Mit Volldampf durch die Maramuresch – eine abenteuerliche Reise zur Waldbahn ins Wassertal

Ein Bericht von: Thomas Kunze / Dresden

thkunze@coswig.de

So gerne ich nach Rumänien fahre, so sehr graut mir jedes Mal vor der langen Fahrt mit dem Auto bis dahin. Meine Mitfahrer freuen sich, wieder mal so richtig Kilometer fräsen zu können; ich versuche mir in der engen Blechkiste mit Lesen und Musikhören die Zeit zu vertreiben und starre doch die meiste Zeit aus dem Fenster, um die noch vor uns liegenden Kilometer in Fahrzeit umzurechnen.

Welche Wohltat für lange Reisen ist dagegen ein Zug, wenn man es sich in einem Abteil bequem machen und seine wichtigsten Reiseutensilien (Bücher, Walkman und Proviant) in Griffweite positionieren kann. Im Oktober 1998 rappelte es mich, mal wieder mit dem Zug nach Rumänien zu fahren. Früher gab es mal den Balt-Orient-Express, der von Berlin über Dresden-Prag-Budapest-Bukarest bis nach Sofia fuhr; heute kommt man nur bis Budapest und muß dann schauen, wie es weitergeht.

Aber egal, ich hatte ohnehin nicht vor, mir eine Fahrkarte bis nach Rumänien zu kaufen. Viel abenteuerlicher und spannender ist es, nur von Grenze zu Grenze zu hopsen, um die Binnentarife in Anspruch nehmen zu können. Es wird also darauf ankommen, irgendwie über die Grenzen zu kommen, um nachher eine Fahrkarte bis zur nächsten Grenze zu lösen – entweder beim Schaffner, oder aber nach Rauswurf durch denselben an der nächsten Station.

Das Ziel meiner Reise sollte die Waldbahn in Viseu de Sus (Oberwischau) hoch oben im Norden an der ukrainischen Grenze sein. Ich hatte mir irgendwann mal einen Artikel über diese Bahn aus einer Zeitschrift ausgeschnitten, der so spannend geschrieben war, daß ich mir diese urige Dampfbahn unbedingt einmal ansehen wollte. Seit der Veröffentlichung waren allerdings schon einige Jahre ins Land gegangen, so daß ich nicht unbedingt davon ausgehen konnte, daß die Bahn noch existiert. Aber wenn man schon einige Male in Rumänien war, macht man sich nicht allzu viel Gedanken darüber, sondern verfährt nach der Devise "erst mal gucken, dann man schauen". Ich werde es ja spätestens sehen, wenn ich dort bin!

Also ging es los mit der Bahn ab Dresden bis Decin (noch mit sorgfältig vorher erworbenem Fahrschein plus EC-Zuschlag), dann weiter bis zur ungarischen Grenze, dort 5 Mark für den Grenzübertritt per Bahn und nochmal 10 Mark für die Weiterfahrt bis nach Budapest gelöhnt (es empfiehlt sich, im Zug nach ebenso Reisenden Ausschau zu halten und sich mit diesen zu Reisegemeinschaften zu verbünden – das drückt die Preise pro Kopf), ab Budapest wieder per Binnentarif bis zur rumänischen Grenze, und hier flogen wir aus dem Zug. Da saßen wir Mitternacht mitten in der Puzsta, während die Zöllner den Zug abfertigten. Der Schaffner hatte unser Angebot als zu niedrig angesehen und bedachte uns mit bösen Blicken, wie wir da auf der Bank saßen und ganz interessiert dem Treiben zuschauten. Es war mir vollkommen egal, ob ich mit diesem Zug mitkomme oder erst am nächsten Morgen. Kurz vor Abpfiff also noch einmal unser altes Gebot – und siehe da, es geht doch. Lieber den Spatzen in der Hand ..., wird sich der Herr Kollege gedacht haben, und schon saßen wir wieder in unserem Abteil und sahen neuen Abenteuern entgegen.

In Rumänien sich mit dem Schaffner arrangieren zu wollen, ist ziemlich witzlos. Die Fahrkarten sind so billig, daß man sie nur noch durch Schwarzfahren unterbieten kann. Ich fuhr entgegen meiner ursprünglichen Planung erst einmal nach Sibiu/Hermannstadt, um dort meine Freunde zu besuchen und ein wenig Ballast abzuwerfen, um mich dann einige Tage später auf den Weg nach Norden zu machen.

Mit drei Mal Umsteigen in Vintu de Jos, Klausenburg und Dej näherte ich mich meinem Ziel über eine atemberaubende Streckenführung in der Maramures. Hoch oben am Berghang schlängelte sich der Zug und fuhr abwechselnd durch rabenschwarze Tunnel und riesig hohe Brücken. Man steht am Fenster und schaut und staunt, währenddessen die Wagen behende über die Schienenstöße klackern. Ich glaube, einige Szenen des Films "Zug des Lebens" wurden dort gedreht.

