Auf den Spuren der Lippowaner (lipoveni) ...

Recherche: Alma Alexandrov & Wilhelm Scherz

Fotos: Wilhelm Scherz

Das ich mit der Alma Alexandrov diese Reise machte, war sicher ein Grund für diesen Reiseverlauf, ein zweiter, dass sich der Gott der russisch-Altgläubigen gesagt hat: "Nee, der Willi muss nicht im Januar schon einen neuen Fotobericht -Auf den Spuren der rumänischen Orthodoxie 2004- abliefern, nun sind wir auch einmal dran!" ... und schliesslich Dank der Rumänien/Moldawien-Karte (1:600000) von REISE KNOW-HOW, wo einzigst auf dieser das Kloster Uspenia eingezeichnet war. Mein Interesse galt vor Reiseantritt in der Tat den orthodoxen Klöstern dieser Region. Da schien zudem der Gott der Altgläubigen die besseren Beziehungen zum Wettergott gehabt zu haben und so kam es wie es kommen musste! Natürlich nahm ich zunächst das Kloster Uspenia in meine Reiseplanung spontan mit auf und wir, die Alma und ich, begannen unsere Reise mit der Lippowaner-Gemeinde Slava Rusá (oben im Bild zu sehen!).


 

Der erste Kontakt in Salva Rusá ...

... ging uns buchstäblich ans Herz. Ein altes Mütterchen lief auf der Strasse und wir hielten neben ihr, um nach dem Weg zum Kloster Uspenia zu fragen. Diese erklärte uns freundlich den Weg und sagte schliesslich, wir sollten auch sie besuchen, sie hat Platz in ihrem Häuschen und auch eine Übernachtung wäre kein Problem. Und beinahe hätten wir das Angebot nach dem Klosterbesuch auch angenommen, so sehr bewegt waren wir von dieser alten Dame in Slava Rusá. Im Bild zu sehen: Eine der zwei Lippowanerkirchen von Slava Rusá.

 

Die zweite Kirche von Slava Rusá

Typisch für die Kirchen der Lippowaner ist der grosse Kuppelaufsatz über dem Naos und dazu der separat ins Kirchgebäude integrierte zweite, schmalere Glockenturm.


Die Altgläubigen (Lippowaner / rum.: lipoveni) und das Kloster USPENIA ...

In Russland kam es zu Zeiten von Zar Alexei Mihailovici, unter Initiative von Patriarch Nikon zu einer Glaubensreform, welche im Jahre 1654 ihren Anfang nahm. Die Veränderungen innerhalb des kirchlichen Glaubensreglements und der Liturgie waren nicht sonderlich umfassend und tiefgehend und bezogen sich teils auf oberflächliche Rituale wie z.B. das Handzeichen der Kreuzigung sollte künftig mit zwei statt drei Fingern erfolgen, das sich an den sonntäglichen Gottesdiensten wiederholende Gebet sollte fortan 3x statt 2x vollzogen werden, das Laufen um die Kirche sollte nicht mehr in Richtung der Sonne begonnen werden, die Schreibweise der Wortes "Isus" sollte in "Iisus" geändert, sowie die Zahl der heiligen kleinen Brote, von welchen zu bestimmten Feiertagen immer 7 Stück gebacken wurden, sollte auf fünf Brote geändert werden, ... .

