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Kletterabenteuer "Blauer Riss"

Peter Popp


Im grossartigen Felszirkus der Bucegi

Welch anspruchsvolle Bergfahrten Alpinisten in den rumänischen Karpaten erleben können, schildert auch dieser Bericht von Peter Popp von der Sportgemeinschaft Dynamo Elbe, Dresden.

Wir hatten unser Zelt auf einer kleinen Lichtung etwas oberhalb von Busteni aufgestellt und hofften auf ein Ende des seit Tagen währenden Dauerregens. Nicht eine Spur gaben die Nebelschwaden von der Bergkulisse der "Weissen Wand" frei, die sich über dem Tal befinden sollte. Vor etwa einer Woche war es uns gelungen, sozusagen als Einführungstraining in einer Regenpause die herrliche klassische "Genussroute" des "Grossen Überhanges" (Surplomba mare) in der Gelben Wand zu begehen. Nun sollte dieser Tour die Durchsteigung der "Fisura albasträ diretissima", des Blauen Risses, folgen, deren "mundgerechte" Beschreibung von Walter Kargel wir einem der in der DDR so beliebten "Komm mit"-Bändchen der vergangenen Jahre entnommen hatten.

Nun aber neigte sich der Urlaub schon langsam dem Ende zu, fast war nichts Trockenes mehr an uns, und wir begannen leise zu befürchten, ohne Erfüllung unseres grossen Wunsches heimfahren zu müssen.

Nachdem wir uns in den vorangegangenen Jahren bei der Besteigung von Pik Korshenewskaja (7105), Pik Lenin (7134 m) und Pik Kommunismus (7 495 m) in den Eiswüsten und der dünnen und kalten Luft des Pamir herumgeplagt hatten, erfüllte uns so richtige Sehnsucht, wieder einmal in sonnigen, warmen Felswänden zu klettern, ohne dass einem der Sauerstoffmangel die Brust abschnürt und die Kälte die Zehen fast zum Abspringen bringt. So fassten wir den Entschluss, nach Rumänien ins Bucegi-Gebirge zu fahren, und waren nun hier auf dieser Waldwiese angelangt.

Ursprünglich sollten wir vier sein, aber dann blieben nur noch, Steffen, Wolfram und ich übrig, was zugegebenermassen nicht einer optimalen Zusammensetzung entsprach; da eine Dreierseilschaft etwa 50 Prozent mehr Zeit zur Durchsteigung einer Route benötigt als zwei Zweierseilschaften. Aber uns drängte ja nichts, und manchmal ist etwas Gemächlichkeit dem Genuss einer Bergtour sogar zuträglich.

Da, auf einmal, es war schon Mittagszeit, blickten erstmals wieder vereinzelte Sonnenstrahlen durch Wolkenlöcher auf uns herab und der Regen gönnte sich erst vereinzelte, dann immer mehr zusammenhängende Pausen.

"Wenn wir es morgen nicht packen, ist unsere Chance für einige Jahre passé", urteilte Wolfram, und so beschlossen wir, unsere Ausrüstung noch am heutigen Nachmittag hinauf zum "1. Amphitheater" an den Einstieg des "Blauen Risses" zu bringen, das sich etwa 800 m über unserem Lager befindet.

Bald schon stapften wir, anfänglich über steile Waldwege, dann durch felsige Rinnen, deren nasses Gras unsere Schuhe bald durchweicht hatte, aufwärts und erreichten gerade in dem Moment den grossartigen Felszirkus, aus dessen Arena der Blaue Riss emporsteigt, als sich wieder einmal die Wolken öffneten und der Nachmittagssonne Gelegenheit gaben, die vor uns aufragenden Felswände in fahles Gelb zu tauchen, Ein gewaltiger Anblick. Anfangs aus schrofigem, mit viel Gras bewachsenem Gestein, zieht sich, von einigen Überhängen unterbrochen, ein gezackter Riss empor, dessen Mittelteil zu beiden Seiten tatsächlich ein tiefblaues Glitzern aufweist und der in einigen hundert Meter Höhe in riesige Dächer übergeht. Leider konnten wir über den Ausstieg nichts weiter ausmachen, da die über den Grat jagenden Wolkenfetzen nur von Zeit zu Zeit die oberen Regionen der Bergwand freigaben. Unter einem kleinen Überhang deponierten wir einen Rucksack, der die technische Ausrüstung enthielt, mit der wir am nächsten Tage den Riss überlisten wollten. Nun ging es vorerst noch einmal hinunter über den Refugiul Costila, in dem wir einen Verpflegungsrucksack deponierten, und bald lagen wir wieder im Zelt, wo wir im tiefen Schlaf nochmals Kraft für den nächsten Tag sammeln wollten.

