Schöneweide. Der Zug endete hier und wir mußten mit der S-Bahn weiter bis Lichtenberg. Dort sollte es erst nach Mitternacht losgehen. Meine Eltern und ich hatten also noch etliche Zeit, die wir gleich mal nutzen wollten, um eine Gaststätte aufzusuchen. Wir hatten nämlich einen Riesenhunger! Aber wie das Leben manchmal spielt, fanden wir keine geöffnete Gaststätte; weder auf dem Bahnhof, noch in der Nähe davon! Einige hatten gerade Ruhetag, die anderen öffneten erst gegen 22 Uhr. Leicht fröstelnd zog ich also mit meinen beiden Elternteilen im Schlepptau durch den Lichtenberger Kiez. Als wir da so um die Häuser schlichen und bei jeder neuen Gaststätte, die wir entdeckt hatten, in der wir jedoch unseren Hunger aus genannten Gründen nicht stillen durften, wegen der unmöglichen Öffnungszeiten vor uns hinschimpften, sprach uns eine ältere Dame an, die meinen Eltern im Laufe des sich entwickelnden Gespäches spontan ein Nahtquartier in ihrer Wohnung anbot. Wir bedankten uns und kehrten immer noch hungrig auf den Bahnhof zurück. In den Kellerräumen hatte nun endlich eine Pizza - Bar ihre Pforten geöffnet! Heißhungrig stopfte ich schnell noch bevor die lange Reise beginnen sollte, eine der damals üblichen Minipizzen in die hungrige Öffnung unter der Nase hinein und gemeinsam gingen wir dann auf den Bahnsteig, auf dem der Balt - Orient - Express abfahren sollte. Die Waggons waren schon bereitgestellt, es fehlte nur noch die Lokomotive! Ich stieg ein und suchte mir einen geeigneten Platz, während meine Mutter draußen auf dem Bahnsteig noch nach dem Schaffner suchte und ihn nach einem freien Schlafwagenabteil fragte. Alles vergeben und so mußte ich bleiben, wo ich war. Schnell kam die Zeit der Abfahrt und wir mußten uns voneinander verabschieden.

Während sich der Zug so langsam in Richtung Rumänien in Bewegung setzte, suchten meine Eltern draußen die Wohnung, zu der ihnen die ältere Frau recht gut den Weg beschrieben hatte. Sie hatten Pech, liefen sicher mehrmals dran vorbei aber fanden sie nicht wieder. Also fuhren mein Vater und meine Mutter ins Stadtzentrum und nahmen sich im Interhotel "Stadt Berlin" ein Zimmer für 70 Mark. Ich saß inzwischen im Zug, atmete die laue Sommernachtsluft und lauschte auf
das Zirpen der Grillen am Wegrand. Schlafen konnte ich nicht, ich war einfach zu aufgeregt! In der zweiten Stunde des neuen Tages fuhr der Zug in Dresden ein, verschluckte weitere Personen, die gleich mir ins Ausland wollten. In Bad Schandau war dann die erste Paß- und Zollkontrolle. Ich muß zugeben, ein wenig bang war mir schon zumute! Würden die Grenzer meinen Koffer öffnen? Würden sie etwas von meinen Geschenken konfiszieren? Ich fuhr zum ersten Mal ins Ausland, ich hatte von den Zollbestimmungen keine Ahnung! Glücklicherweise sahen sie aber nur meine Papiere nach und verpaßten mir einen Stempel - passieren!

Die erste Grenze lag hinter mir und langsam legte sich auch wieder die Spannung. Nun waren wir auf dem Boden der damaligen CSSR. Der Zug hielt in Decin und schließlich in Prag. In meinem Abteil saßen ein älteres Ehepaar und eine junge Frau, die sich zwei Platzkarten gekauft hatte - eine für sich und eine für ihre vollgepackte Kraxel - und diese Plätze auch vehement verteidigte; auch als vier junge Musiker zustiegen, die sich mit auf meine Bank quetschen mußten. Nicht mal zur Zollkontrolle war diese Dame bereit, einen ihrer zwei Plätze abzutreten. Nein, sie lümmelte sich in ihrer Ecke, zog die Käsemauken unter den Hintern, während wir auf der anderen Seite wie die Ölsardinen in der Büchse zusammengequetscht waren!  Die beiden älteren Leute versuchten, die junge Dame neben ihnen zur Vernunft zu bringen und sie dazu zu bewegen, ihren zweiten Platz doch wenigstens für die Zeit der Paß- und Zollkontrolle zur Verfügung zu stellen, bissen jedoch auf Granit. Immer wieder brabbelte die "Zwei Platzkarten!!!" und spreizte zur Unterstreichung Zeige- und Mittelfinger auseinander. Dabei hatte ihr einer der drei Männer der Band freundlicherweise die Kraxel in das Gepäcknetz gelegt! Na gut, wir ließen sie also samt ihrer auf der Sitzfläche abgestellten Käsefüßen in Ruhe und kamen untereinander ins Gespräch. Die beiden jungen Männer der Band flirteten ungeniert mit mir, was ich genoß, was jedoch der Sängerin überhaupt nicht zu gefallen schien. Immer wieder schielte sie ein wenig ungehalten zu mir rüber, bis wir in Prag hielten und die meisten Leute ausstiegen. Auch meine Reisebegleiter verließen das Abteil und ich kam mir nun ein bißchen verloren vor. Gelangweilt nahm ich meine Reisetasche zwischen die Füße und döste ein bißchen vor mich hin.

