Ostkarpaten 2010 - Teil 1

Muntii Bargaului - Von Lesu nach Piatra Fantanele

Fotos: Wilhelm Scherz

Herbst 2010, Zeit also für die zweite Urlaubstour des Jahres, in den rumänischen Karpaten. Für diese Tour hatte ich mir einiges vorgenommen, wohl wissend, dass es zu viel des Guten sein wird. Es darf also laut Planung - wie immer - keinen einzigen Regentag geben; kein körperlicher Verschleiss darf bremsen; kein grösserer Verlaufer geschehen; An.- und Abmarsch zwischen den Gebirgen muss laufen wie geschmiert; und kein Platz auf dieser Tour darf so schön sein, dass er mich dazu verleitet, länger zu bleiben als geplant :-) ... Das klingt alles schon beinahe wie der Wunschzettel für den Weihnachtsmann. Also, um es grob zu erklären: Für die zweieinhalb Wochen meiner Bergtour hatte ich die Gebirgsabschnitte Bargau, Calimani, Bastrita, Rarau-Giumalau und am Ende Suhard zum Ziel. Suhard freilich grenzte ich vorab schon ein, und ordnete diesen letzten Gebirgsabschnitt als Puffer für noch verbleibende Tage nach optimalen Bedingungen ein. Auch wäre es ein schöner Abschluss, weil mein Einstieg der Tour - in den nördlichen Abschnitt des Bargau-Gebirges - ganz in der Nähe seinen Anfang findet. Im oberen Bild sieht man das nördliche Hochland der Muntii Bargaului mit Ausblicken auf das gegenüber liegende Suhard-Gebirge. 


 

Die Anreise

In der Frühe um 7:25 Uhr bestieg ich in Arad den Zug nach Iasi. Diese Zuglinie ist für mich der ideale Zubringer in die fernen Ostkarpaten.  Gegen 15:20 Uhr stieg ich in Ilva Mica aus dem Zug. Im schweren Rucksack hatte ich bereits alles enthalten, um direkt durchstarten zu können. Zunächst aber musste ich per Autostop über die Landstrasse von Ilva Mica nach Lesu gelangen. Am Ortsausgang von Ilva Mica kam nach einiger Zeit ein grosser Nissan-Jeep mit einem orthodoxen Priester und zwei Nonnen darin. Der Wagen fuhr an mir vorbei. Wenig später dann ein alter Dacia mit einem kleinen Anhänger. Der Wagen, mit einer grossen Zigeunerfamilie darin hielt. Ich wollte mit Sack  und Pack auf den leeren Anhänger steigen, aber nein, die Familie bestand darauf, dass ich mit ins Auto gehöre - vorne wohl bemerkt und die Mutter mit 5 Kindern hinten! Gegen 17:00 Uhr setzt mich die Zigeunerfamilie im Zentrum von Lesu ab. Ich gab etwas Benzingeld und zudem noch ein kleines Taschengeld für die Kinder. Wenig später saß ich schon vor´m Magazin Mixt mit einem alten Herrn Namens Mircea auf ein Bier beisammen. So konnte ich bereits ein wenig über den Ort erfahren. Mircea, der seit dem Tod seiner Frau ein Haus allein bewohnt, bot mir an, die Nacht über hier zu verbleiben. Aber das Wetter an diesem Herbsttag war einfach zu schön und so begann ich mit dem Aufstieg in den nordwestlichen Abschnitt der Muntii Bargaului ...

Der Aufstieg

... führte über steile Landwege, vorbei an zahlreichen Berghöfen bis hinauf auf das Plateau zwischen Vf. Secatura (909 m) und Dl. Bejeneului (952 m), wo ich kurz vor dem Sonnenuntergang das Zelt errichtete. Gutes Timing!

 

Morgenstimmung

... In der Ferne zeichnen sich am Horizont die Umrisse des Suhard-Gebirges ab. Irgendwo dort drüben würde meine Tour nach ca. zweieinhalb Wochen enden. 

 

Zwei Dinge 

... die noch fehlten! 1. ... der Glücksschnaps, von dem man jeden Morgen ein kleines Schlückle zu sich nehmen muss, damit Krankheit und Schicksal einem fern bleiben ... und 2. ... die Pomana, welche hier nun leider nicht möglich ist, denn das nächste Kloster erreiche ich erst in zwei Tagen! Zum Glücksschnaps muss man noch erwähnen, dass es ein "Hausgemachter" sein muss, eine gute "tuica", oder aber, wie in meinem Falle: eine leckere "afinate" (Blaubeerschnaps). Dafür lies ich mein Gepäck zunächst zurück und stieg zu einem der letzten Bauernhöfe hinab. Die dort anwesende Bäuerin lud mich erst einmal zur Verkostung ein und nach wohliger Zustimmung kaufte ich ihr ein 0,5er Fläschchen ab. 

