Reise zu den Haustieren der Karpato-Ukraine
Traxler Berthold / Österreich
berthold_traxler@hotmail.com - http://www.sauschneider.info/
Ich hatte diesen September das große Vergnügen, mit Hans-Peter Grünenfelder, einen entlegenen Winkel Europas, die Karpato-Ukraine bereisen zu können. Herr Grünenfelder ist der derzeitige Präsident der europäischen Stiftung SAVE, welche ein Monitoring Projekt über gefährdete Nutztierrassen und Kulturpflanzen im Karpatengebirge durchführt. Die Karpaten erstrecken sich über die Länder Rumänien, Polen, Slowakei und Ukraine. Gerade in solchen Gebirgsgegenden mit traditioneller Landwirtschaft findet man oft noch eine große Anzahl alter Nutztierrassen und Pflanzensorten. Die Karpato-Ukraine, auch Transkarpatien genannt, stellte für uns noch "Terra incognita" dar, während wir die Nachbarländer schon mehrfach bereist haben.
Die Geschichte Tarnskarpatiens war geprägt von ständig wechselnden Machtverhältnissen. So war das Gebiet bis zum ersten Weltkrieg Teil der Habsburger Monarchie, später gehörte es zur Slowakei, dann zur Sowjetunion und ist nunmehr Teil der unabhängigen Ukraine. Die größten Bevölkerungsteile bilden Ukrainer, Russen, Ruthenen, Ungarn, Rumänen und Slowaken. Daneben leben als Minderheiten Polen, Deutsche, Roma und Juden. Dieses bunte Völkergemisch, verbunden mit der Entlegenheit der Gegend gab berechtigte Hoffnung, in diesem Bereich noch auf traditionelle Nutztierrassen zu stoßen. Die Waldkarpaten mit ihren sanften Gebirgszügen, riesigen Buchenurwälder und kleinen Dörfern sind allemal eine Reise wert. Das Leben der Transkarpatier ist aber geprägt von bitterer Armut. Aus Mangel an Bargeld herrscht der Tauschhandel vor. Not und Arbeitslosigkeit führen oft zu Alkoholismus. Seit dem Zerfall des Sowjetsystems liegt die Wirtschaft am Boden. Fast alle Fabrikanlagen und oft auch die Kolchosen, denen wir in der Nähe häßlicher Betonsiedlungen begegneten, stehen leer. Es gab ohnehin nie viel Industrie in dieser Grenzregion. So ist die Landbevölkerung nach wie vor ein fast reines Bauernvolk. Jeder konnte uns auf Fragen zur Landwirtschaft etwas erzählen. Überhaupt sind die Menschen äußerst hilfsbereit und gastfreundlich. Die Ausflüge in die verschiedenen Regionen wurden von Ushgorod, der Hauptstadt Transkarpatiens, gestartet. Fahrer und Dolmetscherin wurden von einer NGO, dem LIK ( Literatura i Kultura) organisiert. Es wird von engagierten und kompetenten jungen Studiumabgängern geleitet. Von ihnen lernten wir viel über das Leben und die Probleme der heutigen Ukrainer. In den Dörfern befragten wir zu allererst den örtlichen Tierarzt (die übrigens alle, außer einem, betrunken waren!), Zootechniker und gegebenenfalls die Chefs von Kolchosen. Dann ging es weiter zu älteren Leuten und schließlich zu den Bauern.