Plötzlich weckte mich ein Klopfen an der Fensterscheibe; draußen stand Tamas mit einem halben Liter Bier in einem Pappbecher. Er wollte sich auf diese Weise wohl für die angenehme Unterhaltung bedanken. Ich trank einen gierigen Schluck des wunderbar kalten Bieres, obwohl ich sonst einen großen Bogen um das Gebräu mache. Es schmeckte mir aber herrlich - und es machte müde und träge! Gerade wollte ich es mir bequem machen, da kam der nächste der beiden jungen Männer und brachte mir einen weiteren Becher Bier! Oh, wann soll ich das nur alles schaffen!? Na gut, höflich nahm ich also erst mal an und nippte von diesem Becher ein paar Schlucke. Endlich sollte der Zug weiterfahren. Meine beiden Charmeure und die junge Dame kamen zurück in mein Abteil, der Chef der Truppe blieb in Prag. Wir unterhielten uns noch bis Bratislava. Tamas und Milan (der zweite Kavalier) horchten mich aus; wollten wissen, wo ich hinwolle, warum ich nach Rumänien wolle und gaben mir gute Ratschläge für die Liebe, die bei den Rumänen gar nicht so gut sein sollte. Milan hätte am liebsten gesehen, wenn ich meine Reise in Bratislava beendet und meinen Urlaub bei ihm verbracht hätte! Ich ließ mich jedoch nicht beirren, blieb sitzen, als die drei ausstiegen und ließ sie hinter mir herwinken.

Bis zur Grenze betrieb ich noch ein bißchen Augenpflege, denn nun verlangte der Körper sein Recht auf Ruhe! Das inzwischen schal gewordene Bier warf ich samt Pappbechern aus dem Fenster, ich Umweltschänder! Die schöne slowakische Landschaft zog ungesehen an mir vorbei, während ich den Schlaf der Gerechten schlief. Niemand störte mich, das Abteil war in Bratislava leergeblieben! Mein Schönheitsschlaf wurde nur unterbrochen von der neuerlichen Grenzkontrolle. Neuerliches Bangen, aber es ging wieder alles gut, ich durfte sitzenbleiben und alles behalten. Beruhigt ließ ich mich wieder in meine Ecke fallen und war auch sofort wieder in Morpheus Schoß versunken. Die Donauüberfahrt hatte ich verschlafen, wurde erst munter, als das schön einlullende Geräusch des Zugfahrens verstummt war. Da standen wir nun bereits in Budapest, hatten über die Hälfte der Strecke hinter uns gebracht.

Der Express hatte eine ganze Stunde Aufenthalt, ehe es weitergehen sollte. Ich erhob mich, streckte die steifgewordenen Glieder, ging ein paar Schritte im Abteil hin und her und überlegte mir, ob ich nicht ein wenig nach draußen auf den Bahnsteig gehen und mir am Kiosk eine Cola holen sollte. Die Angst, daß in der Zwischenzeit mein Koffer und die Reisetasche gestohlen werden könnte, hielt mich davon jedoch zurück! Ich guckte nur einige Minuten aus dem Abteilfenster. Dabei entdeckte ich wenige Wagen vor mir ein Speisewagenabteil. Dorthin wagte ich mich dann aber doch und holte mir drei kleine Flaschen ungarischer Pepsi - Cola. Eine davon wurde sofort geköpft, die Westwerbung versprach  ja im täglichen Abendprogramm unendlichen Genuß, der einen vom Hocker reißen sollte und ich hatte Durst! Der erste Schluck davon war eine Katastrophe; das reinste Zuckerwasser, das noch nicht mal genügend Kohlensäure enthielt und auch noch warm war! Insgeheim verfluchte ich mich, soviel Geld zum Fenster herausgeworfen zu haben, aber es war nun nicht mehr zu ändern. Endlich ertönte der Pfiff des Zugbegleiters und der Balt-Orient-Express setzte sich wieder in Bewegung. Ich beschloß aus lauter Langeweile noch ein bißchen zu dösen. Diesmal war der Schlummer allerdings recht unruhig. Immer wieder schreckte ich auf, bis wir endlich Szolnok erreicht hatten und die Grenze nach Rumänien nicht mehr weit war! Auf den letzten Kilometern mußte ich schließlich auch noch mal das Abteil teilen - mit einer Studentin, die nach Cluj Napoca wollte und sich ein bißchen mit mir auf Deutsch verständigen konnte. Sie half mir nachher auch bei der Grenzkontrolle.