Viele der russischen Gläubigen standen fest zu den damaligen Regeln des altrussischen Glaubens und sie waren überzeugt, dass eine Abkehr von diesen Regeln einen Zerfall ihres Glaubens nach sich ziehen würde. Freilich waren die neuen Reformen nur ein Vorwand für künftige politische Ziele, Machtbestrebungen und politischen Zweckbündnissen, und man kann davon ausgehen, dass viele Anhänger des altrussischen Glaubens ebenfalls andere politische Ziele verfolgten. Der Machtkampf allerdings definierte sich dabei ganz unpolitisch in einer Glaubensreform, die sich im weiteren Verlauf dahingehend entwickelte, dass die Altgläubigen als "raskolul" = "Aufständische" verrufen wurden. Die Altgläubigen, unter der geistigen Führung des Protopopul Avvakum hatten bei diesem ungleichen Kampf ein böses Nachsehen und in der Zeit zwischen 1675-1695 fanden 20.000 Altgläubige den Tod auf dem Scheiterhaufen. Zum Ende des 17. Jahrhunderts kam es zu einer Massenflucht und Verbannung der Altgläubigen teils in Regionen der Moldau und des Donau-Deltas. Insbesondere im Delta fanden viele der Vertriebenen in unzugänglichen Gebieten einigermassenen Schutz vor weiterer Verfolgung. Im Übergang zum 18. Jahrhundert siedelten sich die Lippowaner (Altgläubigen) auch in der Norddobrudscha an, welche sich zu dieser Zeit unter türkischer Herrschaft befand. Erste Ansiedlungen erfolgten bei Slava Rusá, Slava Cerchezá und Fântâna Mare. Die Kirche der Altgläubigen war zu dieser Zeit auch eine gesellschaftliche Instanz in Hinsicht auf Verwaltung, Rechtsprechung und Bildung.

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Kloster Uspenia

Blick ausserhalb des Klostertraktes auf die zwei Klosterkirchen: Links die "Biserica Uspenia" (Einweihung 1883) und rechts die kleine, ältere "Biserica Sfântilor Arhangheli Mihail si Gavriil" (Biserica de iarná) aus dem Jahre 1860, in der, wegen besserer Beheizbarkeit, die Mönche in den Wintermonaten ihre Gebete abhalten.

... Kloster USPENIA ... uspenia@artelecom.net

Aus der Zeit der ersten Ansiedlungen der Lippowaner in der Region Slava Rusá, Slava Cerchezá und Fântâna Mare um 1680-1769, stammt auch der älteste Gebetsaltar. Unter Führung des Pfarrers Evfrosin erfolgte die Verwaltung des Klosters Uspenia und der Aufbau der Altrussischen Gemeinden in dieser Region. Nach seinem Tode gab es lange Zeit keinen geistlichen Nachfolger und erst 1846 fand sich ein neues geistliches Oberhaupt - der aus Bosnien stammende Metropolit Ambrosie. Dieser sorgte in seiner Amtszeit für die Heranbildung neuer Pfarrer und hatte die Legitimation, diese zu weihen (ins Amt einzuführen).

Auf dem heutigen Klostergelände von Uspenia befinden sich zwei Kirchen: Die grosse, aus dem Jahre 1883 stammende Biserica Uspenia (Uspenia = Einschlafen der Heiligen Maria), sowie die kleine, ältere Kirche aus dem Jahre 1860 mit den Schutzheiligen Mihail und Gavriil, welche einst unter Episcop Kiril erschaffen wurde. Das Kirchweihfest der kleinen Kirche findet nach dem neuen Kalender am 21. Novenber jeden Jahres statt. Am 29. August, zu Zeiten des Kirchweihfestes der Biserica Uspenia, wird auch die Waschung hier befindlicher Knochen der Heiligen Dada, Gavedae, Cazdoe und Gargal, mit geheiligtem Wasser vollzogen. Diese vier Heiligen waren Neffen des persischen Königs Samporie. Dieser liess einst seine Neffen verfolgen, weil sie sich für den chistlichen Glauben entschieden hatten. Nachdem es zu einer Wiederbegegnung des Königs mit seinen Neffen kam, nahm auch der König selbst den christlichen Glauben an.

 

Zu den Gebeten: ...

Die täglichen Gebetszeiten der Mönche gestalten sich wie folgt: ... 7-10 Uhr ... 16-18 Uhr ... 19-20 Uhr ... 2-4 Uhr. An Festtagen dauert der Morgengottesdienst von 7-12 Uhr an.