Noch in der Dämmerung verstauten wir das Zelt ins Auto und eilten leichten Schrittes empor. Aus unerklärlichen Gründen vergassen wir, unseren Verpflegungsrucksack vom Refugiul Costila mitzunehmen, aber da wir am Morgen noch einmal gut gegessen hatten, konnte uns nichts von unserem Vorhaben abbringen, hatten wir doch schon oft an manchem Tag in den Bergen mit nur einer einzigen Mahlzeit auskommen müssen.

Als endlich die Sonne blutrot dem Morgennebel entsteigt, sind auch wir am Einstieg angelangt, und das grosse Abenteuer kann beginnen. Sorgfältig werden die Klettergurte festgezurrt. Seile, Trittschlingen, Karabinerhaken, Kletterhammer, Fotozeug und vieles andere Notwendige mehr wird umgehängt oder anderweitig am Körper befestigt. Man kommt sich vor wie ein Pfingstochse. Da es nun ernst wird, stellt sich auch wieder ein leichtes "Prickeln der Nerven", eine Art Lampenfieber, ein, dieses bekannte Gefühl, das wesentlich den Reiz des Bergsteigens mit ausmacht und stark das Leistungsvermögen des Bergsportlers stimuliert.

Was werden die nächsten Stunden bringen, werden wir allen Anforderungen der Tour gewachsen sein? Noch einmal prüfen wir die Einbindungen und dann verabschieden mich meine beiden Seilgefährten mit einem Händedruck zur ersten Seillänge. Leichte Kaminstücke und Wandstufen bieten klettertechnisch keine Probleme, und bald haben wir, ab und zu uns in der Führung abwechselnd, einige Seillängen an Höhe gewonnen. Sicherungsmöglichkeiten sind rar, und das nasse Gras zwingt zu grosser Vorsicht. Wir spüren unbändige Freude, denn mit steigender Höhe wird auch der Tiefblick in die Valea Albä und hinaus ins Prahovatal immer beeindruckender. Nachdem der Fels uns die ersten kniffligen Aufgaben gestellt hatte, geht es in einem anfangs leicht absteigenden Quergang weit nach links hinüber in die Verschneidung, die den eigentlichen Blauen Riss bildet. Der Quergang von etwa 40 m Länge führt unter das erste grosse Bollwerk des Aufstieges, die Einstiegsüberhänge des sogenannten Tendors. Diese boten einen düsteren Anblick. Von den finsteren, mit bläulichen Algen bewachsenen Felsen troff ständig Wasser herab, und im Hintergrund der Kamine und Risse hörte man es zuweilen sogar plätschern. Die nassen Algen, von denen ein unangenehm fader Geruch ausging, bedeckten als schleimige Schicht die Gesteinsoberfläche. Daher stammen also die blaue Farbe und der Name des Risses. In den nassen Kamin eingeklemmt, gewährten mir meine Freunde Sicherung, und ich schob mich erst einmal etwa 12 m zwischen den beiden Schleimwänden empor, wo der Kamin sich zu schliessen und in einen Überhang überzugehen beginnt. Mit Genugtuung stellte ich fest, dass sich in dem Dach einige grosse Haken befinden, die das Einhängen der Trittschlingen gestatteten, und schon schaukelte ich den Überhang hinaus und hatte ihn bald überwunden. Da aber vom nächsten Überhang, der sich etwa 8 m höher befand, das Wasser wie von einer Traufe herunterrieselte, verzichtete ich aufs Nachholen, was sich bald als Fehler erweisen sollte, und nahm ihn sofort in Angriff.