 

Ein letzter Blick auf Lesu

... Die Gemeinde Lesu, welche nach 1600 wahrscheinlich von Slawen gegründet wurde, erstreckt sich heute über 9010 ha.  Hier leben etwas über 3000 Menschen in ca. 890 Häusern und Berghöfen, welche bis weit ins Bergland verteilt sind. Die Menschen hier leben von der Forstwirtschaft, der Rinder.- und Schafzucht, sowie der Landwirtschaft. Wer sich einmal die Mühe macht und das Lesu-Tal  über Google Earth von oben anschaut, der wird die aussergewöhnlichen Terrassierungen, der zumeist nördlichen Abhänge bewundern - ein Resultat Jahrhunderte alter bergbäuerlicher Kultur!  Für mich ausschlaggebend für den Entschluss, eben den nördlichen Abschnitt der Muntii Bargaului zu bewandern. 

 

Blick auf den Heniul Mare (1611 m)

Das Bargau-Gebirge ist das kleinste Gebirge vulkanischen Ursprungs innerhalb der rumänischen Karpaten. Es täuscht ein wenig der Eindruck, aber dennoch so scheint es aus der Distanz, ist der Heniul Mare der letzte Vulkan der sich innerhalb einer grossen älteren Caldera erhebt. Aber dies ist wirklich nur eine Täuschung aus nördlicher Sicht. Der zentrale und östliche Abschnitt des Gebirges besteht teils aus vulkanischen Sedimenten, sowie Flysch ; im Nordosten herrschen Flysch (aus der Kreidezeit, Paläogen, Untermiozän) und verdichtete Braunerden vor; im Nordwesten gibt es kristalline Zwischeneinlagerungen und im Tal des Lesu herrschen teils Tonböden vor. 

 

Die erste Tagestour beginnt

... mit der Überschreitung eines grossen Buckels in N/NO. Hinter dem flachen Berg führen Pfade direkt hinunter nach Magura Ilvei oder Arsita. Mein Weg führt hinter dem Berg fortan in östlicher Richtung.  

 

Terrassierungen

... Diese Zeugnisse bergbäuerlicher Kultur finde ich zu meinem Erstaunen auch hier auf diesem Abschnitt, kurz vor dem Aufstieg zum Vf. Stegii. 

 

Mühsam 

... ist das Einholen der Heuernte, sowie der Abtransport ins Tal. 

 

Blick auf Vf. Colunului (1090 m). 

Überall im nördlichen Abschnitt des Bargau-Gebirges liegen weit verstreut die kleinen Sommerwirtschaftshöfe. Im Hintergrund erhebt sich - immer  begleitend - das Suhard-Gebirge. 

 

Westlich von Vf. Magura Neagra

... geht man im Herbst über maschinell abgemähte Wiesen. Einige Bauern haben sich darauf spezialisiert, mit grossen Motormähern ihre Dienste auch auf fremdern Wiesenabschnitten anzubieten. Kleiner Tipp: Wer sich für Wiesenblumen und Gebirgspflanzen interessiert, der sollte unbedingt eine Wanderung in den Monaten Mai-Juni über die Nordpassage das Bargau-Gebirges unternehmen!

 

Blick kurz unterhalb Vf. Magura Neagra (1321 m) 

... gen West auf das Lesu-Tal. Ganz in der Ferne sieht man die ineinander übergehenden Orte Lesu und Lunca Lesului. Der Blick langt auch hinüber auf den südlichen Abschnitt des Bargau-Gebirges, der sich bis auf 1611 m erhebt und durchweg bewaldet ist. Vom höchsten Gipfel des Gebirges, dem Heniul Mare, auf dem es auch eine grosse Wetter.- und Sendestation gibt, hat man Ausblicke auf alle umlaufenden Gebirgsabschnitte: Rodna, Suhard, Calimani ... 

 

Dealul Frumoasa

... mit Blick auf die höchste Erhebung des nördlichen Abschnittes der Muntii Bargaului, auf den Vf. Magura Neagra. Der weitere Weg über Dealul Frumoasa ist etwas irreführend, da man in einem grossen Bogen nun eine südöstliche Richtung einschlagen muss. 

