Lerner Wilhelm, ein seltsamer Künstler

Oder: ... Die Künstlerszene von Comuna Pui

Fotos von: Wilhelm Scherz

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"Kunst", die das Publikum sucht, oder das Ereignis "Kunst", dass schlicht stattfindet und eher gesucht werden muss? Erstere Form suggeriert Visionen, die aber bei mangelnden Absatz sich schnell verlieren, weil jene Form der Kunst dann keinen Heller sichert. Das "Ereignis Kunst" hingegen stellt jene Vision, jene Kulturform, jenes "Handwerk" dar, welches das Individuum beflügelt, fördert und diesem nutzbar scheint, unabhängig jeglicher gesellschaftlicher Würdigung. Die kulturellen Wurzeln und Triebe entstammen dabei einem Mix gesellschaftlicher und ganz persönlicher Parameter, wie den Religionen, den Traditionen, als auch ganz persönlichen Wünschen, Sehnsüchten und Leidensformen. Das Ereignis "Kunst" findet in bodenständigen Lebensformen so eine Antwort. ...


 

Bäuerlich naive Malerei ...

... auf einem Grabkreuz im oberen Valea Fizesti (Comuna Pui).

 

Auf dem Weg ...

... zu den "Kunstwerken" von Lerner Wilhelm. Vom Zentrum der Comuna Pui aus geht´s zur nahen Brücke, welche über den Râul Bárbat hinwegführt. Schon vor der Brücke läuft man nach rechts und folgt dem Flusslauf des Râul Bárbat. Dabei kommt man vorbei, an diesem Brennofen. In den Sommermonaten fertigen Zigeuner hier Lehmziegel. Wir fragen nach dem Mann vom Fluss, ein Zigeunerjunge versteht sofort und begleitet uns noch ein Stück flussaufwärts.

 

"Auf" dem Ziel ...

... stehen wir alsbald und befinden uns bei den ersten Kunstwerken im Flussbett des Râul Bárbat, während der Zigeunerjunge uns dem Mann vom Fluss vorstellt.

 

Lerner Wilhelm

Geboren am 26.01.1930 in Pui. Sein Vater kommt eigentlich aus der Slowakei und der grössere Bruder von Lerner Wilhelm verstarb im 2. Weltkrieg. ... Schulbildung: 7 Klassen. ... Gearbeitet hat er bei der Rumänischen Bahngesellschaft CFR bis zum Jahre 1990. Seit dieser Zeit ist er in Pension.

 

Lerner Wilhelm´s Kunstwerke

Aufgeschichtete Steinfiguren. Die Idee kam ihm spontan im 91er Jahr, als er sah, wie ein Bagger Steine aus dem Flussbett schürfte und nun betreibt er ganz für sich allein die Idee der Neugestaltung schon seit einigen Jahren. Das alles ohne Publikum und ohne Gage.

 

Lerner Wilhelm´s Leben ...

... richtet sich nach festen Regeln: ... jeden Tag in der Frühe um 5 Uhr steht er auf, wäscht sich Sommer wie Winter im Bach, geht dann gegen 7 Uhr ein erstes Mal zu seinen Kunstwerken, wie auch am Nachmittag zwischen 15 und 16 Uhr. Eigentlich trifft man ihn beinahe immer am Fluss, sagen zumindest die Einheimischen. ... Seine Stube daheim heizt Lerner Wilhelm niemals, er trinkt kein Alkohol und meidet jegliche gekochte Speisen. Niemals trägt er im Winter eine Mütze - wie auch seine Steinmännchen keine tragen.

 

Lerner Wilhelm´s Lebensende ...

... soll, wie er selbst von sich sagt, ein ruhiges, einfaches sein. Ein einfaches Begräbnis wünscht er sich, ohne durch´s Dorf umhergetragen zu werden, aber in Achtung vor Gott und seinem gewesenen Leben und auch hinterlassen will er der Nachwelt weiter nichts. Das passt natürlich haargenau mit seiner Kunst dann überein, denn mit dem nächsten Hochwasser geht auch diese Kunst dann von der Erden.