Meine Freunde konnte ich nicht mehr sehen, die Verständigung wurde zunehmend schwieriger und das nasse, durch mehrere Haken laufende Doppelseil übte einen starken Zug nach unten aus. Doch schon hing ich wieder in den Trittschlingen, musste aber zu meinem Leidwesen feststellen, dass gerade an der Kante des Überhanges kein erreichbarer Haken mehr vorhanden war, und so probierte ich nach bewährter Technik, die bei uns im Elbsandsteingebirge üblich ist, den Knoten einer Schlinge in einen mit nassen Algen bedeckten kleinen Riss zu stecken. Zur Überwindung des starken Seilzuges zog ich mir einen gewissen Vorrat an Seil durch die Haken herauf, der dann als etwa 3 m lange Schleife zwischen mir und dem letzten Haken hing. Vorsichtig wollte ich mich nun an dem von mir geschaffenen Haltepunkt emporziehen, und da geschah es: Der Knoten fand in dem verschleimten Felsspalt nicht genügend Halt, rutschte hindurch, und ich fiel hinterrücks etwa 8 m hinab, um bald den relativ elastischen Fangstoss am Brustgurt zu verspüren.

Ein eigenartiges Gefühl, man hängt etwa 4 m entfernt von der Wand, schaut Hunderte Meter hinab in die Tiefe, das Atmen wird von Sekunde zu Sekunde schwieriger, langsam begann ich mich zu drehen, Jetzt musste schnell gehandelt werden, denn jeder Alpinist weiss, dass freies Hängen im Schultergurt in kurzer Zeit zur völligen Handlungsunfähigkeit führt. Von meinen Freunden war keine Hilfe zu erwarten, da durch die starke Reibung in den Karabinerhaken das Seil weder nach oben noch nach unten auch nur einen Zentimeter nachgab. Wie gut, dass wir daheim "Selbstrettung mit Prusikschlingen" stets gut trainiert hatten. "Nur nicht die Schlinge verlieren", bleute ich mir ein, als ich begann, die Prusikknoten um das Seil zu knüpfen.

Prusikknoten haben die Eigenschaft, bei Belastung das Seil fest zu umschlingen. Im entlasteten Zustand aber lassen sie sich verschieben. Die daran befindliche Schlinge wird so lang geknüpft, dass man mit erhobenem Fuss gerade hineinsteigen kann. Es gelang mir dadurch endlich, meinen Brustkorb zu entlasten und wieder richtig durchzuatmen. Das übrige war dann nur eine Frage der Zeit:

Rechtes Bein durchtreten, linke Schlinge hochschieben, linkes Bein durchtreten, rechte Schlinge hochschieben usw. Nach etwa 10 Minuten war ich am obersten Haken, der meinen Sturz gehalten hatte, wieder angelangt, band mich fest und holte einen meiner Gefährten über das untere Dach herauf, wo er, wenn auch in der Traufe stehend, sich aber doch an einem grossen Haken gut sichern konnte. Die starke Verringerung des Seilzuges erleichterte mir natürlich enorm das Weiterkommen, und nach einigem Ausruhen ging es an den zweiten Versuch. Diesmal verliess ich mich nicht auf den Knoten einer Schlinge, sondern legte in den rutschigen Spalt einen mit kurzer Drahtschlinge versehenen Aluminiumklemmkeil.

Zwar war mir etwas flau im Magen, als ich ihn zu belasten begann, aber der Fixpunkt hielt, und ich konnte den ersten der 2 m weiter oben wieder einsetzenden Haken erreichen und gewann bald einen kleinen Standplatz, auf dem ich erst einmal gründlich verschnaufte. Später erfuhren wir, dass 2 Wochen vorher eine Seilschaft hier ebenfalls einen Sturz in Kauf nehmen musste, wobei der entscheidende Haken herausgerissen worden war.

