Die Tulnic-Bauer von Patrahaitesti

Während im Aries-Tal mitte April schon die Frühlingsblumen ihre Pracht entfalteten, hatten der Günter Joos und meine Wenigkeit noch mit den letzten Wirren des Winters zu kämpfen. Der zwischen Gârda de Sus und Arieseni (siehe Karte) abzweigende Weg hinauf nach Patrahaitesti war zunächst noch schneefrei. Weiter oben aber war auch mit einem Allrad-Fahrzeug kein Weiterkommen. Nahe eines der letzten Höfe im Tal, liessen wir unsere treue "Jolate" (Renault Kangoo 4x4) zurück und stiegen mit dem Allernötigsten direkt bergauf zu unserer Gastfamilie in Patrahaitesti (Pensiunea Mocan Ioan). Freilich taten wir das nicht ohne Grund. Ziel unseres Interesses waren die Tulnic-Bauer der kleinen, auf ca. 1150 m hoch gelegenen Streusiedlung. Noch zwei Familien gehen hier dem seltenen Handwerk nach. Im Bild zu sehen: Das Gebäude, in dem sich Werkstatt und Ausstellung aller hier gefertigten Holzprodukte befinden. Gleich dahinter gelangt man zur Pension von Mocan Ioan. Wir hatten zu später Stunde doch noch unser Ziel erreicht und vor allen weiteren Dingen die nun folgten, bekamen wir bei Mocan Ioan zur Begrüssung ein-zwei-drei Gläser "Tuica fiert"! Endlich "Daheim"!!!

Was aber ist denn nun ein Tulnic? Es ist ein uraltes Instrument, einem Alphorn ähnlich. Das Tulnic begleitete seit Jahrhunderten die Hirten auf die sommerlichen Weidegebiete und auch daheim hatte man es sicher immer in Gebrauch. Das Tulnic, einst als Signalhorn in Gebrauch, um Wölfe, Bären und Luchse von den Schafherden fern zu halten, aber auch, um den Hirten auf benachbarten Bergalmen Informationen zukommen zu lassen, oder aber, wie uns Frau Mocan Augen-zwinkernd versicherte, auch einmal einen Gruss der Liebsten im Tal zukommen zu lassen. Die Bauform des Tulnic hat sich über Jahrhunderte nicht verändert - sie ist definitiv spartanisch und reinweg funktional. Durch die Jahrhunderte hindurch wird der eine und andere Hirte während seiner langen Zeit in den Bergen sich sicher darauf versucht haben, dem Tulnic eher musikalische Töne zu entlocken. Wahrscheinlich muss man den Frauen in der Apuseni mehr Musikalität zusprechen, denn das Tulnic-Blasen, das vom Spiel her dem Jagdhornblasen ähnelt, ist in der Regel ihre Sache. Oder steht es gar Zeuge dafür, dass die Frauen hier grundsätzlich den "Ton" angeben? :-)

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Aurel Mocanu, ...

Nachbar von Familie Mocan, arbeitet auch spät abends noch in dem Atelier, welches sich in dem unscheinbaren Holzhaus (oberes Bild) befindet. Der Günter Joos und meine Wenigkeit lassen sich die Fertigungsprozesse demonstrieren, die zur Herstellung eines Tulnic erforderlich sind. ....

1. Arbeitsschritt:

Das Abziehen des Rundholzes. Voicu Mocan demonstriert uns das an diesem traditionellen Spannbock, an dem das zu bearbeitende Holz über ein Fusspedal gehalten wird. Mit einem speziellen Schabeisen wird das Rundholz in die gewünschte, sich zu einer Seite hin verjüngende Form, gebracht.

2. und 3. Arbeitsschritt:

Nachdem der Rohling seine äussere Form bekommen hat, folgt der ansich schwierigste Teil: Das Längsspalten des Rohlings (siehe linkes Teil im Bild). ... Danach werden die zwei gespalten Rohlinge im Innern mit einem speziellen Schabeisen (siehe folgendes Bild) in die gewünschte Hohlform gebracht.

Das Schabeisen ...

zum Ausbringen des Holzes für die inneren Rundungen. Dieses findet natürlich auch Verwendung für viele andere Holzartikel, wie Kelche, Bottiche, Fässer, usw. ...

4. Arbeitsschritt:

Nach Ausarbeitung der zweigeteilten Rohlinge im Innern, werden diese wieder verleimt und während dieser Zeit mit kleinen Spanndrähten fixiert.

5. Arbeitsschritt:

Sind die neuen Alphörner gut verleimt, so werden diese noch in regelmässigen Abständen mit hölzernen Bindern versehen. Dazu werden dünne, frische Fichtenzweige mit einem Messer halbiert und sogleich gebunden.

Günter Joos

beim 6. Arbeitsschritt: Der Qualitätskontrolle. Bei seinen ersten "Testversuchen" erweist sich der Günter leider als ein schlechter Kontrolleur und seine Augäpfel schwellen stark an. Es war dann besser, die Qualitätskontrolle (das Anblasen) anderen zu überlassen!

:-)

Die Vielfalt der Sortimente:

Alles was hier hergestellt wird, kann auch zu einem guten Preis vor Ort gekauft werden: Einige Artikel sein hier kurz aufgeführt: ... Tulnic (20 cm Länge) = 30.000 Lei, Tulnic (30 cm) = 40.000 Lei, Tulnic (1 m) = 250.000 Lei, Tulnic (1,5 m) =400.000 Lei, Tulnic (2,5 m) = 1,2 Mio. Lei, ... Heuharke = 150.000 Lei, kleine Holzfässer = 70.000-100.000 Lei, grosse Behälter mit Deckel = 250.000 Lei, Holzlöffel = 20.000 Lei, Butterfass = 400.000 Lei, Obstschalen = 130.000 Lei, Blumentopf (Durchmesser 25 cm) = 300.000 Lei, ... Wer hier als Gast kein Souvenier findet, dem ist kaum noch zu helfen!