Diesmal hielten wir nämlich zweimal. Zunächst kontrollierten uns die Ungarn in Bihorkerestes, dann ging es weiter auf die rumänische Seite nach Episcopia Bihor. Dort wurden die Lokomotiven gewechselt und kamen die rumänischen Grenzbeamten in den Zug. Diesmal mußte ich auch meinen Koffer öffnen! Der Grenzbeamte guckte jedoch nur oberflächlich über die eingepackten Sachen, dann war die Sache erledigt. Nach etwa 15 - 20 Minuten ging die Fahrt weiter. Zwei Stunden dauerte es nun nur noch, bis wir in Cluj Napoca einfahren und ich Georg wiedersehen sollte. Rumänien empfing mich mit Dunkelheit und Nachtkühle. Zwei junge Mädchen wollten nach der Zollkontrolle noch von mir die voraussichtliche Ankunftszeit des Zuges wissen. Ich gab ihnen halbverschlafen Auskunft, vergaß jedoch, zu sagen, daß ab der Grenze eine andere Zeit herrschte, sie die Uhr eine Stunde vorstellen müßten. So lagen sie noch in süßen Träumen, als ich mich schon zum Aussteigen rüstete. Schnell guckte ich in ihr Abteil, weckte sie, entschuldigte mich und sagte, daß wir in wenigen Minuten auf dem Klausenburger Bahnhof einfahren würden. Aufgescheucht wie die Hühner suchten sie ihre Siebensachen zusammen und standen pünktlich bei der Einfahrt des Zuges neben mir an der Tür.

Endlich hielt der Zug und der Kräftigste von uns allen öffnete die Wagentür. Schon durch das längliche Bullauge hatte ich Georg auf dem Bahnsteig erspäht - er stand direkt vor unserer Tür! Schnell kam er ran, nahm Koffer und Reisetasche von mir in Empfang, half dann mir aus dem Zug und gab mir erst mal einen langen, innigen Begrüßungskuß. Zärtlich preßte er mich an sich, dann nahmen wir die Taschen auf und suchten den Bahnsteig auf, von dem aus unser nächster Zug abgehen sollte. Wir hatten noch sehr viel Zeit. Da er wohl mitbekommen hatte, daß ich fröstelnd vor mich hinzitterte, führte er mich in den großen Wartesaal von Cluj. Eine Woge mir unangenehmen Knoblauchgeruchs schwappte mir durch die geöffnete Tür entgegen und nahm mir fast den Atem! Inzwischen stinke ich selbst manchmal so, wenn ich mir beim Türken einen Döner geleistet habe, aber das jetzt nur am Rande. Zum damaligen Zeitpunkt war mir Knoblauchgeruch noch ein Greuel, noch dazu, wenn er mir in so konzentrierter Form entgegenwaberte! Ich nahm also all meinen Mut zusammen und tauchte in das Gemisch aus Knoblauch- und Schaffellgeruch ein und wir suchten uns einen freien Platz.Vorher aber wollte noch ein Angestellter der rumänischen Staatsbahn mein internationales Reiseticket sehen - quasi als Eintrittskarte! Georg hatte in der Zwischenzeit zwei Plätze für uns erspäht, auf die wir uns niederlassen und wo ich noch mal ein bißchen dösen konnte. Ich mußte aber wohl ganz fest eingeschlafen sein, denn auf einmal rüttelte er mich an der Schulter und bedeutete mir, daß unser Zug bald abfahren würde.