Nun begann eine kraftzehrende Tätigkeit, halb hangelnd, halb auf Schulterriss kletternd, hatte ich mich die etwa 15 m hohe Schlüsselstelle des Originalwegs, den Tendor, über schleimig veralgten, übelriechenden Fels emporzuarbeiten, wobei ich fast meine letzten Kräfte mobilisieren musste, bis endlich am Ende der Rissverschneidung ein schräg nach rechts ziehendes nasses Grasband erreicht war. Hier, an guten Standhaken gesichert, konnte ich bald die ebenfalls völlig durchnässten Freunde zu mir heraufholen. Wir hatten viel Zeit verloren, und der Tag war schon weit vorangeschritten.

An ein Überwinden der Dächer, die etwa 100 m über uns aus der Wand herausragten, war am heutigen Tag nicht mehr zu denken, weshalb wir beschlossen, den Ausstieg des Originalwegs anzugehen. Leider hatten wir aber nur die Beschreibung des "Diretissimaausstieges" bei uns, nicht aber die des Originalverlaufes, was sich als sehr ungünstig erweisen sollte.

Zuerst dem Grasband weiter nach rechts folgend, kamen wir anfangs noch gut voran, hatten dann aber in der beginnenden Dämmerung die Orientierung verloren, wussten wir ja auch nicht, dass sich von der betreffenden Stelle der Weiterweg nur durch ein Stück Abseilen erschloss, weshalb wir umkehrten, um alsbald das überdachte Grasband erneut zu erreichen. Nun wurde uns klar, dass wir in den sauren Apfel zu beissen hatten, ein Biwak auf uns zu nehmen. Leicht durchgefeuchtet und ohne Ausrüstung wie Schlafsack, Kochzeug und ähnlichem würde das auch unter den hiesigen milden Bedingungen (ca. plus 5 Grad Celsius Nachttemperatur) eine ziemlich ungemütliche Angelegenheit werden, und es gehörte schon die Hochgebirgserfahrung vieler Jahre dazu, der Situation gelassen entgegenzublicken. Unsere müden Rücken im Dreieck aneinanderlehnend, setzten wir uns auf das Band und versuchten so wenig wie möglich Wärme einzubüssen, was aber nicht verhinderte, dass bald ein allgemeines Zähneklappern und Zittern ausbrach.

Ab und zu geriet man auch in Versuchung, den müden Körper auszustrecken, aber aufgrund des sich dabei verstärkenden Kälteeinflusses liess man dies bald wieder sein und widmete sich erneut der Nutzung der kollektiven Körperwärme. Das Wärmebedürfnis des Körpers übertrifft dann eben doch den Wunsch nach Bequemlichkeit. Man döst vor sich hin und fällt ab und zu minutenweise in einen kurzen Halbschlaf. Die Zeit ist wie angekettet. Als wir glaubten, die Nacht sei bald vorüber, gelang uns mit Hilfe einer kleinen Taschenlampe ein Blick auf die Uhr. Wie gross war unsere Enttäuschung, als wir feststellten, dass noch nicht einmal Mitternacht überschritten war.