 

Blick vom östlichen Abschnitt 

... von Dealul Frumosa. Links unten im Hochtal liegt die kleine Gemeinde Ivaneasa. In der Bildmitte erhebt sich der Vf. Paltineasa (1226 m). Man steigt hinab in eine tiefe Senke und folgt dann im direkten Aufstieg einem Bauernweg in Richtung Vf. Paltineasa. Kurz vor dem Berg zweigt rechtsseits ein weiterer Bergkamm in  Richtung Ciosa ab. Bis dorthin gehe ich noch an diesem Tag und baue gegen 17 Uhr mein Zelt nahe einer Berghütte auf. Bergbauern erklären mir, dass ich ca. 100 Meter unterhalb der Hütte eine Quelle finde. Also zickezacke schnelle Hacke und gegen 17:30 Uhr saß ich in der Abendsonne und genoss endlich meinen Kaffee und eine Tafel Schokolade. 

 

Mein Zeltlager 

... zwischen Vf. Paltineasa und Ciosa auf über 1100 Meter. 

Nach der Kaffeezeit war es aber noch zu früh die Glieder in die Länge zu strecken. Mit kleinem Gepäck ging ich noch bis zum Einbruch der Dunkelheit ein wenig in der nahen Gegen umher ... Grundsätzlich würde ich aber durchschnittlichen Wanderern empfehlen, den ersten Tagesabschnitt von Lesu aus spätestens bei Dealul Frumosa zu beenden. Die Auf.- und Abstiege sind nicht unbedingt anstrengend, aber die Länge der Strecke betrug für mich heute doch etwas über 20 km. Mit grossem Gepäck sollte das für dieses Gelände reichen. 

 

In der Ferne

... erheben sich bereits die Ausläufer des Calimani-Gebirges. In zwei Tagen werde ich dort sein, aber bis dahin geniesse ich die Eindrücke des Abends in vollen Zügen!

...

 

Überall auf dem Kamm

... findet man kleine Berghütten (Sommerwirtschaftshäuser, Sennhütten, Viehställe). In der Ferne erheben sich die höheren bewaldeten Südausläufer der Muntii Bargau. 

 

Ob da noch Schnaps in der Flasche ist?

:-)

 

Ein wunderschöner Sonnenuntergang

... zwang mich dann doch zum Umdrehen.

 

Nahe meines Zeltes

... bei der kleinen Berghütte, traf ich nun auch die Bäuerin an, welche ebenfalls spät mit ihren Kühen heraufkam. Natürlich bestellte ich mir für den nächsten Morgen auch gleich 2 Liter frische Milch! 

 

Milch am Morgen

... und Schnaps am Abend! Ich wurde auf eine wirklich gute "tuica" eingeladen und präsentierte im Gegenzug meine "afinate". Rumänische Bergbäuerin und deutscher Bergwanderer plauderten so bis tief in die Nacht hinein!

 

Morgenstimmung 

... Mit bereits einem Liter frischer Milch im Bauch wird gepackt und auf geht´s hinüber nach Piatra Fantanele. 

...

 

Eine typisch rumänische Geschichte!

... Ich gehe über schmale Landwege und Hirtenpfade. Der Weg führt dabei über zahlreiche abgezäunte Privatgrundstücke. Mit dem Teleobjektiv sehe ich in der Ferne einen Mann mit seinen Schafen umherziehen und als er mich erblickt, sperrt er hastig seine Tiere in ein nahes Gatter, kommt mir entgegen und öffnet ein Tor. Nachdem ich mich nach dem weiteren Weg erkundigte, begleitete mich der alten Mann über sein riesiges Grundstück hinweg und verabschiedete sich mit "drum bun" (einen guten Weg). Ich war sehr erstaunt, zu erfahren, dass die Leute auch in den Wintermonaten hier oben mit dem Vieh verbleiben. ...

 

Ein typisches Bild

... stellen die weit verstreuten Berghöfe im Norden der Muntii Bargaului dar (im Bild zu sehen : Höfe nahe Vf. Dragan). Momentan laufen Bestrebungen, Teile des sich über 1500 km² erstreckenden Gebirges als Naturschutzgebiet einzugliedern. 

 

Geschafft!