Wir verließen also den Wartesaal, Georg kaufte mir eine Fahrkarte, dann gingen wir auf den Bahnsteig und bibberten in der Morgenkühle! Ich hatte nur eine leichte Sommerjacke drübergezogen und merkte nun recht deutlich die Nähe der rumänischen Berge! Endlich aber hatte das Zittern ein Ende, unser Zug fuhr ein. Georg schob mich in das Abteil, reichte mir Koffer und Reisetasche rein und kam dann selbst nach. Wir suchten unsere Plätze und ließen uns darauf nieder. Aber nichts war es mit dem temperamentvollen Hinsetzen wie in Reichsbahnzügen. Wenn uns die auch schon recht hart vorgekommen waren, hier hatte ich das Gefühl, es gab noch eine Steigerung! Verstohlen massierte ich mir meinen Steiß, während Georg schon mit einem Mitreisendem ins Gespräch gekommen war. Sch...., wenn man die Sprache nicht kennt, wenn man sich nicht beteiligen kann! Ich begleitete ihn mit nach draußen vor das Abteil, denn wir saßen in einem Nichtraucherabteil und Georg durfte nur auf dem Gang seiner Sucht frönen. Ich stellte mich daneben, zog das Fenster runter und genoß den Fahrtwind und die schöne Landschaft. Wärmer war es inzwischen schon geworden, man konnte es aushalten. Unsere Fahrt war in Dej zu Ende, Georg hatte so Pläne gemacht. Er wollte mich gleich am ersten Tag in ein Bahnhofsrestaurant ausführen und hatte eben das von Dej gewählt. Als ich ein Auge in diese Kaschemme geworfen hatte, war ich von diesem Plan aber überhaupt nicht begeistert und auch mein Kavalier nahm später davon Abstand. Das war ja finsterstes Mittelalter, waren Zustände wie in der verräucherten Bahnhofskneipe von Bernburg, beinahe noch ein bißchen dreckiger. Keine gute Idee und so zogen wir mit dem nächsten Schnellzug bis Salva. Himmel, sollten wir denn nun noch einige Male umsteigen?!

Nein, Georg schnappte sich meinen Koffer, ich nahm die Reisetasche und wir gingen durch Salva hindurch bis an eine Straßenkreuzung. Dort warteten wir auf eine Mitfahrgelegenheit. Langsam wurde es auch heißer, wurde mir meine Original - Goldfuchs - Jeans zu viel. Die Schweißperlen liefen mir nur so über die Stirn! An besagter Kreuzung standen nun aber weiß Gott nicht nur wir beide! Die Stelle muß die Funktion einer Haltestelle übertragen bekommen haben, denn mit uns warteten noch etliche, daß sie irgendwie weiterkommen würden. Unter anderem hatte ich hier auch mein erstes Erlebnis mit einer Zigeunerfamilie. Die Anzahl der Kinder hab ich im Laufe der Jahre vergessen, aber ich weiß noch, daß die Matka dem Jüngsten eine Strumpfhose übergezogen hatte, die wohl einen halben Meter zu lang war. Fein säuberlich wurden die Falten auf dem dünnen Kinderbeinchen verteilt und dann durfte Junior mit den anderen spielen. Natürlich bleiben solche Falten für gewöhnlich nicht da, wo man sie hingezogen hat und so dauerte es nicht lange, da flitzte das Zigeunerkind über die Straße, immer bemüht, sich nicht auf die eigenen Fußangeln zu treten. Das hieß, zunächst kam ein halber Meter Strumpfhose, dann erst das kleine Kinderfüßchen! Einen Fotoapparat hatte ich mit, aber die Roma waren damals noch der Ansicht, daß man damit ihre Seele zerstört, daß sie vom Fotografieren Schaden nehmen. Ärger wollte ich nicht haben, also verzichtete ich auf dieses lustig wirkende Motiv. Inzwischen lassen sie ja mit sich reden, aber damals war das ein strenges Tabu!