 

Nachdenklich ...

... war ich, als wir wieder am Fluss entlang nach Pui gingen und auf der Wiese diese alte Dame beim Schafehüten sahen. Wie sie da mit grossem Geschick die Wolle auf die Spindel brachte, da kam schon der Gedanke auf, ob das denn nicht auch "Kunst" sei.

 

Kunst, Handwerk, Handwerkskunst?

Zu später Stunde schlenderten wir noch durch eine dunkle Nebengasse in Pui und kamen an einem grossen, noch hell erleuchteten Fenster vorbei. Was ist das hier, eine Werkstatt? Unser rumänischer Freund erkannte das Interesse und wir klopften an. Alexa Iosif öffnete die Tür und bat uns herein. Ein findiger Bursche, dieser Iosif. Gelernt hatte er einst vor vielen Jahren den Beruf des Mühlenbauers. Dann ging er nach Cluj und studierte dort drei Jahre Mathematik. Danach unterrichtete er 30 Jahre in der Schule in Pui, die Kinder im Technikzentrum. ...

 

Kunst!

... Vor drei Jahren ist Alexa Iosif dann in Pension gegangen. Er hätte nun auch ein ruhigeres Leben fristen können, aber nein, neben seinem handwerklichen Geschick und Sachverstand in Elektronik und Mechanik und daraus resultierenden Reparaturen, die er für andere erledigt, musste er sich einfach wieder seiner beruflichen Wurzeln erinnern und machte sich daran, nur mit eigenen Händen, diese Mühle zu erbauen. Stolz kann er sein, auf alles was er in seine Hände nimmt. Und dieses überragende Mass von Vielseitigkeit macht ihn gewissermassen auch zum Künstler. Wer das verneint, der wird spätestens das Materialwirrwarr seiner Werkstatt als perfektes Kunstensemble anerkennen :-))) ! Immerhin, gegen die oft sinnlos zusammengeschweisste Kunst manch hiesigen Künstlers, funktioniert all das hier auch :-) !


Keine Kunst für´s Publikum, denn eher für die Toten!

Im Valea Fizesti (Comuna Pui) und bis hinauf nach Ponoricilor, wo einige Bauern aus Pui noch ihre Sommerwirtschaftshäuser haben, findet man solch schöne Grabkreuze. Die malerischen Grundmotive sind beinahe auf allen Kreuzen gleich.

Der findige Leser nun mag noch eine Frage haben, was die obigen Bemerkungen zur "Kunst" betrifft. Das "Ereignis Kunst" scheint ihm erklärt, aber wie ist es mit der "Kunst", die das Publikum sucht? Überhaupt scheint es zweideutig: Wer sucht hier wen? Beide Varianten treffen zu: "Die Kunst, welche das Publikum braucht, als auch das Publikum, dass die Kunst sucht. Diese Kunst ist beheimatet in den urbanen Zentren unserer Industriekultur. Sie braucht den Absatz und sie ist mitunter sehr hochwertig und ausgefeilt, was seine Ursachen in den Elementen der Konkurrenz, der Auftraggeber, des Zeitgemässen, des Populären, des käuflich orientierten, des Existentiellen, des Ideologischen, sowie der Nachfrage hat. Auch all diese Kunst soll hier nicht verketzert werden, doch idealisiert eben auch nicht. Ich will´s mit der Erklärung etwas "prosaisch" halten:

Kunst & Urbanität

es wird dunkel um uns
dreh dich und sieh
wie alles eins wird
ein alltag
und er zieht hinein in uns
so das wir nur noch umgehen
mit maschinen
und die kunst wird immer anspruchsvoller
hat sie doch weisung
uns an den zustand zu gewöhnen
kunst
ein akustisch und optisch wirkendes psychopharmakon
doch bedeutend humaner
siehe nur dies zeugs dagegen
bei der massenviehzucht

Text: Wilhelm Scherz


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