Zu unserer Enttäuschung und entgegen anders lautenden Behauptungen war die Karpato-Ukraine bis auf ein paar widerständige Dörfer voll kolchosiert. Selbst im letzten Dorf des entlegensten Tales sahen wir die großen, kahlen Kolchosegebäude. Die Konzentration des gesamten Viehbestandes auf wenige große Herden wirkte sich negativ auf die Vielfalt der Haustierrassen aus. Was wir dennoch an interessanten Rassen gefunden haben, darüber im folgenden. Haustierkundlich interessant sind sicherlich die Karpatenbüffel, von denen im flachen Grenzgebiet zu Rumänien, entlang der Theiß, etwa sechzig Stück überlebt haben. Sie stellen wohl eine der nördlichsten Verbreitungsgrenzen des Wasserbüffels dar. Früher wurden die Karpatenbüffel mit ihren weitausladenden Hörnern als zähes und kälteunempfindliches Arbeitstier sehr geschätzt. Aus der Milch (ca. 10 Liter pro Tag) stellt man Käse her. Leider hat man vor zehn Jahren in der heute aufgelösten Büffelkolchose den bulgarischen Murrahbüffel eingekreuzt. Diese Rasse liefert zwar mehr Milch, ist aber empfindlicher und anspruchsvoller als die Karpatenbüffelrasse. Besonders die weiblichen Tiere sind aber noch großteils rasserein und können auch recht alt werden. Eine gewisse Hoffnung für den Fortbestand der Büffel im Gebiet der Theiß ist die Verwaltung des Biosphärenreservats in Rachiv. Diese will in einem Narzissental aus touristischen Überlegungen eine Büffelherde aufbauen. Es bestand aber nur geringes Wissen über das Vorhandensein einer lokalen Rasse, vor allem über deren akute Gefährdung. Es wäre sicherlich interessant mit der staatlichen Büffelzuchtstation in Rumänien, wo ebenfalls Karpatenbüffel gezüchtet werden, Kontakte aufzunehmen.
Transkarpatien ist ein Stammland der sehr ursprünglichen Huzulenponys. Nach dem Zerfall der Kolchosen wurden die Zuchttiere an Bauern verkauft. Sie stehen verstreut im Arbeitseinsatz und werden meist einfach mit dem nächstbesten Hengst belegt. So ist die Zahl der Elitepferde auf wenige Einzeltiere geschrumpft Die Bauern nennen hier fast jedes Pferd Huzul. Eine Hoffnung für diese alte Rasse ruht auf Vasyl Garat. Dieser engagierte "Cowboytyp" hat mit einer kleinen Herde die planmäßige Zucht begonnen. Er versucht an einem wunderschönen See ein Reitercamp für künftige Touristen aufzubauen. Wenn man sieht, unter welch schwierigen Bedingungen er dieses Unterfangen in Angriff nimmt, so muß man anerkennend den Hut vor ihm ziehen. Beim Huzulenpony, dessen Hauptfarbe der Mausfalb mit Aalstrich und Zebrastreifen an den Rohrbeinen ist, unterscheidet man drei Typen. Vom schweren Typ für die Waldarbeit gibt es in Transkarpatien nur mehr sieben Stuten! Sie werden auch nicht mehr belegt, da sie zur Arbeit benötigt werden.
Bei den Rindern herrscht ein wildes Rassegemisch vor. Zur Zeit der sowjetischen Planwirtschaft wurde, nach Auskunft eines Zootechnikers, in manchen Gebieten alle fünf Jahre die Rasse gewechselt. Einigermaßen reinrassig sahen wir in den Bergen eigentlich nur das burokarpatische Braunvieh. Es führt Blut vom Montafoner und Schwyzer Braunvieh. Von der kleinen rotbraunen Ausgangsrasse Mokanj dürfte reinrassig nichts übriggeblieben sein. Es verschwand wohl auch das kleine Alamska Steppenrind. Interessanterweise ist die Farbe des burokarpatischen Viehs sehr variabel. Von hellbraun, über rötlich bis fast schwarz kommen alle Schattierungen vor. Ob die gestromten Tiere, die wir in einer Region immer wieder sahen, auch zu dieser Rasse gehören, ist noch abzuklären. Glücklicherweise hat die Regierung in Kiev ein Erhaltungsprogramm für diese Bergrinderrasse gestartet. Es wird vom landwirtschaftlichen Institut Bakta koordiniert.
Auf allen Bergrücken und Wäldern der Karpaten werden große Schafherden gehütet. Die Hauptrasse stellt das ukrainische Bergschaf dar. Von der Ausgangsrasse, einem Wallachenschaf, sahen wir nur mehr kleine Gruppen, bzw. Einzeltiere. Die Schafzucht steckt generell in der Krise. Einerseits sind die Preise für den Schafskäse stark gesunken und andererseits fallen in den Wäldern viele Tiere den Wölfen zum Opfer. Diese wiederum mußten auf Haustiere als Nahrung ausweichen, da es in Transkarpatien aufgrund der enormen Wilderei nur mehr sehr wenig Wild gibt. Besonders an der polnischen Grenze waren unglaubliche Geschichten von Wölfen das Haupthema der Dorfbewohner!