Wir standen nun schon eine ganze Weile an der Wegkreuzung und Georg und ich hatten meinem Koffer schon eine tiefe Beule eingesessen, da kam endlich eine Mitfahrgelegenheit in Sicht - ein  Ifa-W50 mit Aufbau, bei uns "Hühnerwagen" genannt. Hier aber waren keine Fenster und auch keine Bänke vorhanden. Die wurden ersetzt durch mehrere Bretter, die einfach auf Böcke genagelt waren. Diese Sitzfläche ging rinsrum und in der Mitte saßen die harten Burschen. Nur schade, daß man nichts sehen konnte. Die Serpentinen, wenn es den Berg rauf oder runter ging, konnte man nur erspüren, wenn man von der einen auf die andere Seite fiel, oder wenn ich gleich mal in der Wagenmitte auf den Anderen landete! Der Fahrer legte einen ganz schön rasanten Fahrstil an den Tag! Plötzlich gab es eine Vollbremsung; alles fiel zur Mitte und die Tür wurde aufgerissen. Für Georg und mich war hier Ende der Reise - die anderen wollten weiter mit nach Moisei. Wir bedankten uns fürs Mitnehmen, nahmen Tasche und Koffer auf und gingen nach links, in der schönsten Mittagshitze. Georg führte mich über die schönsten Berge, durch die malerischsten Täler; ich wußte nur eins - meine Arme wurden immer länger und ich wollte endlich angekommen sein! Als Georg dann noch sagte, daß wir nun noch zehn Kilometer zu laufen hätten, hingen mir die Fletche ganz nach unten! Also blieben wir irgendwo in der Landschaft stehen, verpusteten uns und warteten; ja auf was warteten wir da eigentlich? Auf einen Bus! Er hielt plötzlich neben uns und ich war ordentlich erschrocken, was da so auf rumänischen Straßen herumfuhr! Den Bus hielt wohl nur noch der Rost zusammen, sonst wäre er vor unseren Augen auseinandergefallen! Mit gemischten Gefühlen betrat ich ihn, lächelte unsícher den Fahrer an und suchte mir einen Platz ziemlich weit hinten. Der Bus ruckte an und das Getriebe knarrte verdächtig. "Na, ob Du weit mit der Kiste kommst?", dachte ich noch so bei mir; da standen wir schon - Getriebeschaden! Der Fahrer fummelte erst noch ein bißchen und Georg (er hatte Autoschlosser gelernt) bot ihm seine Hilfe an, aber auch gemeinsam war nichts mehr zu machen. Wir hatten Endstation, hatten es gerade so bis zum Beginn einer Stadt geschafft! Treu und brav trabte ich neben meinem Begleiter her, wischte mir wieder mal den staubigen Schweiß von der Stirn und fühlte mich hundeelend. Die Sonne brannte von oben und stich mir gewaltig ins Gehirn! Da meinte doch der Kerl so ganz nebenbei: "Aber wir sind immerhin in Oberwischau!" Ich hätte ihm um den Hals fallen können und mitten auf der Straße abknutschen! Nun waren es nur noch wenige Kilometer, bis wir "zu Hause" waren.

Meine Neugier auf diese Kleinstadt war geweckt und interessiert schaute ich mir die Häuser in den einzelnen Straßen an, die wir durchquerten. Es gab große und kleine Häuser wie bei uns, allerdings in typischer rumänischer Bauweise und sogar zwei Wohnblocks hatte Viseu de Sus aufzuweisen. Sie stehen am Zusammenfluß von Viseu und Vaser, kurz bevor man über die klaane Brucken geht, wie die Zipser diese Brücke nennen. Dann gibt es noch die große und die Puntje. Aber dazu später. Jetzt muß ich erst mal zu Georgs kleinem Häuschen kommen! Wir gingen durch die Straßen der Zipsereih
und plötzlich meinte Georg: "Wo willst Du denn noch hin? Wir sind da, sind
angekommen!"

Ein kleines, schwarz gebeiztes Häuschen mit nur einer Etage, in der sich Georgs Zimmer, die Küche, die Stube und die "gute" Stube befanden, und kleinem Nebengelaß empfing mich. Drinnen hatte man schon auf uns gewartet. Ein etwa siebzehnjähriges Mädchen schmiß den Haushalt, Georgs Mutter lag gerade im Spital. Ani wurde mir als Cousine vorgstellt und sie und Georgs Schwestern Teri und Mariana begrüßten mich mit einem Küßchen auf die Wange. Anschließend konnten wir uns zum Essen niederlassen. Ani hatte eine Grüne Bohnensuppe gekocht, in die zur Bindung Schmand oder süße Sahne eingerührt wird. Anschließend konnte ich meinen Koffer auspacken und ein kleines Nickerchen nehmen. Gegen Abend gingen wir dann erst mal zur Miliz, mich anmelden. Hier gab es Streß; die Behörden wollten mich nicht bei Beskids schlafen lassen. Ich müßte ein Zimmer im Hotel nehmen, hieß es und der typische Beamte blieb auch stur, als Georg ein gutes Wort für mich einlegte. Ich muß ziemlich unglücklich ausgesehen haben, auch noch bei Georgs Mutter im Spital; denn sie überlegte gemeinsam mit ihrem Sohn, was man in der Situation machen könne. Wir beschlossen schließlich gemeinsam, daß ich trotzdem "zu Hause" schliefe und wir nur Badelatschen Hauskittel und ein Paar Badelatschen in das Hotelzimmer stellen wollten. Gesagt, getan. Wir gingen nun wieder zuversichtlicher nach Hause und Georg schnappte sich das Fahrrad, meinen Personalausweis und ein paar Sachen seiner Schwestern zum Anmelden und fuhr noch mal zum Hotel Cerbul, belegte ein Zimmer für mich, in dem ich nie geschlafen habe!