Aber einmal, nach unendlich langer Zeit, zeichnete sich am Osthimmel dann doch ein heller Streif ab, das Nahen des neuen Tages kündend. Und endlich, als die ersten Sonnenstrahlen uns trafen, erwachte auch neues Leben in uns, und wir rüsteten zum Weiterweg, über die Diretissima. Der Magen knurrte ganz schön, aber was hilft's, wir brauchten wenigstens keine Zeit mit der Zubereitung des Essens zu vergeuden. Auch versprach der Tag ausgezeichnetes Wetter zu bringen, und die über uns liegenden Regionen sahen trocken aus, da man sich von hier ab nicht mehr genau im Riss hält, aus dem nach wie vor die Nässe troff, sondern sich meist etwas rechts davon den Ausstiegsdächern nähert. Mit Abstand der Älteste von uns, verzichtete ich heute auf jegliche Führungsrolle und überliess Wolfram und Steffen diese Aufgabe, wodurch ich mich auch besser der Landschaft und dem Fotografieren widmen konnte. Die Kletterei, die von hier begann, hatte ausgesprochenen "Genusscharakter". Der trockene Konglomeratfels zeigte den Sohlen der Kletterschuhe gegenüber gute Reibungseigenschaften, so dass die Arme weit weniger als gestern angestrengt werden mussten. Der herrliche Blick in die Valea Albä, die sich weit hinunter über das Prahovatal ins Karpatenland eröffnete, liess einem das Herz höher schlagen. So kamen wir gutgelaunt voran, und bald hatte die Sonne auch die letzte Feuchtigkeit aus unserer Kleidung vertrieben, so dass die Entbehrungen der letzten Nacht weit durch die Pracht der Eindrücke aufgewogen war, und ohne Hungergefühl wären wir restlos glücklich gewesen. Aufgrund des Nahrungsmangels galt es aber die Kräfte für die Ausstiegsdächer zu schonen, weshalb wir fast schon gemächlich aufwärts stiegen, so dass wir erst gegen Mittag den schönen, mit einzementierten Haken versehenen Standplatz erreichten, von dem aus der feine Handriss überhängend hinauf zum "Fledermausfriedhof" führt. Dort nutzte ich die Gelegenheit, eine schöne Serie von Aufnahmen zu machen, welche erkennen lassen, wie souverän Steffen dieses Stück bewältigte, indem er freie Handrisstechnik mit der Anwendung von Trittschlingen kombinierte.

Ich folgte ihm als zweiter auf ein abschüssiges Band, auf dem man aufgrund des darüber folgenden Daches mit gesenktem Kopf sitzen muss, und konnte nun Wolfram von oben beobachten, der sich kraftvoll die überhängende Partie zu uns emporarbeitete. Nach einer Atempause, die er benutzte, einen Blick in die höhlenartige Erweiterung des Risses zu werfen, den sich schon Tausende von Fledermäusen zur letzten Ruhe ausgesucht haben, sollte er nun die weitere Führungsarbeit übernehmen.

Nur wenig wurde noch gesprochen. "Sicherung fertig, du kannst", liess Steffen vernehmen, dann packte Wolfram den Überhang. Nachdem er sich frei in den Trittleitern hängend langsam über das Rissdach emporgearbeitet hatte, querte er einige Meter nach rechts und ging noch etwa eine Viertelseillänge empor zu einem winzigen, Standplatz, von wo er mich nachholte. Da der Platz bei ihm unzureichend war, musste ich mich einige Meter tiefer unmittelbar über der Kante des Daches an einigen kräftigen Haken befestigen, wonach als nächster Steffen über das Dach heraufgesichert wurde.

Das gab mir Gelegenheit, mich wieder einmal umzublicken. Die "freie Luft" unter uns war beeindruckend, schätzungsweise 700 m unter uns liegt die Talsohle der Valea Albä und etwa 1 200 m unter uns sind die winzigen Häuschen von Busteni zu erkennen. Nur an wenige Fälle kann ich mich erinnern, derart exponiert geklettert zu haben. Einmal vielleicht in der Südostwand des Uschba-Südgipfels und einmal bei der Erstdurchsteigung der 1100 m hohen "Valbonewand" am Maja e Brasit in den nordalbanischen Alpen.

Die Seile hängen schon nach 20-30 Metern 10 Meter entfernt von der Wand ab, welche, unter uns wegfliehend, sich in einer von goldbraunen Flechten bedeckten Struktur darbietet, die von gelben Gemsenwurzblüten durchsetzt ist.

Gegen 16 Uhr erreichten wir ein bequemes Grasband, auf dem wir erstmalig wieder eine ausführliche Rast einlegen konnten. Was nun folgt, ist nach dem Vorangegangenen kein Problem mehr. Über eine etwa 20 m hohe Wand, in der die Trittschlingen nur noch gelegentlich eingehängt werden, gelangten wir zu einem Kriechband, welchem man etwa 15 m nach rechts zu einer Kaminrinne folgt, die uns direkt zum Grat der Gostila führte. Als der Tag sich dem Ende zuneigte, fielen wir uns dort glücklich in die Arme. Erneute Rast, Ordnen der Kletterausrüstung und wir steigen hinab durch die "Gelbe Rinne". Zum Glück war der Mond unser Begleiter, so dass wir einige in der Finsternis etwas knifflige Stellen gut überwinden konnten.