Nach einer Nacht ...

in der Pension von Mocan Ioan und einem deftigen Frühstück, sind wir natürlich auf weitere Einblicke in das Leben der hiesigen Motzen aus. So besuchen wir als erstes Ratila Mocanu, die Nachbarin der Mocan´s, die das Spiel auf dem Tulnic beherrscht.

Ratila Mocanu ...

bietet uns mit ihren 79 Jahren noch eine "gehörige" Kostprobe ihres musikalischen Könnens! Das Blasen des Tulnic ist hier traditionell "Frauensache".

Sorina Mocan ...

beim morgendlichen Melken ihrer Kühe. Frische Milch zum Frühstück ist hier natürlich kein Problem!

Ioan Mocan, ...

unser Gastgeber, präsentiert die Speckvorräte, die wohl bemerkt, jetzt im Frühjahr schon zu einem Teil aufgebraucht sind. Die Fähigkeit der Bergbauern, sich in allen wichtigen Dingen des Lebens selbst versorgen zu können, ist für die heutige Zeit etwas bewundernswertes.

Ioan Mocan (78 Jahre) und Sorita Mocan (71 Jahre) ...

präsentieren uns ihr gemeinsames Atelier. Fünfzig Jahre sind die beiden miteinander verheiratet, und man kann sich kaum vorstellen, wie sie insbesondere in den Wintermonaten hier in diesem Atelier gemeinsam sitzen und ihrem unterschiedlichen Handwerk nachgehen. Eine kurze Reflexion solch eines Augenblicks konnten wir davon einfangen. Das sind die kleinen und so wertvollen Erinnerungen, die Reisende für alle Zeit mit nach Hause nehmen!

Eine Auflistung traditioneller Werkzeuge ...

soll auf dieser Seite nicht versäumt werden. Patrahaitesti wurde erst im Jahr 1999 elektrifiziert. Klar, dass es bis heute hier kaum moderne Werkzeugmaschinen gibt. Das traditionelle Handwerk setzt sich fort. Hier im Bild zu sehen: Die Schabeisen zum Abziehen des Holzes für innere Rundungen.

Diese Abzieher ...

mit ihrer schwachen Krümmung, finden eher beim Bau grosser Bottiche und Fässer Verwendung.

Abzieher ...

zum Bearbeiten kleiner Rundprofile.

Ioan Mocan ...

lässt es sich nicht nehmen, uns höchstpersönlich seine Werzeuge und deren Anwendung zu präsentieren.

Sorita Mocan ...

hat im gleichen Atelier auch ihren Webstuhl stehen. Man kann also nicht nur die Herstellung vieler Holzartikel besichtigen, sondern auch die Funktion alter Webtechniken erleben. Sorita hat dafür ihren Webstuhl ganzjährig aufgebaut. Allgemein geht man dem Weberhandwerk nur in der Winterzeit nach.

Sorita ...

demonstriert uns noch das Aufspulen der Wolle auf die Webspindel. Seit einigen Jahren hat Familie Mocan und deren Kinder sich einen neuen Erwerbszweig erschlossen - den Tourismus. Aber das Wort "Tourismus" wird der Sache hier nicht gerecht, wenn man die Herzlichkeit der Leute berücksichtigt. Kurz die wichtigsten Daten zur Pension:

Pensiunea Mocan Ioan, Sat. Patrahaitesti, Com. Arieseni, Tel.: 0040 258-779132 oder Mobil: 0040 745-673174. ... Preise: Übernachtung = 6 Euro, Frühstück und/oder Abendbrot = jeweils 3 Euro. ... Weitere Daten: Pensiunea Mocan Ioan Die jungen Mocans sprechen auch Englisch und Französisch!

An dieser Stelle noch ein paar Informationen über Patrahaitesti und Umgebung: ... Die Streusiedlung auf einem Plateau gelegen, besteht etwa aus 25 Häuser. Hier leben ca. 70 Einwohner. Drei Familien verstehen sich auf das Spielen des Tulnic und zwei Familien bauen noch dieses Instrument. Es gibt hier oben eine kleine Schule (Klasse 1-4). Neben der Pension Mocan Ioan gibt es noch eine weitere saisonal betriebene Pension. Nahe des hiesigen Plateaus gibt es einen Wasserfall, die "Cascada Bucinis", welche eine Gesamtfallhöhe von etwa 30 Meter aufzuweisen hat. Weiterhin erfuhren wir von den Mocans, dass es neben dem jährlichen Volksfest auf dem Muntele Gaina noch weitere Feste gibt: Festival "Ziua Lemnarului" (in der Comuna Horea, Sat. Matisesti / 10.-25. August); Festival "Concurs Musica Populara in Tebea (jeweils an dem Wochenende, welches dem 10. September nahe kommt).

Wanderkartentipp zur Region:

Bihor Gebirge, Muntii Bihor - neu im Programm - ... 1:60.000 ... 8,90 Euro ... Freizeit- und Wanderkarte mit Höhenlinien, Wanderrouten, Gebietsbeschreibung, rückseitige Beschreibung mit vielen Wanderrouten in Rumänisch, Ungarisch, Englisch. DIMAP, ISBN 963 86379 8 6 CM

Zu kaufen sind die Karten direkt beim Hersteller unter: http://www.dimap.hu/

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Eine Übersicht weiterer ethnografischer und anderer Museen innerhalb des Apuseni-Berglandes findet sich HIER!

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