Am nächsten Tag begannen die Verwandten- und Bekanntenbesuche und Georg stellte mir sooo viele Cousins und Cousinen vor, daß ich zum Schluß der Meinung war, die ganze Zipsereih wäre miteinander verwandt! Zunächst aber gingen wir am anderen Morgen zu den Nachbarn, dessen Sohn Georgs Kumpel war. Dort wurden gerade Kremsl vorbereitet, eine Art Kartoffelpuffer, die hier jedoch pur und mit einer Tasse Milch gegessen wurden. Man guckte mich deshalb ganz verwundert an, als ich nach Zucker fragte. Genüßlich biß ich in meinen schön gezuckerten Kartoffelpuffer und erklärte hinterher, daß man die bei uns so oder mit Apfelmuß essen kann. Mein Opa hatte sich früher immer noch eine Tasse starken Kaffee brühen lassen, aber das erzählte ich lieber nicht. Man hätte mich sonst noch im Kaffee ertränkt! Es folgten dann noch mehrere solcher Besuche und überall stand zunächst das Essen im Vordergrund, wurde man zunächst bewirtet mit allem, Schön gemästet, daß man sich hinterher nicht mehr bewegen konnte und kam man dann zu seiner Gastfamilie, hieß es - Wieder essen! Ani gab sich reichlich Mühe und sie werkelte in der Küche der Beskids wie ein Profi!

Überhaupt war ich sehr viel mit den drei "Frauen" allein, denn Georg hatte sich mit seinem Ingenieur überworfen, wollte Urlaub, der ihm nicht genehmigt worden war und er hatte einfach alles hingeworfen. Nun hieß es neuen Job suchen und er war fast die ganze Zeit über, in der ich bei ihm zu Besuch war, auf Achse. Ani oder Teri nahm mich dann ab und zu mal mit in die Stadt, wenn sie was einzukaufen hatten; zeigten mir auch den Sportplatz am anderen Flußufer. Und hier sollte ich nun die Puntje kennenlernen, wie sie hier genannt wird. Das ist eine kleine Holzbrücke, die quasi freischwebend an zwei Stahlseilen befestigt über das Ufer gezogen wird, ähnlich der Kettenbrücke im Landschaftspark Wörlitz. Ihr fehlten damals schon einzelne Bretteile, so daß ich sie immer wieder mit gemischten Gefühlen betrat und außerdem noch gegen ein aufkommendes Schwindelgefühl ankämpfen mußte! Ich war eben nicht hier großgeworden, kannte soetwas nicht. Trotzdem hielt ich tapfer durch, achtete jedoch stets darauf, daß mir beim Betreten des kleinen Steges keiner in die Quere kam, aber immer jemand in der Nähe war. Mariana und Teri bekamen die Anweisung, entweder zuerst über die Brücke zu gehen oder mich vorzulassen. Verständlich, daß sie sich nicht immer daran hielten und sich dann halbtot lachten, wenn ich mich krampfhaft an einem der beiden "Geländerseile" festkrallte! Der Bruder hatte sich da ja einen schönen Angsthasen angelacht!

An einem Nachmittag meines Besuches konnte ich auch endlich mal mit Georg allein in die Stadt gehen. Ich wollte einige Mitbringsel für die eigene Familie zusammentragen und dazu brauchte ich seine oder die Hilfe seiner Schwester - einer mußte dolmetschen. Da ich der rumänischen Sprache damals überhaupt noch nicht mächtig war, las ich ein Ladenschild so, wie es geschrieben war "Deschis" und erntete damit ein Riesengelächter von Georg. Anschließend klärte er mich aber auf, daß dieses Wort "Deskis" gesprochen wird und Geöffnet heißt. Na gut, ich lachte mit, mir blieb ja nichts weiter übrig.