Kurz vor Mitternacht erreichten wir den völlig vereinsamten Refugiul Costila. Es gelang uns zum Glück, in einem Winkei einige halbversteinerte Nudeln zu finden, die wir ohne Salz auf unserem Primus kochten. Es ist unvorstellbar, wie echter Hunger die Geschmacksbedürfnisse vereinfachen kann. Nach 40 Stunden grosser Anstrengungen die erste Mahlzeit, sie mundete wie eine Delikatesse. Bald umfing uns ein tiefer Schlaf, aus den wir erst um die Mittagszeit des folgenden Tages wieder erwachten. Das Ende des Urlaubs war in beträchtliche Nähe gerückt. Als wir eilig nach Busteni abstiegen, hingen schon wieder schwere Regenwolken in der Weissen Wand. Ich glaube, wir hatten in jenem September haarscharf die einzige Regenlücke gefunden, die solch eine Besteigung möglich macht.

Etwas müde, aber stolz, einen der schönsten Kletterwege Rumäniens durchstiegen zu haben, liessen wir unseren Skoda wieder in Richtung Heimat rollen. Noch lange werden wir von der Erinnerung an ein alpines Erlebnis, was hohen Ansprüchen genügt, zehren können.

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Peter Popp

  Späte  Ergänzung zum Bericht

Kletterabenteuer “ Blauen Riss“

Als ich vor einiger Zeit zufällig einmal die wunderschöne Homepage „Karpatenwilli“ öffnete, musste ich zu meiner Überraschung feststellen, dass sich darin u.a. 2 Berichte befanden, die ich vor über 20 Jahren für das auch in der DDR beliebte, kleine rumänische Magazinbüchlein „Komm mit“ geschrieben hatte. Es handelt sich dabei um einen Artikel über eine zweitägige Paddelbootfahrt mit meinen Kindern durch die Neraklamm im Semenikgebirge im Westen Rumäniens und einen Bericht über die Durchsteigung der Direttissima-Route des Blauen Risses am Costilla, zur damaligen Zeit mit einer der schwierigsten Aufstiege im Bucegigebirge.

Die Neraklamm-Durchfahrt hatte im Jahr 1986 stattgefunden, die Durchsteigung der Direttissima des Blauen Risses aber schon im Jahr 1978.  Dem Chefredakteur von „Komm mit“  Walther K a r g e l  hatte ich diese Artikel im Jahr 1987 überreicht, unter der Vereinbarung  den „Blauen Riss“ im Jahr 1988  und  die „Neraklamm“ im Jahr 1989 zu veröffentlichen. Als dann der Band  1988 erschien, war ich beim Empfang meines Belegexemplars sehr überrascht, darin beide Artikel zu finden.

Eine Rückfrage bei Walter Kargel ergab,  dass zu dieser Zeit die staatliche Förderung für „Komm mit“ nur noch spärlich floss, was ihn befürchten ließ, im nächsten Jahr das Erscheinen des Büchleins einstellen zu müssen. Da ihm aber auch der Artikel über die Neraklamm sehr gefallen hätte, habe er ihn schon dem Band mit einverleibt, in dem eigentlich von mir nur der „Blauer Riss“ stehen sollte.

Auch fragte ich Walther Kargel, warum er eine ganz bestimmte Darstellung in meinem „Blauen Riss“ ohne mein Wissen abgeändert und anders dargestellt hätte, als ich es geschrieben hatte. Es handelt sich dabei um folgende Begebenheit, deren Darstellung ich schon lange einmal berichtigen möchte:

.....................