Hram (Kirchweihfest) der Biserica Uspenia: ADORMIREA MAICII DOMNULUI (SF. MARIA) ... am 28.-29. August (nach dem neuen Kalender!)


Jetzt schlägt er zu der Wettergott, dass auf den Spuren der Lippowaner wir bleiben ...

Da hatten wir unsere Visite im Kloster Uspenia beendet und waren auf dem Weg zum rumänisch-orthodoxen Kloster "Cilic-Dere". Der Schneesturm hatte sich verstärkt. Bis Cataloi kamen wir noch gut voran, aber dann auf der Nebenstrasse in Richtung Frecátei blieben wir 300 Meter hinter Cataloi im Schnee mit dem Auto stecken. Nachdem wir Hilfe aus dem Dorf geholt hatten und das Auto wieder frei war, entschieden wir uns für die einzigst mögliche Variante des heutigen Tages: für die Hauptstrecke bis Tulcea. Wir kamen dort im anhaltenden Schneestrum an und beim Postamt telefonierte Alma mit ihrer Mutter in Constanta. Ihr kam schliesslich die Idee, dass einer der Brüder von Almas Opa in Tulcea wohnt - nur wo, war nicht genau bekannt. Eines aber wusste Almas Mutter, nämlich dass die Familie Alexandrov aus Tulcea nahe dem Monumentul wohnt und wir dort einfach nach dem Akkordeonspieler fragen sollten. Der Tipp war für uns DIE grosse Lösung, die Alexandrov´s waren schnell auszumachen und wir wurden spontan überaus herzlich aufgenommen.

Alma, die ihre hiesigen Verwandten nur von einigen früheren Besuchen in Constanta kannte, hatte natürlich viel auszutauschen und ich derweil interessierte mich dafür, ob denn am 1. Weihnachtsfeiertag in einer der beiden nahen Lippowanerkirchen nicht auch ein weihnachtlicher Abendgottesdienst stattfinden würde. Er fand statt und ich freute mich natürlich überaus, einen Lippowaner-Gottesdienst miterleben zu können. ...

 

Abendgottesdienst ...

... am ersten Weihnachtsfeiertag der Lippowaner in einer der Kirchen altrussischen Glaubens in Tulcea. Diese Kirche wurde in der Zeit von 1918 - 1921 erbaut und befindet sich etwas unterhalb der oberen Lippowanerkirche nahe dem Monumentul.

 

Der russische Männergesang ...

... berührt die Seele eines aussenstehenden Besuchers ganz ausserordentlich.

 

Serghei Alexandrov ...

... nimmt in seinem hohen Alter doch noch einmal das Akkordeon aus den Schrank und macht uns mit seinen russischen Liedern zum ersten Weihnachtsfeiertag die wohl denkbar grösste Freude!!!

 

Die Großmutter ...

... der Alexandrov´s

und

...

 

Der Großvater ...

... der Alexandrov´s


Nach dem Abendgottesdienst hatte Fedora Alexandrov uns ein deftiges Abendbrot serviert und schliesslich unterhielten wir uns auch ein wenig über die jüngere Geschichte der Lippowaner. Zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges nämlich war es für die Lippowaner hier in Tulcea kein Zuckerschlecken. Aufgrund ihrer russischen Tradition und Verbundenheit traute man den Lippowanern nicht und vermutete, sie würden mit den Russen kollaborieren. So kam es zu massiven Umsiedlungen grosser Teile der Lippowaner aus Tulcea ins ländliche Umland (z.B. nach Beidaud). Die Lippowanerdörfer waren von diesen Massnahmen nicht betroffen. Nach Kriegsende zogen die umgesiedelten Lippowaner wieder in ihre Häuser nach Tulcea zurück. ... Schliesslich holte Fedora Alexandrov einen grossen Pappkarton herbei und wir schauten uns alte Fotos aus dem Leben vergangener Zeit an. Einige Fotos zeigen auch Momente aus den "kunstschaffenden" Zeiten von Serghei Alexandrov, wo er eine grosse Folkloregruppe der Lippowaner mit dem Akkordeon begleitete. Das Akkordeonspiel war zu jener Zeit nicht unbedingt etwas "gesellschaftlich" dekoriertes, und so erlernte Serghei erst mit 24 Jahren heimlich dieses Instrument und so hat es fortan sein ganzes bisheriges Leben begleitet. Die hier folgenden Fotos aus dem Leben einer Lippowaner-Familie sprechen als beeindruckendes historisches Zeugnis für sich und benötigen keines Kommentars:

Die Minderheit der Lippowaner ...