Im Nu war diese Woche rum und es kam der erste Sonntag meines Aufenthaltes, der 26.07.83. Georgs Mutter war inzwischen wieder nach Hause gekommen und hatte ihre Hausfrauenpflichten voll übernommen. Morgens machte sie mir eine kleine Portion eines Gerichts, daß man auf zipzerisch Brinsndockn nennt: rumänisch Mamaliga si Brinza (Maisgrieß mit Käse). Hmmm, das schmeckte mir ausgezeichnet! Nachdem auch Georg aus den Federn gefunden und gefrühstückt hatte, sollten er, seine Schwestern und Ani mich mit in die Oberwischauer Kirche nehmen. Schnell warf ich mir noch eine etwas wärmere Jacke über, denn die Kirchen haben meist an sich, daß es in ihnen kühl ist. Ich hatte auch recht daran getan, denn die Andacht zog sich über eine Stunde hin! Nach altkatholischer Sitte saßen hier noch die Männer auf der einen und die Frauen auf der anderen Seite. Georg hatte seinen Platz und ich mußte hinten bei den beiden Mädchen stehenbleiben! Die Augen liefen mir fast über! Was für ein wunderschöner Altar, welch ein Glanz; welch ein Gegensatz zu unserem einfachen Poleyer Kirchlein! Die ganze Messe über konnte ich nur staunen über diese Helligkeit; dabei hatte ich noch nicht einmal die orthodoxe Kirche gesehen!

Als wir zurückkamen war unser Mittagessen fertig, Hühnerbeine mit gestampften Kartoffeln, Knoblauchsoße und sauer eingelegten Bohnen. Schmeckte nicht schlecht, trotz des Knoblauchs! Nachmittag machten wir dann wieder diverse Besuche bei den Verwandten und kamen erst zum Abendessen wieder nach Hause. Im Übrigen waren wir nur etwa eine halbe Stunde vor dem Schlafengehen allein, wenn ich noch ein bißchen unter seine Bettdecke schlüpfte - angezogen oder wir trafen rein zufällig zu einem Gutenachtküßchen auf dem Hof aufeinander! Sonst hatten wir zwei immer irgendeinen Anstandswauwau im Schlepptau, so daß dem lieben Jirko nichts passieren konnte. Mir aber auch nicht! Damals war ich noch der Meinung, aus uns beiden würde was; trotz der weiten Entfernung, trotz der unteschiedlichen Kofessionen!

Die Woche ging schließlich auch irgendwie über die Bühne, mal ging ich mit Ani in die Stadt, mal mit Teri. Oder wir lagen alle vier auf Beskids Couch gelümmelt und sahen in die Ferne, obwohl ich überhaupt nichts davon verstand, was da gequatscht wurde! Und wenn ich vormittags nichts mit mir anzufangen wußte, guckte ich Mariana beim Hausaufgabenmachen über die Schultern. Zum nächsten Wochenende war eine kleine Geburtstagsfeier bei Nachbars geplant. Gerhard wurde ein Jahr älter und das sollte gebührend gefeiert werden. Hier sollte ich nun also die Art und Weise, wie man hier in Oberwischau feiert, zu erfahren bekommen. Es war nicht richtig eingeladen worden, dafür brachte aber jeder, der kam, etwas Eß- oder Trinkbares mit in die Runde - jeder, was er konnte! Einen Kassettenrecorder hatte man auch aufgetrieben, jetzt ging die Post ab! Es wurde gegessen, getrunken und getanzt, daß bald die Dielen durchgebogen waren. Ich war richtig ausgelassen und gemeinsam mit Georg spann ich mir eine schöne Zukunft zusammen! Morgens halb vier gingen wir erst zu Hause in unsere Betten. In wenigen Stunden sollte es schon wieder aus den Federn gehen, es war nämlich ein Ausflug mit Picknick im nahe gelegenen Weintal geplant.

Halb acht ging es aus den Federn, wurde die Morgentoilette gemacht und wurden die Sachen für das Picknick gepackt (Georgs Mutter briet uns noch zwei Hühnchen), dann ging es ab. Wir wanderten zunächst am Ufer der Viseu und dann über viele verschiedene Wiesen, an Äckern und Gärten vorbei, über Bergalmen und kletterten über Zäune, bis wir endlich auf einer malerischen Wiese angekommen waren. Hier wurde die mitgebrachte Decke ausgebreitet und wir machten es uns darauf bequem. Die Männer suchten die nahe gelegene Mineralwasserquelle auf, holten uns etwas Erfrischendes zu trinken. Pech für mich war nur, daß das eine schwefelhaltige Quelle war und die Erfrischung somit nach fauligen Eiern roch. Da ich ohnehin keine große Seltertrinkerin bin, genehmigte ich mir nur die Hälfte einer kleinen Plastetasse und ließ den Rest schal und warm werden.