Um am folgenden Tag Kraft zu sparen, hatten wir am Abend vor dem Einstieg in den Blauen Riss unser Gepäck schon an den Fuß der Wand gebracht, und waren dann etwa 400m wieder abgestiegen, um unten im Tal auf einer herrlichen Wiese in unserem Zelt noch einmal gründlich zu schlafen.  Unser Gepäck, das waren zwei Rucksäcke, ein älterer, etwas verschlissener, in welchem wir unsere gesamte technische Ausrüstung, zwei Seile, eine Unzahl Haken und Karabiner, Kletterschuhe u.ä. untergebracht hatten, und ein nagelneuer, wunderbar anzuschauen, in dem sich unsere gesamte Nahrung für zwei Tage befand. Wir sind noch heute dem Zufall dankbar, dass wir die Rucksäcke nicht umgekehrt gepackt hatten, denn dann hätten wir nie das überwältigende Erlebnis der Durchsteigung der Direttissima des Blauen Risses haben können.

Wahrscheinlich war das Hinterlegen unserer Rucksäcke (vielleicht von Hirten, da andere sich in diesen Regionen kaum aufhalten) beobachtet worden. Auf jeden Fall fanden wir am folgenden Morgen, als wir bar jeder Last und voller Tatendrang zum Einstieg geeilt waren, nur noch den alten, schäbigen Rucksack vor. Der neue, sehr gefällige  war verschwunden. Offensichtlich gestohlen, was ab und zu in dieser Gegend schon vorgekommen war.  Ein Bär  kann es nicht gewesen sein, da dieser deutliche Spuren hinterlässt, und meist seine Beute schon nahe des Fundortes zerlegt. Aber auch in weitem Umkreis war nicht die geringste Spur eines solchen Waldbewohners zu bemerken.  Wir waren sehr froh, dass es nicht unsere Ausrüstung betroffen hatte, denn die dazu gehörigen Gegenstände waren in der DDR oft nur schwer zu beschaffen und auch nicht billig. So beschlossen wir dann auch ohne Nahrung in die Wand einzusteigen, nicht ahnend, dass wir dazu zwei Tage benötigen würden. Aber diese Einzelheiten sind ja dem vorliegenden Bericht zu entnehmen.

Walther Kargel hatte uns aus „unerklärlichen Gründen“  unseren Proviantrucksack in der Hütte vergessen lassen, nicht eingedenk der Tatsache, dass für hungrige Bergsteiger, die sich schon 2 Wochen bei anstrengenden  Klettertouren im Hochgebirge aufhalten, die Verpflegung als vordringliche Notwendigkeit angesehen wird, die es unmöglich macht, dass man seine Nahrung einfach irgendwo vergisst und stehen lässt.

Etwas Verlegenheit war dem kleinen, sympathischen Walther Kargel schon anzumerken, als er uns zu diesem Vorfall eine Erklärung gab:

Als er den Bericht zum Drucken gegeben hatte, war ihm mitgeteilt worden, dass er für die Veröffentlichung keine Genehmigung bekäme,  vor allem nicht für eine Publikation, die auch im Ausland erschiene, in welcher dokumentiert sei, dass in Rumänien ausländische Touristen bestohlen würden. Dies sei eines sozialistischen Staates unwürdig.  Da ich aber damals telefonisch nicht erreichbar war, ich befand mich gerade auf einer Dienstreise, und da Eile geboten  war, hat er eben selbst schnell handelnd, mein Einverständnis voraussetzend, diese Änderung vorgenommen.  Dieses Einverständnis habe ich ihm dann nachträglich auch erteilt, denn sonst hätte ja mein Bericht auch nie die Öffentlichkeit erreichen können.

Dies nun nach 20 Jahren berichtigen zu können, zeigt, dass  sich seit dem vieles in der Welt geändert hat, und wird bei mir und im Kreise meiner Freunde auch einiges Schmunzeln hervorrufen.


Dieser Artikel wurde mit ausdrücklicher Genehmigung durch die "Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien" (ADZ - Nachfolgezeitung und Rechtsnachfolger des "Neuen Weg") der Karpatenwilli-Homepage zur Verfügung gestellt!

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