Gegen die Bedrohung durch Wölfe hält man hier die Karpatenherdenschutzhunde. Die großen, stets weiß gefärbten Tiere mit aufgedrehtem Schwanz laufen selbständig mit den Schafherden. Die Welpen werden ab der achten Lebenswoche isoliert von Hunden und Menschen in Schafställen großgezogen und dadurch auf die Schafe geprägt. Sie fühlen sich fortan gleichsam als Schaf und verteidigen sie als ihre Rudelmitglieder. Es kann gefährlich werden, wenn man sich ohne vorherige Kontaktaufnahme mit den Hirten, diesen mächtigen Hunden nähert. Ich wurde selbst einmal in Rumänien von so einem Hund bis an die Waldgrenze gejagt. Dann kehrte er zu den Schafen zurück. Dieser Hund trug einen schweren Klöppel um den Hals, der ihm, falls er Wild hetzen sollte, schmerzlich gegen die Vorderbeine schlägt. Um den Wölfen im Kampf weniger Angriffspunkte zu bieten werden den Karpatenhunden die Ohren fast gänzlich kupiert.
Die Ziegen der Karpato-Ukraine sollen groß, zottelig und schwarz bis rot gewesen sein. Man schenkt hier den Ziegen nur wenig Beachtung. Vom alten Typ konnten wir in den Dörfern verstreut nur noch ein paar Einzeltiere sehen. Sie werden von der weißen slowakischen Milchziege verdrängt. In fast allen Herden waren übrigens einige Ziegen kurzohrig. In kleineren Gruppen sahen wir des öfteren die schwarze russische Orienburgziege. Sie wird auch Daunenziege genannt und liefert weiche Wolle. Sie wurde aber erst kürzlich aus Rußland eingeführt und scheint nicht sonderlich beliebt zu sein.
An Schweinen sahen wir nur Hybridrassen, teilweise auch scheckige "Mischkulanzen". Das Schweinefleisch hat in der Ukraine den dreifachen Wert von Rindfleisch und deshalb hat man schon seit langem auf intensive Hybridrassen umgestellt.
Die Imkerei ist in den ukrainischen Karpaten recht verbreitet. Gearbeitet wird mit der grauen Karpatenhonigbiene. Sie ähnelt der Carnicarasse, ist sanftmütig und liefert gute Erträge. Einen Gutteil des Gewinnes für die Imker machen Ableger aus, die jeden Frühling nach Sibirien exportiert werden. Teilweise ist die Karpatenrasse aber mit einer Bienenrasse aus dem ukrainischen Kornland verkreuzt. Diese trägt zwei gelbe Bauchringe.
Beim Geflügel konnten wir überall recht einheitliche Landgänse und Landputen, letztere auch in "cröllwitzerfarbig" sehen. Bei den Hendln hörten wir vom sogenannten grünbeinigen Vorkarpatenhuhn und vom Kuckuckshuhn. Ob es diese Rassen noch gibt, ist fraglich, es gibt ja nur einzelne Hobbyhalter.
Bei den landwirtschaftlichen Nutzpflanzen scheint noch eine große Sortenvielfalt vorhanden zu sein. Als ein Heimatland der Wildrebe brachte man hier viele Rebsorten hervor. Wie beim Steinobst und Gemüse fehlen hierzu allerdings genauere systematische Erhebungen.
Wenngleich die Vielfalt bei den Haustieren der Karpato-Ukraine nicht so groß wie erwartet war, haben wir dennoch einige interessante ursprüngliche Rassen gefunden. Viele davon sind akut vom Aussterben bedroht und es besteht dringender Handlungsbedarf zu ihrer Erhaltung.
Die Waldkarpaten und ihre Bewohner werden uns lange in Erinnerung bleiben.
TRAXLER Berthold, Wien im November 1998
Verfaßt zur Veröffentlichung in der Zeitschrift "Arche" des Vereines für aussterbende Haustierrassen
Berthold Traxler (Österreich) - berthold_traxler@hotmail.com - http://www.sauschneider.info/
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