Im Übrigen kam ich mir auch noch ein wenig verloren vor, denn der Mann, zu dem ich eigentlich gekommen war, beachtete mich hier kaum, schäkerte hingegen immer nur mit der Ani herum, die eigentlich auch mit ihrem Freund mit in die Berge gekommen war! Auf dem Plateau hatte sich noch eine Familie eingefunden, die mir Georg ebenfalls als Verwandtschaft vorstellte, und mit den Frauen unterhielt ich mich später über die Lebensbedingungen in den einzelnen Ländern. Sie hatten einen Kassettenrecorder mit in die Berge gebracht und auf einer Kassette leierte ein mir wohlbekanntes Lied: "Sing, mei Sachse, sing"!  Schließlich hieß es: "Wir gehen noch zum Felsen!" Die Decke ließen wir liegen, darauf paßten die Verwandten auf, während sich die Kinder uns anschlossen. Wir gingen also querfeldein und standen irgendwann vor einem steil in die Höhe ragenden Fels! Darauf sollte ich nun; ich die ich doch so unsportlich war! Na gut, ich versuchte mein Bestes, Georg schob von unten, Jonku zog von oben und oh Wunder, ich war oben! Die Aussicht in die Landschaft ringsum entschädigte mich für die "Mühen" des Aufstiegs! Es war einfach überwältigend! Der Genuß wurde nur getrübt, da ich, die ich ja solche Höhen ungewohnt, ständig Angst hatte, herunterzufallen! Trotzdem kicherten und lachten wir junges Volk, was das Zeug hielt, Georg ließ einige Fotos machen und machte auch selbst welche, leider nur von uns und kein einziges von der Landschaft (ich hatte meinen kleinen Certo nicht mitgenommen, aus Angst, ihn zu verlieren) Schließlich holten wir von der Wiese unsere Decken und sonstigen Picknickutensilien ab und wanderten wieder in Richtung Viseu de Sus. Unterwegs spendierte ich meine Hose, dessen Beine Georg mit einem Knoten zusammenband und wir sammelten im angrenzenden Wald Pilze. Ich auch, aber ich kannte keine! So kam es, daß man von den dreien, die ich gefunden hatte nur einen einzigen in die Hosenbeinröhre werfen konnte.Egal, ich freute mich auf das Pilzgericht, das uns Frau Beskid von unserer Ausbeute machen würde und mußte ansonsten sehr auf den Weg achten. Es konnte sonst schon mal passieren, daß man in einen frischen oder etwas älteren Kuhfladen trat; vor allem, wenn wir die kleineren und größeren Bergalmen überquerten. Endlich ging es wieder im Gänsemarsch am Flußufer entlang und ich wußte, daß es nicht mehr weit sein würde bis nach Hause. Das Kombinat war schon auszumachen. Oberwischau hatte uns wieder! Frau Beskid fragte mich nach meinen Eindrücken und ob es mir gefallen hätte. Oooh ja, das hatte es! Müde, aber glücklich und zufrieden ging ich an diesem Abend in meine Falle und schlief auch sofort ein.

In der nächsten Woche führte mich Georg noch in das Oberwischauer Kino. Es sollte der Film "Melodien in Costinesti" (frei übersetzt) laufen, irgend so ein propagandistisch angehauchter Schinken mit undruchsichtigem Inhalt - erst recht für mich, die ich ja überhaupt nicht verstand, um was es da ginge! Einer nach dem Anderen verließen das ohnehin schon fast leere Kino und auch wir letzten der Mohikaner ergriffen schließlich die Flucht. Der Fimvorführer brach die Vorstellung ab, es lohnte sich nicht mehr, vor einem leeren Saal zu spielen.

Die schöne Zeit war dann leider viel zu schnell vorbei und Georg mußte mich zurück nach Klausenburg bringen, von wo aus ich mit dem Balt-Orient-Express zurück in meine Heimat fuhr. Er wollte mich noch zum Weinhachtsfest einladen (das soll durch das Herodesspiel der jungen Burschen ganz besonders schön sein), ich mußte aber ablehnen, so gern ich dabeigewesen wäre. Ich hab aber zwei geistig behinderte Schwestern, die in einer diakonischen Einrichtung untergebracht sind und in jedem Jahr zu Weihnachten nach Hause geholt worden waren. Sie hätten es zu dem Zeitpunkt noch nicht verstanden, wenn sie hätten im Heim bleiben müssen. Ich versprach Georg also, im nächsten Jahr so früh es ginge wieder nach Oberwischau zu kommen, aber das ist schon wieder eine neue Geschichte. Es wurde eine Liebesenttäuschung; sicher, die Entfernung war zu weit, aber das Interesse an diesem Land hat mich nie ganz losgelassen! Immer wieder horchte ich auf, wenn es in die Schlagzeilen kam und als überall die Wende stattfand, war ich noch zweimal unten, immer privat untergebracht.

Petra Markgraf / Wolfen


zurück / înapoi