... ist in der Dobrudscha weit verbreitet. Als Lippowanergemeinden dieser Region gelten: Jurilovca, Sarichioi, Slava Rusá, Slava Cerchezá, Fântâna Mare, Mila 23, Periprava, Sfistovca, Chilia Veche, Tulcea, Mahmudia, Gorgova, ... Die Lippowaner stellen die fünft-grösste Minderheit in Rumänien. Einige Statistiken laufen nicht ganz proportional zueinander, so beläuft sich ihre Gesamteinwohnerzahl in Rumänien auf 35.791 EW, aber zugleich gibt es eine Statistik, in der 38.147 Altgläubige belegt sind, von denen wiederum 29.246 die Muttersprache beherrschen. In diesem Zusammenhang war es recht interessant, als in der Nachkriegszeit Russisch zum Hauptfach in der Schule mit erhoben wurde, da protestierten viele Lippowaner und meinten sich in erster Linie doch als rumänische Staatsbürger zu fühlen und votierten für die Rumänische Sprache als Hauptfach.

Die Verteilung der Lippowaner auf rumänische Landesgebiete beläuft sich wie folgt:

Tulcea - 16.350
Constanta - 5.273
Iasi - 3.586
Bráila - 3.499
Suceava - 2.543
Bucuresti - 1.171
Botosani - 698
Ialomita - 602

... Schliesslich soll an dieser Stelle noch erwähnt werden, dass die Minderheit der Lippowaner auch eine Zeitung unterhält, welche vorrangig über die Kirche verteilt und vertrieben wird:

30PN - ZORILE

Diese Zeitung erscheint monatlich in der russischen Gemeinschaft der Lippowaner in Rumänien. Gegründet wurde sie 1990. Weitere Infos dazu: ... Redactor - set: Svetlana Moldovan ... vespansabil de numár: Zinaida Fedot ... Adresa redactiei: Bucuresti, sector 3, str. Lipscani, nr. 19, cam 122, cod.Postal 030071 ... Tel.: 021-3153104 ... eMail: zorile@moon.ro

Und noch ein kleines Schmankerl hinterher. ... Wie ich so mit der Alma auf dem Rückweg nach Constanta bin, da erzählt sie etwas lustiges in Bezug auf das Familienzusammengehörigkeitsgefühl der hiesigen Minderheiten: "Bei uns da ist es so: Wenn Du auf Arbeit furchtbare Zahnschmerzen hast und es nicht mehr aushältst und sagst das du zum Arzt musst, dann heisst es: Das kannst Du auch nach der Arbeit erledigen. Aber sagst Du: Ich brauche heute frei von der Arbeit, weil meine Oma Geburtstag hat" - dann ist es in Ordnung!

:-)


 

Zum Morgengottesdienst in der "Biserica Sf. Treime"

Diese Lippowanerkirche, unterhalb des "Monumentul" gelegen, stammt aus dem Jahre 1857.

 

"Biserica Sf. Treime"

In Tulcea, wo zahlenmässig die grösste Minderheit der Lippowaner lebt, gibt es insgesamt drei Kirchen altrussischen Glaubens.

 

Noch ein Familienfoto ...

... von Familie Alexandrov aus Tulcea zum Abschied und ich muss es noch einmal betonen, die grosse Gastfreundschaft hat mich tief bewegt!!!

Übersichtskarte vom Landesbezirk Tulcea


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