In Viseu de Jos angekommen, war es schon stockdunkel. Laut meinem Reisebericht gibt es von hier aus einen Anschlußzug nach Viseu de Sus, dem Anfangspunkt der Waldbahn. Wie ich aber aus dem Bahnhof heraustrete, sehe ich auf dem schwach beleuchteten Vorplatz nur einen alten Bus stehen, in den die Leute einsteigen. Ich überlege nicht lange und springe ebenfalls auf. Wohin die Reise geht, kann ich ja immer noch fragen. Und ich hatte Glück, denn dieser Bus war der letzte, welcher nach Viseu de Sus fährt; die Anschlußbahn ist längst schon stillgelegt. In Viseu de Sus suchte ich mir ein Quartier (bei einem Zipser, der eine kleine Gaststätte betreibt und im Garten kleine Holzhütten als Übernachtungsquartiere aufgestellt hat) und mache mich am nächsten Morgen – es war ein Sonntag – auf die Suche nach der Waldbahn. Sonntags fährt die Bahn nicht, also hatte ich genügend Zeit, mir das Depot am Rande eines großen Sägewerkes anzuschauen. Ich traf auch einige Leute an, die mir allerdings auf die Frage, wann der Zug am nächsten Morgen abgeht, nur vage Auskünfte geben konnten.

Irgendwann zwischen 6 und 8 Uhr soll es wohl losgehen. Also fand ich mich halb 6 Uhr im Depot ein. Die Dampflok stand schon vor dem Schuppen und wurde angeheizt. Ein freundlicher Mann lud mich in den Schuppen ein, wo ich mich umschauen und die Zeit abwarten konnte. Einge Zeit später klapperten draußen Wagen über die Gleise. Es sind kleine Drehgestelle mit einer Runge darauf, die zu einem Zug zusammengestellt werden. Die Lok kurbelte hin und her, koppelte noch einen Packwagen an, und dann ertönte ein Pfiff, und los ging es. Der Lokführer winkte mir zu, daß ich auf die Lok kommen solle – also sprang ich schnell auf und quetschte mich zwischen ihn und dem Heizer.

Es ist ein unglaubliches Gefühl, auf solch einer Lok mitzufahren. Hinter einem der Tender, vor einem der Kessel, Handräder, Manometer und die vielen Armaturen; dazu der Geruch nach Rauch und Kohle. Die Lok holperte über die Gleise, daß man meinte, sie spränge gleich raus. Der Heizer machte ordentlich Dampf, und mit lauten Pfiffen schlängelte sich der Zug nahe an den Häusern vorbei ins Tal der Vaser, deren Lauf die Strecke folgt.

Gleich hinter dem Ort, also nicht einmal 10 Minuten Fahrzeit, lag schon ein Baum quer über dem Gleis. Er ist auf eine Freileitung gefallen und drückte die Drähte auf die Böschung, so daß wir beim Wegziehen des Stammes darauf achten mußte, daß wir die zurückschnellenden Leitungen nicht ins Gesicht bekämen. Die Fahrt geht kaum weiter, als es ohrenbetäubend schepperte und quietschte. Mitten auf dem Gleis standen ein paar Loren. Weiß der Teufel, wie die dorthin gekommen sind. Wir müssen die Wagen, die von der Lok ein Stück mitgeschleift wurden, wieder eingleisen und auf ein Abstellgleis rollen.

Die Fahrt führte weiter durch eine landschaftlich wunderschöne Gegend. Immer entlang der Vaser schlängelte sich die Bahn hinauf in die Berge. Ab und zu sah man eine kleine Station und ein, zwei Häuschen in deren Nähe. Im Grunde gibt es hier nur Waldarbeiter und Militär, sagte mir einer der Männer auf der Lok. Einmal überholte uns eine Motordraisine (ein umgebauter Kleinbus auf Eisenbahnrädern) mit Soldaten. Aufgabe der Waldbahn ist es, die von den Waldarbeitern gefällten Bäume hinunter ins Sägewerk zu bringen. Dort werden diese dann größtenteils für den Export aufgearbeitet. Die Schichtwechsel im Sägewerk werden übrigens mittels einer Dampfsirene angekündigt, die schauerlich von den Bergen widerhallt.

Das Streckennetz der Waldbahn ist ziemlich ausgedehnt. Vom Depot bis zum entferntesten Zipfel sind es gute ... Kilometer, allerdings werden nicht mehr alle Streckenäste befahren. Unsere Fahrt sollte uns nur etwa 20 Kilometer bergan führen. Und auf dem Wege bis dahin mußte noch so manches Hindernis aus dem Weg geräumt werden, so unter anderem auch ein dicker Baum, der unmöglich mit Menschenhand vom Gleis gezogen werden konnte. Also machte sich einer vom Personal auf in den Wald, um ein paar Waldarbeiter mit der Motorsäge zu holen, die den Baumstamm hernach in handlichere Stücke tranchierten. In der Zwischenzeit kann die Lok schon mal Wasser nehmen. Dazu wird ein Schlauch in die Vaser hinabgelassen und die Saugpumpe der Lok angelassen. Hier braucht man keinen Wasserkran.