Gegen 16 Uhr hatte ich endlich Piatra Fantanele erreicht. Nach einer Unterkunft brauchte ich nicht lange zu suchen, denn gleich an der Hauptstrasse bezog ich Quartier in der Pensiunea Tutu (weißes Haus links im Bild): Nr. 16. Zur Begrüssung bekam ich - wie soll´s anders sein - eine tuica und gleich danach machte ich mich auf Besichtigungstour durch den Ort Piatra Fantanele. Zuerst besuchte ich das an der Hauptstrasse gelegene Magazin Mixt und plauderte mit ein paar Alten. Im Anschluss daran besuchte ich das nahe orthodoxe Kloster ...

 

Manastirea Nasterea Maicii Domnului

Das Nonnenkloster wurde wiedereröffnet im Jahr 1994. Das neue, 32 Meter hohe Kreuz nahe des Klosters, wurde am 25. Juli 2010 geweiht. An den Abenden wird das Kreuz angestrahlt - ein guter Tipp für alle Fotofreunde! Viel wichtiger noch: Ich komme nun endlich dazu meine Pomana zu machen und somit den Herrgott zu bitten, mit mir zu sein in den rumänischen Karpaten! Jetzt sind wirklich alle Voraussetzungen für eine wunderschöne Bergtour gegeben!

 

Die alte Holzkirche 

... des Klosters stammt aus dem Jahr 1928. Die Kirche ist neu hergerichtet. Hier werden über die Sommermonate und ganzjährig an den Sonntagen die Gottesdienste abgehalten: Slujba -> 02:30-05:30 Uhr und 16:00-17:00 Uhr. 

Hram: Nasterea Maicii Domnului / jeweils am 8. September 

 

Mit der Stareta (Äbtissin)

... komme ich gut ins Gespräch und mein weitergehendes Interesse wird damit belohnt, dass ich mir den Wohn.- und Arbeitskomplex der Nonnen ansehen durfte: Hier die Arbeitszimmer, in denen vorrangig Bekleidung für hohe kirchliche Würdenträger produziert wird. Insgesamt leben und arbeiten hier 20 Nonnen. 

 

Blick vom Wohnkomplex

... der Nonnen auf das umliegende Bergland. 

 

Am Ende

... darf ich noch das "paraclis", die hausinterne Kapelle besichtigen, die mit ihren wunderschönen Dimensionen überzeugt. Hier halten die Nonnen in den kalten Jahreszeiten ihre täglichen Gebete ab. 

 

Nahe des Klosterportals

... hat man bereits einen Blick auf das "Dracula-Hotel". Nun bin ich kein begeisterter Verfechter dieser Legenden und ich brauche diese Geschichten wahrlich auch nicht dazu, mir die Landschaft der rumänischen Karpaten schön zu reden ... aber dennoch handelt es sich hier um ein Kuriosum, das zu besuchen sich durchaus lohnt - auch, weil es hier ein recht gutes Restaurant mit regionalen Spezialitäten gibt! 

 

Auf dem Weg

... zum Dracula-Hotel werfe ich noch einmal einen Blick auf mein zurückliegendes Wandergebiet. 

 

Hotel Castel Dracula

http://www.hotelcasteldracula.ro/

Es war noch früh am Abend, aber der Hunger lockte mich zielstrebig in das Hotelrestaurant ... Das auf 1116 m befindliche Hotel an der Grenze zwischen Siebenbürgen und der Bukowina gelegen, wurde im Jahr 1983 eröffnet. Es war wohl ein Engländer, der einst im Gespräch mit einflussreichen Parteikadern seiner Zeit diese Idee - wahrscheinlich unter dem Einfluss von reichlich tuica - wirkungsvoll an den "Mann" brachte. Sicher, das Geschäft mit den Valutas war zu damaliger Zeit ein durchaus tragendes Argument! Jahre später, im April 2012, bei einer schnellen Durchfahrung des Siebenbürger Beckens zusammen mit Gudrun Pauksch, konnten wir uns zu später Stunde den Reizen dieses Hotels nicht entziehen und verbrachten hier eine Nacht. Die Preise sind sehr kulant und - wie schon erwähnt - die Küche ist super!

 

Zum Sonnenuntergang 

... machte ich es mir auf dem Balkon meiner Pension gemütlich - vorerst zumindest. Gegen 20 Uhr rief mich Constantin, der Inhaber der Pension zum Abendessen und zu guter tuica! Wiedereinmal sorgte die rumänische Gastfreundschaft dafür, dass ich erst spät zu Bett kam! 

:-)

Noapte buna ...

Teil 2 - Durch die Muntii Calimani

 


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