Schließlich setzten wir unsere Fahrt fort und erreichten bald unser Ziel. Im Grunde war dies nur eine große Lichtung, an der sich die Strecke teilte. Auf dem einen Gleis stand schon der vollständig beladene Zug. Jetzt stellt sich für jeden Kombinatoriker und Fahrdienstleiter die Frage, wie man es schafft, den hinter der Lok laufenden Zug in das freie Gleis zu bekommen und den auf dem anderen Gleis stehenden Zug so anzukoppeln, daß sich die Lok auch wieder an der Zugspitze befindet bei der Fahrt zu Tale. Nach deutschen Dienstvorschriften und mathematisch ein unlösbares Problem, hier in der Maramuresch lediglich eine Routinearbeit. Und die geht folgendermaßen vonstatten: Lok und Packwagen werden abgekoppelt, fahren ein Stück vor, dann wird ein Seil zwischen ihnen und den restlichen Wagen eingehängt. Danach fahren Lok und Packwagen in nicht allzu schneller Fahrt über die Weiche nach links auf das Gleis mit den beladenen Wagen. Ist der Packwagen über der Weiche, wirft jemand die Weiche um, so daß die nun wegen des Seiles in einigem Abstand folgenden Wagen auf das rechte Abstellgleis geleitet werden. Gebremst wird mittels Handkurbel. Einmal wird noch nachgefaßt, d.h. das Seil gelöst, die Lok stößt noch mal zurück und koppelt das Seil in der Mitte des Wagenzuges an, und mit Schwung wird der Rest des Wagenzuges ins Abstellgleis gezogen. Jetzt muß nur noch der Packwagen auf die gleiche Weise – allerdings nicht per Seil, sondern mit Hand – umgesetzt werden, dann können Lok und Packwagen an den beladenen Zug heranfahren, ankoppeln - und schon ist die Fuhre fertig.

Bevor es zurück zu Tal geht, gibt es erst einmal Mittagessen. Dieses ist bereits vorgewärmt, denn es stand – abgefüllt in Büchsen – auf dem heißen Kessel der Lokomotive. Wir sitzen im Gras und teilen uns das Essen, trinken frisches Wasser und erzählen uns ein paar Geschichten und was mich denn hierher getrieben hat. Dann setzt sich die Fuhre in Bewegung – nach Hause. Es geht nur noch bergab, so daß eher gebremst denn gefeuert werden muß. Ich sitze mal zur Abwechslung im Packwagen und wundere mich über all das Eisen, das dort herumliegt. Bald sollte ich erfahren, daß dies alles sinnvoll und wohlüberlegt zusammengestellt wurde, denn mit einem Male sprang unser Packwagen aus dem Gleis und wurde ratternd hinter der Lok hergezogen.

Was nun, dachte ich, den kriegen die nicht wieder rein ins Gleis. Weit gefehlt mit meiner Befürchtung. Nichts leichter als das, signalisierten mir die Leute, bremsten die Güterwagen mit ihren Handkurbeln an, koppelten Lok und Packwagen ab, zogen ein Stück vor und legten dann zwei Eingleislehren auf die Schienen. Dann zog die Lok an, der Wagen lief auf die Lehren auf, schob sie ein Stück vor sich her, kletterte schließlich mit den Rädern auf und plumps – stand er wieder im Gleis. Reine Routine. Als wir weiterfuhren, erzählten mir die Leute, was sonst noch so alles passiert. Dazu gibt es dann das passende Werkzeug, das im Wagen mitgeschleppt wird. Es soll sogar schon der Packwagen ausgegleist und die Böschung hinuntergerollt sein.

Zu guter Letzt kamen wir gegen 4 Uhr nachmittags wieder in der Talstation an. Die Lok rangierte den Zug ins Werk, und ich verabschiedete mich von den freundlichen Leuten mit einem kräftigen Händedruck, schulterte meinen – mittlerweile rußbedeckten – Rucksack und ging meiner Wege.

Tags darauf die Rückfahrt nach Klausenburg, dann weiter nach Hermannstadt. Hier verbrachte ich noch ein paar Tage, ehe mich Freunde mit dem Auto nach Dresden mitnahmen. Die Reise dauerte nur 16 Stunden, aber mir kam es wie eine Ewigkeit vor. Könnte ich denn nicht im Zug sitzen ...?

Text & Foto: Thomas Kunze / Dresden

thkunze@coswig.de